Gottesdienst am Sonntag Oculi, 15. März 2009 in Essen-Burgaltendorf


Lieder:

Nun aufwärts froh den Blick gewandt...394

Wir strecken uns nach dir...664

Ich singe dir mit Herz und Mund...324, 13 - 18

Alles ist an Gottes Segen...352, 1-3


Psalm 34, 2 – 11 ( Nr. 717, S. 1150f.)


Lesung: 1. Könige 17, 1 - 16


Predigt über Markus 12, 41 – 44:


Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser



Liebe Gemeinde!


Die Chassidim, das war eine Volksgruppe frommer, tanzbegeisterter, freudeerfüllter osteuropäischer Juden. Martin Buber hat in seinem Buch „Erzählungen der Chassidim“ Anekdoten von ihnen gesammelt. In einer von ihnen heisst es:


Rabbi Michael lebte in großer Armut, doch verliess ihn die Freude nicht eine Stunde. Einst fragte ihn jemand: Rabbi, wie betet ihr nur jeden Tag: Gesegnet seist du, Ewiger, der mir alles gewährt, dessen ich bedarf. Es fehlt euch doch fast alles, was ein Mensch braucht? Und er antwortete: Sicherlich ist, wessen ich bedarf, eben die Armut, und die ist mir ja gewährt.


Nicht wahr, der Mann hat Humor. Und er meint offenbar wirklich, was er sagt.


Wie kommt das nur, dass einer in seiner Armut zufrieden ist und sogar noch von Freude erfüllt? Uns erscheint das vielleicht eher merkwürdig. Und doch klingt in dieser Erzählung all das an, womit uns auch der heutige Predigttext beschenken will: Frei werden von Sorgen, zufrieden werden, sich der Fürsorge Gottes anvertrauen. Und das – so will ich gleich hinzufügen - das sind ja in unserer von Gewalt, Raffgier und Verwirrung geprägten Zeit ganz besondere und lebenswichtige Kostbarkeiten. Ich lese aus Markus 12 die Verse 41 bis 44:


Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein.

Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig.

Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben.

Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.



Es ist die Zeit des Passafestes. Wenige Tage vor Jesu Tod. Viel Trubel in Jerusalem. Der Schriftsteller Josephus überliefert, dass die Sehnsucht nach dem Tempel damals bis zu

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hunderttausend Pilger aus allen Ländern des römischen Reichs alljährlich zum Passafest nach Jerusalem trieb. Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Tempelplatz. Dort im Vorhof der Frauen standen unter anderem 13 große trichterförmige Gefässe, in die hinein die Tempelsteuer gelegt wurde, aber auch andere freiwillige Gaben für Tempel und Priester.


Neben diesen Opferstöcken standen immer auch Leviten, Tempeldiener. Sie überprüften die Geldwährung. Manche der Pilger gaben einen konkreten Zweck für ihre Gabe an - irgendetwas, das der Erneuerung und Verschönerung des Tempels diente.

Die Umstehenden sahen und hörten ganz ungeniert und unbefangen zu, wieviel und wofür einer gab. Bei besonders hohen Geldbeträgen liess man sogar die Tempelposaunen, die schofarhörner blasen. Dann lief alles zusammen und bestaunte den

Sponsor. (Heute würde man vielleicht einen Boulevard nach ihm benennen).


Wieviel einer gab, das war also nichts Heimliches. Sondern man „zeigte“ seine

Opferbereitschaft. Der Umgang mit Geld war nicht so tabuisiert wie bei uns - das einzige tabu übrigens, das die Medien unangetastet lassen . Es ging auch nicht so dezent zu wie bei unseren Klingelbeuteln, wo man allenfalls durch ein leises Rascheln merken könnte, ob jemand einen Schein hinein getan hat.


Von Zeit zu Zeit wurden die Kästen geleert und dann wurde eifrig gezählt – vermutlich zuerst die großen Münzen, die Drachmen und Denare – zuletzt die lepta, von Luther mit „Scherflein“ übersetzt, ein paar Cent. Teils wurde das Geld verbraucht, teils der Tempelschatzkammer zugeführt - wie ja auch bei uns möglichst einiges in die Rücklagen gehen sollte.


Inmitten all des Trubels und Geschiebes sitzt Jesus, sitzt vielleicht auf einem Stein, er betrachtet, er schaut. Er sieht. Er sieht eine Witwe – das hiess damals: Eine Frau, möglicherweise eine junge Frau, ohne Ehemann – und damit damals ohne Schutz und Versorgung.


Nebenbei: Gerade diese Frauen, die Witwen, werden in der ganzen Bibel immer wieder als besonders tatkräftige, beharrliche, willensstarke, und auch vertrauensstarke Frauen dargestellt; da könnte man mal eine ganze Predigtreihe drüber halten: Tamar, die auf höchst unkonventionelle Weise bei ihrem Schwiegervater Juda ihr Recht durchsetzt (Gen.38). Naomi, die Schwiegermutter der Ruth, die mit mutigem Gottvertrauen ihren Weg geht. Und auch Tochter Ruth war ja Witwe. Sie wurde die Urgroßmutter des David, Uhrahnin Jesu.


Dann: Tief eindrucksvoll und bewegend: Rizpa, die Witwe des Saul, die in Wind und Wetter Tage und Nächte hindurch Totenwache hält bei ihren Söhnen und gegen brutal getötetes Leben protestiert (2.Sam.21) .

Die Witwe von Zarpat, von der wir in der Lesung hörten.

Judit, die den Feldherrn Holofernes kopflos macht.


Im Neuen Testament die geisterfüllte Beterin Hanna im Tempel, 84 Jahre alt (Lk.2). Und die bittende – besser gesagt: fordernde - Witwe aus Lukas 18, die dem korrupten faulen Richter das Haus einrennt, bis sie ihr Recht durchgesetzt hat.


Witwen: Energisch, beharrlich, tüchtig - so wie in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg viele der sog. Kriegerwitwen oder heute so manche Witwe. Oder auch alleinerziehende Mütter.

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Witwen gilt laut der ganzen Bibel in besonderem Maße der Schutz und die Fürsorge Gottes.


Und: Sie haben in der jüdischen wie dann auch in der christlichen Gemeinde von Anfang an besonders wichtige Aufgaben – so wie sicher auch hier in der Gemeinde Burgaltendorf.


Jesus also sieht diese Witwe, er sieht in ihrem Verhalten ihre ganze Lebenseinstellung, ihre Beziehung zu Gott. Die Priester, die das Äußere sehen, werden nichts gemerkt

haben. Jesus, der in das Herz sieht, wird möglicherweise sogar gehört haben, wie sie beim Geben still vor sich hinsagte: adonaj ro'i, lo ächssar - Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.


Jesus ruft die Jünger zusammen, die irgendwo in der Nähe dies und das anschauen oder miteinander reden. Er weist sie auf die Frau hin, die schon wieder im Gedränge verschwindet und er sagt: Hier die wohlhabenden Menschen am Opferstock haben alle etwas – vielleicht gar viel - von ihrem Überfluss abgegeben, diese Frau hier eben - die hat aus ihrer Armut heraus alles, was sie hatte, gegeben - ihren ganzen derzeitigen Lebensunterhalt.


Ich denke mir, Jesus, der ins Herz sieht, hatte an dieser Frau gesehen: Sie hatte das offenbar verstanden, was auch er immer gemeint hatte, wenn er vom Leben im Reich Gottes sprach. Vielleicht hatte sie ihn nie predigen gehört, aber sie lebte in der Einstellung zu Gott, um die er auch geworben, zu der er auch eingeladen hatte, wenn er, etwa in der Bergpredigt (Mt. 6) , gesagt hatte: Seht, Gott in seinem segnenden Handeln sorgt für das Blühen der Blumen auf Wiesen und Bergen, er sorgt für die Vögel; und Blumen und Vögel, die tun genau das, wozu Gott sie geschaffen und bestimmt hat. Sie tun das Ihre, strecken ihre Wurzeln ins Erdreich, wenden sich der Sonne zu; bauen Nester, sorgen für ihre Jungen – aber sie tun nicht das, was eine Nummer zu groß für sie ist, und was Menschensache und -gabe ist: Kleider nähen, in Scheunen sammeln. Nur ihr Menschen wollt immer mehr tun als das, wozu ihr geschaffen seid, nämlich auch noch Gottes Stelle und Rolle mit einnehmen, wollt euer Leben selbst total versorgen, absichern, planen, in den Griff kriegen. Und über eurem Mißtrauen vergesst ihr ganz, dass und wie sehr ihr behütet, versorgt, geliebt werdet.


Liebe Gemeinde, in wie radikalem Gegensatz und Widerspruch steht solch eine Einladung Jesu zu der derzeitig herrschenden Weltanschauung - man muss sagen: noch herrschenden Weltanschauung. Denn die Symptome des Zusammenbruchs sind ja unverkennbar, da hilft kein Löcherstopfen mehr. Und wie belebend wäre eine solche Lebenshaltung des Gottvertrauens in unserem seelisch – und vollends geistlich – so unterernährten Volk!


Wir Menschen sind ja wie Gefässe. Und wenn unsere Seele nicht innere Kraft und

Substanz findet durch Gottvertrauen und Selbstvertrauen ( was zusammengehört), durch Ehrfurcht vor Gott und vor dem Leben, durch Ehrfurcht vor den Geboten Gottes und durch ein verwegenes Vertrauen in die Macht des Gebets: Wenn all das fehlt -. dann fliessen in den Leerraum die verderblichen Einflüsse der zahllosen Sex-, Gewalt-, und Spaßangebote, die die Hirne benebeln und die Seelen vergiften, dann kommt es zu solch furchtbaren Exzessen wie dem Amoklauf jetzt wieder. Wir Christen sollten all diese betrügerischen Angebote der Spaß- und Vergnüngungsindustrie strikt boykottieren - wie

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übrigens auch den Einkauf am Sonntag (ausser den gleich nach dem Gottesdienst am Dritte Welt Stand).


Wir sollten uns zunehmend in unserer Lebenshaltung unterscheiden von einer Gesellschaft, die in ihrer Mehrheit wie die Lemminge auf die Selbstzerstörung zuläuft. Wir sollten sein, wozu wir berufen sind: Licht der Welt, Salz der Erde. Denn es geht ja nicht um Antworten auf Warum-Fragen, die nur dann überhaupt sinnvoll sind, wenn sie aus tiefer Not an Gott selbst gerichtet werden. Sondern die Lehrer und Lehrerinnen, die Schüler und Schülerinnen brauchen vor allem Trost - wie ihn nur Gott selbst geben kann (Jesaja 66,13), wie ihn nur Christen mitteilen können, die ihren Glauben mit all seinen Anfechtungen und Infragestellungen leben.


Denn wie anders gestaltet sich unser Leben, wieviel reicher und erfüllter wird es, wenn wir der Einladung Jesu folgen: „Vertraut euer Leben der Führung Gottes an. Macht euch keine unnützen Sorgen. Ihr soll schon planen, vorsorgen, an eure und eurer Angehörigen

Zukunft denken, dafür habt ihr ja euren Verstand bekommen; aber sucht euch nicht zu sehr abzusichern, ihr bringt euch dadurch nur um überraschende und schöne Erfahrungen mit Gott. Glaubt nur, dass er euch sieht, dass er auch alle eure Ängste, euer Leid, eure Sehnsucht sieht. Er wird sich schon um euch kümmern, vertraut ihm und ihr werdet staunend - und beschämt manchmal - erkennen, dass ihr unter seiner Fürsorge keinen Mangel leidet und dass es im Grunde nur eine gute Sorge gibt: Die Fürsorge“.


Jesus, so empfinde ich es, zeigt uns am Beispiel dieser Witwe und überhaupt in seiner Verkündigung Bereiche und Landschaften des menschlichen Lebens, die uns

mehr oder weniger unbekannt sind - und die doch so sind, wie wenn einer nach mühsamer Wanderung durch steiniges Gelände und unwegsames Gestrüpp vor einer weiten Landschaft steht mit sonnenbeschienenen grünen Auen und frischem Wasser...Man atmet auf, sieht ins Weite, sieht klar.


Übrigens: Es ist ein Geschehen von wenigen Minuten Dauer, das Markus uns hier überliefert. Ein scheinbar ganz unscheinbares Geschehen. Und doch: Wie unabsehbar viel mag dieses Tun der Witwe durch die ganze Kirchengeschichte hindurch bewirkt haben und kann es jetzt auch bei uns bewirken! Und gerade so sollen wir auch von unserem scheinbar geringen Tun im Reich Gottes denken: Ein Lied, ein Gebet, ein Brief, eine Verhaltensänderung im Umweltbereich – es kann unabsehbar viel bewirken.


Der Evangelist Markus hat diese Momentaufnahme, dieses Geschehen im Tempelvorhof bewusst an das Ende seiner Überlieferung von Jesu Wirken in Galiläa und Jerusalem gestellt. Fast unmittelbar darauf folgt die Passionsgeschichte.


So wie der Evangelist Matthäus als sozusagen letztes Wort Jesu das Gleichnis vom Weltgericht (Mt. 25) überliefert, wo Jesus sagt: Ich bin hungrig, durstig, nackt, gefangen, krank, ein Ausländer gewesen und ihr habt euch um mich gekümmert, für mich gesorgt, mich aufgenommen, denn was ihr den geringsten meiner Geschwister tatet, das habt ihr mir getan..., so hat Markus sozusagen als letztes Wort der Verkündigung Jesu diesen Hinweis auf die Witwe.


Vielleicht will Markus uns damit sagen: Jesus weiss auch dies: Wir Menschen können das letztlich eben doch nicht – noch nicht - uns so aus der Hand zu geben, in dieser Sorglosigkeit, dieser vertrauenden Hingabe an Gott zu leben. Aber Jesus selbst, der wird

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das tun bis zur letzten Konsequenz, ganz ungeteilt und unbedingt. Er wird bis hinein in die tiefste Gottverlassenheit und - ferne von Gethsemane und Golgatha gehen

- und sich in schwerem Gebetskampf zu ungeteiltem Vertauen auf Gottes Fügung und Führung durchringen. Er wird das Gebot aller Gebote, das erste Gebot, ganz und gar erfüllen.


So wird Er, den Gott auferweckt und zum Herrn über alle und alles gemacht hat, uns zum Helfer, so dass wir auch in scheinbarer Verlassenheit und Ferne von Gott dennoch im Vertrauen auf Ihn bleiben können. Und, nicht wahr: Manchmal sind wir ja einfach zu solchem Gottvertrauen geradezu gezwungen: Vor einer Operation, vor einer Prüfung, und letzten Endes: Jeder von uns im Sterben. Denn da haben wir nun nichts mehr selbst in der Hand, da können und sollen wir uns ganz aus der Hand geben, uns, mit dem Gekreuzigten vor Augen, Gott ganz anvertrauen. „Wer so stirbt, der stirbt wohl“.


Und in unserem Leben: Vielleicht haben wir das schon erfahren, vielleicht werden wir das

einmal erfahren, dass es wahr ist, was wir gleich mit Paul Gerhardt singen : Er hat noch niemals was versehn in seinem Regiment, nein, was er tut und lässt geschehn, das nimmt ein gutes End.


Paul Gerhardt, der leidgeprüfte Realist, verschweigt nicht, was auch manche von uns erfahren haben: Gott schickt auch Schweres, lässt auch Schlimmes geschehen. Aber Paul Gerhardt weiss und sagt: Auch das nimmt ein gutes Ende.



Jesus hat uns, seinen Jüngerinnen und Jüngern, diese Frau, diese Witwe gezeigt. Wohlgemerkt: Er sagt nicht. Nehmt euch ein Beispiel an ihr. Er verlangt überhaupt nichts. Nur indirekt höre ich ihn sagen: Du, das geht, sich so aus der Hand zu geben, sich auf Gott hin zu verlassen, sich ihm ganz anzuvertrauen. Es ist ein Vorschein ewigen Lebens. Amen.