Frühgottesdienst am Toten- und Ewigkeitssonntag, 20. November 2005

 

Lieder:

Ach wie flüchtig...528 

Es ist gewißlich an der Zeit...149

Wachet auf...147, 1 und 2

Im Frieden dein...222

 

Psalm: 90 Nr. 738

 

Lesung: Offenbarung 21, 1-5a; 10f.,18.21-23

 

Predigt über Lukas 12, 42 - 48:

 

Jesus sagte den Jüngern dieses Gleichnis:

 

Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht?

Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun  sieht.

Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.

Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen,

dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, da er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben  bei den Ungläubigen.

 

Ein furchtbares Urteil also, ein schreckliches Ende!  Ja - paßt denn so etwas zu Jesus, der ja mit dem Herrn in diesem Gleichnis gemeint ist? Ist denn Jesus nicht barmherzig und  gnädig?

 

Auf der anderen Seite: Wie sehr hat der ungetreue Verwalter in diesem Gleichnis seine Fürsorgepflicht mißbraucht. Er hat sich  selbst gemästet und  hat den ihm anvertrauten Leuten vorenthalten, was ihnen zustand. Er hat durch seinen Machtmißbrauch Leid und  Elend über viele gebracht. Sollte das alles ungesühnt bleiben? Sollte es keine Gerechtigkeit geben - weder für die Opfer noch für die Täter? Sollte alles so trostlos bleiben?

 

                                                                       I

 

Enthält dieses Gleichnis überhaupt etwas Tröstliches? Denn ich denke, dies erwarten wir doch mit Recht vom Evangelium - gerade an einem Tag wie dem heutigen. Im Laufe meines Pfarrerdaseins ist mir immer klarer geworden, daß alle Menschen - von  den  ganz kleinen bis zu den ganz alten - trostbedürftig sind. Aber wir merken auch an einem Text wie diesem: Das Evangelium  tröstet nicht seicht und  billig. Und  auch ich darf den Trost des Evangeliums nicht seicht und  billig abgeben.  Wenn ich's doch täte, dann  wäre ich ja selber solch ein treuloser Verwalter wie der in diesem Gleichnis. Und der Zusammenhang macht klar, daß mit diesem Verwalter allen voran die gemeint sind, die den Willen Christi kennen und besondere Verantwortung für die Glaubensmitteilung tragen, Presbyter also etwa und Pfarrer.  Gleich nach unserm Predigttext stehen die bekannten Worte: Wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. Aber darüber hinaus ist natürlich jeder gemeint, dem der christliche Glaube bekannt und wichtig ist.

 

 

2

 

 

Wo also - noch einmal - ist der Trost dieses Textes für uns alle enthalten? Er ist darin enthalten, daß wir einen H e r r n  haben. Einen Herrn, der das Recht liebt und der

Ungerechtigkeit und  Unterdrückung nicht ewig auf sich beruhen läßt. Einen Herrn, der

i m  K o m m e n  ist, während alle anderen Herren gehen müssen. Dieser Herr wird das letzte Wort über unser Leben sprechen - über uns, deren Leben jetzt noch oft genug von anderen Herren beherrscht wird; Herren, die uns zu ungerechten Verwaltern machen wollen.

 

Einige Beispiele für solche Herren:

 

Ich weiß von einer Frau, ihr Mann ist vor drei Jahren gestorben, sie hat keine Kinder. Sie kommt über den Verlust nicht hinweg. Sie sagt: Niemand kann mich trösten. Sie findet

keine neue Lebensfreude, keine neue Lebensaufgabe. Sie kreist trostlos um sich selbst. Der T o d  beherrscht ihr Leben.

 

Oder: Letzten Sonntag war Volkstrauertag. Zum Gedenken gehört doch auch immer aufs neue, daß damals im sog. Dritten Reich Menschen, darunter unzählig viele Kinder - Juden, Behinderte, Geisteskranke, Zigeuner, Homosexuelle - in KZ's und in Gaskammern getrieben wurden. Unter denen, die solche Untaten verübten, waren viele, die sich als Christen  bezeichneten...Christen,die sich auf furchtbare Weise zu Herren aufspielten, weil sie selbst beherrscht waren - nämlich vom S a t a n, von dämonischen Mächten. Und auch heute können Menschen vom Bösen besessen sein.

