Frühgottesdienst am 4. Sonntag nach Epiphanias, 2. Februar 2003

 

Lieder:

Du Morgenstern, du Licht vom Licht...74

Wach auf, wach auf, ‘s ist hohe Zeit...244, 1-5

Der Herr ist König, hoch erhöht...623

Die güldne Sonne...449, 12

 

Psalm 107, 21 – 32 (Nr. 747.3)

Lesung: Jesaja 51, 9-16:

 

 

Der heutige Predigttext ist die Geschichte von der Stillung des Sturms durch Jesus. Im  Grunde muß man diesen Text ganz langsam lesen, vielleicht immer nur einen Satz, und dann die Augen schließen, eine lange Pause machen...Dann könnte man über dem Lesen spüren, wie etwas von dem an uns geschieht, wovon der Text wunderbar erzählt. Nun, ich halte stattdessen eine Predigt darüber und lese nun aus Markus 4 die Verse 35 – 41:

 

Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Laßt uns hinüberfahren.

 

Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm.

 

Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, so daß das Boot schon voll wurde.

 

Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen.

 

Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, daß wir umkommen?

 

Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille.

 

Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so feige? Habt ihr noch keinen Glauben?

 

Sie aber fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der? Auch Wind und Meer sind ihm gehorsam!

 

Zunächst einmal: Das wird wortwörtlich so einmal auf dem See Genezareth geschehen sein: Jesus schlief ein, ein plötzlicher Sturm peitscht die Wogen haushoch, die Jünger geraten in Todesangst, sie wecken Jesus – und durch ein göttliches Machtwort stillt Jesus das Toben der Wellen.

 

Natürlich hat er das gekonnt. – Und warum soll er zum Beispiel nicht auch auf Wasser haben gehen können? Ich bin inzwischen in meinem Glauben sozusagen zu einer zweiten Naivität gelangt und glaube so ziemlich all das auch wörtlich, was an

Wunderbarem und  den Verstand Übersteigendem in der Heiligen Schrift erzählt wird.

 

2

 

Aber zugleich sind die Worte, die wir gehört haben, ja auch in einer hintergründigen, tiefsinnigen Weise wahr. Sie geschehen und bewahrheiten sich überall, wo es Gemeinde Jesu Christi gibt.

 

I

 

Denn das Boot:   Das ist ja auch ein Sinnbild, ein Sinnbild für die christliche Kirche: Sowohl für die gesamte Christenheit in ihren Konfessionen  (der Ökumenische Rat hat das Schiff als „Logo“), wie auch für jede einzelne Kirchengemeinde. Und wir, die Gemeinde Relliunghausen, haben es ja auch sogar als Gemeindesiegel (zeigen).

 

Alle Gemeindeglieder, auch wir hier, sind miteinander „in einem Boot“. Es ist gut, wenn man in einem Boot ist. Man findet dort Schutz und Geborgenheit. Und so soll das auch in unserer Gemeinde sein: Wir sollen uns in ihr auch geborgen fühlen..

 

Und: Jeder hat in diesem Boot etwas zu tun. Jeder hat bestimmte Aufgaben, jeder wird gebraucht.

 

Viele machen ja mit bei uns im Boot der Gemeinde Rellinghausen – oder sagen wir eher: im Schiff (vielleicht kann und muß man sogar sagen: im Luxusdampfer unserer Gemeinde). Es gibt zum Beispiel eine ganz vielfältige, abwechsungsreiche Bordmusik. Andere tun Dienst in den Andachtsräumen, bei Kulturprogrammen, bei vielen Angeboten für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, alte Menschen...

 

Die wichtigste Frage ist dabei immer : Hören wir auf das, was der entscheidende Mann im Boot, der Steuermann sozusagen -  was Jesus sagt? Folgen wir strikt seinen Anweisungen?

 

Oder schlagen wir seine Worte in den Wind und  machen das, was wir für gut halten oder gar, was uns Spaß macht?

 

Das ist die entscheidende Frage auch für all unser Tun und Lassen im Boot mit Namen „Gemeinde Rellinghausen“. Und ich denke: Immer dann, wenn das Boot in ruhiger See fährt und  gemächlich und gefahrlos dahinschaukelt – immer dann ist der Steuermann eher wenig gefragt, man denkt, wir brauchen ihn nicht, man kann alles selber machen. „Sie nahmen ihn mit“, heißt es am Anfang unseres Textes. Sie – ihn. Er darf mit dabei sein. Und er seinerseits gönnt sich sogar ein Schläfchen

 

II

 

Und dann ändert sich urplötzlich alles.“Und es erhob sich ein großer Windwirbel und die Wellen schlugen in das Boot...“.

 

Das kann also auf einmal passieren. Auf dem See Genezareth kann sich – durch die berüchtigten Fallwinde dort – das Wetter in Minutenschnelle ändern. Und mit dem

Boot der Kirche kann es genauso geschehen. Gerade noch war die See spiegelglatt – nun plötzlich haushohe Wellen, das Schiff wird hin- und hergeschleudert, die darin sind, geraten in Lebensgefahr und Todesangst...

 

3

 

In den dreißiger/vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts war unsere Kirche in Deutschland zuletzt in einer solchen Situation, da wurde sie angefeindet, verfolgt,  Menschen und  Mächte, dämonische Mächte - versuchten, sie zum Sinken

zu bringen.

 

Aber seitdem: Kein schwerer Sturm mehr. Allenfalls leichter Gegenwind. Woanders ist das anders. Denken wir etwa an die Menschen im Irak und in den  Nachbarländern, einschließlich Israel.  Wieviel Angst...!

 

Gestern stand in der Neuen Ruhr Zeitung der Bericht einer internationalen Ärztekommission, in der es heißt: „Die Kinder fühlten sich müde, erschöpft und traurig. Die Eltern sind kaum in der Lage, ihre Kinder zu beunruhigen, da sie selber in der Kriegsangst leben...Gut die Hälfte der befragten Kinder leidet unter Schlaflosigkeit und Alpträumen...“.

 

In welcher Sicherheit und Ruhe leben dagegen wir hier. Und wir wollen das Unwetter auch nicht herbeisehnen. Aber es kann kommen. Urplötzlich und unvermutet.

 

Und Jesus: Mitten im Unwetter schläft er. Es scheint ihn garnicht bedrängen zu können. Er schläft in großer Geborgenheit, in tiefem Frieden. So wie es Bonhoeffer einmal in die Formulierung gefaßt hat: „Von guten Mächten wunderbar geborgen...“.

 

Aber die im Boot: Die merken jetzt, wie sehr sie ihn nötig haben! Wie sehr sie auf sein Wort und seine Macht angewiesen sind! Sie wecken ihn  auf. Und  was sie rufen, ist eigentlich ein Gebet, aber was für eins! Ein Schreien aus tiefer Not, zugleich auch fast ein Vorwurf, eine Anklage: Fragst du nichts danach, daß wir verderben? Ist es dir eigentlich gleichgültig, ob wir umkommen? Kümmert dich das eigentlich gar nicht, wie schlimm es uns ergeht?

 

Wie oft haben Menschen so zu Jesus, zu Gott geschrieen. Wie oft schien und  scheint es so zu sein, daß Gott, daß Jesus sich gar nicht dafür interessiert, wie es einem Menschen  ergeht, etwa, ob ein Mensch Krebs hat oder ob Menschen Bomben werfen auf die Zivilbevölkerung eines Landes oder ob ein geistig gestörter Mensch ein Kind tötet und und...

 

III

 

Aber hier in unserem Text, da zeigt Jesus, was er kann. „Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zum  Meer: Schweig und verstumme...“.

 

Sturmwind, Meer: Das sind Urbilder und Namen für Gewalten, die uns verderben wollen, für Mächte, die uns in Gefahr bringen, die wollen, daß wir in Angst versinken

und  jeden Glauben an Gott verlieren – es sind Namen für dämonische Mächte, die alles daran setzen, daß das Schiff der Kirche untergeht.

 

Aber: Er ist stärker. Er kann ihre Gewalt zum Schweigen bringen. Sein Machtwort kann sie vertreiben.

 

„Und es ward eine große Stille“.

4

 

Das ist vielleicht das schönste Wort in diesem Text: eine große Stille.

 

Ich las vor einiger Zeit: Über 60 Prozent der Menschen unter 30 Jahren bei uns haben Hörschäden. Grund: Der dauernde Lärm, vor allem der in Diskotheken.

 

Dagegen Stille: Das ist eines der Luxusgüter unserer Zeit geworden. Stille:  Das ist etwas Seltenes, etwas Wundervolles, etwas, das man nicht kaufen kann, das unbezahlbar ist.

 

Stille ist ja etwas ganz Anderes als Schweigen, und gar: „verbissenes“ Schweigen. Stille ist stattdessen etwas überaus Wohltuendes: In der Stille können wir Gott hören, zur Stille gehört das Erleben von Frieden und Geborgenheit.  Freude die Fülle und selige Stille hab ich zu erwarten im himmlischen Garten...“, so dichtet Paul Gerhardt in der letzten Strophe des Liedes: „Die güldne Sonne....“.

 

Die Jünger, die in ihrer Not zu ihm gerufen haben, erfahren diese Stille.

 

Und auch wir können sie erfahren. Also laßt uns ihn aufwecken, ihn in Angst anrufen. Laßt uns ihn bitten, daß er die finsteren dämonischen Mächte, die –von vielen unbemerkt - unsere Gesellschaft weitgehend beeinflussen, vertreibe. 

 

                                                                        IV

 

Und dann spricht Jesus zu den Jüngern.

 

Laßt uns - zu Hause oder sonstwo – auch über dies Wort nachdenken, das er zu den Jüngern sagt: Was seid ihr so feige? Habt ihr noch keinen Glauben?

 

Er weiß – und das scheint ihn zumindest traurig zu machen -  er weiß offenbar, wie weit es mit unserem Glauben her ist, wie kümmerlich er ist.

 

Wie hat er oft unter dem Kleinglauben der Jünger gelitten, wie oft hat ihn das traurig, verzweifelt und zornig gemacht – bis hin zu Tränen des Zorns, in der Geschichte von der Auferweckung des Lazarus wird das erzählt (Joh. 11, 35.38), und einmal hat hat er zu den Jüngern gesagt: Wenn ihr Glauben hättet klein wie ein  Senfkorn – ihr würdet Berge versetzen können (Mt. 17, 20).Welche Macht könnte der Glaube haben – wenn wir nur mehr Vertrauen hätten! Wenn wir Jesus nur mehr zutrauen würden!

 

Die Jünger fragen nur fassungslos: Wer ist der? Laßt uns wenigstens so viel tun: Nicht aufhören so zu fragen: Wer bist du? Und ihm das zutrauen: Wind und Meer sind ihm gehorsam: Er ist Herr auch über die Dämonen.

 

Und – auch wenn er zu schlafen scheint – er ist bei uns im  Schiff der Kirche, der Gemeinde. Und er wird uns ans Ziel bringen. Dorthin , wo wir dann auf ewig festen Boden unter den Füßen haben, wo wir, nach langer Fahrt, dann  einmal an Land sind, im himmlischen Garten, wo Sonnenschein ist und selige Stille – wo wir in unbeschreiblichem Licht dann Ihn selbst sehen werden, wie er ist. Amen.

 

 

 

 

 

 

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.