Ökumenischer Gottesdienst am Buß- und Bettag, 17. November 1999,  in

St. Theresia, Essen - Stadtwald

anläßlich der Friedensdekade 1999 (Thema: Gewalt gegenüber Frauen)

 

Predigt zu Lukas 18, 1 – 8 (Pfarrer Martin Quaas):

 

Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, daß sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten,

 

und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.

 

Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!

 

Und er wollte lange nicht.  Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn  ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue,

 

will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.

 

Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!

 

Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen?

 

Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.  Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?

 

„...meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?“

 

Wie hören wir diese letzte Frage Jesu?

 

Man könnte sie so hören, daß man denkt: Ach, wenig Glauben fand Jesus damals, findet er heute, wird er bei seiner Wiederkunft finden. Die Leute laufen nur dem Konsum hinterher, kümmern sich wenig um den Glauben, die Kirche verliert an  Einfluß und Ansehen...

 

Nicht wahr, so denken viele Leute, geben sich Gefühlen der Verzagtheit oder gar der Wehleidigkeit hin.

 

Ich höre diese Frage Jesu anders: Erwartungsvoll, an mich persönlich gerichtet: Wenn ich kommen werde – ob ich bei dir wohl Glauben finden werde?

 

Das möchte Jesus auch mit diesem Gleichnis: Neue Freude am Glauben wecken! Und damit zugleich neue Freude am Beten! Denn  der Glaube ist ja nichts anderes als ein lebendiges Zwiegespräch mit Gott – mitten im Alltag unseres Lebens. Und lebensnah redet Jesus hier allerdings, äußerst drastisch und realistisch redet er von Gott und der Welt.

 

 

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                                                                       I

 

 

Gleich zu Anfang zeigt er uns, wie sehr er uns kennt und versteht. Er weiß, daß wir –wie Bonhoeffer einmal in einem Gedicht sagt – oft „müde und leer zum Beten“ sind, er weiß, wie sehr uns dieser ganze Schlammassel im Leben zu schaffen macht, die ständige Ungerechtigkeit, und die Gewalttätigkeit vieler Menschen, und die zunehmende Scham- und Hemmungslosigkeit. Dechant Stavinsky hat eben sein Entsetzen geäußert angesichts all der Vergewaltigungen von Frauen in den Kriegen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Man liest immer wieder: Frauen aus Osteuropa werden hierher gelockt und als lebendes Fleisch, als Sklavinnen lüsterner Männer in Bordellen vermietet, und kürzlich las ich: Weil bei uns jeder unter 14 Jahren bei Delikten straffrei ausgeht, werden Kinder - Mädchen und Jungen - aus dem Osten hierher gelotst und zum Stehlen abgerichtet. Biedere Familienväter, die sonntags ihren Kirchgang absolvieren, fliegen mit sog. „Sex – Bombern“ nach Fernost und verlustieren sich, indem sie sich an Kindern - Mädchen und Jungen – vergreifen. In südlichen Ländern der Erde herrscht vielfache Gewalt gegenüber  Frauen, auch dadurch, daß man kleine Mädchen an den Schamlippen verstümmelt. Aber bleiben wir bei uns: Frauenhäuser sind notwendig, damit Frauen der Brutalität ihrer Männer entkommen können. Und: Regen wir uns nicht über andere auf, prüfe sich jeder selbst, wo die Schwachstellen in seinem Leben sind.

 

Und  diese ganze Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit in unserer Welt und unserem Leben faßt Jesus hier in einem einzigen Satz zusammen: „Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen“. Das ist unsere Welt: Ohne Gerechtigkeit, ohne Gottesfurcht. Und wo keine Gottesfurcht mehr ist, da ist auch keine Ehrfurcht vor Menschen und ihrer Würde mehr da, da hat man keine Hemmungen mehr davor, Menschen zu benutzen für den eigenen Vorteil und Spaß.

 

                                                                       II

 

Aber nun lebt in dieser anscheinend gottlosen Stadt ja auch eine Witwe. Diese Witwe ist ein absolutes Gegenbild zum Richter. Eine Witwe – das war zur Zeit Jesu (neben den Waisen) der schwächste, macht- und schutzloseste Mensch überhaupt. Die Witwe hier in Jesu Gleichnis – halten wir den Atem an - : Die ist ein Bild für die Kirche, für die Jüngerinnen und Jünger Jesu, für uns Christen, für unsere Gemeinden.

 

So ist die Kirche in der Welt, so soll sie nach Jesu Willen sein: Macht- und schutzlos, ohne Sicherheit, von milden Gaben lebend: Ein Gegenbild zur Welt. 

 

Aber diese Witwe, die hat`s ja nun wirklich in sich. Die scheint Haare auf den Zähnen zu haben. Die hat keine Furcht vor dem Richter, die will Gerechtigkeit und pocht auf ihr Recht. Die geht zu dem wahrscheinlich prächtigen, vielfach gesicherten Haus des Richters, klopft an und sagt: Ich will den Richter sprechen. – Der Richter ist nicht da, wird ihr gesagt, kommen sie nochmal wieder. -  Sie kommt am nächsten Tag wieder und sagt: Na, kann ich ihn jetzt sehen? - Er hat keine Zeit, er ist zu beschäftigt. Kommen sie später nochmal. -  Und sie kommt! Vielleicht wird sie jetzt barsch

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abgefertigt, vielleicht werden die Diener handgreiflich, drängen sie hinaus – es scheint aussichtslos für sie – und doch läßt sie nicht locker, schubst die Diener weg, dringt ins Haus ein, macht da ein lautes Geschrei, so daß den Richter, der da möglicherweise behäbig, seine Wasserpfeife schmauchend, in seinem Salon sitzt, die Angst packt und er denkt: Die macht einen Skandal, die macht mich völlig unmöglich vor den Leuten, die ist imstande und dringt bei mir ein, ja die ist womöglich imstande und haut mir ein paar rechts und links um die Ohren...da will ich lieber tun, was sie will, sie soll ihr Recht haben, dieses aufdringliche Weibsstück, dann habe ich endlich Frieden und sie hat ihr Recht...

