Gottesdienst am Sonntag Palmarum, 17. April 2011, Rhodos

 

Lieder: 96/ 400, 1-4/ 5+6/ 90,1

Psalm 18

Lesung: Phil. 2, 3-11

 

Predigt zu Markus 14, 3-9

 

Und als Jesus in Betanien im Hause Simons des Aussätzigen zu Gast war, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäss mit reinem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt.

Da erregten sich einige über sie und riefen: Was soll diese Vergeudung des Salböls?

Man hätte es   für über 300 Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können. Und sie fuhren sie an.

Aber Jesus sagte: Lasst sie in Frieden! Was betrübt  ihr sie? Sie hat ein schönes Werk an mir getan. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit.

Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im  voraus für mein  Begräbnis gesalbt.

Amen,ich sage euch: Wo immer das Evangelium verkündigt wird in aller Welt, da wird man auch von  dem erzählen, was sie getan hat – ihr zum Gedächtnis.

 

Und das tun ja auch wir jetzt. Wir hören von dieser Frau, stellen uns  ihr Verhalten vor Augen. Sie beeindruckt uns, vielleicht wird sie uns zum Vorbild. Und so ist das ja bei Tausenden, ja Millionen Menschen im Verlauf der Kirchengeschichte gewesen und  auch am heutigen Sonntag hören und bedenken ja viele viele tausend Menschen diesen Predigttext.

 

Welch eine ganz unabsehbare Wirkung hatte und hat also dieses Geschehen von ein paar Minuten Dauer. Es ist ganz ähnlich wie bei jenem anderen scheinbar unscheinbaren Verhalten, von dem ebenfalls Markus kurz vorher erzählt, und das vor drei  Wochen Predigttext war: Die Witwe, die ihre zwei Scherflein gibt.

 

I

 

Jesus lobt sowohl diese Witwe wie auch die Frau im heutigen Predigttext . Was findet er eigentlich so schön  an ihrem Verhalten?

 

Malen wir uns die Situation vor Augen.

 

Jesus ist in Betanien eingeladen von Simon, genannt  der „Aussätzigen“. Vielleicht war er inzwischen geheilt. Oder seine Leprakrankheit war als nicht ansteckend bekannt.

 

Ausser eine Reihe von Jüngern waren sicher auch andere Gäste da – eine Männergesellschaft. So wie  ich gesehen habe, dass auch hier auf Rhodos oft reine Männergruppen abends miteinander tafeln.  Das war damals so, und es ist ja bis heute in vielen Ländern der Erde so, dass die Männer für sich beim Festmahl sitzen und Frauen bedienen sie. Ich war zum Beispiel mal vor Jahren mit meiner Frau in Kamerun zu Besuch bei unserer Tochter Anna,die nach dem Abi ein missionarisch-diakonisches Jahr dort verbrachte – und immer wenn wir irgendwo eingeladen waren, war es so, wie auch hier in

Betanien: Frauen hatten  die Speisen vorbereitet, den Tisch gedeckt  und servierten

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schweigend. Aber am Mahl teilzunehmen, das war ihnen ausserhalb der eigenen Familie untersagt. So etwas wie  eine „bunte Reihe“ zu bilden - das war schlechthin undenkbar.

 

Diese Frau hier aber macht dieRollenverteilung von Mann und Frau, in der die Frauen unterdrückt werden, nicht mehr mit.Sie handelt völlig unkonventionell. Einmal dadurch, dass sie in die Männergesellschaft hineinplatzt,und vor allem dadurch,dass sie ganz offen ihre Gefühle zeigt.

 

Sie hat ein mit Wachs verschlossenes Alabasterfläschen bei sich. Sie öffnet es und  giesst das Öl – kostbarstes indisches Nardenöl – über Jesu Haupthaar.

 

Ich habe per  Mausklick bei Wikipedia nachgesehen: Die Narde: Das ist eine Pflanze aus der Familie der Baldriangewächse. Sie kommt nur in den Himalayaländern vor, und zwar nur in einer Höhe von 3000 – 5000 m. Das Öl wird aus den  Wurzeln gewonnen. Aus 100 kg ein Liter. Es ist so kostbar und kostspielig, dass es in biblischen Zeiten im allgemeinen der Salbung von Königen und  Priestern vorbehalten war.

 

Der Wert des Fläschchens der Frau war, wie wir hier hören, 300 Denare. Das ist schwierig in heutige Währung umzurechnen. Man weiss aber: 300 Denare war in etwa der Jahresverdienst eines Arbeiters, mit dem er eine mehrköpfige Familie einigermassen versorgen konnte. Für die Frau in unserer Geschichte, deren Namen und  Alter wir nicht kennen (vielleicht weil jeder,auch wir Männer, hier den eigenen Namen eintragen soll; jedenfalls wird hier weder gesagt,dass sie eine Sünderin  war  noch dass es Maria Magdalena oder Maria, die Schwester des Lazarus, war) – für diese Frau also war solch ein Flakon  eine Rücklage fürs Alter oder für Notzeiten, etwa nach einer Scheidung.

 

II

 

Die Frau, kann man sagen, gibt also jede Absicherung aus der Hand, als sie das teure Öl auf Jesu Haar giesst.

 

Da reissen die Männer die Augen auf, sind einen Moment sprachlos...und dann...dann geht’s aber los: Also das ist doch...! Was erlaubt die sich! Also sooo was! Und dann reden alle durcheinander: So eine Vergeudung! Das teure Öl! Nutzlos verschwendet! Und einige (dass es Judas war,steht hier auch nicht, auch hier können wir also wieder unsere eigenen Namen einsetzen) einige hacken auf die Frau ein und sagen: Du Vergeuderin,du Schlampe und Verschwenderin: Was hätte man mit dem Geld alles machen können, wieviel Gutes tun, wieviel Armen helfen können.

 

Jesus aber sagt: „Lasst sie in Frieden! Sie hat ein schönes Werk an mir getan. Hier steht  im  griechischen Urtext nicht das Wort für „gut“, sondern für „schön“: kalos.

 

Man kann also Gutes tun – man kann aber auch Schönes tun.

 

Klar sollen wir Gutes tun, Armen mit unserm Geld helfen. Jesus selbst sagt das hier ja auch.  Und  wer sagt denn,dass diese Frau das nicht auch getan hätte, die Not armer Menschen nach Kräften gelindert hätte.

 

Aber es gibt eben nicht  nur gute, sondern auch schöne Taten. Gute Taten sind praktische

Hilfen,die Not lindern. Schöne Taten sind solche,die oft ganz spontan geschehen,und die

ihre Quelle in der Dankbarkeit für einen Menschen, in Freude an ihm, in Liebe zu ihm

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haben – wie wir ja auch im Deutschen von „überströmender“ Dankbarkeit oder Freude sprechen.

 

Solch eine schöne Tat kann ein Blumenstrauss sein, den ich für einen Menschen pflücke,zum Beispiel  eine Wildblumenmischung aus all dem, was derzeit hier so herrlich blüht. Es kann ein selbstgemaltes Bild des Enkelkindes für Großmutter oder Großvater sein, oder ein Pullover oder Schal, den uns jemand in tage- oder nächtelanger Liebesmüh zum Geburtstag gestrickt hat, es kann ein Altarschmuck sein – Blumen- oder Erntedankschmuck –, ein spontanes Dankgebet, das wir an Jesus unseren Heiland, Gott unseren Vater richten, ein strahlendes Lächeln, eine ganz besondere Pralinenpackung, der Satz: ich liebe dich, gesprochen von Eheleuten, die jahrzehntelang verheiratet sind, aber es könnte auch mal – wenn man dabei Gottes Ehre im Blick hat -  eine pracht-und kunstvoll ausgestaltete Kirche oder ein musikalisch oder sonstwie reich gestalteter Gottesdienst sein..

 

Motiv und Kennzeichen für solche schönen Taten ist immer ein vor Liebe, Freude, Dankbarkeit  überströmendes, verschwenderisches Herz. Wer innerlich leer ist, der kann sich nicht so verhalten wie diese Frau.

 

Und hier liegt übrigens – das fiel mir bei dem Wort „verschwenderisch“ ein – ein krasser Gegensatz zwischen der sog. „Spassgesellschaft“ und dem Lebenstil von Christen. Beide sind oder sollten verschwenderisch sein. Aber: was für eine ungeheure lebensschädliche Verschwendung in  der westlichen Konsumgesellschaft! Ich schätze mal: Über  90 Prozent der Dinge,die uns zum Verbrauch angeboten werden, brauchen wir überhaupt nicht. Sie werden im Grunde sinn- und nutzlos produziert und verschwendet. Und was für Unmengen von Abfall häufen wir auf! Und  wieviel idiotische Spasssendungen werden mit  Millionen und Milliarden Euro Kosten produziert, lauter Müll für Gehirn und Seele.

 

Dagegen: In welch anderer Weise könnten Christen verschwenderisch leben. Sie erfahren, in welcher  Fülle Gott sie beschenkt mit Liebe, Freude, Vergebung, Segen...und je empfänglicher sie für diesen Reichtum sind, umso verschwenderischer können sie davon austeilen.

 

Was die Frau in unserer Geschichte  so dankerfüllt Jesus gegenüber hat werden lassen, das bleibt letztlich ihr und Jesu Geheimnis. Aber zweifellos hat sie von Jesus  soviel Gutes und Liebe  empfangen, dass sie von überströmendem Glück und  Dankbarkeit erfüllt ist. Sie ist mit sich im Einklang,. Mit sich im Frieden. Sie kann hingebungsvoll leben.  

 

III

 

Und nun die Frage: Wie ist das bei uns?  Wie ist das mit unserer Freude an Jesus, unserer Liebe zu ihm,·unserer Dankbarkeit ihm gegenüber?

 

Dazu sollten  wir uns klarmachen, wie Jesus das Tun dieser Frau deutet.

 

Salbung mit kostbarem Öl: Das geschah nur bei den zwei höchsten Würdenträgern in Israel: Dem König und dem Hohenpriesters. Die Frau zeigt und sagt mit ihrem Tun: Du, Jesus,bist der wahre König Israels, der Messias,der Gesalbte Gottes. Und: Du bist der eine und  wahre Hohepriester Gottes.

 

Und nun gibt Jesus dem Verhalten dieser Frau noch einen weiteren tiefen Sinn. Gesalbt

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bzw. einbalsamiert wurden damals auch Leichname. So wie wir es von den Frauen hören,die am Ostermorgen zu Jesu Grab gehen: Sie wollen den Leichnam Jesu

salben. Nun, wir wissen, sie konnten es nicht: Weil Jesu Leib nicht mehr im Grab war. Und: Sie brauchten es auch nicht: Weil die Salbung ja schon geschehen war: Durch diese Frau hier.

 

So deutet Jesus es den anwesenden Männern gegenüber. Er sagt ihnen - und auch das muss völlig schockierend für sie gewesen sein: Sie hat meinen Leib jetzt schon  zu meinem Begräbnis gesalbt.

 

Wir hören in all dem etwas völlig Unfassliches und bis heute Unerhörtes: Jesu Königskrönung geschieht bei seiner Erhöhung  ans Kreuz. Das Kreuz ist sein Königsthron. Von hier, von diesem Thron aus regiert er. Von  hier aus regiert er, will er unser Leben und  das Leben der Machthaber und  aller Völker regieren.

 

Und: Hier am Kreuz sehen wir den einen wahren Priester Gottes. Jesus ist der eine und einzige wahre Hohepriester. Seitdem will Gott keine anderen Priester mehr. Wir Menschen brauchen nur noch ihn als Priester. Denn dieser eine ist der wahre Mittler, er verbindet Himmel und Erde, Gottheit und Menschheit unauflöslich – und er verbindet auch in unserm persönlichen  Leben Himmel und  Erde. Er lässt unser Leben – irdisch noch – schon himmlisch werden.  

 

IV

 

Und nun  noch einmal: Löst er, löst Jesus überströmende Freude und  Dankbarkeit in uns aus? Konkreter: Würdest Du das von  dir sagen: Doch, ich bin Jesus dankbar, ich habe ihn lieb -  so sehr, dass ich gern Kostbares und  Köstliches ihm zu Ehren, ihm zur  Freude hingebe?

 

Klar ist: Ausgelöst wird solche Liebe und Freude nur dann und immer dann, wenn all das, was in  den Evangelien und  besonders im  Passionsgeschehen von Jesus gesagt wird, Einfluss auf mich gewinnt, so sehr, dass ich davon bewegt, erfüllt, vielleicht erschüttert, auf jeden Fall dankbar werde.

 

Blicken wir abschliessend noch einmal auf diese namenlose Frau,  die Jesus so ehrt und lobt, und auf die Jünger. Die Frau ist  durch Jesu Liebe ganz offensichtlich befreit worden -  nur Liebe kann ja wirklich befreien. Und zu ihrer  Freiheit gehört auch, dass sie sich nicht mehr Konventionen und Rollenklischees unterwirft, sondern dadurch, dass sie sich von keinem Mann mehr unterdrücken lässt, auch befreiend auf die Männer wirken könnte.  

 

Sie zeigt frei und offen ihre Liebe, ihre Verehrung, ihre überströmenden Gefühle für Jesus. Schade  im Grunde, dass die Männer das Schöne am Verhalten der Frau nicht  sehen können oder wollen.  Stattdessen regen sie sich auf, meckern und  mäkeln herum So wie wir das auch kennen: Man sucht so gern das Haar in der Suppe, man schimpft, verurteilt und  mäkelt herum, statt das Schöne bei einem  andern zu entdecken und  zu loben.

 

Jesus dagegen lobt. Er lobt diese Frau.

 

Lasst uns Jesus Gelegenheit geben, auch uns loben zu können, wenn er sieht, wie wir – von ihm   froh- und freigemacht – nicht  nur Gutes, sondern auch Schönes tun. Amen