Gottesdienst am Neujahrsmorgen 2003

 

Lieder:

 

Morgenglanz der Ewigkeit...450

Hilf, Herr Jesu, laß gelingen...61

Jesus soll die Losung sein...62

Großer Gott, wir loben dich...331, 1+9-11

 

Psalm  121

Lesung: Jakobus 4, 13-15

 

Predigttext: Lukas 4, 16 – 30

 

Liebe Gemeinde,

 

was ist das Besondere am heutigen Tag? Er ist der Tag der Beschneidung und damit zugleich auch der Namengebung Jesu. Lukas überliefert unmittelbar nach der Weihnachtsgeschichte, daß Jesus acht Tage nach seiner Geburt beschnitten wurde

und daß man ihm den Namen gab, den der Engel Gabriel der Maria genannt hatte: Jesus, zu deutsch: Gottes Hilfe.

 

Wie Gott uns durch ihn hilft, davon spricht Jesus in seiner ersten Predigt in Nazareth, dem heutigen Predigttext. Ich lese aus Lukas 4 die Verse 16 bis 30.

 

Jesus ist in Kapernaum am See Genezareth gewesen. Und dann heißt es:

 

Und er kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging  nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf und wollte lesen.

Da wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und als er das Buch auftat, fand er die Schriftstelle, wo geschrieben steht (Jesaja 61, 1.2):

„Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, daß sie frei sein sollen, und den Blinden, daß sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen,

zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“

Und als er das Buch zutat, gab er’s dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn.

Und er fing an zu ihnen  zu reden:

Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.

Und sie gaben alle Zeugnis von ihm und wunderten sich, daß solche Worte der Gnade aus seinem Munde kamen, und sprachen: Ist das nicht Josefs Sohn?

Und er sprach zu ihnen: Ihr werdet mir freilich dies Sprichwort sagen: Arzt, hilf dir selber! Denn wie große Dinge haben wir gehört, die in Kapernaum geschehen sind! Tu so auch hier in deiner Vaterstadt!

Er sprach aber: Wahrlich, ich sage euch: Kein Prophet gilt etwas in seinem Vaterland.

Aber wahrhaftig, ich sage euch: Es waren viele Witwen in Israel zur Zeit des Elia, als der Himmel verschlossen war drei Jahre und sechs Monate und eine große Hungersnot herrschte im ganzen Lande,

 

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und zu keiner von ihnen wurde Elia gesandt als allein zu einer Witwe nach Sarepta im Gebiet von Sidon.

Und viele Aussätzige waren in Israel zur Zeit des Propheten Elisa, und keiner von ihnen wurde rein als allein Naaman aus Syrien.

Und alle, die in der Synagoge waren, wurden von Zorn erfüllt, als sie das hörten.

Und sie standen auf und stießen ihn zur Stadt hinaus und führten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt gebaut war, um ihn hinabzustürzen.

Aber er ging mitten durch sie hinweg.

 

Welch ein Bild wird uns gleich zu Anfang der öffentlichen Wirksamkeit Jesu vor Augen gestellt! Sie greifen ihn, stoßen ihn aus der Stadt heraus, wollen ihn einen Abhang herunterstürzen. Ich habe die Stelle gesehen, als ich vor Jahren mit Frau Renate in Nazareth war.

 

Kaum drei Jahre später ergreifen ihn Andere ja erneut, stoßen ihn aus der Gemeinschaft aus und töten ihn.

 

Hier aber – hier „geht er noch mitten durch sie hinweg“.

 

Welch ein eindrucksvolles Wort: Er ging mitten durch sie hinweg. Vor vielen Jahren, als ich diesen Text las, hat sich mir dieser Ausdruck tief eingeprägt, mir ging schlagartig auf: So war und ist es immer bei ihm, so wird es bis ans Ende der Welt sein. Wir wollen ihn greifen, ihn in den Griff kriegen, und dann entweder wegschieben, wenn er uns unbequem wird und in Frage stellt, oder aber ihn für uns und unsere Interessen und religiösen Lieblingsgedanken vereinnahmen – aber Er, er bleibt der Heilige, der Fremde, der ganz Andere -  er geht mitten durch uns, die verschiedenen Kirchen und christlichen Gruppen hinweg. Er ist anders als unsere Vorstellungen von ihm, anders als unsere Wünsche und Erwartungen an ihn.

 

Er erfüllt nicht unsere Wünsche und Erwartungen an ihn, sondern die Verheißungen, die Gott uns mit ihm gegeben hat. Er wird auch in diesem Jahr nicht unsere Wünsche an ihn erfüllern, wohl aber seine Verheißungen für uns, wenn wir seine Jünger bleiben.

 

Er wird uns überraschend Neues von ihm zeigen und  lehren -  er wird uns vielleicht fremd und unverständlich erscheinen, vielleicht – und das wäre garnicht schlecht – könnte es auch sein, daß er mich ärgert, daß ich böse werde auf ihn. So wie hier bei den Leuten in Nazareth.

 

Es war für Jesus selbstverständlich, am Sabbat in den Synagogengottesdienst zu gehen. Er macht Gebrauch von dem Recht jedes erwachsenen Israeliten, aus der Torah zu lesen und eine Botschaft dazu zu sagen. Der das tun wollte, stand zum Zeichen dafür auf. Der Synagogendiene bringt ihm – vielleicht auf seinen Wunsch hin - die Prophetenrolle,  jesus liest, was der Prophet Jesaja über den verheißenen Messais geweissagt hat, und er fügt den heiligen Worten noch eine weitere Verheißung hinzu: „...die Blinden sehend zu machen“, dann bricht er unvermittelt ab und setzt sich zur Predigt – wie das ebenfalls üblich war – aber seine Predigt ist unüblich kurz, sie besteht aus einem Satz, es ist die kürzeste, inhaltsreichste und

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folgenschwerste Predigt der Weltgeschichte überhaupt: „Heute ist dieses Schriftwort erfüllt vor euren Ohren“.

 

Sie wundern sich -  so wie sich schon die Menschen gewundert hatten, als die Hirten  gleich nach seiner Geburt von Jesus erzählt hatten, so wie Jesu Eltern sich über die Worte des alten Simeon gewundert hatten...

 

Sie wundern sich über ihn und sagen: Ist das nicht der Sprößling von Josef, diesem schlichten Schreiner aus unserm Ort? Erstaunlich...aus dem kann noch was werden, ein berühmter Rabbi vielleicht...

 

Und Jesus durchschaut, wie sie ihn für sich vereinnahmen wollen und sagt: Ihr erwartet, daß man vielleicht einmal sagt: Jesus, der berühmte Redner, der große Wunderheiler – in Nazareth ist er aufgewachsen, man wird vielleicht einmal zu seinem Wohnhaus wallfahrten, der Fremdenverkehr wird angekurbelt, unser Umsatz wird steigen...Nein! Stattdessen werdet ihr einmal zu mir sagen: Hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist (Lk.23, 35.37.39). - Kein Prophet gilt etwas in seiner Vaterstadt. Wißt ihr nicht aus den Heiligen Schriften: Damals - der große Elia – der stillte nicht den Hunger der Vielen, sondern nur zu einer einzigen Witwe, noch dazu einer Ausländerin, wurde er gesandt. Und sein Nachfolger Elisa: Der heilte nicht alle Aussätzigen in Israel, sondern nur einen, wiederum einen Ausländer.

 

Er stößt sie vor den Kopf: „Ich werde euren Vorstellungen nicht entsprechen, eure selbstsüchtigen Wünsche nicht erfüllen!“ Da läuft ihnen die Galle über vor Zorn, sie wollen ihn umbringen.

 

Ist das nicht so bis heute? Daß er die großen Erwartungen, die er geweckt hat, enttäuscht? Mit welch einem ungeheuren Anspruch ist er hier in seiner ersten Predigt aufgetreten: Gute Botschaft für die Armen, Freiheit für die Gefangenen, Augenlicht für die Blinden, Aufatmen, Entlastung, Trost für die Zerschlagenen...All das und mehr erfüllt sich mit meinem Kommen...

 

Und wir fragen vielleicht auch – zweifelnd, wie Johannes der Täufer (Lk.7, 18-23) –: Wo geschieht das denn überhaupt?

 

Und Jesus antwortet uns: Es ist, wie es bei Elia und Elisa war. Nicht alle werden gerettet und geheilt, so daß schlagartig die Welt von Hunger und Armut befreit wäre, daß es keine Krankheiten  mehr gäbe und keine Gefängnisse mehr nötig wären...Nicht alle...aber: Jeder! Bei jedem, der heute zu ihm kommt – bei Jedem, zu dem Er heute kommt, erfüllt sich etwas von seinem umfassenden Anspruch, erfüllt er etwas von den Verheißungen, die Gott uns mit ihm gibt. Bei jedem, der erwartungsvoll und bittend zu ihm kommt.

 

Da liegt einer in tiefer Todesnacht, und Jesus wird ihm zur Sonne. Da werde ich in einer Traurigkeit getröstet, von schwermütigen Gedanken frei, kann mit einemmal trotz aller Beschwernisse froh sein – da werde ich mit Kraft zur einzig guten Sorge, der Fürsorge, beschenkt, nehme teil an Bemühungen von amnesty international, Gefangenen Freiheit zu verschaffen, da öffne ich einem Menschen die Augen für die Wahrheit, da lindere ich Not irgendwo in Afrika durch einen Geldbetrag, da wird ein

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Wort von mir einem Menschen zum Segen...So können  wir Christen tätig sein in unserer westlichen Gesellschaft, von der ich – nach dem, was man von Kriegsvorbereitungen, den Versuchen Menschen zu klonen und nach wie vor ungebremster Habgier hört -  inzwischen glaube, daß sie weitgehend

von Dämonen  beherrscht ist. Denn wenn die christliche Glaubenssubstanz verlorengeht, dringen dämonische Mächte in die entstandenen Leerräume ein.

 

Christus wird auch in diesem Jahr nicht die Frage des Hungers in der Welt lösen und möglicherweise nicht Kriege und schreckliche Geschehnisse verhindern -  er wird uns nicht ein Leben in ungetrübtem Glück geben und auch nicht absolute Klarheit über den Sinn von allem -  aber er wird auch in diesem Jahr zu uns reden, uns Wegweisung geben und Kraft zum Guten. Eine wunderbare Hilfe dazu werden auch in diesem Jahr die Gottesdienste sein und die Losungen!

 

Welche Kraft, Tiefe, Wahrheit und Schönheit hat allein das Losungswort für heute – und wie sehr kann es das Leben eines Menschen oder auch ganzer Völker verändern, wenn es beherzigt wird -: Sprüche 16 Vers 8: Besser wenig mit Gerechtigkeit als viel Einkommen mit Unrecht.

 

Oder die tägliche Bibellese, sie beginnt in diesem Jahr mit dem Anfang der Bibel, dem Lobgesang auf den Schöpfer 1. Mose 1.  

 

Und: Das Gebet!

 

All dies kann und wird uns genug Kraft und Licht für jeden Tag geben.

 

Darum: Der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn.Amen.

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.