Gottesdienst im Weiglehaus am 8. Sonntag nach Trinitatis, 29. Juli 2007


Wochenspruch: Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Epheser 5, 8-9


Lieder:


Morgenglanz der Ewigkeit...EKG 349

Lebenssonne, deren Strahlen... EKG 506

Licht, das in die Welt gekommen...EKG 418


Lesung: Matthäus 5, 13 - 16


AUGEN, DIE WAS TAUGEN

(oder, auf sächsisch: Ohrenblickmal)


Gebet vor der Predigt:


Jesus, gib gesunde Augen,

die was taugen,

rühre unsre Augen an;

denn das ist die größte Plage,

wenn am Tage

man das Licht nicht sehen kann. Amen


Liebe Gemeinde!


Augen, die was taugen. Das ist die Überschrift der Predigt.


Ich lese den Text Johannes 9, die Verse 1 - 7:

Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war.

Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder

seine Eltern, dass er blind geboren ist?

Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.

Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.

Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.

Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden.

Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah - das heisst übersetzt: gesandt - und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.


Liebe Schwestern und Brüder,


mit dem Alter von 4 - 5 Jahren fängt's an, das Fragen: Warum?? "Mutti, warum hat der Mann so ein' dicken Bauch?" - "Warum hat die Frau so einen gelben Zahn? " - Oder im Zoo: "Wie heisst das große Tier da?" - "Giraffe!" - "Und warum hat der Giraffe da so einen langen Hals?"


Und dann bleibt sie das Leben lang, die Frage nach dem Warum? Im Grunde hat die

gesamte Wissenschaft ihren Ursprung und ihre Triebkraft in dieser Warum - Frage; in der

Frage also nach den Ursachen, den Gründen. Wie sehr hat sie Menschen beschäftigt,

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angespornt, zu Höchstleistungen angetrieben; manchmal auch gequält: Warum ist das so und nicht anders? Was steckt dahinter? Oder: Wer steckt dahinter? Selbst für einen

Gottesbeweis musste diese Frage je herhalten: Gott als "erste Ursache" von allem. Und im indischen Weisheitsbuch "Upanischaden" aus ca. dem 6. Jahrhundert vor Christus wird als die unlösbare Urfrage genannt: Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts?


Und nun hat den Menschen ja insbesondere die Frage nach den Ursachen des Leidens zu schaffen gemacht.


Damit bin ich auch beim 1. Punkt der Predigt:


I Warum nur lässt Gott das zu?!


Warum muss dieser fromme Mensch so viel leiden und dem da, der über Leichen geht, dem geht's so gut?! So fragen ja etwa auch die Psalmen; etwa Psalm 73 in Luthers unübertrefflicher Übersetzung:

Für die Gottosen gibt es keine Qualen, gesund und feist ist ihr Leib.

Sie sind nicht in Mühsal wie sonst die Leute

und werden nicht wie andere Menschen geplagt...

Sie brüsten sich wie ein fetter Wanst,

sie tun, was ihnen einfällt.

Sie achten alles für nichts...

sie reden und lästern hoch her.

Sie sprechen: Wie sollte Gott es wissen? Wie sollte der Höchste etwas merken?

Siehe, das sind die Gottlosen: die sind glücklich in der Welt und werden reich.


Und dann sagt der Psalmbeter:


Ich dagegen: Ich bin doch täglich geplagt

und meine Züchtigung ist alle Morgen da...


Warum?


Wie kann Gott das nur zulassen!? Er scheint äusserst ungerecht zu sein! Und in der Tat, das denke ich auch oft. Immer wieder sieht und hört man das ja: Da sind Menschen, die geben sich alle Mühe, machen Ernst mit dem Glauben, lassen ihn sich etwas kosten - und sie kriegen's knüppeldicke; einen Schlag nach dem andern. Dagegen Andere: Gehen über Leichen, scheren sich keinen Deut um Gott, häufen jede Menge Moos an - und werden von allen hofiert.


