Gottesdienst am drittletzten Sonntag im Kirchenjahr, 11.November 2001

(Pfarrer Martin Quaas)



Begrüßung:


Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.


Jetzt, im November, werden unsere Gedanken und Empfindungen besonders auf die Vergänglichkeit unseres Lebens gerichtet – aber wir Christen brauchen den Gedanken daran, daß auch wir sterben müssen, nicht zu verdrängen, denn wir wissen und hören von dem, was bleibt und unserem Leben bleibenden Sinn und Wert gibt:: Der Glaube, die Hoffnung auf Gottes Treue, und vor allem die Liebe: Die Liebe, mit der Gott unser Herz erfüllt.


Dazu sind wir heute hier im Gottesdienst, daß wir mitten in aller Vergänglichkeit hören und spüren, was der Wochenspruch dieser Woche sagt, ein Vers des Paulus aus 2. Korinther 6: Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils.


Wir singen nun zunächst von der Vergänglichkeit unseres Lebens und davon, wie gut es ist, in Ehrfurcht vor Gott zu leben: Lied Nr. 528: Ach, wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben...


Wir schlagen im Gesangbuch Nr. 768 auf. Dort stehen die Verse des 90. Psalms. „Ein Gebet des Mose, des Mannes Gottes“: so ist dieser Psalm überschrieben. Als einziger wird dieser Psalm dem Mose, dem Größten in Israel (vgl. 4. Mose 12. 3), zugeschrieben.


Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden“,so bittet Mose mitten in diesen Psalmworten. Und er bedenkt, daß wir sterben müssen, indem er das Leben bedenkt, das menschliche Leben in seiner dreifachen Weise: In seiner Vergänglichkeit – in seiner Schuldverfallenheit – und in der Köstlichkeit, die es gewinnt, wenn es in der Bitte um Gottes Gnade gelebt wird. - Ich lege die drei Abschnitte dieses Psalms der Eingangsliturgie zugrunde.


Sündenbekenntnis – Gnadenzusage – Kollektengebet

Schriftlesung (von drei Katechumeninnen gesprochen): Römer 14, 7-13

Glaubensbekenntnis


Abkündigungen


Wir singen: Jesu, hilf siegen, du Fürste des Lebens...373, 1-4


Predigt über Lukas 18, 1-8:


Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, daß sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten,

und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.


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Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm, und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!

Und er wollte lange nicht.

Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue,

will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.

Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!

Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen?

Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.

Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?



Ja, was meinst du: Wie wird er kommen, der Menschensohn, der Messias, der Erlöser? Wie wird seine Wiederkunft in Herrlichkeit sein?


Unendlich hoch über dem Universum erscheinend, in unsagbarem Lichtglanz, umgeben von Myriaden von Engelscharen, in überirdischer unfaßlicher Herrlichkeit?


Und wann wird er kommen? Jetzt? Heute? Morgen? Im Augenblick unseres Sterbens?


Fragen, die unbeantwortbar sind für uns, deren Antwort im Geheimnis bleibt. Wichtig für uns ist allein dies: Ob wir bereit sind für ihn. Oder, wie er hier sagt: Ob er bei uns, bei mir und bei dir, Glauben vorfindet. Ein im Glauben gelebtes Leben. Ein Leben, das reich war in Gott, das reich war durch Gott, das Frucht gebracht hat für Andere.


Solchen Glauben will er bei uns auch heute stärken, indem er uns von dieser Witwe erzählt. Neue Freude am Glauben will er in uns wecken – und damit zugleich neue Freude am Beten! Denn der Glaube ist ja nichts Anderes als ein lebendiges Gespräch mit Gott, ein Gespräch mit Gott in Wort und Tat, im Alltag unseres Lebens. Lebensnah also will unser Glaube sein. Und lebensnah redet auch Jesus hier, drastisch und sehr realistisch redet er hier von Gott und der Welt.



