Gottesdienst am 5. Sonntag nach Trinitatis, 8. Juli 2007, Kirche Am Heierbusch, Essen-Bredeney


Lieder:


Er weckt mich alle Morgen...452, 1-3

Sollt ich meinem Gott nicht singen...325, 1-4

Reich des Herrn...602, 1-3

Das sollt ihr, Jesu Jünger, nicht vergessen...


Psalm 148 Nr. 763 S. 1191


Lesung: Lukas 14, 12 - 24



Der heutige Predigttext steht in Lukas 14 V 25 - 35. Er schliesst unmittelbar an die eben gehörte Lesung an. Das Mahl bei dem vornehmen Pharisäer ist beendet, Jesus verlässt das Haus und dann heisst es:


Es ging aber eine grosse Menge mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen:

Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.

Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.

Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, - damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten,

und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausführen?

Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit zwanzigtausend? Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden.

So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.

Das Salz ist etwas Gutes; wenn aber das Salz nicht mehr salzt, womit soll man würzen? Es ist weder für den Acker noch für den Mist zu gebrauchen, sondern man wird's wegwerfen.


Ja, liebe Gemeinde, das ist echt Jesus: Radikal, kompromisslos, befremdlich in unseren Ohren klingend. Das Gegenteil von "Friede, Freude, Eierkuchen". Der krasse Gegensatz zu jeder Art von "Wohlfühlkirche". Man kann verstehen, dass es mehrfach in den Evangelien von den Leuten angesichts der Worte und Taten Jesu heisst: Sie entsetzten sich! (zB Mt. 7, 28; vgl. Joh. 6, 60). Und dass sie fassungslos fragten: Wer ist der...? (Mk. 4, 41). Man kann verstehen, dass sehr bald die Mienen der Selbstgerechten ihm gegenüber feindselig wurden und man überlegte, wie man ihn schleunigst mundtot machen könnte.


Die menschlichen Bindungen, die Jesus hier in einer ungeduldigen, beinahe nichtachtenden Geste zerreisst, sind ja die innigsten, die es unter uns Menschen gibt: Die Beziehungen der Kinder zu ihren Eltern, der Eltern zu ihren Kindern, der Ehegatten und der Geschwister zueinander. Für die damalige Zeit waren das zugleich die grundlegenden sozialen Beziehungen. Ihre Mißachtung war ein schweres Vergehen, wie wir das ja auch vom 4. Gebot wissen, wo Gott selbst uns sagt: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir

wohl ergehe und du lange lebest...


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Und bevor wir fragen, warum Jesus hier so radikal redet, machen wir zunächst einmal klar: Diese Beziehungen sind ja wirklich ganz wesentlich und wichtig für unser Leben! Machen wir uns da nichts vor: Die gegenwärtige Atomisierung und Zertrümmerung menschlicher Beziehungen, der krasse herrschende Egoismus der Spassgesellschaft, die extrem hohe Scheidungsrate - all das darf und wird hoffentlich nicht so bleiben, sondern sich zum Bresseren ändern. Denn es bleibt dabei: Kinder brauchen Nestwärme und Geborgenheit, wir Menschen brauchen unser Leben lang ein bergendes, schützendes Nest, brauchen Verlässlichkeit und Rückhalt in den Beziehungen. All das können spassige events oder auch staatliche Kinderkrippen nicht geben...Stattdessen: Lebenslange eheliche Treue und starke familiäre Verbundenheit, fester Zusammenhalt der Generationen, das wird und muss wachsen und zunehmen - oder unsere Gesellschaft hat keine Zukunft. Ich habe zu Hause die Abbildung einer Skulptur mit dem Titel: Seven Generations: Da zeigt der Künstler, dass wir im Grunde verbunden sind und in Verbundenheit bleiben sollen mit drei Generationen vor uns: Eltern, Großeltern, Urgroßeltern - und dass wir verbunden sind und mitverantwortlich bleiben für drei Generationen nach uns: Kinder, Enkel, Urenkel...


Und doch: Jesus zerreisst hier alle diese Bindungen, und zwar nach der Überlieferung des Lukas mit kaum zu überbietender Schroffheit. In der Parallelfassung unseres Textes bei Matthäus heisst es "nur": Wer Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert (10,37). Nach Lukas aber fordert Jesus geradezu, Vater und Mutter, Frau, Kinder, Geschwister, dazu das eigene Leben zu hassen, wenn man Jesu Jünger sein wil!

