Gottesdienst in Essen - Werden am Sonntag Sexagesimae, 15. Februar 2009


Lieder:


Tut mir auf die schöne Pforte...166, 1 - 4

Wir strecken uns nach dir...664

Wir pflügen und wir streuen...508, 1 + 2

Herr, die Erde ist gesegnet...512, 6


Psalm 63 (Nr. 729 S 1160)


Schriftlesung: Jesaja 55, 6 - 13


Predigt zu Lukas 8, 4 – 8:


Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis:

Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen's auf.

Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte.

Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten's.

Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!


Liebe Gemeinde!


„Türbokühe“ werden sie genannt. Was für ein Ausdruck! Oder auch „Hochleistungskühe“. Ich las vor zwei Wochen in der Wochenzeitung „Die Zeit“ einen Artikel über sie. Sie erhalten 50.000 Kilokalorien sog. Kraftfutter pro Tag, ihnen werden täglich 50 bis 60 Liter Milch abgezapft, sie sind darauf hin gezüchtet, in ihrem Leben mindestens 100 Tonnen Milch produziert zu haben. Beseelte Geschöpfe Gottes, die als lebende Produktionsmaschinen benutzt werden.


Und auch sonst in der Landwirtschaft: Bauern, wie wir sie von früher kennen, gibt’s eigentlich nur noch im Fernsehen: „Bauer sucht Frau“. Die EU-Richtlinien dagegen verlangen eher Agraringenieure . Da geht’s um exakte Kalkulation, computermässig errechnete Saatmengen, schädlingsresistentes Saatgut, höchsten Effekt und maximalen Ertrag.


Immer schneller, immer größer, immer mehr““: Das sind Kennzeichen auch der heutigen Landwirtschaft. Aber dieses „immer mehr, immer höher, immer größer, immer schneller“: Das kennzeichnet ja unsere gesamte Lebenshaltung – nicht nur bei rasenden Verkehrsministern.


Allerdings: Die Erfahrung zeigt – und zu befürchten ist: Was sich selbst – immer mehr, immer mehr - aufbläst und aufbläht, das platzt früher oder später, es stürzt in sich zusammen, zerstört sich selbst – nur leider oft begleitet von lautem Knall; von furchtbaren Katastrophen.

I

2


Darum ist es dringend notwendig und wir tun gut daran, Jesu Aufruf: „Wer Ohren hat zu

hören, der höre“, zu befolgen und das zu beherzigen, was Jesus von diesem Sämann

sagt. Der verhält sich völlig anders. Ruhig und gelassen, großzügig und

verschwenderisch streut er aus. Streut – wie das zur Zeit Jesu üblich war - breitwürfig aus, überall hin.


Allerdings: Es konnte sein, dass Menschen die Saat zertraten. Oder eine ganze Vogelschar beobachtet den Sämann - kaum ist er weg, sausen sie hin und picken die Körner auf. Für manche Saatkörner ist der Boden zu hart, als dass Leben aufwachsen kann. Und bei den Saatkörnern, die zwischen die noch kleinen Distelpflänzchen gerieten, ist es so, wie es im Leben allgemein so ist: Die Disteln und Dornen wurzeln tief, sind robuster und rücksichtsloser, nehmen dem zarten Saatgut Licht und Luft weg und ersticken das Leben.

Wie vielfältig sind also die Widrigkeiten. Aber Jesus, der das absolut realistisch sieht und beschreibt, der sagt: Und doch! Trotz allem! Einiges wird aufgehen, wird wachsen und reifen und hundertfachen Ertrag bringen.

Und gerade so, sagt Jesus uns, ist das mit der Verkündigung vom Reiche Gottes.

II


Und ich muss schon sagen: Ich empfinde dieses Gleichnis Jesu als eines der tröstlichsten und ermutigendsten überhaupt. Denn die Widrigkeiten und Widerstände sind ja in der Tat nur zu offensichtlich und wollen uns manchmal verzagt machen


Es gibt Pastoren (nicht hier in Werden!), die sind nach jahrelanger Erfolglosigkeit buchstäblich verkümmert. Und andere trauen der geduldigen Aussaat der Verkündigung nichts mehr zu und flüchten sich in Aktionismus, bis sie nicht mehr können. Und vielleicht hemmt ja auch unsere Kirchenleitung durch ihre Art von Personalpolitik die Aussaat des Reiches Gottes.


Aber blicken wir auf uns selbst. In uns selbst stecken ja auch alle möglichen Widerstände und Wachstumshemmnisse gegen die Reich-Gottes-Verkündigung. Auch bei jedem von uns kommt es schon mal vor, dass das Herz ganz versteinert und verhärtet ist. Oder Gedanken und Einflüsse wuchern hoch, die ersticken den Glauben an Gott, das Zutrauen zu Christus.