Die Theologen aus der Spätzeit Israels haben versucht, von ihrem Verständnis Gottes her eine Antwort auf die Frage nach dem Leiden zu geben. Sie waren überzeugt: Gott ist ein gerechter Gott; er tut keinem Menschen Unrecht. Und also muss Leiden einen Grund haben, muss Folge irgendeiner Schuld sein; ist sozusagen Gottes Strafe für eine Schuld.


Auch der Beter des 73. Psalms flüchtet sich schliesslich in solch eine Erklärung: Er sagt: Ich fand eine Antwort als ich sah, wie das Leben der Gottlosen endet: "Du stellst sie auf schlüpfrigen Boden...Wie werden sie so plötzlich zunichte. Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken" (Vers 16 -20). Ein Ende mit Schrecken. (Und, nebenbei, das ist ja schon eine Erfahrungstatsache, daß so mancher, der sein Leben auf Geld gegründet hat, am Ende einsam, verbittert und von einer zerstrittenen Familie verlassen, stirbt).


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Nun, dieses Verständnis jedenfalls von einem "gerechten" Gott, der jeden nach Verdienst belohnt oder bestraft, das finden wir hier auch bei den Jüngern, wenn sie angesichts des Blindgeborenen fragen: Wer hat denn hier gesündigt? Seine Eltern? Oder er selbst? (Wobei man sich das dann so zurechtlegte, dass jemand auch schon im Vorhinein für eine spätere Sünde gestraft werden konnte).


Und - machen wir uns nichts vor -: Dieses Denken: Leiden als Strafe, das ist tief in uns allen verwurzelt. Das geht ja bis in den Sprachgebrauch hinein: Der ist mit dem und dem gestraft, sagt man. Oder einer sagt: Womit habe ich das verdient?! Es gibt Menschen, die von dieser Frage nie ganz frei werden: Was habe ich denn nur getan, dass mir das geschehen musste?!


Aber was Jesus hier antwortet, bedeutet die radikale Umkehrung solchen Fragens und der Gottesvorstellung, die dahinter steht. Jesus antwortet den Jüngern: "Es hat weder er noch seine Eltern gesündigt, sondern an ihm sollen die Werke Gottes offenbar werden!" Aus der Frage nach dem Warum wird bei ihm die Frage: Wozu?

Zweiter Predigtpunkt also:


II Wozu wohl mag das Gott dienen?


Mit seiner Antwort an die Jünger verändert Jesus grundsätzlich die Haltung leidenden, behinderten, schwächeren Menschen gegenüber. Er kehrt sie geradezu ins Gegenteil. Statt sich von dem Blindgeborenen beruhigt abwenden zu können, weil man ja eine Erklärung gefunden hat: Der ist für eine Schuld gestraft; statt in irgendeiner Form von Mitleid auf ihn herabsehen zu können: Ach, der Arme...und ihm vielleicht ein Almosen zu geben, ihn abzuspeisen, lässt Jesus die Jünger erwartungsvoll werden: An ihm, gerade an ihm, soll in besonderer Weise etwas von der Herrlichkeit Gottes sichtbar und erkennbar werden! Mit ihm, gerade mit ihm, hat Gott etwas ganz Besonderes vor...! Das ist - noch einmal - die völlige Umkehrung unseres Denkens. Gegen das Unwerturteil der Jünger setzt Jesus sein Werturteil: Dieser blinde Bettler ist unendlich mehr wert als ihr denkt; sein Leben soll den tiefsten Sinn und Wert bekommen, den ein Leben überhaupt finden kann: Gottes Herrlichkeit, Gottes Werke sollen an ihm erkennbar werden!


Nicht wahr, damit deutet Jesus auch das Wesen Gottes ganz anders als die Jünger und der Volksglaube: Gott, sagt er, ist nicht in erster Linie ein gerechter, sondern in erster Linie ein gnädiger Gott. Er ist nicht in erster Linie der strafende, sondern der helfende und heilende Gott. Wenn schon ein Mensch zu leiden hat, es schwerer hat als andere, dann will Gott diesen Menschen eben auch besonders ehren, ihn besonders wichtig werden lassen, an ihm und durch ihn Besonderes tun!


