Frühgottesdienst am Drittletzten (24.) Sonntag nach Trinitatis,

6. November 2005

 

Lieder:

 

Wach auf, mein Herz, und singe...446.

Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ...246

Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude...66, 1.3.5

O Durchbrecher aller Bande...388, 6 und 7

 

Psalm 91 (Nr. 739)

Lesung: Römer 14, 7 - 9

 

Predigt über Lukas 11, 14 – 23:

 

Und Jesus trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme. Und die Menge verwunderte sich.

Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten.

Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel.

Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andere.

Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geister aus durch Beelzebul.

Wenn aber ich die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein.

Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.

Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden.

Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute.

Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.

 

Liebe Gemeinde!

 

Kürzlich fuhr ich an einem Hochhaus vorbei, das gerade abgerissen wurde. Man konnte offen in die  ehemaligen Wohnungen  hineinsehen, man  sah herumhängende Leitungen, sah die Tapezierung und Reste der Wohnungseinrichtungen, konnte sich vorstellen, wie die Bewohner dort gelebt hatten, man konnte sozusagen ins Innere der Wohnungen sehen, alles lag offen da.  Und mir kam der Gedanke: Wie, wenn durch irgendeinen Eingriff die Fassaden unseres Lebens plötzlich abgerissen würden und alles offen da läge? Was käme da alles zum Vorschein?

 

Da sitzen wir hier in der Kapelle, nebeneinander, hintereinander, schön sonntäglich gekleidet, und sind doch alle froh – ich vermute: alle, ohne Ausnahme – dass der oder die andere neben uns nicht weiß, wie es in unserm Inneren wirklich aussieht. Was gäbe das wohl für ein  Erschrecken, vielleicht gar Entsetzen, wenn die Menschen um uns nun plötzlich hinter unsere gepflegte Garderobe schauen könnten bis in die verborgensten Kammern unseres Herzens und unserer Phantasie -  was käme da nicht alles zum Vorschein an sklavischer Unfreiheit und zentnerschweren Belastungen, an schrecklichen  Gebundenheiten und quälenden Ängsten.

 

Nach außen wirken wir ja im allgemeinen sicher und aufgeräumt. Aber hinter den Kulissen?

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Wie viele Dinge liegen auf den Hinterhöfen unseres Lebens herum, ungeordnet und unbewältigt, so vieles, das wir ängstlich verborgen zu halten suchen, weil wir nicht zugeben wollen, daß in unserem Leben Einflüsse und Geschehnisse  am Werk waren und sind, die wir nicht selbst steuern, sondern deren Einfluß wir uns ausgeliefert sehen und denen wir folgen – willenlos, manchmal sogar gegen unseren Willen; letztlich ihnen  gegenüber ohnmächtig.

 

                                                                       I

 

Am Anfang unseres Bibeltextes wird uns ein Mann vorgestellt: Er ist stumm geworden, weil ein böser Geist von ihm Besitz ergriffen hat; in der Erzählung, wie sie Matthäus überliefert, wird er klipp und klar „ein  Besessener“ genannt.

 

Was ist das eigentlich, ein Besessener? Nun – eben ein Mensch, der von irgendeiner Idee, einer Macht, einem Wahn so sehr in Besitz genommen wird, daß er dieser Gewalt ganz ausgeliefert ist und tun muß, was sie will.

 

Es gibt viele Weisen solcher Besessenheit: Ein Mensch – nach außen hin ein biederer Bürger - kann sadistisch sein, besessen sein von der Lust am Quälen. Es kann einer besessen sein vom Machtrausch. Da braucht man gar nicht gleich an einen Hitler, Goebbels oder Stalin denken, sondern das kann es auch bei Kommunalpolitikern oder

Managern geben.  Menschen  können besessen sein von Fanatismus, von  Ehrgeiz, von  Habgier; können einen Ordnungsfimmel haben oder putzsüchtig sein. Menschen  können besessen sein von krankhaften Ängsten und vom Zwang zur Selbstzerstörung...

 

Es gibt Besessenheiten.  Das sagt die Bibel klipp und klar. Sie sagt uns damit : Ihr Menschen seid eben nicht so frei, wie ihr immer tut. Nicht ihr selbst mit eurem vermeintlichen freien Willen, nicht ihr selbst mit eurer vermeintlichen Entscheidungsfreiheit  seid Herren im Haus eures Lebens, sondern es gibt Besatzungsmächte, die in eurem Herzen Quartier bezogen  haben. Ihr seid ein Spielfeld für Mächte und Einflüsse, die stärker sind als euer guter Wille. In der anschaulichen Sprache Luthers gesagt: Der Mensch ist im Blick auf sein Leben niemals der Reiter, der sein Leben selbst nach eigenem Gutdünken lenkt, sondern stattdessen das Reittier, das von irgendeiner Macht, stärker als er, geritten, gelenkt wird,  be-sessen ist. Und  Paulus schreibt in Römer 7: Nicht das Gute, das ich eigentlich will, tue ich, sondern im Gegenteil das Böse, das ich nicht will. Wollen habe ich wohl, aber das Gute auch vollbringen – das kann ich nicht.

 

Ich denke, so würden wir von uns  nicht reden, würden nicht so klar unsere Ohnmacht zugeben, unser Ausgeliefertsein benennen. Wir würden allenfalls sagen, dass jeder Mensch eben auch seine Schwächen hat. Aber in unserm ganzen Wesen Spielball von Einflüssen zu sein -  das wollen und  würden wir nicht zugeben.

 

Die Bibel sagt es aber so. Sie sagt: Wir sind unsichtbaren Mächten ausgeliefert, ihnen hörig und untertan; Einflüssen, über die wir nicht selbst verfügen, die vielmehr uns bestimmen und  denen wir uns fügen – ob wir wollen oder nicht. Und die Rede vom autonomen Menschen, von freier Selbstbestimmung, die ist  -      jedenfalls  nach Meinung der Bibel -  ziemlicher Unsinn und  gefährlich naiv.

 

                                                                       II

 

„Und Jesus trieb einen bösen Geist aus...“, so beginnt unser Text. In früheren Lutherübersetzungen  stand hier noch das Wort „Teufel“. Im  griechischen Urtext steht das 

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Wort „Dämon“. An einer Stelle unseres Textes bekommt der Dämon einen Namen: Beelzebul. Ursprünglich war das ein Götze, eine Gottheit der Philister, später wurde er in den  Rang eines Obersten der Dämonen erhoben.

 

Ja - aber was ist das: Ein Dämon? Nach dem Neuen Testament sind Dämonen widergöttliche Mächte, die in unser Leben einbrechen und es zerstören und verheeren können, so wie Erdbeben und  Flutkatastrophen ganze Landstriche verheeren können . Schon das Wort selbst macht es deutlich: der Begriff Dämon ist abgeleitet von einem Wort, das „zerteilen, spalten, trennen“ bedeutet. Das also ist der Einfluß der Dämonen: Sie wollen unser Leben besetzen und unser Herz, unser Wesen spalten, es abspalten, es trennen  von Gott. Darum heißen Teufel oder Dämonen: Die Widersacher Gottes.

 

Kann man auch heute von ihnen reden? Ist das nicht alles überholt? In der Zeit der Aufklä-rung gab es in evangelischen  Gesangbüchern auch diese Liedstrophe:

 

Gott sei ewig Preis und  Ehr!

Es gibt keinen Teufel mehr!

Ja, wo ist er denn geblieben?

Die Vernunft hat ihn vertrieben.

 

Ich denke, mittlerweile würde das keiner von uns mehr so mitsingen, wir würden  es für naiv halten. Wir haben in der Zeit des Dritten  Reichs, aber auch in  der Gegenwart zu viel von Grauenhaftem miterlebt, eben an wirklich Teuflischem, Satanischem, Dämonischem. Und darum sollen wir als evangelische Christen auch davon reden und das nicht als überholt oder mythologisch abtun. Sonst machen wir uns schwer schuldig, denn dann wandert es in die Esoterik ab und kann viel Unheil anrichten.  Wir sollen damit rechnen und davon  sprechen, daß es eben jenseits der sichtbaren Wirklichkeit unsichtbare, aber äußerst reale Einflüsse und Mächte gibt, die uns umgeben wie die Luft und sozusagen durch alle Poren in unser Leben eindringen können. So wie manche Großstädter, die  an einer vielbefahrenen Straße wohnen, unter verunreinigerter, verpesteter Luft zu leiden haben, die sie mit jedem Atemzug in die Lungen saugen, so können wir krank werden an dämonischen Infektionen, die in unser Leben eindringen, unsere Sinne verkleben und betäuben, uns unfähig machen,  Gott zu erfahren, das Gespräch mit Gott verstummen lassen. Und manches an Einflüssen unserer sog. „Spaßkultur“, dieses Übermaß an elektronischen Reizen und flimmernden Bildern von Sex und Grausamkeit – das hat, wie ich finde, durchaus dämonischen Charakter, es bewirkt eine Unfähigkeit zur Gemeinschaft mit Gott. In diesem  Sinne schreibt der Prophet Amos einmal: „Siehe, es kommt die Zeit, daß ich einen Hunger ins Land schicken werde, nicht einen Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Wort des Herrn, es zu hören; daß sie hin und her von einem Meer zum andern, von Norden nach Osten laufen und des Herrn Wort suchen und doch nicht finden werden“ (Amos 8, 11f.).

