Frühgottesdienst am Sonntag Reminiscere, 16.März 2003

 

Lieder:

Herr Jesu Christ...155                                                   

Wenn wir in höchsten Nöten...366

Reich des Herrn...602

 

Psalm 25

Lesung: 5. Mose 8, 7 - 19

 

Predigt über Markus 12, 1-9

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

der heutige Predigttext ist ein Gleichnis Jesu. Der Ort, an dem er es sagte: Der Vorhof des Tempels, vielleicht die Treppenstufen, auf denen man in den Vorhof hinauf ging: Dort fanden die „Streitgespräche“ der in den heiligen Schriften gelehrten Männer statt. Eben sie, die führenden Priester,  die Gesetzeslehrer, und die Ratsältesten, also Vertreter der religiösen und politischen Elite, sind die Zuhörer Jesu (vgl. Kap. 11 Vers 27). Sie hatten versucht, Jesus im Gespräch eine Falle zu stellen -  vergeblich (V. 20 – 33). Dann heißt es im heutigen Predigttext:

 

Darauf wandte sich Jesus mit einem Gleichnis an sie. Er sagte:

Ein Mann legte einen Weinberg an, machte einen Zaun darum, baute eine Weinpresse und errichtete einen Wachtturm. Dann verpachtete er den Weinberg und ging außer Landes.

Zur gegebenen Zeit schickte er einen Boten zu den Pächtern, um seinen Anteil am Ertrag des Weinbergs abholen zu lassen. Die Pächter aber schlugen den Boten und schickten ihn mit leeren Händen fort.

Der Besitzer schickte einen zweiten, dem schlugen sie den Kopf blutig und behandelten ihn auf die schimpflichste Weise.

Da schickte er einen weiteren Boten, den brachten sie sogar um. Und so machten sie es noch mit vielen anderen, die er schickte: Die einen wurden mißhandelt, die anderen umgebracht.

Schließlich blieb ihm nur noch sein eigener Sohn, dem seine ganze Liebe galt. Den schickte er zu den Pächtern, weil er sich sagte: Vor meinem Sohn werden sie Respekt haben.

Aber die Pächter sagten zueinander: Das ist der Erbe! Laßt uns ihn umbringen, dann gehört seine Erbschaft, der Weinberg, uns! So töteten sie ihn und warfen den Leichnam aus dem Weinberg hinaus.

Was wird nun der Besitzer des Weinbergs tun? Er wird selbst kommen, wird die Pächter töten und den Weinberg anderen anvertrauen.

 

 

Unerschöpflich, sagt Jesus hier, unerschöpflich ist auch die Geduld dieses Weinbergbesitzers nicht. Irgendwann wird er diese nichtswürdigen Pächter zur Rechenschaft ziehen. Er wird sie enteignen und dem Tod ausliefern. Er wird an ihrer Stelle dann andere Pächter suchen und vielleicht auch finden.

 

 

 

2

 

I                       

 

Jesus stellt seinen damaligen Hörern – Priestern, Schriftgelehrten, die ihm feindselig gesonnen waren – das Verhalten des Volkes Israel vor Augen – und die Reaktion Gottes darauf.

 

Er sagt: Wie viele Boten hat Gott unserm Volk gesandt, wieviele Propheten, Mahner, Warner bis hin zu Johannes dem Täufer...Man hat kaum einen von ihnen jemals hören wollen, sie wurden stattdessen vertrieben, mißhandelt, einige sogar umgebracht.

 

Und er sagt ihnen ins Gesicht, was sie insgeheim schon über ihn beschlossen haben, er sagt ihnen: Auch den letzten, den Sohn, werdet ihr töten und werdet seinen Leichnam über den Zaun werfen.

 

Und so ist es dann ja auch gekommen. Die, zu denen Jesus hier redet, wollten wirklich nicht mehr hören. Es war alles längst beschlossene Sache. So wie wir das auch von uns kennen: Da schlägt einer etwas vor..und wir hören zu, aber in Wirklichkeit hören wir überhaupt nicht mehr zu. Wir wissen schon, was wir tun werden, es ist längst beschlossene Sache, steht längst fest. Oder – damals in der Nazi-Zeit der Volksgerichtshof unter dem Präsidenten Roland Freisler. Da konnten die Gefangenen zu ihrer Verteidigung sagen, was  sie wollten – das Urteil über sie stand im vorhinein fest. Und manchmal ist es ähnlich auch bei politischen Entscheidungen, etwa über Krieg und Frieden: Man verhandelt noch, tut dies und das – aber der Entschluß zum Krieg steht insgeheim längst fest (obwohl man  immer auch mit Wundern rechnen und dabei dem Gebet ungeheuer viel zutrauen soll).

 

Und es ist damals auch dies eingetroffen, was Jesus voraussagte: Der Weinberg – und er ist ja ein Bild für das Reich Gottes – der Weinberg wurde anderen anvertraut...Die Verkündigung vom Reich Gottes wanderte aus Israel hinaus, sie ging, beginnend mt der Mission des Paulus, in die Völkerwelt hinaus, breitete sich aus über die ganze Welt  - und heute erreicht dieses Gleichnis Jesu uns, heute ist sein Ort unsere Kapelle hier, heute sagt Jesus es zu uns. 

 

II

 

„Ein Mensch pflanzte einen Weinberg...er verpachtete ihn an Weingärtner und zog außer Landes“.

 

Genau das ist unsere Wirklichkeit. Gott hat durch Jesus sein Reich unter uns gegründet..und nun ist Jesus sozusagen außer Landes – ist in seiner himmlischen Herrlichkeit...Aber er hat uns zu Pächtern eingesetzt, d.h. dazu ist unser Leben da,

daß es Ertrag bringt für ihn, den Herrn des Weinbergs, für ihn, den König des Reiches Gottes.

 

Halten wir hier einmal inne.

 

Eigentlich ist das eine Binsenweisheit. Bei der Taufe wurde der Name des dreieinigen Gottes über uns ausgerufen und das bedeutet, wir gehören nicht uns

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selbst, wir gehören Christus, er ist der Eigentümer unseres Lebens und wir sind dazu da, daß wir sozusagen etwas erwirtschaften für ihn, wir sind nicht dazu da, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Obwohl wir das immer tun, uns so verhalten, wie es Jesaja (Kap.  53) einmal schreibt: Ein jeder sieht auf seinen Weg...sieht auf sich, seinen Vorteil, seinen Nutzen, will selbstherrlich sein Leben in die eigene Hand nehmen, selbst bestimmen, was gut und böse für ihn ist.  Aber wir sind nicht Eigentümer, sondern Pächter, unser Leben soll Frucht bringen für Gott und sein Reich. Paulus zählt solche Früchte in seinen Briefen an mehreren Stellen auf (Röm. 14, 17; Gal.5, 22f.) und sagt: es sind Liebe, Freude, Friede, Geduld, Langmut, Freundlichkeit, Gerechtigkeit, Sanftmut, Keuschheit...

 

Aber geschieht das? Wo und wie geschieht das unter uns? Geschieht es in meinem persönlichen Leben? Und: Blüht und wächst das Reich Gottes auch in den Ländern Europas ? Könnte es sein, daß eine Zeit kommt, in der der Eigentümer den Weinberg, das Reich Gottes, von uns nehmen und ihn anderen Völkern geben wird? Könnte es sein, daß das Christentum hier schrumpft,vielleicht bis auf ein paar christliche Inseln verschwindet und stattdessen aufblüht in China, Afrika, Lateinamerika?

 

III

 

Das scheint -  wenn überhaupt - in weiter Ferne zu liegen. Und es ist eigentlich auch nicht wichtig, darüber zu spekulieren. Denn im Grunde ist nur eins wichtig: Daß  jeder von uns  jetzt Jesus zu sich persönlich reden hört: Jesus sagt uns: Du bist einer von den Pächtern im Weinberg. Wie sieht’s mit deinem Wirken im Reich Gottes  aus? Bringt Deine Arbeit Früchte? Schöne, süße Trauben? Lebst du andern Menschen zur Freude? Zur Hilfe? Betest Du für Andere? Übst Du die Dankbarkeit? Lebst Du aus

