Frühgottesdienst am 3. Sonntag nach Trinitatis, 6. Juli 2003

 

Lieder:

Mein erst Gefühl sei Preis und  Dank...451, 1 - 5

Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich...351, 1 - 5

Kein Engel, keine Freuden...351, 12 und 13

Gib mir ein Herz voll Zuversicht...451, 7 - 10

 

Psalm 103 i.A.

Lesung: 1. Mose 15, 1 - 5

 

Liebe Gemeinde,

 

Jesus ist auf dem Weg  nach Jerusalem, er geht seinem Tod am Kreuz entgegen. Er hat sich vom See Genezareth verabschiedet, wandert mit den Jüngern am Jordanfluß entlang, kommt nach Jericho. Von dort führt der Weg dann steil hinauf durch felsiges unwegsames Gelände nach Jerusalem.

 

Als Jesus durch Jericho hindurchzieht, kommt es zu einer auch für unser Leben bedeutsamen Begegnung.

 

Ich lese den Predigttext: Lukas 19, die Verse 1 – 10 ( eigene Übersetzung):

 

Jesus ging nach Jericho hinein und zog durch die Stadt..

In Jericho lebte ein Mann namens Zachäus. Er war der oberste Zolleinnehmer in der Stadt und war sehr reich. Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus wäre. Aber er war klein, und die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht. Da lief er voraus und kletterte auf einen  Maulbeerfeigenbaum, um Jesus sehen zu können; denn dort sollte er vorbeikommen.

Als Jesus an die Stelle kam, schaute er auf und redete ihn an: „Zachäus, komm schnell herunter, ich muß heute in deinem Haus einkehren!“

Zachäus stieg schnell vom  Baum und nahm Jesus voller Freude bei sich auf.

Alle sahen es und murrten; sie sagten: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt!“

Aber Zachäus stellte sich vor den Herrn und sagte zu ihm: „Herr, die Hälfte meines Besitzes werde ich den Bedürftigen geben. Und wenn ich etwas von jemandem erpreßt habe, gebe ich es ihm vierfach zurück.“

Da sagte Jesus:  „Heute ist diesem Hause Heil  widerfahren, denn auch er ist  ein Sohn Abrahams.

Denn der Menschensohn  ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“

 

Liebe Gemeinde!

 

Wie kommt es eigentlich zu einer lebendigen Beziehung zwischen Jesus und uns?

 

Das ist, finde ich,  die wichtigste Frage für unser Leben überhaupt. Denn Glaube bedeutet ja nicht: An das und das und das glauben oder nicht glauben, sondern  einem glauben,

 

 

 

 

2

 

einem vertrauen, nämlich Jesus vertrauen, ihm sein Leben anvertrauen, auf ihn hören und ihm gehorchen. Es geht um eine lebendige Beziehung zu ihm. Und wie diese Beziehung zustande kommt und sich gestaltet, darauf gibt uns die Zachäusgeschichte eine schöne Antwort.

 

Sie zeigt uns,  

-         wie wir Menschen im allgemeinen sind

-         wie Jesus ist

-         und wie ein Mensch ist, dem Jesus begegnet ist, wie also ein Christ ist.

 

 

I

 

Am Anfang sehen wir wie in einem Spiegel, wie wir Menschen so sind: Neugierig -  man will etwas sehen, etwas erleben! - egoistisch auch, und selbstgerecht.

 

Jesus nähert sich der Stadt!  Das hat sich in Windeseile herumgesprochen. Und nun strömen sie alle dorthin, wo er vorbeikommen wird. Wie er wohl aussehen mag? Größer – oder kleiner – als man ihn sich vorgestellt hat? Gutaussehend oder häßlich? Ob er irgendetwas Erstaunliches sagen oder tun wird? Eine Wunderheilung vielleicht? Neugierig sind sie.

 

Und das ist ja an und für sich noch garnichts Schlechtes. Kinder sind überaus neugierig, und das ist gut. Wenn ich mittwochs in der Stiftsschule bin, sofort kommen die intensivsten Gespräche aufgrund ihrer neugierigen, wißbegierigen Fragen zustande. Oder ich vergesse nicht die „Badewannengespräche“ mit unseren Kindern,

als sie etwa drei bis sieben Jahre alt waren, alle vier in der Badewanne, und mir Fragen  über die Hölle und  den Himmel,  den  Tod, Gott und den Teufel stellten, zu denen ich dauernd sagen mußte: Hm, das weiß der Vater auch nicht so genau.

 

Und auch wir Großen sind hoffentlich neugierig. Ich zum Beispiel bin sehr gespannt darauf, einmal zu erkennen, wie das Leben im Himmel sein wird – und, wie Gott in Wahrheit ist.

 

Also, Neugier ist an sich nichts Schlimmes. Aber sie ist bei uns allzuoft gepaart mit Egoismus, mit Lüsternheit, mit Lust am Nervenkitzel, vielleicht gar mit dem  Drang, Anderen zu schaden, sie auszunutzen. Es reizt einen schon, bei einem Verkehrsunfall hinzuschauen, oder – möglicherweise schadenfroh - zu sehen, wie ein Mensch sich in einer verfänglichen oder peinlichen Situation verhält.

