Gottesdienst am Sonntag Palmarum, 5. 4. 09

in Essen - Bredeney, Am Heierbusch


Lieder:

Herr stärke mich, dein Leiden zu bedenken...91,1 - 5

Du schöner Lebensbaum des Paradieses...96

Ich will dich lieben, meine Stärke...400, 1. 5. 6

Ich grüße dich am Kreuzesstamm...90,1


Psalm 18 (Nr. 707 S. 1141)


Lesung: Philipper 2, 3 - 11



Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.


Liebe Gemeinde,


bevor die Evangelisten Markus und Matthäus von Leiden und Tod Jesu berichten, erzählen sie eine Geschichte voller Schönheit: Die Salbung Jesu in Betanien. Betanien ist ein kleiner Ort oberhalb des Ölbergs im Osten von Jerusalem.


Ich lese aus Markus 14 die Verse 3-9.


Und als Jesus in Betanien im Hause Simons des Aussätzigen zu Gast war, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäss mit reinem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goß es auf sein Haupt.

Da erregten sich einige über sie und riefen: Was soll diese Vergeudung des Salböls?

Man hätte es für über 300 Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können. Und sie fuhren sie an.

Aber Jesus sagte: Lasst sie! Was bedrängt ihr sie? Sie hat ein schönes Werk an mir getan. Denn Arme habt ihr allezeit unter euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun. Mich aber habt ihr nicht allezeit.

Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im voraus für mein Begräbnis gesalbt.

Amen, ich sage euch: Wo immer das Evangelium verkündigt wird in aller Welt, da wird man auch von dem erzählen, was sie getan hat – ihr zum Gedächtnis.


Und das, liebe Gemeinde, tun ja auch wir jetzt. Wir denken an diese Frau, stellen uns ihr Verhalten vor Augen. Und: Wieviel Tausende, ja Millionen von Menschen in der Kirchengeschichte und in der Gegenwart haben das getan und tun das, was Jesus hier ankündigt: Sie hören und lesen von dieser Frau - und vielleicht nehmen sie sie ja zum Vorbild.


Welch eine unabsehbare Wirkung hatte und hat also dieses Geschehen von ein paar Minuten Dauer! Ganz ähnlich wie ein anderes scheinbar unscheinbares Verhalten, das ebenfalls Markus überliefert: Das der Witwe, die ihre zwei Scherflein gibt.


An dieser Stelle meiner Predigtvorbereitung fiel mir übrigens ein: Stellen Sie sich einmal all die Frauengestalten in der Bibel vor Augen, die Sie kennen – und dann all die

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Männergestalten -: Ganz eindeutig kommen die Frauen viel besser weg, sind so gut wie ausnahmslos mutig, sympathisch, eindrucksvoll – während wir bei den Männern so gut wie

immer auch Schwachstellen, dunkle Seiten, fragwürdige Charakterzüge finden. Merkwürdig.


Aber zurück zu dieser Frau. Was findet Jesus eigentlich so schön und lobenswert an ihrem Verhalten?


Stellen wir uns die Situation vor Augen.


Jesus ist in Betanien eingeladen von „Simon dem Aussätzigen“. Hier in Betanien lebten, wie man herausgefunden hat, Angehörige der religiösen Gruppe der Essener, die wegen kultischer Unreinheit nicht den Tempel und die heilige Stadt betreten durften – und zu ihnen gehörten eben auch Aussätzige (vgl. B. Pixner, Wege des Messias...208; ders. Mit Jesus in Jerusalem...80).


Bei einem von ihnen - vielleicht inzwischen geheilt, nur noch die Narben zu sehen – ist Jesus zu Gast – mit einer Reihe anderer Männer, in einer Männergesellschaft. Denn es war damals so - wie bis heute in vielen, ich fürchte sogar: den meisten Ländern der Erde – dass die Männer beim Festmahl unter sich blieben. Ich war zum Beispiel mal vor Jahren mit meiner Frau in Kamerun, wir besuchten eine Tochter, die ein missionarisch - diakonisches Jahr dort verbrachte – und immer wenn wir eingeladen wurden, war es so, wie auch hier in Betanien: Die Frauen hatten den Tisch gedeckt, die Speisen bereitet und durften dann schweigend servieren. Aber am Mahl teilzunehmen, das war ihnen ausserhalb der eigenen Familie streng untersagt. Das gehörte sich nicht. Frauen als Menschen zweiter Klasse; Sklavinnen der Männer, schweigend ihr Schicksal erduldend.

Aktuelles Beispiel, wie gestern in der Zeitung zu lesen:Afghanistan. Der Entwurf des Ehegesetzes.


Diese Frau aber kuscht nicht mehr. Sie platzt hinein in die Männergesellschaft, zeigt offen ihre Gefühle. Sie hat ein mit Wachs verschlossenes Alabasterfläschchen bei sich, bricht die Öffnung oben ab und giesst das Öl - feinstes indisches Nardenöl - über Jesu Haupt.


Ein Mausklick bei Wikipedia hat mir Auskunft gegeben: Die Narde ist eine Pflanze aus der Familie der Baldriangewächse. Sie kommt nur in den Himalaya-Ländern in einer Höhe von 3000 – 5000 m vor. Das Öl wird aus den Wurzeln gewonnen: aus

100 kg ein Liter. Es ist so kostbar und teuer, dass es eigentlich Priestern und Königen vorbehalten war.


Der Wert, so hören wir, war 300 Denare. Das ist schwierig in heutige Währung umzurechnen. Man weiss aber: 300 Denare, das war in etwa der Jahresverdienst eines Arbeiters, mit dem er eine vierköpfige Familie einigermaßen versorgen konnte. Für diese Frau, deren Alter und Namen wir nicht kennen ( vielleicht, weil jeder von uns seinen Namen einsetzen soll (auch die Männer!) ) - für diese Frau war es zugleich eine Rücklage und Absicherung für die Lebenszeit, die noch vor ihr lag.


Die Frau gibt also jede Absicherung aus der Hand, gießt das teure Öl auf Jesu Haar.


Die Männer reissen die Augen auf. Sie sind einen Moment sprachlos. Und dann...geht’s aber los: Ja, ist denn das...! Da soll doch...! Also soo was!! Was hätte man mit dem Geld

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alles machen können! Wie viel Gutes!


II


Jesus aber nennt ihr Verhalten nicht gut, sondern „schön“. „Ein schönes Werk“ hat sie getan, sagt er. Im griechischen Urtext steht hier das Wort „kalos“ (in Klammern: Wir kennen das Wort zum Beispiel von der Seife Kaloderma , was übersetzt „schöne Haut“ bedeutet ).


Klar sollen wir Gutes tun, und Jesus sagt ja hier ausdrücklich, das sollen wir Christen jederzeit tun, denn Arme wird es immer geben. Aber schöne Taten gibt’s eben auch. Gute Taten sind praktische Hilfen. Eine schöne Tat ist irgendetwas, was - oft ganz spontan – seine Quelle in Dankbarkeit, in Liebe, in Freude an einem Menschen hat - so wie wir ja auch von überströmender Dankbarkeit und Liebe sprechen.


Solch ein schönes Tun kann ein Blumenstrauß sein (nicht nur am Valentins- oder Muttertag), ein selbstgemaltes Bild, das ein Kind uns schenkt, ein Brief, ein strahlendes Lächeln, ein schöner Altarschmuck, ein herrliches Orgelspiel, ein Pullover oder Schal, den uns jemand in nächtelanger Mühe zum Geburtstag gestrickt hat , der Satz: „Ich liebe dich“ - gesprochen von Eheleuten, die jahrzehntelang verheiratet sind, ein Dankgebet, das wir dem Vater im Himmel oder dem Heiland Jesus sagen - und es gibt Beispiele, dass Menschen ihrem Herrn Jesus zuliebe ihm ihr ganzes Leben geschenkt haben und darin tiefe Lebenserfüllung fanden.


Einen Maßstab gibt es für solch ein hingebungsvolles Verhalten: Es kann nur recht geschehen, wenn es eben aus überströmender Liebe, Freude, Dankbarkeit erwächst. Man kann das nicht machen. Nur aus übervollem Herzen heraus geht es. Wer innerlich leer ist, kann sich nicht so verhalten wie diese Frau.


III


Was sie so dankbar hat werden lassen, bleibt im Geheimnis. Wichtiger ist ja auch die Frage: Wie ist das bei uns? Wie ist das mit unserer Freude an Jesus, unserer Liebe zu ihm, unserer Dankbarkeit ihm gegenüber?


Dazu sollten wir uns klarmachen, welche zeichenhafte Bedeutung Jesus dem Tun der Frau gibt.


Sie salbt sein Haupt mit Öl. Das tat man nur bei den zwei höchsten Würdenträgern in Israel: Bei der Salbung des Königs und bei der des Hohenpriesters. Die Frau zeigt und sagt mit ihrem Tun: Du bist der wahre König Israels, der Messias, der Gesalbte Gottes. Und: Du bist der eine und wahre Hohepriester Gottes.


Und nun gibt Jesus dem Verhalten dieser Frau ja noch einen weiteren tiefen Sinn. Gesalbt wurden damals ja auch Leichname; sie wurden einbalsamiert. So wie wir's von den Frauen am Ostermorgen hören: Sie wollten den Leichnam Jesu einbalsamieren. Nun, wir wissen: Sie konnten das nicht - weil der Leichnam nicht mehr im Grab war. Und: Sie brauchten es auch nicht. Weil die Einbalsamierung ja schon geschehen war: Durch diese Frau hier.


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So deutet Jesus es den anwesenden Männern gegenüber. Er sagt ihnen – und auch das muss völlig schockierend für sie gewesen sein: Sie hat meinen Leib im voraus zu meinem

Begräbnis gesalbt.


Wir hören in all dem etwas im Grunde Unfassliches und Unerhörtes: Jesu Krönung zum

König geschieht - an einem Kreuz. Ein Kreuz ist sein Königsthron. Von diesem Thron aus regiert er, will er unser persönliches Leben und alle Völker, die Völkergemeinschaft regieren. Und: Hier am Kreuz sehen wir den einen und einzigen wahren Priester Gottes. Gott will keinen anderen mehr. Denn dieser Eine verbindet Himmel und Erde, Gott und Menschheit unauflöslich – und er kann auch in unserm Leben Himmel und Erde verbinden.

IV


Und nun noch einmal: Löst Jesus überströmende Freude und Dankbarkeit in uns aus?


Konkreter: Würden Sie das auch von sich sagen: Doch, ich bin Jesus dankbar, ich bin von Liebe zu ihm erfüllt, so sehr, dass ich Kostbares ihm zu Ehren, ihm zur Freude äussere und hergebe?


Denn christlicher Glaube ist im Kern Liebe zu Jesus. Freude an ihm. Dankbarkeit für ihn.


Sicher brauchen wir auch Wissen und Information über unseren christlichen Glauben. Und es ist auch ein Zeichen für mangelndes Wissen, wenn sich die Stimmen – sogar von Theologieprofessoren - mehren, die sagen: Das Christentum ist nur eine von vielen Religionen. Wir sollten schon sagen können, worin die Einzigartigkeit christlichen Glaubens besteht.


Aber das Wesentliche ist: Leben wir in dieser lebendigen Beziehung der Liebe und

Dankbarkeit zu Jesus - einer Liebe und Dankbarkeit, die sich eben nicht in Worten, sondern in teurer und kostbarer Lebenshingabe erweist - dem gegenüber, der uns teuer erkauft hat?