 

Das kann es also geben: Menschen  merken, daß sie, angefüllt mit der elekronischen  Bilder- und  Wörterflut,  innerlich leer und unglücklich werden. Sie suchen wirkliche Nahrung für ihr Leben, suchen nach Gottes kräftigem, lebenschaffendem Wort – und sind unfähig geworden es zu hören, unfähig, es zu finden! Das ist in wahrhaftt dämonisch.

 

                                                                       III

 

Und nun sehen  wir in unserm Text: Jesus steht wie ein Fels innmitten  einer erregten Szene. Von allen Seiten  prasseln die Angriffe auf ihn ein, nachdem er den Mann von seiner dämonischen Besessenheit geheilt hatte.  Die einen halten ihn selbst für den Obersten der Dämonen; den anderen reichen nicht mal seine gerade miterlebten Machttaten aus, sie

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wollen, unersättlich auf Sensationen aus, noch mehr sehen.

 

Ruhig, geradezu gelassen wehrt Jesus die Angriffe ab. Mit einem logischen Argument weist er seine Gegner zurück: Allein daran müßtet ihr doch erkennen,daß ich nicht zu den

Dämonen gehöre, weil doch nicht ein Dämon den andern vertreibt. Ein Reich, in dem ein  Bürgerkrieg tobt, wird bald zerfallen sein. Der Teufel ist doch nicht sein eigener Gegner.

 

Und dann sagt Jesus etwas Grandioses von sich, er sagt: Wenn ich durch Gottes Finger  die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.  Mit Jesus, der mit der Macht Gottes die Dämonen vertreibt, fängt das Reich Gottes, Gottes Herrschaft auf der Erde an.   Wo dieses Reich, dessen Zeichen das Kreuz des Auferstandenen ist, ausgerufen und  bekannt wird, müssen die Dämonen weichen, werden sie vertrieben, in die Flucht geschlagen, da geschieht dann ein Herrschaftswechsel:  Nicht mehr die bösen Geister dürfen uns regieren, sondern Jesus, der  Sieger, ist nun Herr im Haus unseres Lebens. 

 

Jesus gebraucht hier ja selbst ein militärisches Bild, er sagt: : Ein befestigter Palast, von seinem bewaffneten Besitzer bewacht, kann von einem Stärkeren eingenommen werden. Mit diesem Bild weist Jesus auf sich selbst. Der Satan ist zwar stark und sehr machtvoll, kann  Menschen beherrschen und Völker unterwerfen. Aber Jesus ist stärker. Er kann befreien von bösen Geistern, die uns beherrschen und knechten: Von übermäßigem Ehrgeiz oder  übersteigerter Empfindlichkeit, von Jähzorn und von Geldgier, vom Richtgeist, von Süchten und auch von dämonischen Gebundenheiten.

 

Wer diese Freiheit erfahren  und empfangen will, wird sich entschlossen auf die Seite Jesu des Siegers stellen, mit ihm „sammeln“, d.h. in lebendiger Verbundenheit mit ihm leben, auf ihn hören, zu ihm beten, in seiner Nachfolge leben und  handeln. Darüber durchschauen und  entlarven wir die bösen Geister,wir leben erfüllt von Jesu Geist, unser Leben  wird frei. Denn, wie Jesus sagt: Wenn euch nun  der Sohn  frei macht, so seid ihr wirklich frei (Johannes 8 , 36).

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und  Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.