Wobei, wie wir noch sehen werden, eine bestimmte Art Hass gemeint ist - ein Hass, in dem das Böse, das Gift, das zu menschlichem Hass gehören kann, jedenfalls nicht enthalten ist.


Zurück also zur Frage: Warum redet Jesus hier so hart und kompromisslos? Nicht, weil er solche Beziehungen für bedeutungslos hält. So wenig, wie auch seine scharfen Worte gegen Reichtum und Besitz bedeuten, dass Reichtum und Besitz in jedem Fall schlecht wären. Der furchtbare Fehler des reichen Kornbauern, von dem Jesus zwei Kapitel vor unserem Text erzählt (Lk. 12), ist nicht sein Reichtum, sondern dass er sein Vertrauen darauf setzt, von ihm allen Lebenssinn erwartet. So ist es auch mit den Familienbeziehungen. Man überfordert das Familienleben, wenn man von ihm die letzte Lebenserfüllung erwartet.


Jesus geht es um eine tiefere Erfüllung. In seiner gesamten Botschaft heisst diese tiefste und schönste Sinnerfüllung des menschlichen Lebens: Leben im Reich Gottes, Leben im Hören auf Gott, im Gehorsam gegen ihn. So wie es ja auch Augustinus in Gebetsform klar und schön gesagt hat: Zu dir hin hast du, Gott, uns erschaffen, und unruhig ist unser Herz in uns, bis es Ruhe findet in dir ( Aurelius Augustinus, Confessiones) .


Nur in Gott können wir Menschen die Lebenserfüllung finden, die wir ständig suchen. Sein Anspruch an uns hat Vorrang vor allem Anderen. Das macht Jesus auch in dem Gleichnis vom Großen Abendmahl, das er vor unserm Predigttext erzählt, klar.


Man kann auch sagen: Es geht Jesus darum, dass das 1. Gebot heilig gehalten wird; wir sollen - wie Luther das erläutert hat - "Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen" . Dem entsprechend hat Jesus selbst gehandelt, und das erwartet er auch von uns, seinen Jüngern und von uns, der ganzen Christenheit.


Aber klingt das nicht fast nach Fanatismus? Ist das nicht verdächtig nahe dem, was wir bei den muslimischen Gotteskriegern so anprangern? Ist denn nicht das Wort Toleranz in aller Munde, allen voran bei vermeintlich fortschrittlichen Christen?


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Aber ein Mensch, der Toleranz übt, ist ja gerade kein Weichei, und schon garnicht lau.

Das lateinische Wort "tolerare" heisst: Jemanden oder etwas Anderes ertragen, erdulden - im Wissen, dieses Andere ist eben nicht das Beste, Richtige, Wahre. Es bleibt im christlichen Glauben beim Ausschliesslichkeitsanpruch des biblischen Gottes, und wir bekennen in Ehrfurcht, Demut und Stolz die Einzigartigkeit Jesu, so wie Petrus das in Apg. 4 (Vers 12) ausspricht: "In keinem anderen ist das Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir selig werden als der Name Jesus".


Und nun kommt ja alles darauf an, zu wissen, wer dieser Gott ist, dessen unbedingte Vorherrschaft über das Leben in all seinen Bereichen Jesus hier verlangt. Und da können wir nicht deutlich genug sagen: Gott - das erkennen wir an Jesus, an seiner Verkündigung, die eins war mit seinem Verhalten bis hin zum Kreuzestod - : Gott ist Liebe, ist nichts als lauter Lieben; ein "glühender Backofen voller Liebe", wie Luther unübertrefflich formuliert, weil er darin die Glut seiner Liebe, zugleich aber auch Gottes Heiligkeit, seine verzehrende Glut und zerstörende Macht, einfängt. Gott ist Liebe - und nichts sonst. Da liegt der entscheidende Unterschied zu Allah. Gott ist Liebe! Liebe, die so tief herunterkommt, sich so tief erniedrigt, wie es tiefer nicht geht: Bis hin zum Kreuz!