 

Hier in unserer Geschichte suchen die Neugierigen samt und sonders die besten Plätze für sich zu ergattern. Das kennen wir: Wer größer oder stärker ist als der Andere, der ist im Vorteil, der Schwächere hat das Nachsehen. Der kleine Zachäus hat keine Chance, einen der vorderen Plätze zu erobern. Man gibt ihm, diesem gewissenlosen Geschäftemacher, auch keine Möglichkeit dazu.

 

                                                                       

 

 

3

 

 

II

 

Und nun geschieht das, was das Leben all dieser Menschen beeinflußt: Jesus kommt.

 

Jesus verhält sich nun ganz anders als wir Menschen im allgemeinen.

 

Worin er anders ist, das wird an dem Satz deutlich, den er am Ende sagt: Auch Zachäus ist ja ein Sohn Abrahams.

 

Jesus sieht also nicht in erster Linie auf das Verhalten, sondern auf den Menschen selbst, nicht auf das, was einer hat und kann und tut, sondern darauf, wer er ist. Er sieht Zachäus als den an, der er ist: Ein Kind Gottes, ein von Gott geliebter Mensch.

 

 

Und nun hat Jesus nie gesagt, wie das heute manchmal so dahergesagt wird: Gott nimmt alle an, wie sie sind. Sondern er sieht den Einen, der das offenbar besonders braucht, daß ihm einer das zu spüren gibt: Du bist geliebt bei Gott.

 

Jesus sieht: Zachäus ist so habgierig, weil ihm Liebe mangelt. Und ihm wird keine Liebe entgegengebracht, weil er so habgierig ist.

 

Jesus durchbricht den Teufelskreis.  Er sagt zu Zachäus: Komm herunter von deinem hohen Baum, auf dem du so allein bist. Ich will bei dir sein. Ich will mit dir zu Hause essen. - Da fangen sie vermutlich schon an, böse Blicke nun nicht mehr nur auf Zachäus, sondern jetzt auch auf Jesus zu werfen. „Wie verhält der sich eigentlich?!“

 

Merkwürdig: Immer sind es in  den Evangelien die Gesunden, die Anständigen, die Gerechten, die sich über Jesus empören, über ihn „murren“, wie es hier heißt. Immer sind es die nach Menschenmaßstäben Starken, Frommen, Guten, die Jesus schließlich weghaben wollen, ihn kreuzigen. Dagegen die eher Unmoralischen, die Betrüger oder  Geizkragen, die kommen besser weg. - Was bedeutet das eigentlich für unser kirchliches und gemeindliches Leben?

 

Während ich das so bedenke, fühle ich mich von Jesus zugleich durchschaut und angesehen.

 

Durchschaut, weil er mir den Spiegel vorhält, denn ich bin ja auch rechthaberisch, will stärker oder besser als andere sein, dränge den Schwächeren weg...

 

Zugleich aber spüre ich, wie Jesus mich auch ansieht, ich höre, wie er mir sagt: He, Martin, komm, ich muß heute bei dir einkehren. Du bist mir wichtig. Du bist ja schließlich ein Kind Gottes!

 

Ob ich ihn nicht nur höre, sondern ihm auch folge?

 

 

 

 

 

 

4

 

                                                                        III

 

Dann werde ich ein Christ.

 

Ein Christ ist nach unserer Geschichte einer, der hört und spürt, wie wichtig er für Jesus ist; einer, der merkt, wie Jesus ihn durchschaut und ansieht und bei ihm sein will. Ein Christ ist einer, der erkennt: Jesus beurteilt mich und andere überhaupt nicht nach unserem Verhalten, sondern für ihn  ist jede und jeder – unabhängig von seinem Verhalten – einer, der zum Volk Abrahams, zum erwählten und geliebten Volk Gottes gehört.

 

Wenn ich mich aber so angesehen weiß, so hochgeachtet, geehrt, geliebt und geschätzt, dann kann eine große Freude in mein Leben einziehen und eine große Freiheit: Ich kann ehrlich sein vor mir selbst und  Anderen, kann  Schwächen und Schuld zugeben, habe es nicht mehr nötig, stärker oder besser sein zu müssen als Andere.

 

Wer sich tief geliebt und hoch angesehen weiß, der hat all das nicht mehr nötig, was dazu herhalten muß, ihm  Selbstbestätigung zu verschaffen. Fast immer ist das ja  das Geld und das, was man sich für Geld beschaffen kann. Das ist schon so: Wie wir zum Geld stehen, das ist ein  entscheidendes Kennzeichen für unser Christsein.

 

 

Bei Zachäus sind Habgier und Geiz verschwunden. Stattdessen sind Freude, Großzügigkeit, Freigebigkeit in sein Leben eingekehrt.

 

Unsere Gesellschaft, so sagen viele, ist besessen von Habgier. Wie immens wichtig ist es, den reichen Armen bei uns Jesus nahezubringen, die Köstlichkeit des Evangeliums, die frohe Botschaft: Du bist um Jesu willen geliebt bei Gott. Gott sieht nicht mehr auf all das, was gegen dich spricht, er verurteilt dich nicht, du bist seine geliebte Tochter, sein  geliebter Sohn, du bist Gottes Erbe! 

 

Darum: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und  die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes bleibe bei euch allen. Amen. 

 

  

 

 




Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.