 

Oder: Es gibt einerseits viel Spendefreudigkeit in unserer Gemeinde. Viele Menschen - gerade auch junge Familien mit gar nicht viel Einkommen - kaufen im  Dritte Welt Laden Geschenke, oder auch Lebensmittel wie Kaffee, Tee, Honig, zu gerechten Preisen. Aber die meisten, auch die Begüterten oder Reichen, auch in unserer Gemeinde, suchen nach Schnäppchen, kaufen da, wo es am billigsten ist - und manche sind geizig und  geben nichts ab: Das G e l d  kann zum Götzen werden, das Leben vom Geiz beherrscht werden.

Wo doch in weiten Teilen der Welt so viel Armut, Elend und Hunger ist!

 

                                                                       II

 

Und nun sagt unser Gleichnis: Es kommt eine Zukunft, wo die Wahrheit ganz enthüllt werden wird, die wir manchmal schon während unseres Lebens zu spüren bekommen: Irret euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten. Was der Mensch  sät, das wird er ernten (Gal. 6, 7).  Christus wird so kommen, wie es Paul Gerhardt in seinem Adventslied sagt: Er kommt zum Weltgerichte, zum Fluch dem, der ihm flucht - mit Gnad' und süßem Lichte dem, der ihn liebt und sucht.

 

Dieser Herr ist also kein Herrchen! Er ist kein liebes Jesulein, das man nicht so ernst zu nehmen braucht, weil sein Geschäft immer und überall das Vergeben und  Verzeihen ist, weil er ja ach so nachsichtig ist und alles unter den Teppich kehrt. Das Neue Testament weiß anders von ihm zu sprechen. Mitten in den Evangelien kann er auftreten wie ein Gerichtsprophet, er kann Weherufe und Drohungen über ganze Ortschaften ausrufen (Matth. 11, 20 - 24), und als der Seher Johannes den erhöhten Christus in einer Vision schaut, sieht er ihn so: "Seine Augen  waren wie eine Feuerflamme und seine Stimme wie großes Wasserrauschen und er hatte sieben Sterne in seiner rechten  Hand und aus seinem Munde ging ein  scharfes zweischneidiges Schwert, und  sein  Angesicht leuchtete wie die Sonne scheint in ihrer Macht. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot..."  (Offb. 1, 12 - 17).

           

3

 

 

                                                           III

 

Will unser Gleichnis uns nun in Angst stürzen vor ihm? Nein! Aber es will Ehrfurcht vor Ihm wecken; uns die große Verantwortung unseres Lebens zeigen, es will uns  den großen Ernst zeigen, um den es in unserm Tode geht - wenn wir dann vor Ihn, den  Herrn aller Herren treten.

 

Dieser Herr - so sagt uns unser Gleichnis - hat uns zu Verwaltern seiner Güter gemacht. Er selbst ist in die Fremde gezogen, ist im Himmel Gottes. Und uns, uns hat er seine Güter anvertraut. Aber er wird zurückkommen und uns - je nach unserem Verhalten - belohnen oder bestrafen.

 

Ja - und dann war es eben schon zu der Zeit, als Lukas sein Evangelium  schrieb  (um  8o nach Christi Geburt)  so, wie es auch bei uns  heute ist: Daß wir Christen  denken: Vielleicht kommt er gar nicht zurück, jedenfalls wissen wir nicht, wann; und also leben wir, als gehörte alles uns selbst und als käme er gar nicht wieder.