Aber bevor wir nun hören und sehen, wie das nun bei diesem Menschen geschieht, will ich noch eins klarstellen. Jesus leugnet damit ja nicht jeden Zusammenhang zwischen Schuld und Krankheit, zwischen der Schuld eines Menschen und seinem Ergehen. Den gibt's natürlich. Schuld, die nicht ausgesprochen, sondern verdrängt wird, die frisst in den Eingeweiden, wirkt sich körperlich aus, macht krank. Oder auch: Wer ungesund lebt, soll sich nicht wundern, wenn er krank wird. Oder: Wenn einer seinen Ehepartner vernachlässigt, braucht er sich nicht zu wundern, wenn der sich zurückzieht und die Ehe krankt.


Nur lässt sich solcher Kausalzusammenhang eben nicht auf alles ausdehnen; wer das tut,

der kann und will sich nicht damit abfinden, dass das Leben und vollends Gott letztlich eben

doch absolut unergründliches Rätsel und unfassliches Geheimnis bleiben. Schlicht gesagt: Wir haben auf die wesentlichen Fragen des Lebens keine Antwort; wir "können's nicht

ergründen"(vgl. EKG 524). Darum klagt bei Goethe der Dr. Faust ja auch verzweifelt-weinerlich:"...Ich sehe, dass wir nichts wissen können/ das will mir schier das Herz verbrennen...!"


Anders gesagt: Wir Menschen sind im Grunde blind. Samt und sonders blind.


Aber stimmt das denn?


Der alte Heide Goethe sagt's ja anders. Mir fiel an dieser Stelle des Predigtschreibens

dieses Liedchen, ebenfalls aus dem "Faust" ein, "Lied des Türmers Lynkeus" , dass ich als Schüler auswendig lernte. Da singt der, der hoch oben vom Turm aus ins Weite späht:


Zum Sehen geboren

Zum Schauen bestellt

Dem Turme verschworen

gefällt mir die Welt.


Ich blick in die Ferne

Ich seh in der Näh

den Mond und die Sterne

den Wald und das Reh.


So seh ich in allem

Die ewige Zier.

Und wie mir's gefallen

Gefall ich auch mir.


Ihr glücklichen Augen,

Was je ihr gesehn,

Es sei, wie es wolle

Es war doch so schön.


So dichtet der Augenmensch Goethe - und meint damit ja auch sich selbst. Und - Er hat ja nicht unrecht! Wie unfasslich schön ist so manches im Leben und in der Schöpfung! Ein Paul Gerhardt ermuntert uns ja auch: Schau an der schönen Gärten Zier...Und auch die Psalmen in der Bibel: Wie preisen sie die Schönheit der Werke Gottes! Und an einer Stelle wagt ein Psalm - der 1o4. - sogar die Aussage: "Gott, du bist schön! Licht ist dein Kleid, das du anhast!"


Ja, das ist wahr. Und doch: In geistlichen Dingen sind wir, samt und sonders, blind. Und nun wird unsere Geschichte - wie so oft im Johannesevangelium - gleichsam transparent, gewinnt einen hintergründigen Sinn. Sie sagt uns: Auch du, der vermeintlich Sehende, bist blind geboren; tappst im Dunkeln herum, bist blind für Gott und sein Tun. Und das gilt allüberall; für jeden Menschen, für die ganze Völkerwelt. "Siehe, Finsternis bedeckt das

Erdreich und Dunkel die Völker...", so weissagt Jesaja - und fügt dann allerdings eine herrliche Verheißung an, dieses wunderbare biblische "aber": "aber über dir geht auf der Herr und seine Herrlichkeit erscheint über dir!" (Jes. 60,2).