Wenn wir das Kreuz Christi lange, konzentriert und still betrachten, können wir dort eine Liebe erkennen, die den Tod auf sich nimmt, um uns ewiges Leben zu schenken, die das Urteil, das wir von Gott verdient hätten, an unserer Stelle trägt und uns den Freispruch erwirkt, die sich für uns verloren gibt und uns Verlorene rettet. Es ist eine Liebe Gottes, die nichts mehr von uns verlangt oder fordert, sondern sich uns bedingungslos schenkt. Jeder Mensch ist eingeladen, sie zu finden, sie zu spüren, sich an der Gnade Gottes zu freuen! Das bedeutet aber: Wir sind eingeladen, jetzt schon im Reich Gottes zu leben, im Reich des Friedens mit Gott, im Reich einer Liebe des himmlischen Vaters, von der uns nichts mehr scheiden kann: Auch im Jüngsten Gericht, in der Ewigkeit wird sich uns diese Liebe zuwenden! Das ist das Evangelium, eine unendlich befreiende Botschaft, die es nur im christlichen Glauben gibt und die nur wir Christen aller Welt mitteilen können - und sollen!


Und jetzt erst können wir die radikalen Worte Jesu richtig einordnen; jetzt erst verstehen, was Jesus meint, wenn er vom Hass gegen sich und Andere spricht und davon, sich als seine Jüngerin, als sein Jünger von allem loszusagen, was man hat. Wer von Jesu Liebe erfüllt ist, der beginnt sein altes, ichbezogenes menschliches Leben zu hassen, zu verachten, an ihm zu leiden; wer von Jesu Liebe erfüllt ist, der kann und wird Entsagung üben.


Entsagung wovon? Ich habe zuhause einen Nachdruck der ältesten Bibelübersetzung Luthers von 1534; da hat er kurze Erläuterungen neben einzelne Verse oder Worte

geschrieben, die uns überliefert sind, und hier schreibt er neben das Wort "entsagen": "Vor dem göttlichen Gericht mag niemand bestehen, er entsage denn allem seinem Vermögen und suche Gnade und Bitte um Hilfe in Christo".


Das ist es! Jedem, aber auch jedem Anspruchsdenken vor Gott entsagen, sich ganz und gar an die Gnade halten, sich ihr ganz anvertrauen, durch sie befreit werden von Gebundenheiten, Eitelkeiten, Einbildungen! Sich ganz in die Arme Gottes werfen, sich seiner Fürsorge anvertrauen, als Jünger und Jüngerin Jesu leben. Das allerdings bedeutet dann Einiges für die Lebensgestaltung. Da kann und wird der Glaube uns dann auch etwas kosten! Darum fügt Jesus hier die Gleichnisse vom Turmbau und vom Krieg an: Man überschlägt die Kosten, kalkuliert die Risiken, um das Ziel zu erreichen: Das Ziel ist, sich als Christ im Reich Gottes zu bewähren. Entsagung ist also nicht Selbstzweck: Mönchtum etwa oder Askese als Selbstzweck war und ist nicht im Sinne Jesu. Es geht immer um das Ziel:

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Ein befreites und befreiendes Leben im Reich Gottes.


Dazu allerdings wird immer Entsagung, ein sich Lossagen gehören. Für die Jünger bedeutete es damals: Familie, Beruf, Besitz - wenigstens für eine Zeitlang - zu verlassen

und Jesus nachzufolgen. In Missionsgebieten in Afrika oder Asien kam und kommt es bis heute oft vor, dass jemand, der Christ wurde, sich wortwörtlich trennen muss von seiner Sippe und ihrer Religionszugehörigkeit. Für einen Bonhoeffer bedeutete es ganz radikal Widerstand, Gefängnis, Tod.


Was heisst solche Entsagung, solches sich Lossagen für uns hier? Es heisst, ganz allgemein gesagt: Strikt und ohne faule Bequemlichkeiten und Kompromisse den Massstäben Jesu folgen. Ein Massstab, der mir heutzutage besonders wichtig erscheint: Oft heisst es von Jesus in den Evangelien: Und er ging an einen einsamen Ort, um zu beten. Stille vor Gott, Zeit des Gebetes, intensives Hören auf Gott: Wieviel Raum haben sie in unserm Alltag? Sie sind unverzichtbar für ein Leben im Reiche Gottes. Weiter: Sich üben in der Freiheit, die zum Leben im Reich Gottes gehört. Wenn einer merkt, er wird kniepig, er hängt zu sehr am Geld: Sich die Pharisäer zum Vorbild nehmen, die 1o% ihres Einkommens regelmässig abgaben. Oder, wenn Sucht droht: Dem Alkohol strikt entsagen. Jesu Worte, auch wenn sie uns zu schwer erscheinen, gelten lassen, sie nicht entschärfen; versuchen, in sie hineinzuwachsen!