 

Ist das nicht der Grund für alle Trostlosigkeit, daß wir vergessen, daß wir einen Herrn haben und  daß wir so wenig erwartungsvoll auf sein  Kommen ausgerichtet sind? Daß wir das Beten und  Bibellesen vernachlässigen oder ganz vergessen? Aber ist es nicht so, daß wir dann eben anderen Herren hörig werden - eben jenen Herren, die bewirken, daß wir "unsere Mitknechte und  -mägde schlagen", also anderen Menschen eher schaden, sie unterdrücken, daß wir ihnen Essen und  Trinken vorenhalten und  nur daran  denken, wie wir uns selbst vollschlagen und vollsaufen können?!

 

Darum ist es so heilsam, wenn uns  das Gleichnis sagt: Sei in  Gedanken, Worten und Taten ganz auf ihn, den kommenden Herrn ausgerichtet, der dich einmal zur Rechenschaft ziehen wird. Vergiß nicht: Du verwaltest seine Gaben!

 

                                                                       IV

 

Alles als uns anvertraute Gaben unseres Herrn zu sehen, darin  liegt der große Trost, den wir alle so brauchen. Ein  Trost, den Christus selbst uns reichlich mitteilt, wenn wir seinem Willen entsprechend leben.

 

Also: Die Zeit meines Lebens: Sie ist nicht mein  Besitz, sondern anvertraute Gabe. Wie nutze ich sie? Nutze ich sie für meinen Herrn? Und: Finde ich auch die nötige Muße, an ihn in  Zeiten der Ruhe und  Besinnung zu denken, also zu beten,  und  mein Leben im  Lichte der Ewigkeit zu bedenken?

 

Mein Hab und Gut und  Geld: Es gehört nicht mir; es ist anvertraute Gabe. Wie gehe ich damit um? Auf mich  selbst bezogen? Oder auch Andern zum Wohl und zur Hilfe? ? Die Pharisäer gaben den Zehnten! Und wir?

 

Und mein  Glaube: Auch er eine Gabe Gottes. Wie teile ich anderen davon mit? Wie gebe

ich ihn  weiter?

 

Und auch andere Menschen: Sie sind mir anvertraut. Wir wissen  nicht, wie lange wir noch leben. Und wie lange sie noch leben. Wie gehen  wir mit ihnen um?

 

Über all dem wird mir das Evangelium klar. Ich merke, wie unzulänglich ich in allem bin, und

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erkenne die Herrlichkeit des Evangeliums, das uns tröstend sagt: Er, der wiederkommende Herr, wird mich eben nicht nach Maßstäben der Gerechtigkeit, sondern der Barmherzigkeit beurteilen, will mich nicht bei Versagen und Fehlern behaften, wird sich als  überaus gnädiger und liebreicher Herr zeigen. 

 

 

 

                                                                       V

 

Und wenn ich s o  auf sein Kommen ausgerichtet bin, darf ich dann sogar in Vorfreude leben, darf mit Luther vom "lieben Jüngsten Tag" sprechen, darf mich darauf freuen, vielleicht gar danach sehnen, daß dann wahr werden wird, was der Herr dem treuen  Verwalter hier verspricht und zusagt: Ich werde dich, den klugen und  treuen  Verwalter meiner Güter, über alle meine Güter setzen. All das, was mein  ist, wird dann auch  dein sein.

 

Kurz vor unserem Text heißt es: Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Ich sage euch : Er wird sich  schürzen und wird sie zu Tische bitten und kommen und ihnen dienen. Helmut Gollwitzer hat dies einmal die größte Verheißung des Neuen Testaments überhaupt genannt. Dieser Herr, der am Kreuz unser aller Diener geworden ist, wird dann, wenn wir gestorben sind und durch die enge Pforte des Jüngsten Gerichts gegangen sind, uns dann noch einmal dienen:  Er wird uns zu Tische bitten und uns so dienen, daß wir dann ganz und  gar freie Herren werden und  - als "Erben Gottes und Miterben Christi" (Römer 8, 17) alles unser sein wird. Das ist die letzte und endgültige Wirklichkeit: Uns dienend wird er kommen:  So wie er jetzt schon, uns dienend in seinem Wort, zu uns kommt, so wie er jetzt - uns auf  geheimnisvolle und wunderbare Weise dienend - im Heiligen  Mahl zu uns  kommt.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.