Gottesdienst am Sonntag Septuagesimae (70 Tage vor Ostern),

16. Februar 2003

 

Lieder:

Nun  jauchzt dem Herren, alle Welt...288, 1 - 5

O gläubig Herz, gebenedei und gib Lob deinem Herren...318

O daß ich tausend Zungen hätte... 330, 5 - 7

 

Psalm 31 i.A.

 

Lesung: Jeremia 9, 22 - 23

 

Predigt über Matthäus 20, 1 – 15

 

 

Liebe Gemeinde,

 

„das Matthäusevangelium ist eine Quelle, die mich in vielen Lebenssituationen zum Nachdenken anregt. Ich denke hier zum Beispiel an die Bergpredigt oder aber die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg. Fragen Sie sich nicht auch, warum der Hausherr allen Arbeitern am Abend den gleichen Lohn auszahlt, gleichgültig, ob sie dafür den ganzen Tag oder nur eine Stunde gearbeitet haben? Hier geht es um elementare Dinge wie Gerechtigkeit, aber auch um Gnade. Ich finde diese Geschichte immer wieder spannend und nachdenkenswert“. So Bundeskanzler Gerhard Schröder im „Magazin der Deutschen Bibelgesellschaften“ zum „Jahr der Bibel 2003“.

 

Hier geht es um elementare Dinge wie Gerechtigkeit und Gnade“. Hören wir, was Jesus im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, dem heutigen Predigttext, davon sagt:

 

Mit dem Leben im Reich Gottes ist es wie mit einem Hausherrn,  der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen.

Er einigte sich mit ihnen auf den Tagelohn von einem Silberstück, einem Denar, dann schickte er sie in den Weinberg.

Um neun Uhr ging er wieder auf den Marktplatz und sah dort andere arbeitslos herumstehen. Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in  meinen Weinberg, ich will euch geben, was recht ist.

Und sie gingen hin.

Ebenso machte er es mittags um 12 und um drei Uhr nachmittags. Und als er um fünf Uhr das letzte Mal zum Marktplatz ging, fand er noch einige und sagte zu ihnen: „Was steht ihr den ganzen Tag herum?“

Sie antworteten: „Es hat uns niemand eingestellt“.

Da sagte er: „Geht auch ihr noch hin und arbeitet in meinem Weinberg!“

 

Als es nun Abend wurde, sagte der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: „Ruf die Leute zusammen und gib ihnen den Lohn. Fang an bei den letzten bis zu den ersten.“

Da kamen,  die um fünf Uhr angefangen hatten, und jeder bekam sein Silberstück.

 

 

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Als nun die an der Reihe waren, die ganz früh begonnen hatten, dachten sie,  sie bekämen mehr, aber auch sie erhielten  jeder ein Silberstück.

Da murrten sie gegen den Hausherrn

und sagten: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, aber du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben!

Da sagte der Weinbergbesitzer zu einem von ihnen: „Mein Freund, ich tue dir kein Unrecht. Hatten wir uns nicht auf ein Silberstück geeinigt? Das hast du bekommen, und nun  geh! Ich will nun einmal dem letzten hier genauso viel geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht, mit meinem Eigentum zu tun, was ich will? Guckst du so mißgünstig, weil ich so gütig bin?“

 

Gütig!?

 

Die Arbeiter, vor allem die, die am meisten gearbeitet haben, die halten den Besitzer aber nicht für gütig. Ganz im Gegenteil!  Ich stelle mir vor, wie sie mißgelaunt,  dann böse werden, wie finstere Gedanken in ihnen zu brodeln beginnen, wie sie die Hände zu Fäusten ballen...

 

Werden sie ihn  am Ende gar noch umbringen wollen? Oder, wenn sie ihn nicht zu fassen kriegen, an seiner Stelle dann eben seinen Verwalter!?

 

Oder werden sie doch noch erkennen, daß die scheinbare Ungerechtigkeit dieses Weinbergbesitzers tatsächlich Güte ist, Güte auch ihnen gegenüber!?

 

Am wichtigsten ist die Frage: Wie wird Jesu Gleichnis jetzt Ihr Leben verändern?

                                                                      

 

I

 

Was Jesus am Anfang erzählt, das ist ja ganz so, wie es auch bei uns zugeht. Es ist – schlagwortartig gesagt – wie in einer spätkapitalistischen Gesellschaft. Da ist ein reicher Unternehmer, und da sind eine Menge Arbeitsloser. Sie stehen auf dem Markt – dem damaligen Arbeitsamt – und warten, bis einer ihre Arbeitskraft mietet.

 

Der Unternehmer, der die ersten einstellt, bestimmt ihren Lohn nach Gutdünken. Die Arbeitslosen stimmen zu. Immerhin, ein Silberstück, ein Denar, das war eine Summe, gut ausreichend für den Tagesbedarf einer ganzen Familie.