I


Gleich zu Anfang zeigt er uns, wie sehr er uns Menschen kennt und versteht. Jesus weiß, daß wir – wie Dietrich Bonhoeffer es einmal in dem Gedicht: „Wer bin ich?“ ausspricht – daß wir oft innerlich „leer, zu müde zum Beten“ sind. So vieles will uns ja am Beten hindern. Manchmal vermeintliche Zeitnot, aber eher auch schlicht Lustlosigkeit, Vergeßlichkeit, Bequemlichkeit.


Aber auch, auf einer tieferen Ebene: So vieles geschieht ja in unserer Welt, das uns Gott fragwürdig werden läßt, von so viel Schrecklichem und Ungerechtem hören wir – erleben wir manchmal selber – daß man versucht ist zu denken: Gott soll ein

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lebendiger und gar liebevoller Gott sein, ein Gott, den man um alles bitten kann und der auf uns hört? Er scheint eher wie ein Buddha, der gleichmütig über dem Weltgeschehen thront und den das Leid von Menschen kalt läßt.


Jesus faßt all das, was wir von uns aus in der Welt und von Gott zu sehen meinen, in einem einzigen Satz zusammen: „Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen“.


Einen orientalischen Richter stellt Jesus uns vor Augen. Und man kann – vor allem, wenn man mal Karl May gelesen hat – man kann sich diesen Richter ja nur zu gut vorstellen: Feist und behäbig sitzt er da, schlürft Kaffee, raucht eine Wasserpfeife und läßt die Bittsteller warten. Gerechtigkeit interessiert ihn nicht die Bohne. Interesse hat er nur für die Höhe des Bakschisch, des Schmiergeldes. Ein Mensch ohne Scham und Scheu vor Gott und Menschen.


Und so scheint es doch zu sein in unserer Welt: Wenig Ehrfurcht vor Gott. Und damit dann auch keine Scheu vor Menschen, vor Gewaltausübung, vor dem habgierigen Benutzen von Menschen und Tieren und Pflanzen.



II


Und nun tritt in Jesu Gleichnis eine ganz andere Person auf. Diese Person ist geradezu ein Gegenbild zu diesem bestechlichen Schurken von Richter. Eine Witwe, zur Zeit Jesu – neben den Waisen – der schwächste, rechtloseste, schutzloseste Mensch überhaupt.


Diese Witwe wird nicht viel gehabt haben, aber eins hat sie: Ein unbändiges Rechtsbewußtsein, einen maßlosen Hunger nach Gerechtigkeit und einen unbeugsamen, überaus starken Willen. Sie will ihr Recht. Sie will ihr Recht gegen den Widersacher. Und hier horchen wir vielleicht auf: Der Widersacher: So wird in der Bibel doch der Teufel genannt, der Verwirrer, die Macht,die uns Menschen immer Leben verspricht, aber uns in Wahrheit ums Leben betrügen will, unser Leben verwirren, vergiften, entleeren, zerstören will - alles unter dem Anschein des Gegenteils, alles, indem sie uns vorgaukelt: Wenn du dies und das hast, tust, kaufst, genießt, gewinnst du das Leben...


Und nun wird auch klar, wen Jesus mit dieser Witwe meint: Uns! Seine Jünger, uns Christen, seine Gemeinde, die Christenheit..: In sich selber schwach, hilfsbedürftig, schutzlos, mit wenig Hab und Gut (!) - aber mit einem ungeheuren Hunger nach Gerechtigkeit und einem unbeugsamen, überaus starken Willen. Jeder, jede von uns und wir als Gemeinde sollen so sein: Hin zu Gott laufen, damit der uns – uns Menschen, seinen Menschenkindern allen - Recht schaffe gegen den Widersacher, den Fürsten der Welt, den Herrscher der Finsternis.


Wir sollen die anscheinend verschlossenen Türen zu Gott einrennen, sollen uns durch nichts und niemand hindern lassen, bis zu Gott vorzudringen, wir sollen, sagt Jesus, auch nicht zu zahm mit Gott umspringen – in Jesu Geichnis bekommt der

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Richter ja sogar schließlich Angst, daß die Witwe imstande ist und ihm ein paar knallt, wir sollen also schon nicht nur leise bittend, sondern, wie’s die großen Beter immer getan haben, auch mal fordernd, schreiend, anklagend und mit ganzem

Einsatz Gott bedrängen und ihm in den Ohren liegen. „Und das Volk schrie zu Gott“: Wie oft heißt es so im Alten Testament oder in den Psalmen!


Ich muß schon sagen, ich bete so nur ganz selten, wenn mich die Not und Ungerechtigkeit und Brutalität in der Welt ganz verzagt machen will oder wenn mir eine schwere Krankheit oder das Leid eines Menschen sehr zu Herzen geht – und doch, ich bete immerhin stets sehr zuversichtlich, daß Gott sich das zu Herzen nimmt, was ich ihm aufs Herz lege. Und eben dies höre ich als das Entscheidende, was Jesus seinen Hörern und uns heute sagen will, aus diesem Gleichnis heraus. Jesus sagt: Wenn schon solch ein hartgesottener und herzloser Schurke von Richter schließlich vor dieser Witwe kuscht – um wieviel mehr wird Gott sich bewegen lassen – und hier spürt man in Jesu Sprache nun eine ganz innige Liebe zu Gott dem Vater – um wieviel mehr wird Gott seinen Auserwählten, also denen,die er sich

erwählt hat, die seine geliebten Kinder sind, Recht schaffen – und zwar bald, eher, als man meint.



III


Dieses Vertrauen will Jesus bei uns wecken, diesen Glauben: Gott scheint zwar manchmal wie solch ein Richter zu sein, aber das scheint nur so, er ist in Wahrheit der Vater, dessen Herz bewegt wird, sobald nur eines seiner Kinder zu ihm ruft. Sagt ihm nur alles, er hört auf euch, er tut etwas, wenn ihr von ihm etwas wünscht.

Darum sind Friedensgebete so wichtig, darum ist es so wichtig, daß wir Gott in den Ohren liegen und beten: Für die Politiker, besonders für die, die wir für böse halten. Was wissen wir schon, wer in Gottes Augen gut und böse ist. In jedem Fall: Gott läßt seine Sonne ja aufgehen über alle, über Gute wie Böse.


Aber vor allem sollen wir ständig und beharrlich um ein neues Erwachen des Glaubens bitten, darum, daß in der lau scheinenden Christenheit besonders in USA und Europa neue Freude am Glauben, neue Glaubenskraft erwache.


Denn das will uns der Widersacher ja gerade vorenthalten. Wenn er eins nicht will, dann dies, daß Menschen sich klar zu Jesus bekennen und ihm folgen. Wenn Menschen das tun, wird er böse und gereizt.


Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen...?“ Ich bin so froh, zu wissen, daß Tag und Nacht zu Gott gebetet wird, rund um den Erdball – in zahllosen Klöstern, Mönchsorden, in so vielen Gemeinden in allen Ländern der Erde, von einzelnen Christen, am Tage und in Nächten – auch für unsere Gemeinde wird gebetet, in afrikanischen Ländern, in Brasilien, in El Salvador, den neuen Bundesländern, in Israel und Palästina, in Tschechien...




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Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.“ Jesus will eine unbändige Zuversicht in uns wecken, den Glauben: Gott kann Wunderbares tun, Gott hört, auch wenn wir in tiefster Verlassenheit sind, gerade dann.


Und Gott hat das ja bewiesen, als er den gekreuzigten Jesus, der seine Verlassenheit herausschrie, von den Toten auferweckte, als er ein Gebet, das Jesus gegen den anscheinend herzlosen, verschlossenen Himmel anschrie, auf die wunderbarste Weise erhörte, die man sich nur vorstellen kann.


Der auferstandene Jesus sagt uns zu: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben! (Joh.16,23). Wird er’s euch geben! Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen


Wir singen: Gott wohnt in einem Lichte, dem keiner nahen kann...379


Fürbitten – Vaterunser


Wir singen: Wir warten dein, o Gottes Sohn, und lieben dein Erscheinen...152, 3.4


Segen



Orgelnachspiel