dem Nährboden, der Kraft des Wortes Gottes? Denn darum geht es ja eigentlich: Nicht in erster Linie darum, etwas für Gott zu tun, sondern zuerst und vor allem: etwas von Gott zu  empfangen, sich von Gott beschenken zu lassen: mit Kraft, mit Freude am Evangelium, mit Trost. Denn auch wenn die Lügen der„Spaßgesellschaft“ das immer zu überdecken versuchen, das stimmt ja alles, was wir eben zum Beispiel von der Trübsal und der Not in unserm Leben gesungen haben...Die Frage ist also: Wendest Du dein Leben der Sonne, dem Licht der Liebe Gottes zu? Jeden Morgen kann das geschehen, etwa über dem Lesen der Losungen – und dann sieht der Tag anders aus, wir bekommen Kraft zum Guten...Darauf kommt alles an, daß wir vor Gott einmal nicht mit leeren Körben dastehen. Sondern daß Gott einmal sagen kann: Du hast tüchtig und liebevoll im Weinberg gearbeitet, hast dich um Ertrag bemüht, anderen und dir selbst zur Freude und zum Segen. Du  hast den schalom, den Frieden im Reich Gottes  gefördert.

 

Dazu ein schöner und eindrücklicher Text aus dem evangelischen Sonntagsblatt DER WEG von vorletzter Woche. Der Chefredakteur, Andreas Krzok, beginnt, indem er von einem Erlebnis auf einem Großstadtmarkt schreibt:

 

„Eine Mischung aus ängstlicher Scheu und trotziger Abwehr malte sich auf dem Gesicht der alten Dame ab, als ich sie auf ihr Tun ansprach. Sie fütterte wie an jedem Nachmittag die Tauben mitten in der Großstadt. Ein Ärgernis für viele, die die - Anführungszeichen - „Ratten der Luft“ lieber mit Georg Kreisler im Park vergiften

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würden. Und das hat die Dame mit den Plastiktüten voll Vogelfutter schon oft zu spüren bekommen. „Sie beschimpfen mich“, sagt sie. „Dabei sind die Menschen viel

schlimmer als die Tiere. Die sind doch unschuldig und tun keinem was zuleide. Und für mich ist es ein Stück Lebensinhalt“.

 

Die offenbar sehr einsame Frau und ihre Tauben sind für mich zu einem Sinnbild geworden, das mit dem bekanntesten Lied des im vergangenen Herbst verstorbenen Sängers Hans Hartz zu einer Denkfigur verschmilzt. „ Die weißen Tauben sind müde“, heißt es in dem Text, „sie fliegen lang schon nicht mehr. Sie haben viel zu schwere Flügel, und ihre Schnäbel sind längst leer. Jedoch die Falken fliegen weiter, sie sind so stark wie nie vorher, und ihre Flügel werden breiter, und täglich kommen immer mehr.“

 

Ein Zeitbild par excellence: Die Taube, die mit dem Zweig im Schnabel die Hoffnung zu Noah brachte, die Taube, die Picasso mit seiner Zeichnung der Menschheit als Friedenssymbol schenkte, ist für Großstädter zum Ärgernis geworden. Und zum Ärgernis scheinen auch die Sanftmütigen und Friedfertigen zu werden, die in der Politik als „Tauben“ gelten. Sind ihre Flügel schon müde geworden, während die „Falken“ immer mehr und immer stärker werden?

 

Ach, wie nahe liegt es, in das Lied von Hans Hartz einzustimmen. Aber das hieße, die Tauben den Falken preiszugeben.

 

Laßt uns lieber zum Ärgernis werden und uns auf die Seite der Tauben schlagen. Um Beistand dürfen wir den heiligenGeist bitten. Sein Symbol: die Taube.“

 

Soweit dieser Text.

 

„Um Beistand dürfen wir den heiligen Geist bitten...“. Um sein Kommen bitten, um seine Kraft, um sein Licht, nicht nachlassen zu beten, das ist eine Hauptaufgabe von uns Pächtern heute. Um den Heiligen Geist bitten für die in der Politik Verantwortlichen, für uns selber... Er kommt und macht uns zu Tauben – ja mehr: zu Adlern.  Denn:“ Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden“. Amen.

 

 

 

 

 

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.