Eins seiner Worte lautet: Segnet, die euch fluchen, tut Gutes denen, die euch hassen, bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen. Von daher konnte der Kirchentagspräsident Höppner im Abschlussgottesdienst des Kölner Kirchentages garnichts anderes sagen als dass auch die Feinde, die Taliban, an den Verhandlungstisch zu rufen sind. Und bedeutet das nicht auch: Westliche Soldaten - ausser vielleicht solche der UNO - haben weder im Irak noch in Afghanistan etwas zu suchen?!


Im Ganzen gilt: Kirche und Christen werden sich mehr und mehr unterscheiden vom Hauptstrom der Gesellschaft, damit wir klarer und deutlicher Salz und Licht werden. Denn, wie Jesus sagt: Wenn Salz keine Salzkraft hat, taugt es zu nichts als zertreten zu werden, nicht einmal für den Misthaufen ist es noch nütze.


Viel wichtiger als EKD - Imulspapiere und Strukturreformen sind lebendige christliche Vorbilder, ist vorbildlich gelebtes Christentum. Wir brauchen vom Heiligen Geist, vom Geist Jesu erfüllte Menschen, da liegt die Zukunft.


Und nun können wir uns auf das Heilige Mahl freuen, das wir gleich feiern werden, die Tischgemeinschaft im Reich Gottes. Nirgends wird die Grenzenlosigkeit der Liebe Christi, die Tiefe und Vorbehaltlosigkeit des Friedens Gottes so spürbar und sichtbar wie hier. Niemanden schliesst Er aus, der zu ihm kommen will. Angehörige aller Religionen, Menschen aller Art lädt er ein er an seinen Tisch, alle sind sie ihm gleich lieb und wert. Da sitzt dann der Papst neben dem Müllmann, der Zuchthäusler neben der Bundeskanzlerin, der Taliban neben dem US-Soldaten, und auch wir hier - so unterschiedlich - feiern samt und sonders als Geschwister, als Brüder und Schwestern Jesu!


Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen


Fürbitten (nach dem Abendmahl) :


Lieber Herr Jesus Christus, wir danken dir für all das, was du uns in diesem Heiligen Mahl

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geschenkt hast; wir danken dir dafür, dass du zu uns gesprochen hast und immer wieder sprichst, wir danken dir für die Wahrheit deiner Worte, die uns freimacht! Schenke es uns,

dass wir uns ganz in der Unfasslichkeit der Liebe Gottes bergen, die du uns mitgeteilt hast.

Wir bitten dich: Lass doch deinen Heiligen Geist sanft und still, oder auch wie Feuer und Sturm, zu uns kommen und unter uns wirken - hier in der Gemeinde Bredeney und überall, wo Menschen das Evangelium hören! Sende ihn zu den Mächtigen in Israel und Palästina, in Ägypten und im Iran, in den USA und in Rußland, in China und Indien; gib, dass er das Denken und Handeln unserer Kanzlerin und aller Angehörigen im Bundestag, im Bundesrat und in den Gerichten erleuchte und regiere. Sende ihn zu unserem Oberbürgermeister, der Bürgermeisterin und den Bürgermeistern, den Rats- und Bezirksvertretern! Gib, dass er das Tun der Ärzte, der Krankenschwestern und Pfleger präge und lass ihn wirken überall da, wo in Worten und Bildern die öffentliche Meinung beeinflusst wird. Erfülle die Journalisten mit Wahrheits- und Menschenliebe.


Und wir bitten dich für die unter uns, denen es schwer wird, der Liebe Gottes zu vertrauen, die in Sorgen sind um Familienangehörige oder Freunde, die Angst haben vor der Zukunft oder vor Aufgaben, die auf sie zukommen. Gib ihnen und uns allen das Vertrauen, dass Gott, dein und unser himmlischer Vater, uns sieht und kennt und für uns sorgen wird - heute und morgen und in der Stunde unseres Todes. In der Stille legen wir Gott ans Herz, was und für wen wir ihn noch bitten wollen...


Du hast uns gehört. Wir danken dir. Amen.