Gottesdienst am Sonntag nach Weihnachten, 29. Dezember 2002

 

Lieder:

Nun singet und seid froh...35

Vom Himmel hoch, o Englein kommt...541

Freut euch, ihr lieben Christen...540

Jesu, wie soll ich dir danken...34, 3

 

Psalm 71, 1-3. 17 - 24

 

Lesung: Jes. 49, 13-16

 

Anmerkung: Die Verse 21 – 24 und der erste Predigtteil wurden im Gottesdienst weggelassen.

 

Liebe Gemeinde,

 

der für den heutigen Sonntag nach Weihnachten vorgesehene Predigttext schließt unmittelbar an die Weihnachtsgeschichte des Lukas an. Ich lese aus Lukas 2 die Verse 21-39:

 

Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden mußte, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war.

 

Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen,

wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn (2. Mose 13, 2.15): „Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen“,

und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: „ein paar Turteltauben oder zwei junge Tauben“ (3. Mose 12, 6-8).

 

Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war mit ihm.

Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen.

Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz,

da nahm, er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:

Herr, nun  lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;

denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,

den du bereitet hast vor allen Völkern,

ein Licht, zu erleuchten die Heiden

und zum Preis deines Volkes Israel.

Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.

 

 

2

 

Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird

-         und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen - , damit vieler Herzen

Gedanken offenbar werden.

 

Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuels, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte,

und war nun eine Witwe an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht.

Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

 

Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth.

 

                                                                                  I

 

„...als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn...“. Ja, das haben sie in der Tat. Lukas beschreibt es ja auf das genaueste.

 

Welch großen Wert legt er darauf, zu betonen, daß Jesus ein Mensch aus dem Volk Israel ist, ein jüdisches Kind.

 

Sorgfältig erzählt er, wie die Eltern von Jesus die uralten, noch aus der Zeit der Wüstenwanderung stammenden Vorschriften erfüllen, die für die Geburt eines männlichen Erstgeborenen vorgesehen sind. Im 3. Mosebuch Kapitel 12 kann man sie alle nachlesen:

 

„Wenn eine Frau empfängt und einen Knaben zur Welt bringt,

so soll sie sieben Tage unrein sein, wie wenn sie ihre Tage hat.

Und sie soll daheim bleiben 33 Tage...Zum Heiligtum soll sie nicht kommen, bis die Tage ihrer Reinigung um sind...Dann aber soll sie dem Priester bringen ein einjähriges Schaf zum Brandopfer und eine Taube oder Turteltaube zum Sühneopfer an den Eingang des Heiligen Zeltes.

Vermag sie aber nicht ein Schaf aufzubringen, so nehme sie zwei Turteltauben oder zwei andere Tauben, eine als Brandopfer und eine als Sühneopfer. Der Priester soll ihre Opfergaben dem Herrn darbringen, danach ist sie wieder rein.“

 

Uralte Gesetze, die allesamt an Jesus vollzogen werden. Acht Tage nach seiner Geburt wird er beschnitten, und der Name wird über ihm ausgesprochen, den der Engel Gabriel der Maria genant hatte: Jeschua, auf deutsch: Gottes Hilfe.

 

40 Tage nach seiner Geburt dann die Darbringung im Tempel und die Opfergabe für die rituelle Reinigung der Mutter. Lukas erwähnt, daß Jesu Eltern offenbar nicht vermögend genug waren, ein Schaf zu opfern, sie geben das sog. Armeleuteopfer: Ein Paar Tauben.

 

3

 

Mit alledem betont Lukas auf‘s nachdrücklichste: Jesus, Jeschua: Er war, er ist der verheißene Messias Israels – der Eine, der das Gesetz Gottes, die Tora, in allem und vollkommen erfüllt hat.

 

                                                                                  II

 

 

Und eben dies sagt auch der greise Simeon: Er hält das Kind in den Armen und – vom heiligen Geist erleuchtet – bricht er in die Worte aus: Nun haben meine Augen, Herr, deinen Heiland gesehen: Ein Licht, um die Heiden zu erleuchten und zum Preis deines Volkes Israel.