 

und geradeso, sagt Jesus, sollt ihr zu Gott beten! Nicht wahr, das ist schon schockierend, wie er hier von Gott in unserer Welt zu reden wagt. Er wagt es, Gott mit solch einem Richter zu vergleichen!

 

Aber so scheint Gott doch wirklich in unserer Welt zu sein: Er verbirgt sich. Er hält sich offenbar `raus, läßt zu, daß Schreckliches passiert, läßt der Ungerechtigkeit ihren Lauf: Die, die viel haben, kriegen noch mehr, denen, die wenig haben, denen wird auch noch das wenige genommen, das sie haben.

 

„... und er wollte lange nicht!“ Das ist die Erfahrung unzähliger Menschen. Wir beten – und nichts passiert. Gott scheint nicht zu hören. Viele Gemeindeglieder rackern sich ab für andere, und der Erfolg bleibt aus. Seit über 17 Jahren setzen sich Frauen aus unseren Gemeinden für etwas mehr Gerechtigkeit im Welthandel ein – und nach wie vor kauft ein relativ winziges Grüppchen von unseren Tausenden so wohlhabenden Gemeindegliedern zu gerechten Preisen im Dritte Welt Laden ein. Oder, wie sehr mühen sich viele von uns um schöne und spannende Gottesdienste, um Glaubenskurse, um wunderbare kirchenmusikalische Angebote – und alles scheint für die Katz, wenige kommen nur, es scheint im Ganzen statt besser immer alles nur noch schlimmer zu werden: in der Welt, und in der Kirche, und die Gewalt scheint zu - statt abzunehmen.

 

                                                                       III

 

Jesus stellt das alles in seinem Gleichnis drastisch und realistisch dar. Aber all das dient ihm ja nur als Hintergrund für das, was er uns eigentlich sagen will:

 

Seht, sagt er, wenn schon solch ein behäbiger, bestechlicher Halunke wie dieser Richter schließlich nachgibt, um wieviel mehr wird Gott – und hier wird nun Jesu Sprache ganz anders, wird lockend und werbend und ganz liebevoll! – um wieviel mehr wird Gott das bei euch tun, die er sich doch erwählt hat, die er doch liebt,  wie ein Bräutigam seine Auserwählte, seine Braut liebt – um wieviel mehr wird er auf euch hören, er wird euch schnell, in Kürze, Recht schaffen.

 

Laßt euch, sagt Jesus, laßt euch  nicht abhalten von all der scheinbaren Gottesferne, den Widerständen und Widrigkeiten, betet und arbeitet nur beharrlich, furchtlos, zielstrebig und vor allem: zuversichtlich. Seid ganz gewiß: Ihr werdet Recht

 

 

 

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bekommen, Gott wird euch recht geben, eure Mühe wird auf jeden Fall belohnt werden!

 

Liebe Mitchristen: Dies ist unsere, der Christen, Rolle in der Welt: So zu sein wie diese schutzlose, materiell unvermögende, aber zugleich überaus zähe, beharrliche Witwe.  Dies ist unser Auftrag, Gott – den scheinbar fernen, abwesenden, ungerechten Gott - um Recht und Gerechtigkeit anzurufen, dabei nicht nachzulassen, Durststrecken und Abfuhren auszuhalten, Leute, die uns am direkten Zugang zu Gott hindern wollen, möglicherweise beiseite zu schieben, uns den unmittelbaren Zugang zu Gott erkämpfen und --  zu erfahren, wie er erhört: Er, der ja in Wahrheit uns maßlos liebt!

 

Wie gut zu wissen, daß in jeder Minute, Tag und Nacht, unablässig und überall auf dieser Welt für andere gebetet wird, für diese ganz korrupte, gottlose Welt, für diese  gewalttätigen, aggressiven Menschen, zu denen auch wir gehören – und  das ist doch wohl klar, daß solch inständiges Beten wie von selbst auch zu entsprechendem Tun führt. Hoffentlich auch bei dir und bei mir.

 

Was meinst du, fragt Jesus mich und dich: Ob ich bei dem, was ich dir heute gesagt habe, Glauben gefunden habe? Neue Freude am Beten geweckt habe, neue Zuversicht der Gebetserhörung? Neuen Mut, so zu sein wie diese Witwe?

Dann bete und handle nur weiter zuversichtlich und beharrlich – und du wirst bis zu Gott vordringen, hinein in sein Allerheiligstes, in seine lichtdurchfluteten Räume, du wirst sehen: Der, der in dieser Welt wie ein ungerechter Richter erscheint, der hat in Wahrheit ein Herz voll maßlosen Erbarmens und unendlicher Liebe. Amen

 

 

 

 




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