Hinzu kommt: Bei den Predigten - aber auch sonst – hören wir ja oft nur das, was wir gern hören wollen und was uns bestätigt. Und: Auch wenn wir die Ohren spitzen und Gottes Wort aufmerksam hören – wie schwer hat es Jesus, uns dann auch zu einer

Änderung unseres Verhaltens, zum Tun seines Wortes zu bewegen – vollends bei Worten wie diesen: Tut Gutes denen, die euch beleidigen. - Ihr könnt nicht Gott dienen und dem

Mammon.- Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen.


III


Und dennoch! Trotz aller Widrigkeiten sagt Jesus unbeirrt: Die Verkündigung vom Reiche Gottes, dem Reich seiner Liebe und seiner Befreiung, seiner Gerechtigkeit und seines Friedens, der Freude, die er weckt, und des Trostes, den er schenkt: Sie bringt reiche

3


Frucht. Wir Menschen – so wie wir sind – würden sagen: 75 Prozent unnütz vergeudet. Jesus aber sagt: Welch reicher Ertrag am Ende. Hundertfach!


Und: Wenn Du auf Dein Leben blickst: Hat Jesus da nicht auch reiche Frucht gebracht?


Es ist wie bei dem Mohnbeet: Ein Mohnfeld , das die Künstlerin Sanja Ivécovič zur „Dokumenta“ - Ausstellung 2007 in Kassel vor dem Fridericianum schuf. Meine Frau und ich sahen dieses Mohnfeld im August 2007: Eine unfasslich schöne Blütenpracht, man konnte nur staunen und staunen...Über die Vorgeschichte gab es eine Reihe von Artikeln in der Regionalzeitung, der „Hessischen Allgemeinen“, die in einer Dokumentation zusammengefasst wurden.


Am Anfang: Scheinbare Vergeblichkeit. Ende April wurde das Projekt „Ein Mohnfeld auf dem Friedrichsplatz“ begonnen. Der Platz wurde umgegraben, gewalzt, dann wurde gesät. Aber was dann erstmal wuchs und gedieh, das waren die Tauben, die in Scharen

einflogen und freudig pickten. Um dem Mohnsamen überhaupt eine Chance zu geben, wurden Studierende angestellt, die den Platz bewachen sollten.


Aber wie sollten sie den Taubenfraß verhindern!? Vertreibt man die Tauben an einer

Stelle, flattern sie 30/40 m weiter und picken da. Eilt man dorthin, kommen sie dahin zurück, wo man war. Eine Mischung aus „Hase und Igel“ und Sisyphus. Die Zeitung schrieb: Am effektivsten sei eine Studentin gewesen, die ihren Hund mitbrachte und mit ihm über den Platz hetzte.


Ende Mai berichtete die Zeitung mit einer Mischung aus Süffisanz und Mitleid über das Projekt. Die Bürger standen davor und führten Gespräche mit dem Tenor: Was soll das, hier ein Mohnfeld auszusäen, wo sowieso das meiste weggepickt wird...Die Meinung schwankte zwischen amüsiert bis: Diese Frau hat doch einen Vogel. Als die Documenta Anfang Juni eröffnet wurde, sah das Feld aus wie ein verkrauteter Fabrikhof in einer Industriebrache. Von Mohn nichts zu sehen.


Und dann: Eine erste Mohnblüte: Klein und schön. Sie war auf der Titelseite der HNA, auch in überregionalen Zeitungen wurde diese Blüte gefeiert.


Dann blühten mehr und mehr Mohnblumen auf, und schliesslich: Wieder ein Bild in der

Regionalzeitung: Ein Meer von roten Blüten! Und die Menschen stehen davor und leben

selbst geradezu auf, und viele fotographieren... Zudem entdeckte ein Biologe mehr oder weniger zufällig in dem Mohnfeld mehr als 70 weitere Blumen- und Pflanzenarten -

darunter extrem selten gewordene wie die „Kleine Wolfsmilch“, die zwischen dem Meer

von Mohnblüten auftauchten: Entweder – so eine Vermutung – war der Samen beim Umgraben des Feldes aus dem tieferen Boden an die Oberfläche gebracht worden – oder:

War er von den Tauben und anderen Vögeln dorthin gebracht worden – Vogeldünger gleich mitgeliefert!?


Die Künstlerin hatte bewusst Mohn ausgesät: Mohnblumen kann man nicht pflücken. Ich habe das früher ein paarmal versucht – nur wenige Minuten und die Pracht ist dahin. Sie klatschen zusammen.

IV


Das Mohnbeet illustriert, wie es mit dem Reich Gottes ist. Der Anfang ist unscheinbar,

4


anderes scheint stärker zu sein. Zum Wachstum des Reiches Gottes gehört Geduld, es braucht Zeit. Und: Das Leben im Reich Gottes, also unter der Regierung Jesu, das ist keine „machbare“, gleichsam konservierbare, „feststellbare“ Form von Leben, es ereignet sich, es geschieht. Sein Kennzeichen ist der still und stetig strömende Segen.


