Gottesdienst am 20.Juni 1999 ( 3.p.Tr.) (Pfarrer Martin Quaas)

Lieder: 451, 1 – 5/ 392,1-3.46-8/ 412, 1 – 6/ 451, 5 – 10

 

Predigt über das „Gleichnis vom verlorenen Sohn  (Lukas15, 11 – 32)

 

Liebe Gemeinde,

 

Gott: Unsere Gedanken gehen bei diesem Wort automatisch „nach oben“, wir denken an die Unergründlichkeit, Unfaßlichkeit, Unbegreiflichkeit Gottes, an den Schöpfer,  der alles aus nichts geschaffen hat...Und: Beginnen wir nicht so auch unser Glaubensbekenntnis? „Ich glaube an Gott den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde...“. Aber halt, vielleicht haben Sie’s gemerkt, es beginnt anders: Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen...!

 

Das ist die erste und wichtigste Aussage über Gott: Gott ist der Vater! Der Vater Jesu Christi und durch ihn auch unser Vater! Und immer wenn wir das Glaubensbekenntnis beginnen, dann kann und soll uns dieses Gleichnis Jesu hier vor Augen stehen, dieses Gleichnis von Gott dem über alle Maßen liebevollen Vater. Ich finde, in diesem Gleichnis ist der ganze christliche Glaube in all seiner Fülle und Schönheit zusammengefaßt, mehr und Schöneres – und Anstößigeres! -  als was Jesus hier von Gott sagt, kann man nicht sagen, nämlich:

 

Gott läßt Freiheit,

Gott ist Liebe,

Gott will Freude.

 

                                                           I

 

1.      Gott läßt Freiheit

 

Der jüngere Sohn sucht diese Freiheit und der Vater gewährt sie ihm.

 

Dieser Sohn will kein Stubenhocker sein, er will eigene Lebenserfahrungen machen, will aus dem Haus raus  und selbständig werden – so wie es viele junge Menschen machen, machen müssen: Weg von zu Hause, auf eigenen Beinen stehen...

so wie es im Grunde das Kennzeichen der gesamten Menschheit ist: Nicht in paradiesischer Vertrautheit mit Gott bleiben, sondern weg von ihm, hinaus in die Ferne, weg von ihm in die Fremde, sein eigener Herr sein: Selbstbestimmung, Selbstbehauptung, Selbstverwirklichung....Aber dann  lebt man halt nicht mehr im Hören auf ihn, im Gespräch mit ihm, in vertrauter Nähe zu ihm, sondern denkt allenfalls hin und wieder mal an ihn , der irgendwo ist, jedenfalls fern ,und von dem man nichts Genaues weiß....Allerdings, so sagt unsere Geschichte, bedeutet frei sein dann für uns vor allem: Sich vergnügen, konsumieren, sich ausleben...und es kommen, wenn einer Geld hat, allerlei falsche Freunde, die ein bißchen absahnen wollen...und allmählich verkommt man, kann herunterkommen bis zu den Schweinen...und wir müssen zugeben: Auch unsere Gesellschaft, die nur auf Konsum und Vergnügen aus ist, die verkommt, wird zu einer „heruntergekommenen“ Gesellschaft, korrupt, ohne Tabus, ohne moralische Hemmungen, schamlos...Wie viele Menschen sind wie dieser Sohn mit seinem versauten Leben, Opfer einer Scheinfreiheit, Opfer eines Denkens, das uns suggeriert: Freiheit heißt tun und

 

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lassen, was du willst, Freiheit heißt Spaß haben, sich vergnügen, sich ausleben...Aber eindrücklich ist mir:  Jesus hält sich ja keinen Augenblick bei der

Klage oder bei moralischer Empörung darüber auf -  er konstatiert nur: So ist das halt, wenn man fern von Gott lebt -  etwas Anderes ist ihm stattdessen  viel wichtiger, nämlich:

 

Wo Menschen Gott vergessen und verlassen, da vergißt Gott uns noch lange nicht!

 

                                                                       II

 

Denn – zweitens – Gott ist Liebe.

 

Was Jesus nun von dem Vater erzählt, das muß man sich klarmachen an dem, was ein Vater im Orient damals galt und noch heute dort gilt, nämlich er ist das absolute Familienoberhaupt, die Respektsperson schlechthin, selbst die erwachsenen Söhne müssen sich vor ihm verbeugen, bleiben vor ihm, der natürlich sitzen, ja thronen bleibt, stehen, wenn er ihnen etwas zu sagen, zu  befehlen hat...Und jetzt dieser Vater: Der macht sich nicht nur lächerlich und zum Gespött, der gibt sich der Verachtung preis, weil er sich selbst völlig entwürdigt und entehrt...denn, so müssen wir uns das vorstellen: Tag und Nacht hat er an den Sohn gedacht, voller Sehnsucht, voller Bangen, und kaum begann der Tag zu grauen, ging er ans Fenster, schaute hinaus: Vielleicht, vielleicht kommt er ja heute...und dann sieht er eines Tages diese zerlumpte Gestalt und es reißt ihn vom Stuhl hoch und er rennt, er läuft, was er kann und ich denke, er schluchzt laut auf vor Freude und er nimmt diesen , vermutlich stinkenden, jungen Mann in die Arme, küßt ihn und weint hemmungslos. Kein Gedanke an irgendeinen Vorwurf, nichts von: da siehst du...oder hättest du doch...Nur selige Freude.

