Gottesdienst am 2. Sonntag nach Weihnachten, 4.1.2009

Kirche Am Heierbusch


Lieder:


Zum Eingang: Jesus soll die Losung sein...62, 1 - 5

Vor der Predigt: Gottes Sohn ist kommen...5, 1-4+9

Nach Teil II der Predigt: Kanon: Wo zwei oder drei...578

Nach der Predigt: Freuet euch, ihr Christen alle...34, 1...

Vor dem Segen: 34, 4


Psalm 138 (Nr.758, S.1186)


Lesung: 1. Samuel 3, 1-12.15-20


Predigt über Lukas 2, 41 – 51a:


Und seine Eltern gingen alljährlich nach Jerusalem zum Passafest.

Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes.

Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wußten's nicht.

Sie meinten aber, er wäre unter den Weggenossen, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten.

Und als sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn.

Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn mitten im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte.

Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seine Einsicht und seine Antworten.

Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.

Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?

Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.

Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan.


Liebe Gemeinde!


Was für eine Geschichte! Durch welche Tür wollen wir in sie hineingehen? Vielleicht durch diese:


(„So hält uns dies Evangelium an der Mutter Christi erstlich ein Exempel des Kreuzes und hohen Leidens vor, das Gott seinen Heiligen widerfahren lässt. Wohl war die heilige Jungfrau hoch gebenedeit und mit allerlei Gnaden begnadet und ein schöner Tempel des Heiligen Geistes und vor allen zu der Ehre erwählet, dass sie eine Mutter des Sohnes Gottes ist. Ohn Zweifel hat sie auch, mehr als irgendeine Mutter, die größte Lust und Freude an ihrem Kind gehabt, wie es denn auch natürlich so sein musste. Dennoch hat Gott sie also regieret, dass sie nicht lauter Paradies, sondern viel Unglück, Schmerzen und Herzeleid an ihm hat haben müssen. Der erste Jammer, der ihr widerfuhr, war, dass

sie ihn zu Bethlehem, an einem fremden Ort gebären musste, wo sie keinen Raum hatte mit ihrem Kind als einen offenen Stall. Der andere Jammer war, dass sie bald nach den sechs Wochen mit dem Kindlein ins Elend fliehen muss bis in sein siebtes Jahr. Solche Not wird sie ohn Zweifel noch viel


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mehr gehabt haben, obwohl es nicht aufgeschrieben ist.

Solche Not und nicht die geringste ist auch das, was er ihr allhier auf den Hals legt, da er sich von ihr verlieret im Tempel und sich so lange suchen und nicht finden lässt)...(1)


...Da hat er sie so erschreckt und betrübt gemacht, dass Maria hätte mögen verzagen, wie sie auch bekennet und spricht: Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Denn lasst uns ein wenig denken, wie ihr zu Sinn und Mut gewesen sein muß! Ein jeder Vater und jede Mutter verstehen wohl, was es für Jammer und Herzeleid ist, wenn ein Kind, das ihnen lieb ist, unversehens von ihnen geht und sie nicht anders wissen, als dass es verloren ist. Und wenn es auch nur eine Stunde lang währet, was ist da für Traurigkeit, Heulen und Klagen und gar kein Trost, Essen und Trinken, Schlafen und Ruhen, und solcher Jammer, dass sie lieber tot sein wollten! Und wie viel größer wird es, wenn solchs einen ganzen Tag und eine ganze Nacht oder noch länger währet, wo jede Stunde nicht ein, sondern hundert Jahre lang wird!“


I


Martin Luther und seine Frau Käthe hatten mehrere Kinder. Er wusste, wie man an diesem Predigtabschnitt von ihm sieht, wie eine Mutter- und auch ein Vater - empfindet. (Und dass Gott auch und gerade die großen Heiligen – und dazu zählt er auch Maria – oft in tiefste iefen führt, das ist ihm hier wichtig zu sagen.) (1)


Und jede Mutter, auch jeder Vater hier wird ähnliche Situationen kennen, wo man das Kind verzweifelt sucht - oder auch sich mit Selbstvorwürfen herumschlägt, auch mit der Frage: „Was habe ich nur falsch gemacht“? So wie es auch Maria erging. Auch Maria musste ihre Vorstellungen vom eigenen Kind korrigieren lassen, musste loslassen: Ein schmerzhafter Prozess, vielleicht besonders für Mütter, aber auch für Väter.


II


Während mit jeder Stunde des Suchens die Verzweiflung von Maria und Josef wächst, sitzt der Zwölfjährige bei den jüdischen Lehrern im Tempel, schon am dritten Tag, in Gespräche vertieft.


Mir kommen alte Gemälde in den Sinn, die den Titel tragen: Der zwölfjährige Jesus im Tempel“. Man gewinnt beim Anblick manchmal den Eindruck von Jesus als einem Wunderkind. Eine Gruppe alter bärtiger Schriftgelehrter und in ihrer Mitte ein im Licht glänzender Jüngling, der mit kluger Geste den jüdischen Gelehrten einen belehrenden Vortrag hält.


Abgesehen davon, dass solche Bilder oft einen antijüdischen Akzent haben - Jesus wird gegen die dunkle Folie des Judentums gehalten – : Das Bild vom Wunderkind passt ganz und gar nicht zu dem Jesus der Evangelien. Wie Klein-Mozart vor Maria Theresia, so Jesus als Virtuose der Gottesgelehrtheit vor den Rabbinern?


Ganz anders hat Max Liebermann im Jahr 1879 den 12jährigen Jesus dargestellt.(Bildfolie zeigen). Es brach, kaum war das Bild in München ausgestellt, eine heftige antisemitische Hetze los. Der bayrische Landtag musste sich zwei Tage lang mit der

Anklage befassen, das Bild sei gotteslästerlich. Liebermann, der danach nie mehr ein Bild


(1) Nur das Kleingedruckte wurde in der Predigt zitiert

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mit biblischer Thematik gestaltete, übermalte es dann, aus dem ursprünglich barfüssigen

Jesus mit kurzem, ungekämmtem schwarzem Haar und einem stereotypisch jüdischen

Profil wurde ein blonder langhaariger Knabe.


Wir sehen ihn, engagiert die Hände erhoben, aufmerksam, man weiss nicht, hört er

gerade zu oder redet er; ihm gegenüber in Augenhöhe ein Lehrer, vielleicht der Rabbi, lose hängt ihm der tallit, der Gebetsmantel, um die Schultern, in der rechten Hand hält er ein aufgeschlagenes Buch, vielleicht einen Band der Thora, vielleicht einen Kommentar. Aufmerksam und sehr wohlwollend streicht er seinen Bart. Der Junge wird ernstgenommen und fühlt sich ernstgenommen . Eine konzentrierte Atmosphäre herrscht, Engagement für die Sache, genaues Hinhören und bewegliches Mit-Denken, etwas ungemein Partnerschaftliches drückt die Szene aus.


Das ist Lernen. Kein Frontalunterricht, keine Belehrung von oben herab. Wer Lehrer ist, wer Schüler, das kann durchaus wechseln, die Nähe zur Sache entscheidet.


Und darum heisst im Judentum ein Lehrer, mag er noch so umfassend gebildet sein, immer „talmid chakam“ zu deutsch: „weiser Schüler“. Man hat nämlich nie ausgelernt, stets kann man auf einen Schüler und seine Fragen treffen, durch die man wieder zum Anfänger wird – das wird man allerdings nur, wenn man nicht für sich allein, sondern mindestens zu zweit oder zu dritt lernt.


Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“, sagt Jesus, und dies Wort hat er von seinen jüdischen Lehrern. Im Talmud heisst es so: „Wo zwei zusammensitzen und sich über Worte der Tora (der Heiligen Schrift) unterhalten, da ist Gott gegenwärtig“ (Pirke Awoth 3.3).


Das singen wir nun: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind...(EG 578).


III


So wichtig dieser Zug der Geschichte ist – Jesus im Kreise der Fragenden, der weisen Schüler - wir sind noch nicht bei der Hauptsache. Die Geschichte läuft auf eine dramatische Begegnung zwischen Jesus und seinen Eltern zu, auf eine fast explosive Auseinandersetzung, ein Aufeinanderstoßen zweier Welten; eine Dramaturgie auf sprachlich engstem Raum.


Zunächst: Entsetzen: „Als die Eltern ihn sahen, entsetzten sie sich“. Sie dachten sich die ganze Zeit: Der arme Junge, wenn er noch lebt, wie verzweifelt muss er sein. Und dann sehen sie: Das Gegenteil ist der Fall!.


Dann der Vorwurf von seiten der Maria: „Kind, wie konntest du uns das antun! Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht“! Und Jesu Antwort: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“


Diese beiden Sätze sind die ersten Worte, die Jesus im Evangelium sagt. Mit dieser

Szene stellt Lukas in seinem Evangelium Jesus vor. So schroff, so distanziert und unangepasst.


Wir würden sagen: Er redet geradezu frech und aufsässig, rücksichtslos und herzlos! Er

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scheint überhaupt kein Gefühl für die Ängste seiner Eltern zu haben! Wie sehr verletzt er das 4. Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren! Statt sich zu entschuldigen macht er ihnen

geradezu Vorhaltungen: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist...?!“


Was bedeuten diese Worte?


Manche glauben, es sei der Tempel, den er in den Evangelien mehrfach „seines Vaters Haus“ nennt (Joh.2,16; 14,2), gemeint. Aber es geht um mehr, es geht um das Lebensthema Jesu. Sein Vater im Himmel - das ist sein Lebensthema. Gott selbst - Sein Name, Sein Reich, Sein Wille – das ist sein Lebenthema. Aus diesem Zentrum, ganz aus dem Gotteszentrum heraus muss er leben und sprechen . Er gehört ganz seinem himmlischen Vater – und darum kann er nicht den Eltern gehören.


In diesem kurzen Dialog zwischen Jesus und ihnen hat sich in einem Nu alles umgekehrt:



Und Lukas fügt hinzu: Sie verstanden ihn nicht.


Jesus ist für sie fremd, unerreichbar geworden.


IV


Und, machen wir uns da nichts vor, mit gleicher Schärfe sagt er das auch zu uns, sagt

auch uns, dass er sich nicht vereinnahmen lassen will, dass er nicht uns gehört. Pochen nicht auch wir auf das Recht, er sei unser Jesus: Der Jesus der westlichen Kultur und der Menschen mit weisser Hautfarbe, der Jesus der Pietisten, der liberale Jesus, der Revolutionär, der evangelische Jesus...der immer und immer wieder vereinnahmte Jesus.


Auch uns sagt er: Ich gehöre euch nicht.„Und er ging mitten durch sie hinweg“, heisst es etwas später einmal im Lukasevangelium (4,30) Er ging mitten durch die

Menschengruppen hinweg. Er geht mitten durch die Kirchen und kirchlichen Gruppen hindurch, mitten hindurch durch alle Vereinnahmungsversuche. Er bleibt unabhängig von uns. So sehr man ihn benutzt und mißbraucht (etwa im Weihnachtsgeschäft), wir kriegen ihn – Gott sei Dank – nie in den Griff. Er bleibt der Fremde; Be-fremdende, jemand aus einer anderen Welt.


V


Wie, wenn die Geschichte hier zuende wäre?