Einer meiner theologischen Lehrer, Claus Westermann, hat dazu dies geschrieben (In: Gefährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel, 1993. S 102):


Wenn wir gut auf das Gleichnis vom Sämann hören, wird uns die übliche Sicherheit vergehen, mit der es vorschnell auf eine Bedeutung eingeengt wird, nämlich auf das Säen und Wachsen des Wortes Gottes. Wir werden begreifen, dass Jesus hier von einer Kraft des Wachsens spricht, die viel umfassender ist, einer Kraft, die alles Lebendige umfasst, von der stetig wirkenden stillen Segenskraft des Schöpfers, für die das Wachsen der Saat auf den Feldern immer noch, nach Jahrtausenden, das eindrücklichste und

sprechendste Beispiel ist. Wir werden begreifen, dass hier von einer Kraft die Rede ist, die der Mensch nicht in der Hand hat. Einer Kraft, in deren Wirken der Mensch zwar in hohem Maße störend und zerstörend eingreifen, die er aber nicht ersetzen kann, nicht mit seiner Technik, nicht mit seiner Chemie, nicht mit seiner Wissenschaft. Er wird begreifen, dass dem Wirken dieser Kraft gegenüber die einzig gemässe Haltung die der Ehrfurcht ist


Ja. Und das bedeutet dann: Das Seine tun – und dann die Dinge wachsen, blühen, reifen lassen.So leben, wie es Amos Comenius als seinen Wahlspruch formuliert hat: Omnia sponte fluant, absit violentia rebus. Alles fliesse von selbst, Gewalt sei den Dingen fern. Den Dingen ihren Lauf lassen. Nicht gewaltsam nachhelfen, sie beschleunigen, verstärken, „in den Griff kriegen“ wollen. Sondern wachsen lassen, Zeit lassen. Das gilt für den Glauben, für die Liebe, für die Kindererziehung, für den Umgang mit der Schöpfung, für den Umgang mit uns selbst.


Wir tun das Unsrige. Segen und Gedeihen liegt bei Gott.


Ein Beipiel: Hin und wieder halte ich Bibelstunden im Johannesheim in der Innenstadt.


Vor drei Wochen sprach mich beim Verabschieden eine 92jährige an, Frau Haider,

hellwach, sehr bibelkundig, wie sich während der Bibelstunde zeigte. Sie gab mir solch ein Heftchen mit dem Titel „Sind Sie ein ehrlicher Zweifler...?“.Sie sagte: Sie habe dies

schreiben müssen. Seither verteilt sie es an Interessierte. Ich sah es mir an und sagte: Ich habe demnächst über das Gleichnis vom Sämann zu predigen. Wenn ich Ihren Text

gut finde, verteile ich es. Vielleicht schafft Gott solchen Samenkörnern ungeahnte Frucht. Nun, ich finde den Text gut. Dort liegen sie, die Saatkörner. Wer will, nehme eins oder

mehrere mit.


V


Liebe Gemeinde! Beim Schreiben der Predigt merkte ich immer mehr: Wie sehr entlastet

uns dieses Gleichnis! Es richtet im Grunde unser Augenmerk ganz weg von uns – ganz hin zu Jesus. Er sagt: Das wird so sein, das ist ganz unausbleiblich, dass auf die Ausaat hin auch Wachstum und reicher Ertrag folgt. Übrigens auch und vielleicht gerade da, wo einer denkt: Ach, du hast durch all dein Predigen nichts bewirkt

5


Und wenn wir das wirklich hören und gelten lassen, was er uns sagt, dann brauchen wir eben nicht mehr so sehr auf das zu hören, was wir selbst uns sagen oder andere uns sagen. Wir werden befreit davon, unsere Arbeit im Reich Gottes nach menschlichen Maßstäben von Erfolg und Mißerfolg zu messen oder zu beurteilen. Brauchen dann nicht mehr zu sagen: Wir als Kirche sind eben doch auch ein ganz ansehnlicher Dienstleistungsbetrieb, seht unsere Diakonie und unsere Werte und dies und das. Stattdessen können wir dazu stehen, dass wir einen als Herrn haben und verkündigen, dessen Herrschaft für menschliche Sichtweisen verborgen ist. Wir werden befreit zu einer Hoffnung, die sich ganz auf Ihn richtet.




Napoleon soll auf der Insel St. Helena gesagt haben: Die Weltreiche kommen und gehen, nur das Reich dieses armen Nazareners überdauert sie alle.


Und Vincent van Gogh hat einmal einen Sämann gemalt - für mich eine der schönsten

Auslegungen dieses Gleichnisses. Der Sämann tut das Seine, er streut aus, ganz selbstvergessen. Hinter ihm aber – und darauf wird der Blick vor allem gerichtet - leuchtet eine große wundervolle Sonne.


Wir tun unsere Arbeit im Licht der aufgehenden Sonne. Amen