 

Er sagt damit: Jesus wird das Licht für alle Heidenvölker sein. Und sie alle sollen um Jesu willen das Volk Israel ehren.

 

 

Zu unserem Gotteslob gehört also ganz wesentlich dazu, daß wir auch sein Volk  Israel loben und preisen!    

 

Nicht, weil es besser wäre als andere Völker – das ist es nicht – sondern weil der, der das Licht der Welt ist, aus diesem Volk kommt! Aber wir haben kaum jemals das Volk Israel gepriesen, sondern fast immer das Gegenteil getan, wir Christen sind den Juden allzuoft zum Fluch geworden.

 

Simeon sagt auch dies in prophetischen Worten zu Maria:

 

Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum  Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird,

und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen...

 

 

Er sagt damit den persönlichen Schmerz voraus, den Jesus seiner Mutter mehrfach zufügen wird: Als Zwölfjähriger, während seiner öffentlichen  Wirksamkeit, zum  Beispiel bei der Hochzeit zu Kana, und vor allem, als er am Kreuz stirbt. Die katholische Kirche spricht sogar von den „sieben Schmerzen“ der Maria.

 

Simeon benennt, wie manche Ausleger es deuten, aber auch den Trennungsschmerz angesichts der Zerspaltenheit von  Juden und Heidenchristen. Dieser Riß, ja diese Feindschaft, war zur Zeit, als Lukas sein Evangelium schrieb, schon da.

 

„...gesetzt zum Fall und zum Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird...“: Einige aus dem Volk Israel werden ihn als den Messais erkennen: Die messianischen Juden, etwa die, die in dem von uns unterstützten Altenheim Eben Ezer in Haifa leben – aber die allermeisten Israelis, falls sie überhaupt religiös sind, sagen bis heute: nein, dieser arme Rabbi, der kanns auf keinen Fall gewesen sein...sie stoßen sich an seinem Kreuz. Aber das tun ja auch wir Christen: auch viele von uns wollen ein Christentum ohne Kreuz. Aber ohne sein

 

2

 

Kreuz verliert Weihnachten seinen Sinn. Sein Kreuz ist und bleibt das Zentrum, die Quelle des Glaubens. Ohne sein Kreuz ist er kein Heiland.

 

 

                                                                                  III

 

Die beiden Menschen in unserm Text erkennen ihn als den Heiland, den Messias.

 

Ein Mann und eine Frau, zwei alte Menschen. Lukas sagt, sie waren erwartungsvoll, waren erwartungsvoll geblieben für den, der schon über 1000 Jahre vorher – im Segen des uralten Jakob für seine Söhne (1. Mose 49), aber auch in einer Weissagung des Sehers Bileam (4. Mose 24, 17)  -  angekündigt worden war.

 

Wie erstaunlich, daß diese Beiden – wie vermutlich nur ganz Wenige im damaligen Israel – erwartungsvoll geblieben sind, so wie es hier wunderbar von Simeon gesagt wird: „Er wartete auf den Trost Israels“. Den Trost Israels. Er, Jesus, ist der einzige Trost auch für die, die im heutigen Israel – aber auch anderswo - nicht ganz bei Troste sind.

 

Kann man das überhaupt: In hohem Alter noch erwartungsvoll sein? Haben Sie das nicht auch schon oft von alten Menschen gehört, daß sie wehmütig oder auch bitter, oder ganz verzagt, sagen: Was hab‘ ich denn noch zu erwarten? Wozu bin ich eigentlich noch da?

 

Oft schon sagten mir betagte Gemeindeglieder: Im Alter muß man eigentlich nur noch abgeben, immer abgeben...alles wird immer weniger, schwächer, kürzer, man muß ständig Abschied nehmen auf Beerdigungen und sonstwo...

So wie es Fontane in Gedichtform gebracht hat:

 

Immer enger, leise, leise

ziehen sich des Lebens Kreise

schwindet hin, was prangt und prunkt,

schwindet Hoffen, Hassen, Lieben

und am End‘ ist nichts geblieben

als der letzte dunkle Punkt...

 

Und doch hat Luther auch alte Menschen mit gemeint, als er den Satz niederschrieb:

Niemand lasse die Hoffnung fahren, daß Gott an ihm noch eine große Tat tun will...

 

Eins von vielen Beispielen: Mit Abraham hat er überhaupt erst angefangen, als der 75 Jahre war.

 

Hanna und Simeon sind erwartungsvoll geblieben. Nicht weil sie von Menschen noch Großes erwarteten. Auch nicht, weil sie „vom Leben“ noch manches erwarteten. Sondern – Lukas macht das sehr deutlich – ihre Hoffnung gründet sich auf Gottes Wort. Sie vertrauen den Verheißungen Gottes, sie glauben felsenfest daran, daß Gott zu seinen Verheißungen steht, sie wahr macht.

 

 

5

 

 

Darum treibt es den Simeon in den Tempel, wo nach jüdischem Glauben Gottes schechina ist, seine Einwohnung, seine Nähe; und von Hanna heißt es sogar: Sie wich Tag und Nacht nicht vom Tempel!

 

Menschen, die viel von Gott erwarteten. Dabei hatte Gott es ihnen im Leben nicht leicht gemacht, im Gegenteil. Hanna war nur kurz verheiratet gewesen, hatte viele Jahrzehnte lang das damals sehr harte Schicksal der Witwenschaft ertragen müssen,

und der alte Simeon redet Gott hier im griechischen Urtext eben nicht mit dem ehrfürchtig-vertrauenden Wort für Herr, nämlich kyrios, an, sondern mit dem anderen griechischen Wort für „Herr“, despota, ein Wort, das man für gnadenlose Sklavenhalter, für die Herren von Sklaven gebrauchte. Du harter Herr! sagt Simeon, du anscheinand oft so gnadenloser Herr! Und wie vielen glaubenden Menschen mag er so erscheinen! Unbarmherzig, gnadenlos, vielleicht sogar heimtückisch, scheinbar mit Freude am Quälen...Und dann  aber sagt Simeon aufseufzend weiter: Nun aber...nun endlich entlässest du deinen Diener... deinen  Sklaven, in den schalom, in den Frieden hinein. Das griechische Wort, das hier für „entlassen“ steht, bedeutet das Geschehen, wenn ein Zugtier nach schwerer Arbeit aus dem Joch ausgespannt wird. Oder auch das Geschehen, wenn einem Sklaven nach langer Fronarbeit die Freiheit gegeben wird – so wie es einmal auch im Sterben sein wird?

 

Doch, ich hoffe schon, daß das Sterben auch ein erlösendes Geschehen ist.

 

Simeon hält einen Säugling im Arm, alles wird ihm leicht, er erfährt den Frieden, der nicht von dieser Welt ist.

 

Viele kennen das Bild, das Rembrandt davon gemalt hat – ein Selbstbildnis, eines seiner letzten Bilder. Mit altersblinden Augen schaut Simeon – nein, nicht auf das Kind herab, sondern er sieht nach oben, in das Licht Gottes hinein. In diesem Licht, das den Simeon erleuchtet, sieht er, wer dieses Kind ist.

 

Simeon sieht den Ersehnten, den Lukas den „Trost Israels“ nennt.

 

Wie nötig ist er für diese ganze Welt „in ihren tausend Plagen und großen Jammerlast“. Wie nötig für uns.

 

Simeon segnet Jesu Eltern - so wie der alte Isaak, der alte Jakob gesegnet hatten...

 

Und Hanna, Hanna lobt Gott und redet von Jesus.

 

Segnen – und von ihm reden.

 

Der Name Simeon bedeutet: der Hörende.

Und Hanna: Die Gnadenbotin.

 

Wer auf Gottes Wort hört und wen der heilige Geist erleuchtet, der wird zum Segen für Andere.

 

 

6

 

 

Wer beharrlich und mit viel Mühe in der Nähe Gottes bleibt, der erkennt, was Gnade ist und kann davon erzählen.

 

Zu Beidem sind auch wir berufen und begabt. Auch und vielleicht besonders Menschen im Alter.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in  Christus Jesus unserm Herrn.Amen. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.