 

So also ist Gott der Allmächtige, der Schöpfer Himmels und der Erde! Seine Allmacht ist die Allmacht seiner Liebe, seine Schöpfermacht ist die schöpferische Macht seiner Liebe! Gott ist Liebe und sonst nichts. Nichts als lauter Liebe. Das ist das A und O des christlichen Glaubens. Er ist Liebe, so wie Jesus von ihr erzählt und wie er sie mitgeteilt hat, eine Liebe, die ihn allerdings das Leben gekostet hat! Denn wir Menschen wollen im Grunde diese Liebe nicht, wir verachten solch einen Gott, wir wollen den weghaben, der Liebe zu den Feinden, den „Bösen“  verkündigt und von uns erwartet. Der also alle unsere Maßstäbe von gut und böse radikal infragestellt.

 

Aber er bleibt dennoch voller Liebe zu uns. Gott ist dieser Vater. Alles andere Denken über Gott sollen wir uns aus dem Kopf schlagen. Natürlich bleiben Rätsel, vor allem die Warum – Frage, das Leid...Und doch: trotz allem sollen wir darauf beharren und darauf vertrauen: Er ist – wie Luther einmal bildkräftig  sagt – „ein glühender Backofen voller Liebe“ – so wie der Vater hier, und wir, wir dürfen und sollen täglich zu ihm umkehren, uns bei ihm bergen, uns von seiner Liebe überwältigen und von seiner Freude anstecken lassen – und auch unsererseits uns verhalten wie dieser Vater – im Umgang mit unseren Kindern, im Umgang mit heruntergekommenen Gestalten.

 

 

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                                                                       III

 

Denn – drittens –dieser Gott will Freude.

 

Gemeinsame Freude. Er möchte, daß wir uns mitfreuen, wenn wir hören und vielleicht miterleben, wie Gott einem Menschen, der‘s in unseren Augen nicht verdient hat, mit überströmender Liebe entgegenkommt. Und nun steht also dieser andere Sohn vor uns, der ältere Bruder. Das Erschütternde an ihm ist: Er war immer in der Nähe des Vaters, hat täglich mit ihm geredet und auf ihn gehört – und hat offensichtlich nichts, gar nichts begriffen. Er zieht einen Flunsch, zieht die Mundwinkel herab, wird böse auf seinen Bruder und auf seinen Vater.

 

 

 

Damals, als Jesus lebte, repräsentierte dieser Sohn die ach so Rechtgläubigen, die es nicht ertrugen, daß Jesus den Gottlosen, den Huren, den Vaterlandsverrätern und

Kollaborateuren die Liebe Gottes zusagte und mitteilte und die ihn schließlich ausstießen. Und heute? Ich gestehe, ich erkenne auch von mir etwas in diesem Bruder wieder – wenn ich nämlich auf lieblose Weise rechthaberisch bin, wenn ich Menschen aufgrund ihres Verhaltens verachte, ihnen die Gemeinschaft mit mir verweigere...aber verurteilen wir auch diesen älteren Sohn nicht, es wird ihm ja immerhin zugemutet, sein ganzes Wertdenken, all seine Überzeugungen von dem, was vor Gott richtig und falsch ist, aufzugeben...Und auch zu ihm geht der Vater hinaus. Immer muß Gott zu uns hinausgehen. Immer geht er uns nach, kommt uns entgegen, sucht uns auf in unserer Verlorenheit, in unserer Verbohrtheit und Verbissenheit, unserer Nörgelei, unserem Rechtsstandpunkt und sagt: man muß sich doch freuen...!

 

Er ruft uns in die gemeinsame Freude: Arme und reiche Nationen, Gläubiger- und Schuldnerländer, Selbstgerechte und zu Recht Verurteilte, Hochnäsige und Heruntergekommene...uns alle, die darin gleich sind, daß wir dem Vater und einander so viel Liebe schuldig bleiben, die darin gleich sind, daß wir unterschiedslos von ihm geliebt sind, er ruft uns zum gemeinsamen Fest dort, wo wir aufatmen, wo wir Frieden und Geborgenheit finden: In seinem Haus. Amen

 

 

 

 

 

 

 

 

 




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