Und an anderer Stelle die berühmten Worte, die wir zu Weihnachten hören:

"Es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind...Das Volk, das im Finstern wandert, sieht ein großes Licht..." (Jes. 8, 23; 9,1).


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Und darum das Dritte:


III Höre, damit du sehend wirst!


Jesus tut das Werk Gottes. Er macht die Werke Gottes offenbar. Er kann uns die Augen öffnen.


Zunächst hören wir hier und sehen gleichsam vor Augen: Jesus bückt sich, macht aus Erde und Speichel einen Brei und streicht ihn auf die Augen des Blinden. Er heilt seine Augenkrankheit. Er tut das, was damals auch ärztliche Kunst war: Speichel, das wissen Menschen wie auch Tiere, Speichel hat heilende Wirkung.


Gemeint ist: Gott will Behinderte, Leidende auch im körperlichen Sinne möglichst heilen. Auch dazu hat er uns den Heiland gesandt. In vielen Ländern in Lateinamerika, Afrika und Asien kommen Menschen durch Heilungswunder an ihnen zum Glauben. Das ist bei uns - vielleicht noch - unterentwickelt, diese urchristliche Gabe der auch körperlichen, leiblichen Heilung. Aber, ich hoffe, das erkennen und lernen wir auch in unserer deutschen

Christenheit zunehmend: Glaube hat heilende, auch im körperlichen Sinne, heilende Kraft.


Aber hier geht's um noch mehr als um körperliche Heilung. "Geh hin," sagt Jesus, geh zum Teich Siloah...Und der Blindgeborene folgt, er gehorcht den Worten Jesu. So wie auch Petrus der Anweisung Jesu folgt: "Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen, aber auf dein Wort hin will ich das Netz auswerfen" (Lukas 5, 5). Er gehorcht den Worten Jesu und erfährt ein Wunder.


Im nächsten Jahr Ende Mai wird der Bundesposaunentag in sächsischen Leipzig stattfinden. Und die Planer haben ein schönes Motto für dieses Fest gefunden: Ohrenblickmal (also "Augenblick mal" auf sächsisch). Ohrenblickmal: Das passt zu diesem Text: Über die Ohren geht es, dass wir sehend werden. Das Organ des Glaubens ist ja das Ohr, nicht das Auge. Über dem Hören werden wir sehend. Der Blindgeborene hört auf Jesus. Er tut, was Jesus ihm sagt, er folgt Jesus, und darüber werden die Augen ganz geöffnet. Er sieht den Heiland. (Davon wird dann im weiteren Verlauf des Kapitels äusserst spannend erzählt (das Ende von Kap. 9 ist übrigens Predigtext am 30. September)).


Also: Öffne die Ohren, wenn Jesus auch zu Dir sagt: Ich bin - das Licht - der Welt! Nicht ein Licht neben anderen, sondern das: das einzige Licht Gottes auf der Erde. Das Licht, das dein Leben hell macht, deinen Verstand erleuchtet, dir Vertrauen in Gottes Fürsorge und Führung weckt, große Freude in dir auslöst; die Freude: Du bist um Jesu willen geliebt bei Gott! Wie empfangen wir dieses Licht? Wie werden wir sehend? Über dem Hören und Gehorchen. Ein Hören - nicht zum einen Ohr hinein, zum andern hinaus, sondern in beide Ohren hinein und in Herz und Sinnen bleibend. Höre, und die Augen gehen dir auf und über. Höre und du wirst sehend. Du wirst dann mit Johannes und anderen sagen: Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit (Joh. 1, 14).


Siloah ist der Name des Teiches, in dem der, dem Jesus die Augen heilte, sich wäscht und sehend wiederkommt. Siloah: Der Name bedeutet: Gesandt. Wenn du in Jesus den Sohn Gottes erkennst, in ihm deinen Heiland findest, dann wirst du gesandt, auch anderen Menschen die Augen zu öffnen für die Herrlichkeit des Gottessohnes! Denn, wie Jesus sagt: Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist (V 4).


Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen