Abendmahlsgottesdienst am Sonntag Reminiscere, 24. Februar 2002

 

Lieder:

 

Singt, singt dem herren neue Lieder...286,1-3

Holz auf Jesu Schulter...97

Gott rufet noch...392

Segne und behüte uns...575

 

Psalm 138

Lesung: 5. Mose 8, 11-19

 

Wir hören als Predigttext das Evangelium für den heutigen Sonntag Reminiscere aus Markus 12, 1-9, ich lese zunächst nur bis V 9a:

 

Und er fing an, in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.

Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.

Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.

Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.

Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.

Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.

Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!

Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.

Was wird nun der Herr des Weinbergs tun?

 

 

Ja – was wird er nun tun? Wird er sich auch das noch gefallen lassen?

 

Wird er da sitzen, mit blutendem Herzen, voll Trauer um seinen geliebten Sohn, den sie umgebracht haben?

 

Demütigung um Demütigung, Mißachtung um Mißachtung, eine Gewalttat nach der andern hat er hinnehmen müssen. Ist seine Geduld denn unerschöpflich?

 

Ganz klar, wir alle hätten mit Sicherheit anders gehandelt.  Nämlich so, wie es uns in den letzten Monaten im politischen Leben drastisch vor Augen geführt wurde: Der amerikanische Präsident Bush, ein Christ,  hat von Anfang an von Vergeltung, Rache, Gegenschlägen gesprochen, neuerdings spricht er von einer Achse des Bösen und meint damit bestimmte Länder... als wenn das Bösen nicht in jedem Menschen, natürlich auch in ihm, Bush selbst, vorhanden wäre. Und der israelische Präsident Scharon, Angehöriger des erwählten Volkes Gottes, befiehlt einen Gegenschlag nach dem andern, einer Vergeltungsmaßnahme nach der andern – obwohl er in der Hebräischen Bibel ganz Anderes von Gott hören würde.

 

2

 

 

Aber bleiben wir ruhig bei uns. Wenn uns einer so kommen würde wie diese Pächter, dann wäre doch irgendwann unsere Geduld erschöpft und wir würden’s dem andern heimzahlen. Man kann sich doch nicht ständig alles bieten lassen. Wo käme man da hin!

 

Aber dieser Eigentümer in Jesu Gleichnis scheint überhaupt keine Rache- und Vergeltungsgedanken zu kennen.  Sowas gibt’s doch nicht.

 

Das gibt es auch nicht. Jedenfalls nicht in unserer irdischen Welt. Wohl aber in der Welt Gottes. Jesus stellt seinen damaligen Hörern – Menschen aus der Führungsschicht seines Volkes - er stellt ihnen ihr und ihres Volkes  Verhalten vor Augen – und die Reaktion Gottes darauf.

 

Er sagt : Wie viele Boten hat Gott unserem Volk gesandt, wie viele Mahner, Warner, Propheten...bis hin zu Johannes dem Täufer. Man hat sie nicht gewollt. Man hat nicht auf sie gehört. Stattdessen wurden sie vertrieben und mißhandelt.

 

Und er sagt Ihnen ins Auge, was sie ja insgeheim schon über ihn beschlossen haben, er sagt ihnen: Auch den letzten, den Sohn, werdet ihr töten, ihr werdet ihn über den Zaun werfen...

 

Und das haben sie ja dann auch getan. Weg mit ihm. Heraus aus dem Weinberg.

Über den Zaun mit ihm.

 

II

 

 

Und nun sagt Jesus dieses Gleichnis ja heute uns. Er redet uns an, uns hier im Gottesdienst.

 

„Ein Mensch pflanzte einen Weinberg...und er verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes...“

 

„...außer Landes“. Das verstehen wir. Gott, der Schöpfer und Eigentümer der Welt und unseres Lebens:  Er scheint fern zu sein, „außer Landes“. Er scheint sich um sein Eigentum nicht zu kümmern.

 

Wie oft höre ich von Menschen: Ich habe zu Gott gebetet, ihn um das und das gebeten...und nichts hat sich geändert. Er hört anscheinend nicht. Er interessiert sich nicht.

 

„Er ging außer Landes“. Damit müssen wir Menschen leben, daß Gott verborgen bleibt, fern, unsichtbar. Dietrich Bonhoeffer hat einmal niedergeschrieben, was bei ihm nicht nur ein tiefer Seufzer, sondern geradezu ein Schrei war: „Die Unsichtbarkeit Gottes macht uns kaputt...“

 

 

 

3

 

Und doch: Gott hat uns zu Pächtern in seinem Weinberg eingesetzt. Unser Leben ist also dazu da, daß es Ertrag bringt für ihn, den Eigentümer...Wir sind nicht dazu da, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Sondern dazu, daß für ihn, den Eigentümer etwas herauskommt. Paulus zählt solche „Früchte“ des Lebens einmal auf (vgl. Röm. 14,17; Gal.5, 22f.):  Liebe üben, Freude mitteilen, Frieden stiften, Geduld haben, Treue halten, Gerechtigkeit fördern...

 

Aber ist es nicht stattdessen so, daß jeder nur auf seinen Vorteil sieht? Wir wollen nicht Pächter bleiben, sondern selber Eigentümer sein. Selber Herren. Selbstherrlich. Gott muß uns ständig daran erinnern, daß rechtmäßigerweise ihm zumindest ein Teilertrag zusteht. So sendet er Boten, Stellvertreter, die hingehen zu den Pächtern. Und die von denen weggeschickt, mißhandelt, vertrieben, umgebracht werden.

 

Jesus erzählt im Grunde ein Gleichnis von zweierlei „Stellvertretern“ Gottes auf Erden. Solchen, die selbst Herren sein wollen. Und solchen, die seinem Auftrag folgen und sich senden lassen.

 

Es geht um das Drama: Einerseits Selbstbehauptung gegen Gott und andererseits Hingabe des Lebens in Gehorsam gegen Gott.

 

Sie wissen, der Schriftsteller Rolf Hochhuth hat ja vor einigen Jahren dies als Drama dargestellt, eben unter dem Titel: „Der Stellvertreter“. Auf der einen Seite steht der „Stellvertreter Christi auf Erden“, wie er sich ja in der Tat nennt, der Papst, der in  Hochhuths Drama die katholische Kirche im „Dritten Reich“  möglichst  „intakt“ durch die für die Kirche gefährliche Zeit führen will, und der darum zu so viel Schlimmem schweigt, zu dem er in Jesu Namen unbedingt etwas hätte sagen müssen. Und auf der anderen Seite steht der Pater Ricardo, der weiß: Schweigen ist Schuld. Gott erwartet von seinen Stellvertretern, seinen Boten nicht Selbstbehauptung und Selbstbewahrung, sondern Lebenshingabe. Darum heftet er sich den Judenstern an

den Priesterrock und geht freiwillig, solidarisch mit den Juden hinein in die Gaskammer. Ein echter Stellvertreter Gottes.

 

Und wir heute? Geht’s uns um Bewahrung der Kirche? Um Leistetreterei? Nur ja keine Kirchensteuerzahler verprellen? Nur ja keinem auf die Füße treten?! Allen zum Munde, allen nach dem Mund reden? Abgewogene Stellungnahmen? Eine „Wohlfühl-Kirche“?  Statt entweder – oder: sowohl - als auch?

 

Anders gesagt: Geht’s uns in erster Linie um uns – oder – um  Ihn? Steht als Leitsatz über unserm Leben: Sein Sinn ist, Ertrag zu bringen für Gottes Reich? Oder stattdessen: Ich bin mir selbst der Nächste?

 

Es geht auch um die Frage: Lassen wir uns mahnen, warnen von Boten und Botschaften Gottes, die er heute wie zu allen Zeiten sendet?

 

In jeder Passionszeit muß ich an etwas denken, was scheinbar weit zurückliegt. Im Mittelalter war es in einigen  deutschen  Städten Sitte, daß man in der Passionszeit  einige Juden öffentlich auf dem Marktplatz ohrfeigte für das, was ihre Vorväter mit

Jesus getan hatten.

 

 

4

 

Waren diese so mißhandelten Juden damals – waren sie die Boten Gottes? Die wahren Stellverteter Gottes?

 

Und heute, bei uns: Könnten – so merkwürdig das klingt – könnten etwa Embryonen, die man tötet, Boten Gottes sein? Oder,   die  - wie man inzwischen lesen kann – zwischen 4.ooo und  5.000 Menschen aus der Zivilbevölkerung, die im Krieg in Afghanistan umgebracht wurden? Könnte es sein, daß es in diesem Krieg gar nicht um Vergeltung oder Rache ging,  sondern um nackte Wirtschaftsinteressen, nämlich darum,  per pipeline die riesigen Erdöl- und Erdgasvorkommen möglichst ungestört vonTurkmenistan durch Afghanistan bis ans Arabische Meer transportieren zu können?

 

In den vergangenen Wochen hatten wir in unserer Gemeinde ein schönes Seminar über den Segen. Mir ist an einem der Abende eines der zentralen Worte Jesu wieder neu wichtig geworden: „Segnet,die euch fluchen, tut Gutes denen,die euch hassen, bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen...“(Mt. 5, 44).  Ahnen wir, welch eine ungeheure Wahrheit und Kraft  in diesem Satz verborgen ist? Ihm entsprechend zu handeln bedeutet ja zum einen: Wir schützen uns selbst dadurch  vor den zerstörerischen Einflüssen auf uns  – und zugleich binden und entmachten wir dadurch negative Kräfte und erfahren, wie befreiende Kräfte der Versöhnung in uns wachsen. Wie unendlich wohltuend ist es, solch ein Verhalten zu üben, im persönlichen Leben, aber genauso auch im politischen Leben. Wir tun damit ja im Grunde nichts anderes, als dem Verhalten Gottes zu uns zu entsprechen. „Segnet, die euch fluchen, tut Gutes denen, die euch beleidigen und verfolgen...“  Wie anders sähe es in Israel/Palästina aus, wenn Ariel Scharon, Angehöriger des erwählten Volkes Gottes, dies beherzigen  würde; wie anders sähe es in der Welt aus, wenn George Bush, ein Christ, überlegen würde, wie eine Politik aussehen könnte, die dies Jesuswort ernst nimmt: Gerechtigkeit würde aufblühen, Versöhnung wachsen, Christen würden von der moslemischen Welt in ihrem Glauben ernster genommen, ihre Lauheit im Glauben würde nicht länger verachtet.

 

Wer wird das letzte Wort behalten?

 

In unserem Text scheinen die Aufständischen, die Gott nicht wollen, das Feld zu behaupten. Und Gott scheitert. Gott scheitert und der Mensch triumphiert über ihn, der Mensch, der sein eigener Herr sein will, der Gott weghaben will, der Mensch, der die Boten Gottes,  wenn sie stören und unbequem werden, weghaben will .

 

Der Mensch, der selbst Gott sein will,  scheint das letzte Wort zu behalten.

 

Wirklich?

 

Ich lese den letzten Satz des Predigttextes:

 

Was wird der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.

 

 

5

 

Wir wissen: Diese Ankündigung Jesu ist damals eingetroffen. Jerusalem ist zerstört worden, das Volk Israel während vieler Jahrhunderte in alle Winde zerstreut worden – und wir Christen – nun seßhafte Pächter, selbstherrliche Leute -  wir waren die schlimmsten den Juden gegenüber.

 

Was wird der Herr des Weinbergs nun uns tun? Müssen auch wir, was hier steht, wörtlich  nehmen? Wird er uns umbringen -  uns, die zum NATO-Bündnis gehörenden Völker, das sog. „christliche Abendland“? Und den Weinberg anderen

geben? In China, Afrika, Lateinamerika? Das Reich Gottes wandert und sucht sich seine Einwohner. Ob das Christentum bei uns im  alten  Europa erlischt?

 

Darauf haben wir keine Antwort. Es wäre für uns auch heute nicht wichtig. Auf jeden von uns kommt’s an. Dies allein ist für Gott und für dich wichtig, ob du in dieser Passionszeit neu davon  betroffen wirst, wie  wir den, der im Namen Gottes zu uns kommt, ins Leiden bringen, nicht haben wollen, sondern ihn kreuzigen – und wie er, bis heute, dennoch noch nicht aufhört, zu uns zu reden, auch für dich persönlich zu bitten: Vater, vergib ihm, vergib ihr...Wenn dir dies neu und überwältigend aufgeht, daß Gott Dir durch Jesus statt Vergeltung Vergebung schenkt, statt sich von  dir abzuwenden dich segnet, sich dir mit Liebe, mit Treue, mit Erbarmen zuwendet, dir zusagt, daß er deine Gebete erhört...Wenn dir überwältigend aufgeht, wie gut Gott um Jesu willen zu dir ist...dann wäre Jesu Gleichnis bei dir zum Ziel gekommen.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre dein Herz und all deine Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.

 

 

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