Gottesdienst am 11. Sonntag nach Trinitatis, 19. August 2007

in der Kirche Am Brandenbusch, Essen-Bredeney


Lieder:


Wunderbarer König...327

Herr Jesu, Gnadensonne...404

Mir ist Erbarmung widerfahren...355

Ich will dich lieben, meine Stärke...400, 4-6


Psalm 113 (Nr. 749, S. 1178f.)


Schriftlesung: Epheser 2, 4 - 10


Predigt über Lukas 7, 36 - 50:


Es bat ihn aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch.

Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl

und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl.

Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.

Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es!

Ein Gläubiger (sagte Jesus) hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig.

Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. - Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben?

Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt.

Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet.

Du hast mir keinen Kuß gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen.

Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt.

Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.

Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben.

Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt!?

Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden.


Liebe Gemeinde!


War es ein gelungener Hausbesuch bei dem Ehepaar? Ob das Gespräch etwas verändert hat? Glauben geweckt, vielleicht sogar getröstet? Ich grüble auf dem Nachhauseweg darüber nach. Wir haben über den christlichen Glauben gesprochen, es kamen Einwände gegen die Kirche, Argumente gegen Gott. Die ewige, immer neue, oft so bedrängende Frage wurde gestellt: Wie kann er das alles zulassen?! Ich sagte, was ich glaube. Ob es

2


"ankam"? Nicht nur bis ins Ohr, sondern bis ins Herz meiner Gesprächspartner? Ich sagte mir: Überlass es Gott.


War es ein gelungener Hausbesuch, den Jesus hier gemacht hat? Ist das, was er sagte - und das, was die Frau so Merk-würdiges tat - ist das "angekommen" bei Simon oder bei einem der anderen Tischgäste? Wird es ihnen die Augen öffnen? Sie nachdenklich machen? Wird einer staunen, oder gar strahlen, weil er sich so freut über das, was Jesus ihm sagte? Wie wird das bei Dir sein? Bei der Frau, da - so muss man schon sagen - war das Leben neu geworden. so. Jesus sieht sie an, und sie ihn, und sie geht, geborgen und im Frieden, nach Hause.


I


Er ist wohlhabend, gebildet, auch religiös interessiert, der Pharisäer Simon. Er hat sich einen Abend Zeit genommen, um Jesus kennenzulernen. Er will herausfinden, ob das stimmt, was die Leute sagen: Dieser Mann ist ein Prophet. Der sagt, was Gott ihm gesagt hat.


Und dann, gleich zu Beginn, dieser Vorfall, dieser Kniefall der Frau. Dass das Jesus garnicht peinlich ist, sondern ihn im Gegenteil offenbar tief bewegt und erfreut, das bringt den Simon zu der Überzeugung: Nein. Der nicht.


Stellen wir uns die Szene vor Augen: Die Frau kommt herein, jeder kennt sie, kennt ihr gottloses und böses Verhalten. Was das eigentlich war, wird übrigens nicht einmal angedeutet - ganz anders als bei uns, wo manche Medienleute Verfehlungen nur zu gern ausbreiten, damit man sich über diese Unmoral empören kann.


Die Frau kommt herein, alles blickt auf und die Gäste meinen, nicht recht zu sehen: Die Frau spricht in einer Weise, wie Worte es garnicht sagen können: Wirft sich hemmungslos vor Jesu Füße, fängt laut an zu schluchzen - weint, weint, trocknet die Tränen mit ihren aufgelösten Haaren, küsst unaufhörlich Jesu Füße; nimmt kostbares Salböl und salbt Jesu Füße. Solche Fläschchen mit sehr teurem Salböl waren in einer Zeit, in der es keine Banken oder Sparkassen gab, oft eine Art Altersversicherung oder Rücklage für Notzeiten.