Klar ist: Ausgelöst wird solche tiefe Liebe und Freude nur dann, wenn all das, was in den Evangelien und nun besonders im Passionsgeschehen von Jesus gesagt wird, Einfluss auf mich gewinnt, so sehr, dass ich davon bewegt, vielleicht gar erschüttert werde. Das kann übrigens über dem Lesen eines Bibelabschnitts ebenso geschehen wie über dem Glaubensbeispiel eines Menschen, oder beim Singen eines Chorals, oder bei einer Abendmahlsfeier, oder auch dem Hören einer musikalischen Passion.


Entscheidend ist, dass ich erkenne: All das, was er in seiner Passion erduldet, das bürde auch ich ihm auf, das ist auch mein Versagen, meine Feigheit, meine Bosheit – und er, er hält das aus, bleibt mir zugewandt. Und vielleicht können Sie in dieser Woche einmal eines tun: Langsam und still und konzentriert die beiden Kapitel der Passion Jesu lesen; in diesem Jahr ist es die Passionsgeschichte nach Lukas. Man erkennt beim Lesen: Im Grunde gibt es keine Art menschlicher Bosheit, Unzulänglichkeit, Fehlerhaftigkeit, die in dem, was alle Beteiligten Jesus hier zufügen, nicht auftauchen würde - in Gedanken und Worten, Taten und Unterlassungen. In ihnen allen können wir etwas von uns erkennen. Hier wird unser Menschenwesen entlarvt

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Ganz klar, das kann man nicht in oberflächlichem Hören und Lesen erkennen; dazu

gehört Stille, Konzentration, Andacht, Gebet.


Und dann könnte es sein, dass es uns wie dem Barrabas ergeht – jenem Terroristen und Mörder, den Pilatus auf das Begehren des Volkes hin an Stelle von Jesus freigelassen, amnestiert hatte.


Die Legende erzählt: Barrabas ging am Nachmittag des Karfreitag den Hügel Golgata hinauf. Er schaute den Gekreuzigten an in dem Wissen: Eigentlich müßte ich mit Recht jetzt dort hängen. Und er hängt da an meiner Stelle. Er, der Unschuldige, erträgt das Urteil, das ich verdient hätte und ich, der Schuldige, bin frei. Das ist der tiefste Sinn des Kreuzestodes Jesu: Jesus erträgt an unserer Statt, was wir mit Recht von Gott verdient

hätten – und erwirbt uns, den Sündern, den Freispruch, die ewige Liebe und

Vergebung Gottes.


Die Legende erzählt, dass Barabas – tief erschüttert - einer der Jünger, der Nachfolger Jesu geworden sei – aus dankbarer Liebe zu ihm.


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Und nun blicken wir abschliessend noch einmal auf jene uns namentlich nicht bekannte

Frau, die Jesus so ehrt und lobt. Diese Frau ist durch Jesu Liebe befreit worden. Und das bedeutet bei ihr nun auch: Sie kümmert sich nicht mehr um Konventionen und Rollenzuweisungen durch Männer.


Sie achtet nicht auf deren empörtes Reden. Sie zeigt Jesus offen ihre Gefühle, ihre

überströmende und dankbare Liebe.


Schade eigentlich: Die Männer sehen nicht das Schöne im Verhalten dieser Frau, sondern suchen und finden das Negative, das, worüber sie sich entrüsten können.So wie wir's auch kennen: Allzuviele Menschen suchen und finden immer das Haar in der Suppe, schimpfen, verurteilen und mäkeln - statt das Schöne zu entdecken - und zu loben.


Jesus lobt. Er lobt diese Frau.


Lasst uns ihm Gelegenheit geben, auch uns loben zu können, wenn er sieht, wie wir – von ihm dazu befreit – Gutes - aber vor allem auch Schönes tun. Amen