 

Wenn wir die Geschichte jetzt weitererzählen würden, dann würden wir, gerecht wie wir sind, sagen: Die drei Stunden später eingestellt wurden, bekamen entsprechend weniger, die danach noch weniger:  Jeder den Lohn seiner Arbeitszeit entsprechend.

 

Aber der Besitzer des Weinbbergs handelt anders. Er sagt abends zu seinem Verwalter: Ruf alle Arbeiter zusammen. Und dann: Fang bei den Letzten mit der Auszahlung an. Er gibt jedem ein Silberstück.

 

 

 

3

 

Da reißen die, die den ganzen Tag geschuftet haben, die Augen auf:  Mensch, die kriegen ja einen ganzen Denar! Dieser Unternehmer hat offenbar ein weites Herz, der ist nicht knausrig, der hängt nicht an seinen Moneten. Blitzschnell rechnen sie: Wenn die einen Denar kriegen, dann kriegen wir also jetzt drei, wir sechs, wir neun Denare! Bo! Eh!

 

Aber stellen wir uns die immer länger werdenden Gesichter vor, als alle das Gleiche kriegen: Jeder seinen Denar.

 

Ihr Gerechtigkeitsgefühl ist gekränkt, Empörung macht sich breit. Sie murren.

 

Da wendet sich der Unternehmer einem von ihnen zu: Mein Freund! Ich bin nicht ungerecht. So wie vereinbart, habe ich gehandelt. Und wenn ich den anderen das geben will, was mir recht scheint, dann ist das meine Sache. Also nimm, was ich dir zugesagt habe – und geh.

 

„Und geh!“

 

Und  jetzt? Werden die jetzt gehen, mit Wut im Bauch, sich an einer Straßenecke sammeln,  ihrer Empörung freien Lauf lassen?

 

                                                                       II

 

Unmittelbar auf dieses Gleichnis Jesu folgt im Matthäusevangelium die dritte Leidensankündigung Jesu. Er  sagt seinen Jüngern: „Wir gehen jetzt hinauf nach Jerusalem. Ich werde den Hohen Priestern und Schriftgelehrten ausgeliefert werden und sie werden mich zum Tode verurteilen“.

 

Hohe Priester und Schriftgelehrte: Sind das nicht die ganztägigen, sozusagen die hauptberuflichen  Arbeiter im Weinberg Gottes?

 

Ein Schriftgelehrter: Das bin ich, zum Beispiel. Ein Priester, gar ein Hohepriester: Das ist: der Papst, das sind Bischöfe, Pfarrerinnen und Pfarrer. Oft werden neben ihnen in der Leidensgeschichte Jesu auch noch „die Ältesten“ genannt, das wären die Presbyter und besonders angesehene Menschen in Kirche und Gemeinde.

 

Denen sagt Jesus: Gott gibt euch genug, soviel, daß es ausreicht für ein einigermaßen sorgenfreies Leben – aber die andern, die, die weniger fleißig, angesehen, tüchtig, fromm sind als ihr – oder die, die halt erst ganz spät überhaupt Arbeit im Reich Gottes fanden, die sollen genauso viel bekommen wie ihr. Ich will den Letzten dasselbe geben wie euch.

 

Wie reagieren wir?

 

Hand aufs Herz, das geht uns gegen den Strich. Mir jedenfalls.

 

Machen wir’s anschaulich. Für mich zu den vorbildlichsten Christen gehört etwa ein Martin Niemöller. Der arbeitete ein Leben lang - bis er weit über 90jährig starb - im Weinberg, im Reich Gottes, er war Bekennender Christ im  Dritten Reich, er war

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sieben Jahre als persönlicher Gefangener Hitlers im KZ Dachau, nach dem Krieg reiste er in die Kirchen der Ökumene, bat um Vergebung, Versöhnung, auch um 

materielle, finanzielle Hilfen für die notleidenden Deutschen, dann  flog er 1954, mitten im sog. Kalten Krieg, als Friedensbote nach Moskau, er demonstrierte gegen die Wiederbewaffung, den Aufbau der Bundeswehr, später gegen Atomwaffen und seit den 60ger Jahren gegen eine überaus ungerechte Weltwirtschaft, in der die Reichen die Armen ausplündern: Ein politisch radikaler und persönlich ein in geradezu kindlich-einfältiger  Weise frommer Christ, stets zwischen allen Stühlen sitzend...

 

Und dann ist da einer, der war im  Dritten Reich PG, Parteigenosse, vielleicht auch bei der SA oder SS oder gar Gestapo, er trat selbstverständlich 1933 sofort aus der Kirche aus – aber dann in der Nachkriegszeit, da trat  er, der Wendehals, wieder ein, weil‘s seiner Karriere jetzt so herum förderlich war, er sorgte auch dafür, daß seine Töchter schöne kirchliche Trauungen erhielten, ging auch Heiligabend mal in die Christvesper -  aber: seine Überzeugungen, seine Ansichten über die Juden und auch die Pfaffen (die er natürlich laut nicht so nannte, sondern immer nur: „Herr Pfarrer“ sagte) – seine Überzeugungen aus der Nazizeit, die behielt er. Aber als es ans Sterben ging, da wurde ihm doch bange, er rief den Pfarrer, es ergab sich ein gutes Gespräch, er sagte, er schäme sich für sein Verhalten, der Pfarrer sagte ihm die Gnade und Vergebung Gottes zu, er fand den Frieden.

 

Ja - jetzt im ewigen Leben, da werden beide einander gleichgestellt. Oder muß ich sogar sagen, denn „die Letzten werden die Ersten sein“ : Niemöller wird gern und geduldig warten, denn  erst kommt der Parteigenosse, der ehemalige Nazi, den Gott in die Arme nimmt, und  dann vielleicht noch ehemalige Gefängnisinsassen, Grundstückshaie, Geizkragen, die späte Reue gezeigt haben, und Niemöller freut sich von Herzen über Gottes Güte und Erbarmen mit ihnnen und schwebt dann schließlich auch auch hinein in die Seligkeit...

 

Das also ist die Gerechtigkeit Gottes: Jedem – unabhängig von seiner „Leistung“ - ein gleiches Maß an Güte.  Ganz klar: Das ist fremd in unserer Welt, das steht quer zu unseren Maßstäben.

 

Bei uns bedeutet Gerechtigkeit doch: Entsprechend der Leistung die Anerkennung. Entsprechend dem Verdienst der Verdienst. Je mehr Leistung, desto höher steht man, desto höher ist das Ansehen, desto höher natürlich auch das Gehalt. Und je höher einer steht, auf desto mehr Menschen kann er herunter- oder herabschauen.

 

Beispiele: Da sind wir, die treuen Kirchgänger – und da die, die nur Heiligabend kommen. Hier wir Christen – und da die Moslems. Hier wir Europäer – da die Afrikaner. Hier ich, der es zu etwas gebracht hat – da der Versager. Ich in  sog. „geordeten Verhältnissen“ – da der Penner. Ich, der treue Ehemann und Familienvater – da der Luftikus.

 

Jesus sagt: Gott ist anders. Er gibt nicht nach Verdienst und Leistung , er gibt jedem das, was er jedem geben möchte: Jedem gleichviel Güte.

 

 

5                                                                   

 

                                                                       III

 

Wie könnte ich dazu kommen, Gott ähnlich zu werden, also dem anderen die Güte und Freundlichkeit auch zu gönnen, von ganzem Herzen zu gönnen? Ich weiß eine, nur eine Möglichkeit: Ich lasse mich unter das Kreuz Jesu führen. Hier können mir die Augen auf- und übergehen: Ich kann da nämlich erkennen: Er hängt da – für mich. Er, der Unschuldige, läßt sich schuldig sprechen – und erwirbt mir, dem Schuldigen, den Freispruch Gottes. Er geht in  den Tod, damit ich das Leben habe. Ohne daß ich etwas dafür geleistet habe oder auch nur leisten kann, fällt mir unverdient und geschenkweise ewiges Leben, Seligkeit, Gnade Gottes zu. Um seines, Jesu, Verdienstes willen.

 

Gott bietet mir das an: Ewige Gnade, Liebe, Vergebung, Erlösung und dem oder der Anderen, wer er oder sie auch sei, ebenso. Nur eins ist nötig: das annehmen, sich beschenken lassen, sich darüber freuen, dankbar dafür werden. Wer das tut, der empfängt und erfährt darüber höchstmögliche Freiheit.    

 

                                                                       IV

 

Und das, was ich im Glauben annehme, will dann hinaus und hinein in die Welt und ihre Strukturen. In die politischen: Da gibt es natürlich nicht mehr „die Guten“ und  „die Bösen“, sondern samt und sonders nur noch Sünder, allesamt in gleicher Weise auf Gottes Gnade angewiesen.

 

Und das gilt dann auch für die Weltwirtschaft: Jedem Menschen, jedem Volk seinen Denar. Nicht Gleichheit, sondern Gerechtigkeit. Jedem – gleichgültig, wie viel er leistet - soviel, wie er für ein einigermaßen sorgenfreies Leben braucht.

 

Ich hörte gerade: 1, 2 Milliarden der Weltbevölkerung leben von weniger als einem Dollar täglich. Die Kosten des derzeit drohenden Krieges dagegen werden auf 100 bis 200 Milliarden Dollar veranschlagt. Wie schlägt das dem ins Gesicht, dem wir dieses Gleichnis verdanken und der sein Leben hingegeben hat, um uns Menschen diese Güte Gottes zu erwirken. Und der uns Christen zu etwas ganz Anderem einlädt: Beizutragen zu einem Miteinanderleben von Einzelnen und Völkern, denen allen in gleicher Weise die Güte Gottes gilt. Wo nicht mehr einer mißgünstig auf den andern guckt, der doch eigentlich weniger verdient hat, sondern wo die Menschen eine Güte – Gemeinschaft bilden. Jeder dankbar für die unverdiente und großzügige Güte Gottes!

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn.

 

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.