Gottesdienst zum Sonntag Oculi

am 5. März 1999 im  Wohnstift Augustinum und im Arkanum

(Pfarrer Martin Quaas)

 

Eingangslied: Nun aufwärts froh den Blick gewandt...394

Eingangspsalm: Ps. 68, 6 - 7

 

Schuldbekenntnis:

 

Lieber Vater im Himmel, wie gut wäre es für uns, wenn wir so leben könnten, wie wir es eben gesungen haben: Immer aufwärts zu dir hin zu blicken, unbeschwert vorwärts zu gehen, an deiner Hand. Aber wir leben nicht so. Wir können, was Menschen uns angetan haben, nur schwer vergessen. Auch in diesen Gottesdienst haben wir so manches mitgebracht, was uns zu schaffen macht: Sorgen um unsere Zukunft und Groll auf einen Menschen. So manches gibt es, woran unser Herz mehr hängt als an dir: Das Geld und unser Besitz, unsere eigenen Interessen und Wünsche. Wir wollen uns lieber absichern, statt ganz im Vertrauen auf deine Fürsorge zu leben. Wir werden im Blick auf die Zukunft eher von Furcht beherrscht als von Zutrauen zu dir. Aber all das, was uns bedrückt und belastet,  willst du ja nun wieder von uns haben. All das wollen wir nun bei dir abladen, um uns stattdessen aufs neue von dir mit Glauben, Hoffnung und Liebe beschenken zu lassen. Darum bitten wir dich:

Herr, erbarme dich über uns!

 

Gnadenzusage: Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich versorgen (Ps.55, 23).

 

Gebet vor der Schriftlesung (und der Predigt):

 

Lieber Herr, nun warten wir auf das, was du uns sagen willst: Uns allen hier, den Fröhlichen und den Traurigen, den Eheleuten und den Witwen und Witwern, uns,  deiner zum Gottesdienst versammelten Gemeinde, die du liebst. Gib uns, was jeder von uns gerade jetzt zu hören nötig hat und was ihm hilft. Laß nicht zu, daß von der Wahrheit deines Wortes etwas verlorengehe durch unsere Schuld. Bewege du selbst unser Herz, damit wir nichts anderes wollen als ganz dir zu gehören, der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebst und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen.                                                                        

 

Schriftlesung: 1. Könige 17, 1 – 16 (Die Witwe von Zarpat)

 

Lied: Laß mich, o Herr, in allen Dingen...414, 1 – 3

 

Predigt über Markus 12, 41 – 44 („Witwenpredigt“)

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Im großen Hof des Tempels zur Zeit Jesu, wo u.a. die Tempelschätze aufbewahrt wurden, stand auch eine Reihe von Opferstöcken. Das Geld, das man hineintat, diente der Finanzierung der vielfältigen Betriebskosten für den Tempel. Priester standen neben diesen Opferkästen, nahmen das Geld in Empfang, prüften die

 

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Währung, schrieben spezielle Zweckbestimmungen auf, und die Umstehenden sahen – anders als bei uns – oft ganz ungeniert zu, wieviel einer gab.

 

Unmittelbar bevor er vom Leidensweg Jesu berichtet und unmittelbar nachdem er eine harte Anklage Jesu gegen die Habgier der Schriftgelehrten wiedergegeben hat, erzählt der Evangelist Markus von dem Geschehen eines Augenblicks hier im Tempelvorhof. Ich lese den für den kommenden Sonntag vorgeschlagenen Predigttext (nach der Übersetzung „Die gute Nachricht“):

 

Und Jesus setzte sich im Tempel in der Nähe des Schatzhauses hin und beobachtete, wie die Besucher des Tempels Geld in die Opferkästen warfen. Viele wohlhabende Leute gaben viel. Dann kam eine arme Witwe und steckte zwei kleine Kupfermünzen hinein – zusammen soviel wie ein Groschen.

 

Da rief Jesus seine Jünger zu sich heran und sagte zu ihnen: Ich sage euch, und das ist wahr, diese Witwe hat mehr gegeben als alle anderen. Die haben alle nur etwas von ihrem Überfluß abgegeben. Sie aber hat von ihrer Armut alles, was sie hatte, hineingelegt, ihren ganzen Lebensunterhalt.

 

Es geht also, liebe Gemeinde, um einen minimalen Geldbetrag, der allerdings das ganze derzeitige Vermögen dieser Witwe ist. Und es geht um ein Geschehen von der Dauer weniger Sekunden, im Grunde um einen einzigen Augenblick. Aber welch eine Bedeutung mißt Jesus diesem Geschehen bei! Und: Welch eine Bedeutung mag diese unscheinbare Tat der Witwe seither – durch die ganze Kirchengeschichte hindurch – für das Leben unzähliger Menschen gehabt haben!

 

Wir sehen auch hier wieder: Wir sollen nur ja nicht gering denken von einer ganz unscheinbaren Tat – sie kann unabsehbare Wirkung und Bedeutung gewinnen!

 

Und auch sonst stellt dieses Geschehen  all unsere üblichen Maßstäbe und Denkgewohnheiten auf den Kopf. Nicht wahr: Wir sind gewohnt zu denken: Wer arm ist, der ist eben auch „arm dran“, man muß ihm helfen. Hier aber hören wir: Eine Frau, die so gut wie nichts hat, hat viel zu geben! Wir meinen: Wer schwach ist und alleinstehend, der ist eher zu bedauern. Bei dieser Witwe aber sehen wir: Hier ist Gottes Kraft in einer Schwachen mächtig. Wir denken: Wer Großes bewirken will,  der muß „wer sein“, muß Einfluß, Titel, Bildung und vor allem Finanzen haben. Hier aber mißt Jesus der geringen Spende einer Witwe höhere Bedeutung bei als hohen Geldbeträgen vieler Reicher zusammen. Und schließlich auch: In unserer Gesellschaft – und auch oft in unserer Kirche – da achten und beachten wir doch eher Frauen, die jung und hübsch sind, cool und clever , so wie die Top – Journalistinnen im Fernsehen oder die covergirls der Illustrierten. Jesus aber richtet  

unser Augenmerk auf eine Witwe.

 

Auf eine Frau also, die den Mann verloren hat, die also den Verlust kennt, den Tod, die Trauer, die Verlassenheit und die Armut. Finanzielle Absicherungen gab’s damals ja kaum: Keine Versicherung, keine Altersversorgung, kein Ruhegehalt, keine Rente. Oft war auch niemand da, der die Witwe schützen konnte vor Willkür und

 

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Ausnutzung. Sie war oft ganz allein auf sich gestellt. Allerdings: Eben darum stehen die Witwen nach der Bibel unter dem ganz besonderen Schutz Gottes. Immer wieder

sagt die Bibel: Bei Gott sind sie hoch angesehen, Gott achtet und behütet neben den Fremdlingen und den Waisen auch gerade sie, die Witwen.

 

Aber noch etwas fällt in der Bibel an ihnen auf: Die Witwen dort sind immer wieder für Überraschungen gut. Da ist,  in der Frühzeit Israels, gleich zu Anfang der Geschichte von Josef und seinen Brüdern, die Witwe Tamar (1. Mose 38). Auf höchst unkonventionelle Weise (nämlich verkleidet als Tempelhure) schafft sie es, bei ihrem Schwiegervater Juda ihr Recht zu erreichen. Da ist Naomi, die Schwiegermutter der Ruth. Ihr Mann und beide Söhne sterben ihr, aber wie tapfer geht sie ihren Weg: Durch Trostlosigkeit hindurch zu neuem Segen! Und Ruth selbst, die ja auch Witwe war: Auch sie setzt sich souverän über bestimmte Regeln des Anstands hinweg, legt sich zu ihrem entfernten Verwandten Boas aufs Lager und das Kind, das geboren wird, wird ein Ahnherr Davids und Jesu. Da ist die Witwe von Zarpat (wir haben von ihr in der Lesung gehört): Sie teilt mit ihrem Sohn und dem Propheten Elia das Letzte, was sie zu essen hat – und o Wunder: Mehltopf und Ölkrug werden nicht leer (1.Könige 17).

 

Oder da ist Rizpa, die Witwe des unglücklichen König Saul. Mit ihrer Totenwache bei den Leichnamen ihrer Söhne protestiert sie gegen sinnlos getötetes Leben und erweicht steinerne Herzen (2. Sam.21). Und die schöne Witwe Judith: Sie geht ins feindliche Lager, verführt den lüsternen Feldmarschall Holofernes, schlägt ihm den betrunkenen Kopf ab und befreit ihr Volk von Tyrannei. Da ist im Neuen Testament die hochbetagte Prophetin Hanna, geistesgegenwärtig und geisterfüllt: Sie ist so oft wie möglich im Tempel und betet treu und beharrlich (Lukas 2, 36 f.). Und da erzählt Jesus von dieser wunderbar hartnäckigen Witwe, die dem korrupten Richter das Haus einrennt und nicht aufhört, auf ihr Recht zu pochen, bis sie es durchgesetzt hat (Lukas 18).

 

Witwen in der Bibel: Das sind Frauen, schwach, benachteiligt, schutzlos, ohne viel Vermögen und dennoch – oder gerade darum – starke Frauen. Sie zeigen uns etwas von der Wahrheit, die Paulus einmal in die Worte kleidet: Was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist (1. Kor.1,27). Sie sind in besonderem Maße Helfershelfer des Gottes, der die Gewaltigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhebt, die Hungrigen mit Gütern füllt und die Reichen leer ausgehen läßt (Lukas 1,52 f.).Sie zeigen uns: Es gibt Segen nicht nur im Sinne von Wohlergehen und Wohlstand, sondern auch und vor allem Segen für die und von denen ausgehend, die tief unten sind.

 

Witwen in der Bibel: Sie sind anschauliche Beispiele für die Wahrheit, daß Leiderfahrungen und schwere Stunden, so bitter sie sind, dennoch Geburtsstunden werden können, aus denen Neues, Gutes, Segensreiches erwächst: Eine innere Freiheit, eine Freigebigkeit, eine aus aktivem Gottvertrauen herrührende Großzügigkeit -  so wie bei der Witwe in unserem Text, die fast nichts hat und doch  so viel zu geben hat, wie Jesus sieht.

 

Vorher allerdings sieht Jesus ja noch etwas Anderes: Er „beobachtete, wie die Besucher des Tempels Geld in die Opferkästen warfen. Viele wohlhabende Leute

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gaben viel“. Jesus beobachtet also, was die Leute geben. Völlig ungeniert sieht er zu. Und wir können sagen: Auch unser Umgang mit Geld vollzieht sich unter den

indiskreten Blicken Jesu. Mit wieviel Geheimniskrämerei umgeben wir das Geld. Welch ein Tabu ist es bei uns, wieviel einer verdient oder gibt. Übrigens das einzige

Tabu, das in den Medien so gut wie unangetastet bleibt. Wie anders ist das in der Bibel. Da wird offen über das Geld geredet. Vor allem Jesus redet auch da eine deutliche Sprache. Wehe euch Reichen! (Luk.6, 24). Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher ins Reich Gottes kommt (Mark. 10, 25). Ihr könnt nicht Gott dienen und zugleich dem Mammon  mit seiner dämonischen Macht (Matth. 6, 24). Also sammelt euch nicht Schätze auf Erden (Matth. 6, 19). Klare Worte!  In der Geschichte des Christentums haben sich wohlhabende Christen zwar immer wieder die größte Mühe gegeben, diese Worte zu entschärfen. Aber es ist eindeutig: Es besteht nun mal ein direkter Zusammenhang zwischen materiellem Reichtum und kargem Glauben, zwischen der großen Macht, die einer dem Geld zugesteht und  

der geringen Macht, die er Gott einräumt, zwischen großem Zutrauen zu dem, was Geld vermag und wenig Zutrauen zu dem, was Jesus kann.

 

Auch unser Umgang mit Geld vollzieht sich unter den Augen Jesu. Er sieht, was wir geben. Und vor allem sieht er, w i e  wir geben.

 

Die Leute damals sahen, was vor Augen ist: Viele Reiche legen viel ein. Manchmal ließ man bei großen Beträgen sogar die schofarhörner blasen: Alles lief zusammen und bestaunte den hochherzigen Geber. Jesus aber sieht das Herz an. Er sieht das Herz dieser Frau. Sie gibt alles, was sie derzeit hat. Sie gibt sich aus der Hand, vertraut sich ganz Gott an. Sie lebt das, was wir eben gesungen haben: „Dein, Herr, ist alles, was ich hab und bin“ (EG 414, 1).

 

Jesus sagt nicht zu seinen Jüngern: Werdet arm! Er sagt auch nicht: Wie gut wäre es, wenn ihr wie diese Witwe werden könntet. Er fordert zu nichts auf. Er fordert nichts. Er liebt jeden von uns, wie er ist.

 

Aber zweierlei höre ich doch aus diesem Geschehen heraus. Einmal das überaus Wichtige und Tröstliche: Dein unscheinbares Tun – ein einziges Wort, das Tun eines Augenblicks -  es kann unabsehbare Bedeutung haben, wenn es aus Glauben kommt. Also denke nicht gering von deiner kleinen Kraft, deinen begrenzten Möglichkeiten, deinem unscheinbaren Tun im Alltag.

 

Und weiter sagt mir diese Geschichte: Der, der in seinem Leiden und Sterben sein Leben ganz für mich hingab – der kann das: Mein Leben befreien, mich in einer wunderbaren Weise sorglos machen, vertrauend, freigebig, großzügig.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre dein Herz und all deine Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.

 

Lied: Ich singe dir mit Herz und Mund...324, 15 - 18

 

Fürbitten – Vaterunser - Segen

 

 

Gottesdienst am Sonntag Oculi, 7. März 1999

Frühgottesdienst Rellinghausen (Pfarrer Martin Quaas)

 

Lieder:

394/ 82, 1 – 4/ 324, 15 – 18/ 414, 1 – 3

Psalm: Phil. 2, 5 - 11  

Lesung: 1. Könige 17, 1 - 16

Wochenspruch: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes (Lukas 9, 62)

 

 

Predigt über Markus 12, 41 – 44: Einladung zur Sorglosigkeit

 

 

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein.

 

Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig.

 

Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben.

 

Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluß eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

(Lutherübersetzung)

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Von dem jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber gibt es ein Buch:  „Erzählungen der Chassidim“. Darin hat er Anekdoten und Erzählungen von frommen osteuropäischen Juden gesammelt. In einer von ihnen heißt es:

 

Rabbi Michael lebte in großer Armut, doch verließ ihn die Freude nicht für eine Stunde. Einst fragte ihn jemand: Rabbi, wie betet ihr nur jeden Tag: Gesegnet sei, der mir alles, dessen ich bedarf, gewährt? Es geht euch doch alles ab, was ein Mensch braucht. Und er antwortete: Sicherlich ist, wessen ich bedarf, eben die  Armut, und die ist mir ja gewährt“.

 

Der Mann hat Humor. Und er meint offenbar wirklich, was er sagt. Wie kommt das nur, daß einer mit seiner Armut zufrieden ist und sogar noch von Freude erfüllt? Uns erscheint das sicher seltsam und merkwürdig.

 

Und doch klingt in dieser Erzählung all das an, wozu auch unser Predigttext uns jetzt locken will: Frei werden von Sorgen, zufrieden werden, sich der Fürsorge Gottes anvertrauen...

 

 

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Also: Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Tempelplatz. Dort standen 13 große  trichterförmige Opferstöcke. Die Pilger taten Geld hinein. Es diente dazu, den Tempelbetrieb aufrecht zu erhalten.

 

Priester standen neben den Opferstöcken. Sie prüften die Geldwährung. Juden aus aller Herren Länder kamen ja, vor allem zum Passafest, nach Jerusalem. Man sagte,

wofür konkret die Gabe dienen sollte. Die Umstehenden sahen und  hörten ungeniert mit, wieviel und wofür einer gab. Bei besonders hohen Geldbeträgen wurden sogar die Tempeltrompeten, die schofarhörner,  geblasen. Alles lief zusammen und bestaunte den großzügigen Geber.

 

Der Umgang mit Geld war nicht so tabuisiert wie bei uns. Man „zeigte“ seine Opferbereitschaft. Es ging auch nicht so dezent zu wie bei  uns mit dem Klingelbeutel, wo man allenfalls am Rascheln merken kann, ob einer wenig oder mehr gibt. Und abends werden die Priester die Kollekten gezählt haben – so wie wir’s im allgemeinen auch tun: Erst die großen Scheine und Geldstücke, zuletzt die Pfennige. Bei großen Kollekten werden sie sich gefreut haben – so wie das bei uns auch ist.

 

Und nun mitten im Trubel auf dem Tempelplatz eine Witwe. Das hieß damals: Eine Frau ohne Versorgung und Schutz durch einen Mann. Sie gibt, was sie hat. Sie gibt ihre ganze derzeitige Habe: Sie sieht ihre Armut offenbar nicht als Mangel. Sie denkt:

Gott wird schon weiterhin sorgen. Sie schenkt im  Grunde mehr als ihre zwei Geldmünzen. Sie schenkt Gott ihr Vertrauen. Sie hat vielleicht halblaut und lächelnd vor sich hingesagt: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

 

Die Priester werden das alles wohl nicht bemerkt haben. Sie sehen, was vor Augen ist. Jesus aber hat‘s gesehen. Er sieht das Herz an. Er ruft die Jünger und macht sie auf das Geschehen aufmerksam. Er sagt: Sie hat  mehr als alle anderen eingelegt. Die andern gaben etwas – oder auch viel – von ihrem Überfluß. Sie gab von ihrer Armut alles, was sie zum Leben hatte.

 

Eine winzige Begebenheit. Ein Geschehen von ein paar Augenblicken. Und doch so wichtig. Und überaus wirkungsvoll! Vielleicht auch von großer Bedeutung für uns jetzt hier. Kleine Geschehnisse können für Jesus und durch ihn ungeahnte Bedeutung bekommen!

 

Jesus macht die Jünger und uns auf diese Frau aufmerksam. Er sieht offenbar: In ihrem Leben ist das geschehen, was er immer gemeint hatte, wenn er vom Leben im Reich Gottes erzählte. Diese Frau hat sich ganz Gott anvertraut, hat sich selbst losgelassen, hat sich auf Gott hin ver-lassen. Was wird morgen sein? Wovon wird sie sich ernähren? Gott wird sorgen. Jesus sieht: Diese Frau hat begriffen, was er gemeint hatte, wenn er auf die Feldblumen und die Vögel verwiesen und gesagt hatte: Was macht ihr euch doch für unnütze Sorgen. Ihr, seine Kinder, seid eurem

himmlischen Vater doch noch viel mehr wert. Gott kennt euch doch und hat euch lieb (Mt. 6).

 

 

 

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Aber achten wir jetzt auch darauf: Markus hat sein Evangelium so gestaltet, daß mit dieser kleinen und doch so wichtigen Begebenheit Jesu Wirken in der Öffentlichkeit zu Ende ist. Unmittelbar darauf folgt sein Weg ins Leiden und an das Kreuz.

Vielleicht will Markus sagen: In diesem Opfer der Witwe ist Jesu künftiger Weg gleichsam vorgezeichnet. Die Witwe hat sich völlig Gott anvertraut, ihr Leben, ihre Zukunft: Gott wird sorgen.

 

So hat sich auch Jesus Gott ganz anheimgegeben. „Dein Wille geschehe“. Er wird nichts für sich selbst beanspruchen und behalten: Keine Ehre. Kein Ansehen. Keinen Schutz durch 12 Legionen Engel. Er wird sich in die Hände der Menschen geben, die ihn prügeln und ans Kreuz schlagen. Er wird sich ganz Gott anvertrauen und hingeben und wird uns Gottes Herz erkennen lassen. Denn Gott gibt sein Liebstes, seinen Sohn, für uns dahin, damit uns von seiner Liebe nichts – keine Schuld und kein Leid und auch der Tod nicht mehr -  trennen könne. Unter dem Kreuz Jesu kann uns überwältigend aufgehen, wer wir sind und wer Gott ist: Wie böse, feige, ichbezogen wir sind und so, daß wir den, der schwach und ohnmächtig ist, allein lassen oder gar verspotten oder – wie es das Volk tut – sensationslüstern gaffen... Und er hält das alles aus und bleibt liebevoll. Und wer von dieser Liebe, die ganz tief nach unten und ins Dunkel geht und immer bei uns sein will, überwältigt wird, der kann – ein bißchen jedenfalls – so werden wie diese starke Witwe, kann Gott sein Herz schenken, kann im Vertrauen leben: Gott wird für mich sorgen, sich um mich kümmern, was auch geschehen mag.

 

Aber nun die Frage, die Ihnen wohl doch schon lange auf dem Herzen und auf den Lippen liegt: Ja, können wir denn überhaupt so leben? Wir müssen doch nun mal sorgen und vorsorgen. Ich bin verantwortlich für die weitere Ausbildung meiner Kinder, wir alle müssen doch für die Zukunft  vorsorgen...Was würde denn passieren, wenn wir die Sorgen um die Zukunft ganz in Gottes Hände legen würden...?

 

Ja, was würde dann passieren? Wir wissen’s wirklich nicht. Wir könnten es erst wissen, wenn wir es tun würden. Wie Gott sorgt, erfährt man erst, wenn man ihn  sorgen läßt.

 

Jesus, so empfinde ich, zeigt uns im Evangelium, zeigt uns jetzt auch hier mit dem Verhalten dieser Frau sozusagen Bereiche und Landschaften des Lebens, die uns mehr oder weniger unbekannt sind...und die doch offenbar so sind, wie wenn einer mit einemmal nach einer mühsamen Wanderung durch steiniges Gelände, trostlose Wüste oder unwegsames Gestrüpp vor einer weiten offenen lieblichen Landschaft

steht: Grüne sonnenbeschienene Auen sieht er und frisches Wasser hört er rauschen...Man atmet auf, fühlt sich wohl.

 

Jesus zeigt uns, wie Gott uns Menschen will: Im Vertrauen auf Gott lebend, arglos gegeneinander...Er zeigt uns eine Lebenshaltung, von  der wir ahnen, daß sie sehr schön sein muß...Wenn nicht all das viele wäre, woran wir hängen, was uns Sorgen macht...

 

Aber Augenblicke, Zeiten gibt’s im Leben, da sind wir schlicht und einfach angewiesen auf Gottes Fürsorge, Liebe, Treue: Wenn eine Operation

 

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bevorsteht...oder auch – der Ernstfall des Lebens -  im Sterben:  Was können wir denn da festhalten?

 

Das mögen extreme Situationen sein. Und doch: Zeigt sich in ihnen nicht die Wahrheit unseres Lebens überhaupt?

 

Und:  Haben wir das nicht wirklich schon erfahren, was wir gleich mit Worten Paul Gerhards singen werden:

 

Hat er dich nicht von Jugend auf versorget und ernährt,

wie manchen schweren Unglücks Lauf hat er zurückgekehrt.

 

Er hat noch niemals was versehn in seinem Regiment,

nein, was er tut und läßt geschehn, das nimmt ein gutes End.

 

Paul Gerhard, der Realist, verschweigt nicht, was auch manche von uns erfahren haben: Gott tut auch Schlimmes und läßt auch Schreckliches geschehen.  Aber er sagt: Auch das nimmt  ein gutes Ende.

 

In unserem Text steht kein Wort von Gott oder von Glauben – und doch steht das alles ganz spürbar dahinter: Der Glaube, daß ich in guten Händen bin, daß ich aus einem schlichten Gottvertrauen heraus leben darf.

 

Jesus sagt hier gar nicht: Ihr sollt alle auch so leben. Er fordert nicht auf, es dieser Witwe gleichzutun. Er verlangt nichts von uns. Aber zwischen den Zeilen sozusagen höre ich ihn zu mir sagen: Na, wie wär’s?  Probier‘ ruhig mal aus, wieweit du es dir leisten kannst, dich aus der Hand zu geben, dich auf Gott hin zu verlassen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.  Amen.




Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.