Was um Himmelswillen hat bei ihr diesen Gefühlsausbruch bewirkt? Auch das bleibt Geheimnis. Aber auf jeden Fall muss Jesus das alles ausgelöst haben. Mag sein, er war ihr vorher irgendwo begegnet - und er hatte sich nicht - wie alle das taten - mit Empörung und Verachtung abgewandt , sondern hatte sich ihr zugewandt, hatte nicht auf ihre schlimmen Verfehlungen gesehen, sondern auf sie, den Menschen, die Tochter Gottes. Die Begegnung war so gewesen, dass sich in ihr alles Verhärtete, Verkrampfte, Erstarrte löste und sie weinen konnte.


Simon sieht auf die Frau herab und sieht, dass Jesus sich ihr Benehmen gefallen lässt; dass er - statt ihr die Leviten zu lesen - sich in aller Öffentlichkeit von ihr liebkosen lässt. Und damit ist klar: Ein Gottesmann ist der nicht. Zwar - als gut erzogener Mensch - kommt kein kritisches Wort über seine Lippen; aber seine Gedanken kann und will er nicht verbergen.


II


Jesus sieht ihn an und will auch ihn gewinnen; er möchte, dass auch er mit dieser Frau gemeinsam im Reich Gottes lebt.


3


Jesus war und ist ja nicht in dem Sinn parteilich, dass er für die Armen, die Gottlosen und Verachteten Partei ergreift und die Anständigen, Reichen oder Geizigen anprangert.


Bei ihm gibt's keine Schwarz-Weiss-Malerei. Sondern er sieht die Menschen so, wie die ganze Bibel sie sieht, und wie Gott selbst es am Ende der Sintflutgeschichte in einem Satz zusammenfasst: "Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend

auf" (1. Mose 8, 21b). Wobei man wissen muss: Das hebräische "Wort für "böse" bedeutet das, was dem Leben schadet; das Wort für "gut" das, was dem Leben dient. Und das ist nun mal so bei jedem von uns: Solange wir ichbezogen sind und Gott allenfalls den zweiten oder dritten Rang in unserem Leben einräumen, verhalten wir uns so, dass es dem Leben schadet: Dem eigenen Leben wie dem Leben Anderer. Aber Jesus sagt einmal - und für mich ist das ganze Evangelium in diesem Satz (Joh. 10 Vers 10b) enthalten: "Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben". Er ist gekommen, um uns und jeden Menschen dafür zu gewinnen und dazu zu befreien, im Reiche Gottes zu leben, nämlich im Hören auf Gott, im Beherzigen des Evangeliums - und dann in Fülle zu leben und das zu sagen und zu tun, was dem Leben dient.


III


Und dazu erzählt er nun dem Simon und uns ein Gleichnis und sagt: Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war - sagen wir's übertragen - 50.000 Euro schuldig, der andere 5000. Weil keiner bezahlen konnte, schenkte er beiden alles.


Das ist die ganze Wahrheit über unser Leben. Vielleicht seid Ihr in den Gottesdienst heute noch hereingekommen mit allerhand Anfragen an Gott, mit Ansprüchen und Fragen an ihn: , Ich kann, mein Gott! diese ständigen schlimmen Nachrichten nicht mehr aushalten; vor allem kann ich nicht mehr glauben, dass du die Liebe bist. Oder: Du erhörst meine Gebete ja garnicht. Du scheinst dich nicht um mich zu kümmern, und um deine Schöpfung und um Gerechtigkeit für die Menschen auch nicht. - Wir setzen Gott auf die Anklagebank. Er der Schuldner, wir die Gläubiger. Jesus sagt: Ich kann all eure Fragen und Bedrängnisse nur zu gut verstehen. Er selbst ist ja mit einer Frage an Gott, mit einem zu Gott hin geschrieenen Warum? gestorben. Aber im Leben und im Sterben hat er daran festgehalten: Immer ist Gott der Gläubiger und der Mensch der Schuldner. Erinnern wir uns an das 1. Gebot, in Luthers genialer Erläuterung: Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Tun wir das? Oder, wie Luther auch einmal sagt: Woran du dein Herz hängst und worauf du vertraust, das ist dein Gott. Woran hängt unser Herz? Gott? Oder Geld? Ich vermute: Beides. Ein Sowohl - Als auch. Aber Jesus sagt einmal (Matth. 6,24): Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld. Hier geht es um ein Entweder- Oder. Denn Beide beanspruchen uns ganz.


Wir sind Schuldner Gottes. Nur wer das einsieht, dem öffnet sich eine Tür, die in die Freude und in die Weite führt. Denn jetzt erst beginnen Worte wie "Gnade" und "Sündenvergebung" real zu werden, und es vergeht einem alle Vermessenheit, mit der wir Menschlein, wir Geschöpfe, Gott zum Diener unserer Wünsche machen und ihn nach unserm Bilde formen, sondern wir lernen Ehrfurcht vor dem un-begreiflichen Gott, der war, ehe etwas war, und es vergeht einem alle Selbstverständlichkeit, mit der manche Christen so schnell und selbstverständlich von der Liebe Gotes reden.


Nicht wahr, wenn wir in die Bibel schauen: Die Großen der Bibel sprechen von Ihm und zu Ihm immer in großem Vertrauen, aber zugleich immer auch in Ehrfurcht und Demut, ja mit Furcht und Zittern. Und die Propheten sagen oft (Jes.29,16; 45,9; 64,7; Jer. 18, 2ff.; vgl. Klagel. 4,2) - und Paulus greift es auf (Römer 9,20f.): Gott ist der Töpfer, wir Menschen

4


sind der Ton, der Lehm, den er formt, wie er es in seiner Weisheit für gut für uns hält. Oder, wie Jesus hier sagt: Er ist und bleibt der Gläubiger, wir seine Schuldner.


IV


(a) Einerseits: Ungleiche Schuldner. Der eine schuldet zehnmal so viel wie der andere. Also: Jesus würdigt das durchaus, was den Simon - der ja zB 10% seines Einkommens regelmässig für Bedürftige abgibt - positiv von der Frau unterscheidet; er würdigt das, was dich und mich zum Beispiel von einem Mörder unterscheidet. Gott sieht schon das Gute in unserm Leben. Und wird das auch im Jüngsten Gericht würdigen. Wir werden nach unseren Werken gerichtet werden.


(b) Aber eben - Gott sei Lob und Dank - nicht aufgrund unserer Werke. Sie sind nicht entscheidend für das Urteil über uns. Denn darin sind beide Schuldner nun doch gleich, dass Beide nicht bezahlen können. Um Paulus zu zitieren: Wir Menschen sind "allesamt Sünder und ermangeln des Ruhms, den wir bei Gott haben sollten...". Aber nun geht es ja gleich jubelnd weiter bei ihm:" ...und werden ohne unser Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist" . "Er schenkte es beiden", wie Jesus hier von dem Gläubiger sagt. Oder, wie das Wort im griechischen Urtext bezeichnenderweise lautet: Er begnadigte beide.


Und das, was Jesus jedem von uns am Kreuz erworben hat, das benennt er schon in diesem Gleichnis, dieser Geschichte. Sie enthält die wichtigste Wahrheit der gesamten Menschheitsgeschichte; die entscheidende Wahrheit über jedes Menschenleben. Ob der Pharisäer das erkannt hat - und zwar so, das es ihm ins Herz fuhr? Vielleicht. Oder auch vielleicht später einmal, als er sich daran erinnerte; vielleicht gar erst in der Sterbestunde...Da erinnerte er sich daran, und es war nicht zu spät. Dankbarkeit und Freude zog in sein Herz ein und er konnte in Frieden sterben.


V


Hier in unserer Geschichte hat Simon es zumindest mit dem Kopf schon verstanden. Denn auf Jesu Frage hin: Wer von beiden wird nun den Gläubiger am meisten lieben? antwortet er, logisch richtig: Nicht der mit der relativ geringen Schuld, nicht der, der immer ehrbar und anständig gelebt hat, sondern der, dem seine Schuld immer vor Augen steht, der vielleicht jetzt in einer Zelle hockt und damit leben muss, dass er einen Menschen ums Leben gebracht hat. Darum hat übrigens der große Theologe Karl Barth am liebsten in d er Baseler Gefängnisanstalt gepredigt. Er dachte: Die Gefangenen verstehen das Evangelium von der Vergebung der Sünden vielleicht besser als die, die sich frü anständig halten.


