anläßlich der
Friedensdekade 1999 (Thema: Gewalt gegenüber Frauen)
Predigt zu
Lukas 18, 1 – 8 (Pfarrer Martin Quaas):
Er sagte ihnen aber
ein Gleichnis darüber, daß sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten,
und sprach: Es war
ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich
vor keinem Menschen.
Es war aber eine
Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen
meinen Widersacher!
Und er wollte lange
nicht. Danach aber dachte er bei sich
selbst: Wenn ich mich schon vor Gott
nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue,
will ich doch dieser
Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt
komme und mir ins Gesicht schlage.
Da sprach der Herr:
Hört, was der ungerechte Richter sagt!
Sollte Gott nicht
auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und
sollte er’s bei ihnen lange hinziehen?
Ich sage euch: Er
wird ihnen Recht schaffen in Kürze.
Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben
finden auf Erden?
„...meinst du,
er werde Glauben finden auf Erden?“
Wie hören wir
diese letzte Frage Jesu?
Man könnte sie
so hören, daß man denkt: Ach, wenig Glauben fand Jesus damals, findet er heute,
wird er bei seiner Wiederkunft finden. Die Leute laufen nur dem Konsum
hinterher, kümmern sich wenig um den Glauben, die Kirche verliert an Einfluß und Ansehen...
Nicht wahr, so
denken viele Leute, geben sich Gefühlen der Verzagtheit oder gar der
Wehleidigkeit hin.
Ich höre diese
Frage Jesu anders: Erwartungsvoll, an mich persönlich gerichtet: Wenn ich
kommen werde – ob ich bei dir wohl
Glauben finden werde?
Das möchte
Jesus auch mit diesem Gleichnis: Neue Freude am Glauben wecken! Und damit
zugleich neue Freude am Beten! Denn der
Glaube ist ja nichts anderes als ein lebendiges Zwiegespräch mit Gott – mitten
im Alltag unseres Lebens. Und lebensnah redet Jesus hier allerdings, äußerst
drastisch und realistisch redet er von Gott und der Welt.
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I
Gleich zu
Anfang zeigt er uns, wie sehr er uns kennt und versteht. Er weiß, daß wir –wie
Bonhoeffer einmal in einem Gedicht sagt – oft „müde und leer zum Beten“ sind,
er weiß, wie sehr uns dieser ganze Schlammassel im Leben zu schaffen macht, die
ständige Ungerechtigkeit, und die Gewalttätigkeit vieler Menschen, und die
zunehmende Scham- und Hemmungslosigkeit. Dechant Stavinsky hat eben sein
Entsetzen geäußert angesichts all der Vergewaltigungen von Frauen in den
Kriegen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Man liest immer wieder: Frauen
aus Osteuropa werden hierher gelockt und als lebendes Fleisch, als Sklavinnen
lüsterner Männer in Bordellen vermietet, und kürzlich las ich: Weil bei uns
jeder unter 14 Jahren bei Delikten straffrei ausgeht, werden Kinder - Mädchen
und Jungen - aus dem Osten hierher gelotst und zum Stehlen abgerichtet. Biedere
Familienväter, die sonntags ihren Kirchgang absolvieren, fliegen mit sog. „Sex
– Bombern“ nach Fernost und verlustieren sich, indem sie sich an Kindern -
Mädchen und Jungen – vergreifen. In südlichen Ländern der Erde herrscht
vielfache Gewalt gegenüber Frauen, auch
dadurch, daß man kleine Mädchen an den Schamlippen verstümmelt. Aber bleiben
wir bei uns: Frauenhäuser sind notwendig, damit Frauen der Brutalität ihrer
Männer entkommen können. Und: Regen wir uns nicht über andere auf, prüfe sich
jeder selbst, wo die Schwachstellen in seinem Leben sind.
Und diese ganze Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit
in unserer Welt und unserem Leben faßt Jesus hier in einem einzigen Satz
zusammen: „Es war ein Richter in einer
Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen“.
Das ist unsere Welt: Ohne Gerechtigkeit, ohne Gottesfurcht. Und wo keine
Gottesfurcht mehr ist, da ist auch keine Ehrfurcht vor Menschen und ihrer Würde
mehr da, da hat man keine Hemmungen mehr davor, Menschen zu benutzen für den
eigenen Vorteil und Spaß.
II
Aber nun lebt
in dieser anscheinend gottlosen Stadt ja auch eine Witwe. Diese Witwe ist ein
absolutes Gegenbild zum Richter. Eine Witwe – das war zur Zeit Jesu (neben den
Waisen) der schwächste, macht- und schutzloseste Mensch überhaupt. Die Witwe
hier in Jesu Gleichnis – halten wir den Atem an - : Die ist ein Bild für die
Kirche, für die Jüngerinnen und Jünger Jesu, für uns Christen, für unsere
Gemeinden.
So ist die
Kirche in der Welt, so soll sie nach Jesu Willen sein: Macht- und schutzlos,
ohne Sicherheit, von milden Gaben lebend: Ein Gegenbild zur Welt.
