Abendmahlsgottesdienst am Karfreitag, 18. April 2003

 

Lieder:

 

Jesu meines Lebens Leben...86, 1 – 3

Du schöner Lebensbaum...96

Eines wünsch ich mir vor allem andern...554, 1 + 2

O Haupt voll Blut und Wunden...

 

Eingangspsalm: Jesaja 53 i. A.

 

Lesung: 2. Korinther 5, 17 – 21

 

Predigt über Lukas 23, 32 – 48:

 

Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, daß sie mit ihm abgetan würden.

Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.

Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.

Und das Volk stand und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.

Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig

und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!

Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.

Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!

Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?

Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.

Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!

Und Jesus sprach zu ihm: wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde,

und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riß mitten entzwei.

Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.

Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!

Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.

 

„...kehrten wieder um“: Ob das eine wirkliche Umkehr war? Beginn eines neuen  Lebens?  Oder kehrten sie einfach zurück in ihre Häuser? Beklommen zwar, erschüttert vielleicht sogar angesichts des qualvollen Sterbens, das sie mit angesehen hatten – aber dann hatte sie eben doch sehr schnell der Alltag wieder,

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die Eindrücke verblassten, man vergaß das Ganze – so wie ja auch wir so ungeheuer schnell vergessen angesichts all der immer neuen Bilderfluten, die in unsere Seelen dringen und sich da  ablagern,  bis uns schließlich kaum noch etwas im Innersten aufwühlt...

 

Immerhin, Lukas überliefert auch,  sie hätten sich an die eigene Brust geschlagen und das heißt doch, sie fühlen: Sie sind irgendwie an diesem Tod, vielleicht gar mitschuldig...

 

Und wir?

 

Jedes Jahr zu Karfreitag stellt sich die Frage neu: Was geht uns dieser Tod an, dieser Tod eines jüdischen Wanderpredigers vor fast 2000 Jahren?

 

Der Evangelist Lukas gibt uns in seinem Bericht eine vielfältige Antwort darauf. Er erzählt von den unterschiedlichsten Menschen, die sich allesamt um das Kreuz Jesu scharen, in immer enger werdenden Kreisen: Menschen,  in denen wir uns selbst erkennen können - bis unser Blick schließlich nur noch auf Jesus allein gerichtet wird, als er sterbend ausruft: Vater,ich befehle meinen Geist in deine Hände.

 

I

 

Zuerst: der äußerste Kreis – das Volk. „Das Volk stand und sah zu“. Sie gaffen. Vielleicht tauschen sie auch Kommentare aus, Meinungen, sagen zueinander: Mein Gott, ist das furchtbar...Vielleicht schütteln sie die Köpfe und denken: Die Welt ist eben so, die Menschen sind grausam, Gewalt siegt, die Machthaber setzen sich durch, auch gegen die Volksmeinung, sie setzen sich durch, weil sie wissen: Wer am Ende Erfolg hat, der hat auch Recht, dem wird das Volk schon zustimmen, die Verlierer aber wird es verachten.

 

Um es konkret zu sagen: Da sitzen wir im Fernsehsessel und finden vieles in der Welt ganz furchtbar: Krieg, Umweltkatastrophen, Ungerechtigkeit, Hunger... und denken vielleicht : Aber was kann ich schon machen? An einer Demonstration teilnehmen? Was bringt das schon...Erneuerbare Energienquellen unterstützen Strom von Greenpeace beziehen? Na – ob das viel hilft... Im Fairen Handel einkaufen? Was ändert das schon groß?! Also läßt man alles beim Alten – obwohl ich zutiefst überzeugt bin, gerade die kleinen Dinge, die ich genannt habe, sind immens wichtig und  verändern die Welt mehr, als wir ahnen.

 

Das Volk stand und sah zu“. Zuschauerhaltung.  Mich geht das nichts an. Ich bin nicht beteiligt an dieser Kreuzigung.

 

Wirklich nicht ? Ist nicht auch solch eine Haltung, ein sich heraushalten, ein Nichtstun, Sünde? 

