Gottesdienst am Sonntag Kantate, 22. Mai 2011, Rhodos

 

Lieder:

Gottlob der Sonntag kommt herbei...162

Freuet euch der schönen Erde...510

Schönster Herr Jesu...403

Die beste Zeit im Jahr ist mein...319

 

Psalm 8 Nr. 705

 

Lesung: Kolosser 3, 12 - 17

 

Liebe Gemeinde!

 

Wozu feiern wir eigentlich Gottesdienst – und wie feiern wir ihn richtig? Stellen wir diese Frage einmal dem, der dafür am kompetentesten ist, fragen wir den Herrn der Kirche, fragen wir Jesus selbst. Eine Antwort gibt er uns im heutigen Predigttext, Matth.  21, 12 – 17.

 

Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel  und stiess der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler

und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56, 7): „Mein Haus soll ein Bethaus heissen“; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus.

Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und  er heilte sie.

Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosianna dem Sohne Davids! entrüsteten sie sich

und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8, 3): Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet“?

Und er liess sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.

 

 

 

Jesus geht auf den Tempelplatz. Und  hier kommt es zu drei völlig verschiedenen Begegnungen mit Menschen.

 

I

 

Die erste Begegnung ist geradezu ein  Zusammenstoss. Dort auf dem Tempelplatz haben Geldwechsler und Händler ihre Tische und Buden aufgestellt. Diese Leute waren sehr nötig. Schon zu Jesu Zeiten wohnte der größte Teil des jüdischen Volkes im Ausland, überall in den Ländern des Mittelmeeres, des Vorderen Orients...Aber ihre Haupt- und Heimatstadt, ihre über alles geliebte und aus der Ferne ersehnte Vaterstadt war und  blieb Jerusalem mit seinem Zentrum, dem herrlichen Tempel. Und  wann immer Juden nach Jerusalem reisten und pilgerten – etwa zum alljährlichen  Passafest – mussten sie natürlich ihre ausländischen Währungen umtauschen  für die Tempelsteuer, den Kauf der Opferlämmer, den Lebensunterhalt...Die Frage war nur: Musste das alles auf dem Tempelplatz stattfinden?

 

Jesus sieht das alles und die Szene, die dann folgt, ist ja oft und oft dargestellt worden:Er

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fährt da hinein in heiligem Zorn und mit lodernden Augen wie ein Gerichtsprophet,  schmeisst die Tische der Geldwechsler um, öffnet die Taubenverschläge, nimmt sich, wie der Evangelist Johannes extra erwähnt, eine Geissel, treibt Menschen, Schafe und Lämmer vom Tempelplatz herunter und erklärt auch, warum: Ihr missbraucht Religion und Glauben zu Geschäftemacherei, ihr betrügt die Menschen mit gepfefferten Preisen, ihr macht aus dem Heiligtum Gottes eine Räuberhöhle, in der es roh und laut und betrügerisch zugeht.Aber wie steht im Prophetenbuch Jesaja geschrieben: Mein Haus soll ein Bethaus sein, spricht der Ewige. Und schon auf dem Weg zum Tempel  sollte man Stille finden.

 

Damit haben wir eine  erste klare Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Gottesdienstes: der Gottesdienst  ist ein Ort des Gebetes. Wir Menschen brauchen besondere Zeiten und  Orte der Anbetung, der inneren Sammlung, der Stille, des Gesprächs mit dem heiligen Gott.

 

Zugleich zeigt uns Jesus hier mit unüberbietbarer Deutlichkeit eine der größten Versuchungen und  Gefahren der Kirche: Die Geschäftemacherei, das Benutzen und Ausnutzen der religiösen Gefühle der Menschen für Profit und eigene Interessen. Jesus hat ja mehrfach die geradezu dämonische Macht entlarvt, die dem Geld innewohnt. Jeder hat Geld gern, warum auch nicht? Man kann sich und anderen damit viel Freude machen.Aber es hat die Tendenz, uns zu beherrschen statt umgekehrt. Gott und Geld haben eines gemeinsam: Sie beanspruchen uns ganz. Hier gibt’s nur ein Entweder-Oder.

Darum können Menschen dem Geld hörig werden, es anbeten, ihm Tempel errichten,  Liturgien zelebrieren und zahllose Opfer darbringen – und dass sie darüber um ihr Leben betrogen werden, merken die meisten erst, wenn's zu spät ist. Jesus schärft uns ein: Festen Halt und belastbares Fundament gibt eurem Leben allein Gott, das Hören auf ihn, das Gespräch mit ihm. Dass A und O christlichen Lebens ist eine lebendige Gottesbeziehung. Und dann werdet ihr auch souverän und frei mit dem Geld umgehen können.

 

Und daran erinnert uns ja dann auch jede gottesdienstliche Kollekte: Das Beste am Geld ist, es auszugeben zur Hilfe und Freude für andere und darüber wird es zugleich zum Segen für einen selbst.  

 

II

 

Die zweite Begegnung am Tempel ist weit weniger bekannt, aber genauso wichtig. Israel  war damals überaus stolz auf seinen Tempel. Überall wurden Götzen – oft furchterregende Gestalten – angebetet. Aber hier in Jerusalem: Hier war das Heiligtum des Schöpfers des Himmels und der Erde, hier durfte man den heiligen und barmherzigen Gott anbeten und  in Ehrfurcht vor ihn treten. Hier wurden, wie die  Psalmen (z.B. Psalm 27) oft sagen, die „schönen“, die herrlichen Gottesdienste des Herrn gefeiert. Ganz klar, dass man vom Heiligtum Gottes, diesem prachtvollen Bauwerk, alles Hässliche fernhalten musste. Und dazu gehörten nach dem damaligen Volksglauben - der bis heute in uns  Menschen steckt - , auch blinde, lahme, verkrüppelte Menschen, deren Leiden oft als Strafe Gottes gedeutet wurde.

 

Und nun kommen solche behinderten Menschen in Jesu Nähe – und er heilt sie. Und zeigt damit: Auch sie sollen ungehinderten Zugang zum Heiligtum Gottes, volle Gemeinschaft mit Gott und der Gemeinde haben. Sie sind – auch wenn sie körperliche oder geistige

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handicaps haben – Gott heilig.

 

Und damit haben wir eine zweite Antwort auf die Frage nach dem Sinn des christlichen

Gottesdienstes: Hier sollen alle volle, ungehinderte Gemeinschaft mit Gott und miteinander haben, hier wird niemand diskriminiert oder ausgeschlossen oder auch irgendwie abschätzig betrachtet, hier darf also auch niemand, der an Jesu Tisch kommen will, von der Mahlgemeinschaft ausgeschlossen werden.Und, mehr noch: Von der Heilsbotschaft im Gottesdienst sollen helfende und heilende Kräfte ausgehen, durch sie sollen Menschen Heil und Heilung empfangen! Und darum ist der wichtigste Auftrag von uns  Christen neben der Verkündigung des Evangeliums die Diakonie, das helfende und heilende Handeln und der Kampf gegen jede Art von Diskriminierung. Ja, das ist ja sogar  nach Jesu Worten der Masstab, nach dem unser Leben im Jüngsten Gericht beurteilt wird: Ob wir Ihm in den  geringsten unserer Geschwister  gedient haben, Hungernde gespeist, Durstige getränkt, Fremde beherbergt, Gefangene und Kranke besucht haben! (Matth. 25).  

 

III

 

Und nun die dritte Begegnung: Kinder stürmen in den Tempel! Weiss der Kuckuck, wo sie mit einemmal hergekommen sind. Sie sind da. Überall auf der Welt, wo etwas Besonderes los ist, sind gleich auch Scharen von Kindern da (ausser in Gesellschaften, in denen es leider kaum Kinder gibt).

 

Sie tanzen um Jesus herum, sie schreien, juchzen und singen: Hosianna dem Sohne Davids – also den Lobruf, mit dem der sehnlich erwartete Messias bei seinem Kommen begrüsst werden sollte. Es ist so, als würde jetzt in unseren Gottesdienst eine Meute von Kindern juchzend, tanzend und singend hereinstürmen.

 

Da sind die Priester und Schriftgelehrten ausser sich vor Entrüstung über diese Störung  und Entweihung des Heiligen. Die Geschäftemacherei haben sie noch voll mitgemacht, bei den Behinderten sich noch zurückgehalten, aber jetzt bei den Kindern wollen sie, dass Jesus ihre Empörung teilt und die Kinder zurechtweist: Wollt ihr wohl ruhig sein! Aber  Jesus antwortet mit einem Bibelzitat, dem Vers aus Psalm 8: Aus dem Munde der Unmündigen  und  Säuglinge hast du, Gott, dir ein Lob zubereitet.

 

Das ist ein tiefsinniger Satz, über den man lange nachdenken kann. Unter anderem könnte er bedeuten, dass auch Spontaneität, helle Begeisterung, überströmende kindliche Freude, ausgelassenes Tanzen und  Singen ihren Platz haben sollen im christlichen Gottesdienst.

 

Und damit ist als dritte Antwort Jesu klar: Der Gottesdienst ist ein Ort, wo wir Gott aus vollem Herzen und mit allen Sinnen loben, wo wir ihm zur Ehre und uns zur Freude musizieren und singen, wo nicht alles liturgisch geordnet sein muss, sondern auch viel Spontaneität, Begeisterung und Lachen Raum haben.  Das ist schon so: Die Lebendigkeit einer Gemeinde erkennt man  auch daran, ob in ihren Zusammenkünften aus vollem Herzen gesungen und  Gott gelobt wird.

 

Unser Text hat einen sehr ernsten Schluss: „und  er liess sie stehen und ging zur Stadt hinaus...“.

 

Das kann also passieren: Gott lässt die vermeintlich Frommen und  Würdigen – die

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Priester und Theologen - stehen und  geht von ihnen weg.

 

Ob wir Gottesdienst richtig feiern, das hängt also letztlich und vor allem davon ab, ob er, Jesus selbst, in ihm gegenwärtig und wirksam ist; anders gesagt: Ob in unseren Gottesdiensten der Heilige Geist kräftig weht und wirkt.

 

Ob  wir also bei ihm, Jesus, beten lernen, in ihm Halt und Geborgenheit finden und dadurch – unter anderem – auch frei werden von der Macht des Geldes.

 

Ob wir über dem Hören auf das biblische Wort innerlich heil und froh werden und uns

einsetzen für benachteiligte Menschen und Mitgeschöpfe.  

 

Und schliesslich:  Ob wir von Herzen und mit überströmender Freude Gott loben und ihn durch  Musik und Gesang  ehren.

 

 

Gottesdienst als Zeremonie oder gar als show: Das bringt's nicht. Sondern das A und O des Gottesdienstes ist es, dass der lebendige Herr Christus in ihm gegenwärtig und wirksam ist – reinigend, heilend, begeisternd. Amen.