Aber diese
Witwe, die hat`s ja nun wirklich in sich. Die scheint Haare auf den Zähnen zu
haben. Die hat keine Furcht vor dem Richter, die will Gerechtigkeit und pocht
auf ihr Recht. Die geht zu dem wahrscheinlich prächtigen, vielfach gesicherten
Haus des Richters, klopft an und sagt: Ich
will den Richter sprechen. – Der
Richter ist nicht da, wird ihr gesagt, kommen
sie nochmal wieder. - Sie kommt am
nächsten Tag wieder und sagt: Na, kann
ich ihn jetzt sehen? - Er hat keine
Zeit, er ist zu beschäftigt. Kommen
sie später nochmal. - Und sie
kommt! Vielleicht wird sie jetzt barsch
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abgefertigt,
vielleicht werden die Diener handgreiflich, drängen sie hinaus – es scheint
aussichtslos für sie – und doch läßt sie nicht locker, schubst die Diener weg,
dringt ins Haus ein, macht da ein lautes Geschrei, so daß den Richter, der da
möglicherweise behäbig, seine Wasserpfeife schmauchend, in seinem Salon sitzt,
die Angst packt und er denkt: Die macht einen Skandal, die macht mich völlig
unmöglich vor den Leuten, die ist imstande und dringt bei mir ein, ja die ist
womöglich imstande und haut mir ein paar rechts und links um die Ohren...da
will ich lieber tun, was sie will, sie soll ihr Recht haben, dieses
aufdringliche Weibsstück, dann habe ich endlich Frieden und sie hat ihr
Recht...
und geradeso, sagt Jesus, sollt ihr zu Gott beten! Nicht wahr, das ist schon
schockierend, wie er hier von Gott in unserer Welt zu reden wagt. Er wagt es,
Gott mit solch einem Richter zu vergleichen!
Aber so
scheint Gott doch wirklich in unserer Welt zu sein: Er verbirgt sich. Er hält
sich offenbar `raus, läßt zu, daß Schreckliches passiert, läßt der
Ungerechtigkeit ihren Lauf: Die, die viel haben, kriegen noch mehr, denen, die
wenig haben, denen wird auch noch das wenige genommen, das sie haben.
„... und er wollte lange nicht!“ Das ist die Erfahrung unzähliger Menschen. Wir beten –
und nichts passiert. Gott scheint nicht zu hören. Viele Gemeindeglieder rackern
sich ab für andere, und der Erfolg bleibt aus. Seit über 17 Jahren setzen sich
Frauen aus unseren Gemeinden für etwas mehr Gerechtigkeit im Welthandel ein –
und nach wie vor kauft ein relativ winziges Grüppchen von unseren Tausenden so
wohlhabenden Gemeindegliedern zu gerechten Preisen im Dritte Welt Laden ein. Oder,
wie sehr mühen sich viele von uns um schöne und spannende Gottesdienste, um
Glaubenskurse, um wunderbare kirchenmusikalische Angebote – und alles scheint
für die Katz, wenige kommen nur, es scheint im Ganzen statt besser immer alles
nur noch schlimmer zu werden: in der Welt, und in der Kirche, und die Gewalt
scheint zu - statt abzunehmen.
III
Jesus stellt
das alles in seinem Gleichnis drastisch und realistisch dar. Aber all das dient
ihm ja nur als Hintergrund für das, was er uns eigentlich sagen will:
Seht, sagt er,
wenn schon solch ein behäbiger, bestechlicher Halunke wie dieser Richter
schließlich nachgibt, um wieviel mehr
wird Gott – und hier wird nun Jesu Sprache ganz anders, wird lockend und
werbend und ganz liebevoll! – um wieviel
mehr wird Gott das bei euch tun, die
er sich doch erwählt hat, die er doch liebt,
wie ein Bräutigam seine
Auserwählte, seine Braut liebt – um wieviel mehr wird er auf euch hören, er
wird euch schnell, in Kürze, Recht schaffen.
Laßt euch,
sagt Jesus, laßt euch nicht abhalten
von all der scheinbaren Gottesferne, den Widerständen und Widrigkeiten, betet
und arbeitet nur beharrlich, furchtlos, zielstrebig und vor allem:
zuversichtlich. Seid ganz gewiß: Ihr werdet Recht
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bekommen, Gott
wird euch recht geben, eure Mühe wird auf jeden Fall belohnt werden!
Liebe
Mitchristen: Dies ist unsere, der Christen, Rolle in der Welt: So zu sein wie
diese schutzlose, materiell unvermögende, aber zugleich überaus zähe,
beharrliche Witwe. Dies ist unser
Auftrag, Gott – den scheinbar fernen, abwesenden, ungerechten Gott - um Recht
und Gerechtigkeit anzurufen, dabei nicht nachzulassen, Durststrecken und
Abfuhren auszuhalten, Leute, die uns am direkten Zugang zu Gott hindern wollen,
möglicherweise beiseite zu schieben, uns den unmittelbaren Zugang zu Gott
erkämpfen und -- zu erfahren, wie er
erhört: Er, der ja in Wahrheit uns maßlos liebt!
Wie gut zu
wissen, daß in jeder Minute, Tag und Nacht, unablässig und überall auf dieser
Welt für andere gebetet wird, für diese ganz korrupte, gottlose Welt, für
diese gewalttätigen, aggressiven
Menschen, zu denen auch wir gehören – und
das ist doch wohl klar, daß solch inständiges
Beten wie von selbst auch zu entsprechendem Tun führt. Hoffentlich auch bei dir
und bei mir.
Was meinst du,
fragt Jesus mich und dich: Ob ich bei dem, was ich dir heute gesagt habe,
Glauben gefunden habe? Neue Freude am Beten geweckt habe, neue Zuversicht der
Gebetserhörung? Neuen Mut, so zu sein wie diese Witwe?
Dann bete und
handle nur weiter zuversichtlich und beharrlich – und du wirst bis zu Gott
vordringen, hinein in sein Allerheiligstes, in seine lichtdurchfluteten Räume,
du wirst sehen: Der, der in dieser Welt wie ein ungerechter Richter erscheint,
der hat in Wahrheit ein Herz voll maßlosen Erbarmens und unendlicher Liebe.
Amen