 

II

 

Wir geraten näher zu Jesus hin. Da sind im engeren Kreis um sein Kreuz die Oberen d.h. die politischen und kirchlichen Machthaber samt den Soldaten...Sie verspotten

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den ohnmächtig da Hängenden, sie haben jetzt Oberwasser, der Störenfried ist ausgeschaltet, sie haben sich durchgesetzt... Sie denken und handeln nach dem

Motto: Wer die entsprechenden Machtmittel einsetzt,  der hat das Sagen, behält das letzte Wort. Politik der Stärke. Macht durch Übermacht besiegen, Gewalt mit noch mehr Gewalt bekämpfen, den Teufel mit Beelzebub austreiben...Schwäche dagegen ist verachtenswert.  Da gilt, was Nietzsche gesagt hat:Was fällt, das soll man auch noch stoßen...

 

 

Nur: Hat der am Kreuz  nicht ganz anders geredet? „Selig sind die Sanftmütigen – sie werden das Erdreich besitzen“. Selig also die, die es nicht nötig haben, aggressiv zu sein, weder gegen andere noch gegen sich selbst noch gegen die Umwelt. Und: „Segnet, die euch verfluchen, tut denen Gutes,die euch hassen...“.Und: “Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen...“

 

Hat er denn recht? Sind das nicht Ilusionen? Hat das Christentum in seiner Geschichte nicht selbst diese Worte immer wieder für unerfüllbar erklärt und im Gegensatz zu ihnen gehandelt?

 

Und: Hat dieser am Kreuz Hängende denn überhaupt etwas in der Welt verändert?

 

Es ist doch nach wie vor so: Der Stärkere behält Recht...Die auf Dialog, Gespräche, politische Lösungen setzen, stehen am Ende als die Dummen da.

 

Erich Kästner hat es in sarkastischen Versen so ausgespochen:

 

Zweitausend Jahre sind es fast,

seit du die Welt verlassen hast,

du Opferlamm des Lebens.

Du gabst den Armen ihren Gott,

du littest durch der Reichen Spott,

und tatest es vergebens.

 

Du sahst Gewalt und Polizei,

und wolltest alle Menschen frei

und Frieden auf der Erde.

Du wußtest, wie das Elend tut

und wolltest alle Menschen gut,

damit es schöner werde.

 

Die Menschen wurden nicht gescheit,

am wenigsten die Christenheit,

trotz allem Händefalten.

Du hattest sie vergeblich lieb.

Du starbst umsonst. Und alles blieb

Beim alten.

 

 

 

 

4

 

Wie oft hört man solch eine Einstellung: Es ändert sich ja doch nichts. Eine Art Lähmung scheint unter uns zuzunehmen, dieses verteufelte Denken: Was kann man schon machen...Frechheit siegt. Stärke setzt sich durch.

 

Und doch: Hat der Gekreuzigte nicht doch recht? Ist es nicht wirklich so, daß Gewalt nur  immer mehr Gegengewalt gebiert und den Haß auch gegen die Sieger steigert,  bis er sich entlädt in erneuten Terrorakten und  Selbstmordattentaten... Ist es nicht immens wichtig, nach Ursachen für Haß und Gewalt zu fragen? Und zu versuchen, sich in das Denken andersartiger Kulturen und Religionen

hineinzuversetzen, statt andern Völkern  - in einer geradezu unglaublichen Naivität - die eigene Denkungsart aufzwingen zu wollen – „freedom and democracy“, an der die ganze Welt genesen soll ?

 

Und ist es nicht richtig, statt Unsummen für Kriege und  Waffen zu verpulvern, diese Milliarden für Projekte einzusetzen, die die Gerechtigkeit auf der Erde fördern? Wäre nicht eine Umkehr, eine Buße von uns materiell reichen Völkern, in denen  ja ganz überwiegend Christen leben, notwendig? Eine Umkehr zu unserem Herrn, ein Ernstnehmen seiner Worte, ein Neuerwachen lebendigen Glaubens?

 

III

 

Aber wer kehrt in Wahrheit um? Wer in unserer Kirche ruft auf zur Buße? Und wenn: Wer hört den Ruf zur Buße? Noch näher kommen wir zu dem Gekreuzigten: Wir sehen uns in den beiden mit Jesus Mitgekreuzigten.

 

Der eine bleibt selbst im Tode noch unbußfertig. Er bleibt in diesem Denken befangen: Man muß sich selber helfen, sich durchsetzen - und wenn man unterliegt, hat man eben Pech gehabt...

 

Er bleibt unbußfertig – noch im Angesicht des Todes.

 

Ich habe das einmal erlebt. Ich wurde zu einem Sterbenden gerufen und die Ehefrau, die mich gerufen hatte, sagte mir schon an der Wohnungstür: Vom christlichen Glauben wollte er nie etwas wissen...Aber ich dachte, es wäre vielleicht doch wichtig, wenn Sie kommen würden... Und ich sprach dann zu dem Sterbenden behutsam davon, daß er nun mit seinem ganzen Leben vor Gott treten werde, daß wir darauf angewiesen seien, daß Gott uns gnädig und barmherzig sei, daß Gott aber auch jedem Gnade und Vergebung schenken würde, der sie erbitte...Da drehte der Sterbende sich abrupt zur Wand. Und seine Frau schüttelte leise den Kopf und  machte ein Gesicht, als habe sie diese Reaktion leider erwartet..Und ich ging, ratlos.

 

Ich hoffe, Gott hat ihm sein Erbarmen nicht verweigert.

 

Der andere Mitgekreuzigte dagegen: Der lehrt uns die Wahrheit über uns. Er sagt: So wie wir sind und leben, haben wir zu Recht den Tod verdient, leben in Verlorenheit und Verdammnis, können uns selbst nicht retten, uns nicht selbst erlösen, sondern brauchen einen Erlöser, brauchen not-wendig die Bitte: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst...

 

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IV                                           

 

Und nun blicken wir nur noch auf Jesus, wie er, während der Vorhang im Tempel aufreißt, ruft: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!  Nimm mich nun auf in dein ewiges Leben, ich habe mein Werk getan, deinen Auftrag erfüllt.

 

Was war sein Auftrag? Daß seine Bitte erfüllt wird für jeden Menschen: Vater,vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun...

 

Vergib uns, den Zuschauern, den Besserwissern, den Neunmalklugen, die viele Worte machen und selbst nichts tun, sondern sich feige heraushalten, vergib uns, den Ichstarken und Machtbewußten, die auf Gewalt setzen und auch noch meinen, Gott auf ihrer Seite zu haben, vergib uns, den Spöttern, die die Schwachen, die „looser“ verachten, vergib uns, den Harten und Selbstgerechten, die das Wort Gnade nicht hören wollen, vergib ...

 

 

Wenn wir das doch von Herzen bitten könnten, was der eine Mitgekreuzigte bittet:  Jesus, gedenke an mich...Tritt du bei Gott für mich ein! Gott, vergib mir meine Schuld,  wie auch ich meinen Schuldigern vergebe...Wer das von Herzen bitten kann, der hat Frieden gefunden, der hat in Jesus den Erlöser gefunden..

 

Wenn du aber in ihm den Erlöser erkannt hast , wenn du erkannt hast, ich bin ihm so wichtig, daß er auch für mich gestorben ist, daß er auch an mich gedacht hat, als er rief: Es ist vollbracht! Dann wirst du auch selbst dein Leben als sehr wichtig ansehen, deine Worte, deine vermeintlich so unscheinbaren  Taten...Dann wirst du nicht mehr faule Kompromisse machen und nichts abstreichen von der Wahrheit der Worte Jesu, sondern sie in all ihrer Radikalität gelten lassen.

 

Dann wirst du auch voller Freude Ostern feiern.

 

Denn das bedeutet  Ostern ja: Daß Gott aller Welt klar gemacht hat: Jesus hatte und hat Recht, jedes seiner Worte  nennt meinen  Willen. Ihn habe ich zum Herrn und Richter über alle Menschen eingesetzt. Er ist Heiland und Erlöser für alle Menschen. Bei ihm ist der Friede zu finden. Er hat das letzte Wort.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.  

 

 

 

 

 




Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.