Aber das ist sie - Gott sei Dank! - noch nicht. Lukas fügt noch einen entscheidenden Satz an. „Und er ging mit seinen Eltern hinab nach Nazaret und war ihnen untertan.“


Was heisst das? fragt Luther in seiner Predigt über diesen Text und antwortet: „Er ist in

den Werken des vierten Gebots gewandelt; das sind die Werke, die Vater und Mutter

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brauchen, nämlich Wasser holen, Feuer machen....Die hat das Jesulein getan. Wenn die Mutter spricht: lauf hin und hol mir ein Kandel voll Wasser, hol Bier, Stroh – das hat er

getan.“


Als der Unabhängige und Freie, der sein Zentrum ganz in Gott hat, überbrückt er die

Distanz zu uns Menschen, wird uns untertan, dient uns. Wer ganz frei ist, kann sich in solcher Freiheit anderen untertan machen – und das ist dann kein sklavischer Dienst, keine Liebedienerei, kein Duckmäusertum. Zu solcher dienenden Freiheit ruft uns Paulus auf, wenn er Galater 5,13 schreibt (es ist übrigens mein Konfirmationsspruch, den ich sehr mag): „Ihr seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr die Freiheit nicht für euch selbst mißbraucht, sondern durch die Liebe diene einer dem andern. Freiheit – Liebe – Dienen: Jedes Wort erklärt das andere, braucht das andere.


Oder: „Ein Christ ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan“.- „Ein Christ ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Das sind die beiden Leitsätze in Luthers großer Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Christus ist das Urbild dieser doppelten Freiheit: Der Freie macht sich in Liebe zum Diener Aller


Als der ganz Freie und Unabhängige wird er der Diener von uns hart gesottenen Christen, die ihn so selbstverständlich in unseren Nöten, Überzeugungen, Parteiprogrammen, kirchlichen Dogmen und Verlautbarungen für sich beanspruchen - als ob er uns gehörte.


Als der Freie, der sich uns dienstbar macht, so geht er mit uns durch die Zeiten und schämt sich unser nicht. Er riskiert, dass wir ihn nicht verstehen, dass wir ihn missbrauchen, vereinnahmen, begrenzen, ihn so klein, angepasst und eng machen, wie wir selber sind. Ich hoffe, er ist noch nicht aus der Kirche ausgetreten. Ich hoffe, er erträgt uns noch – auch da, wo er uns kompromisslos widersprechen muss.


Ach, Herr Jesus, bleibe für uns, was dein Name Jesus, Jeschua, bedeutet: Helfer, Retter, Befreier.


Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn und Diener. Amen



Fürbitten:


Lieber Herr Jesus Christus,


wir bitten dich für alle Menschen,

die sich in Verschlossenheit und Einsamkeit verlieren.

Hilf ihnen aus ihrer Enge und Isolation heraus.

Sende ihnen Menschen,

die ihnen zum Vertrauen helfen

und zur Geselligkeit.


Wir bitten dich für die Menschen,

denen in ihrem Beruf Kinder und Jugendliche anvertraut sind,

dass sie deren Gaben und Schwächen achten,

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behutsam mit ihnen umgehen

und miteinander voneinander lernen.


Wir bitten dich für alle Eltern und ihre Kinderdass sie das rechte Maß finden, Freiräume zu gewähren

und loszulassen,

aber auch,

Grenzen und Orientierungen aufzuzeigen.


Du hast gesagt: „Selig sind die Sanftmütigen;

sie werden das Erdreich besitzen“.

So hilf uns zu behutsamem Umgang

mit unseren Lebensgrundlagen

und unseren Mitgeschöpfen.

Lass die Völker der Welt

den Krieg verlernen.

Zeige Wege des Friedens und des Miteinanderlebens

in Israel und Palästina

und gib,

dass Jerusalem eine Stadt wird,

in der man in Frieden zusammenkommt.


Und für das neue Jahr bitten wir dich für uns:

Gib uns die Gnade,

in Heiterkeit das anzunehmen,

was wir nicht ändern können,

mit Vertrauen und Mut das zu ändern,

was wir verändern können,

und die Weisheit,

das eine vom andern zu unterscheiden.


In der Stille nennen wir dir,

was uns auf dem Herzen liegt:


Als Kinder deines und unseres himmlischen Vaters beten wir gemeinsam:

Vater unser...