Und so wendet sich Jesus eben hier auch der Frau zu und sagt dann zu Simon: Sieh die Frau an. Ich kam in dein Haus: Du liessest mir kein Wasser bringen, damit ich meine Füsse reinigen und erfrischen konnte. Sie aber hat meine Füsse mit ihren Tränen benetzt und ihrem Haar getrocknet. Du gabst mir keinen Begrüssungskuss. Sie aber konnte garnicht aufhören damit, mir die Füsse zu küssen. Du salbtest mein Haupt nicht mit Öl, um mich zu ehren, sie aber hat ihr kostbares Salböl gegeben, um meine Füsse zu salben. Darum sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.


Wie stehen wir jetzt da? Stehe ich, der Pfarrer, und ihr, die treuen Kirchgänger, vielleicht vor Gott ärmer da mit unserer vielleicht blassen Erfahrung von Schuldvergebung, ärmer als irgendein böser Mensch, der vielleicht überwältigend erfährt: Gott hat mein ganzes langes

5


Schuldregister einfach zerrissen?!


Wir sehen hier - wie oft bei Jesus - die Umkehrung. Die Umkehrung unserer Maßstäbe und Gedanken; unserer Maßstäbe in der Beurteilung von Menschen und unserer Gedanken

über Gott. Da wird der Reiche arm und die Arme reich; der Fromme ist in Gefahr draussen zu bleiben und die verworfene Frau darf hinein: In die Freude, in den Frieden, ins Reich Gottes. Denn für sie ist das ja hautnahe Realität geworden, was wir gleich singen werden: Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert.


VI


Und wenn wir das auch gleich ganz bewusst singen, dann bedeutet das für unser weiteres Leben dreierlei:


- Wir werden in Zukunft nicht mehr so sehr und in erster Linie von uns aus zu Gott hin

denken, sondern wir werden unseren Blick zuerst auf Gott und damit auf die Gnade richten und damit eine neue Blickweise überhaupt bekommen. Gnade ist ja, wie einmal jemand

formuliert hat: "alles, was uns froh macht, ohne dass wir uns selber darum bemühen". Wir werden dann vieles in unserm Leben, in der Schöpfung, in der Begegnung mit anderen Menschen entdecken, was uns froh werden lässt und mit Dankbarkeit erfüllt. Und: Wir werden das auch äussern, unsere Freude, unsere Dankbarkeit Gott und Menschen gegenüber äussern - bis dahin, dass sich das auch einmal in einem ganz hemmungslosen Schluchzen äussern kann.


Weiter: Wenn uns klar ist, dass Gottes Vergebungsbereitschaft keine Grenzen kennt, dann wird sich das auf unsere Ehe und den Umgang mit Menschen überhaupt auswirken. Es

kann keine Schuld geben - wenn sie nur zugegeben und ausgesprochen wird! - die wir nicht mehr vergeben könnten.


Und drittens: Es hört alles Vergleichen auf, dieses insgeheime oder auch offen geäusserte: Ein bisschen besser als "die da", "der da" bin ja nun doch. Sondern wir sehen "den da", "die da" in dem Wissen an: Auch für ihn ist Jesus gestorben, und ihr gilt die Liebe Gottes genauso uneingeschränkt und unverdient wie mir.



Dein Glaube hat dir geholfen; wörtlich: hat dich gerettet, sagt Jesus der Frau. Das also ist Glaube: Jesus liebhaben und das auch äussern. Das ist Glaube: Reich sein an Liebe aufgrund der Erfahrung der Schuldvergebung. Und: Geh hin in Frieden, sagt er; wörtlich: Geh hinein in den Frieden, dem vollkommenen Frieden entgegen.


Dieser Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen