Lieder:
Gott des Himmels und der
Erden...445, 1.2.4.5
O Herr, nimm unsre Schuld...235
Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden
all...293
In dir ist Freude...398
Wenn wir jetzt
weitergehen...168, 4 - 6
Psalm 63 (Nr. 729)
Lesung: Jesaja 49, 1-6
Predigttext: Matthäus 15, 21 – 28
Und Jesus ging weg von dort (nämlich vom See Genezareth) und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon (hoch im Norden, in heidnischem Gebiet, im heutigen Libanon).
Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.
Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine
Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Stell sie zufrieden, denn sie schreit
uns nach.
Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen
Schafen des Hauses Israel.
Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach:
Herr, hilf mir!
Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht,
daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von
den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein
Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu
derselben Stunde.
Liebe Gemeinde,
eine Mutter und ihre Tochter.
Von dem Ehemann und Vater hören wir nichts, auch nichts von
Geschwistern.Vielleicht war diese Mutter alleinerziehend? Hatte ganz allein die
Not ihrer Tochter zu tragen?
Sie hat möglicherweise von Jesus
als einem Wunderheiler gehört, auch hat sich herumgesprochen, daß er mit seinen
Jüngern in ihre Gegend kommt. Die Frau sucht und findet ihn und fängt sofort an
zu rufen:Herr, hilf mir! Sie schreit ihre Not laut heraus.
2
Ich stieß vor einiger Zeit auf
einen Vers aus dem „Macbeth“ von Shakespeare, der folgendermaßen lautet:
Gib Worte deinem Schmerz.
Gram, der nicht spricht,
raunt ins gebeugte Herz,
bis dass es bricht.
Shakespeare spricht hier ja
etwas sehr Wichtiges aus: Wir sollen Schmerz und Leiden nicht in uns verkapseln
und vergraben, sondern äußern, aussprechen, herauslassen vermittels Worten, die
vielleicht sogar von lindernden, lösenden Tränen begleitet werden. Denn: „Gram, der nicht spricht, raunt ins gebeugte
Herz, bis dass es bricht..“
(oder, nach der Übersetzung von
Dorothea Thieck: „Gram, der nicht
spricht, presst das beladne Herz, bis dass es bricht“).
Dem dient ja übrigens auch die
uralte orientalischeTradition der Klageweiber, die durch ihr lautes Klagen und
Weinen dem vielleicht stummen, versteinerten Schmerz trauernder Angehöriger
zum Ausbruch verhelfen. Oder bei uns
gibt es den Beruf der sog. Stimmtherapeuten, die leidenden Menschen helfen,
irgendeinen tief in ihnen vergrabenen Kummer, irgendein Trauma durch Worte und
Tränen zu äußern, jahre-, jahrzehntelang unterdrückte Klagen und Schreie
endlich loszuwerden.
Die Frau in unserer Geschichte
ist uns Vorbild zunächst schon darin, daß sie uns schlichtweg zeigt: Was
uns belastet und beschwert, bedrückt
und bedrängt, das soll heraus, soll
geäußert werden...Und: Die Frau zeigt uns auch, wer der richtige Adressat
hierfür ist. Sie tut das, was manche Liedanfänge unseres Gesangbuches sagen: Aus
tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott erhör mein Rufen...Oder: ich ruf zu
dir, Herr Jesu Christ, ich bitt, erhör mein Klagen...
Die Frau überschreitet in ihrer
Not alle Grenzen des Anstands: Denn das war absolut ungehörig, und ist bis
heute im Orient undenkbar, daß eine Frau hinter Männern herschreit. Diese Frau
überschreitet in ihrem Leid auch religiöse Grenzen: Als Kanaanäerin verehrte
auch sie sicher die dort angebeteten Götzen Baal und Ischtar. Stattdessen ruft
sie Jesus voll Vertrauen und Ehrfurcht mit messianischen Hoheitstiteln an: Herr, du Sohn Davids,
erbarme dich über mich!
Über mich! sagt sie. Und später noch einmal: Herr, hilf mir! Das können auch manche von uns hier unmittelbar verstehen, wie sehr das
Leid eines Angehörigen, gar eines Kindes, zum eigenen Leid werden kann.
II
Jesus reagiert zunächst
garnicht, er sagt kein Wort. Anders die Jünger. Ihnen ist dieser Auftritt
peinlich. Tu irgendetwas, sagen sie, damit wir sie los sind.
Das kennen wir: Einen Menschen
abschieben, abwimmeln, ihn „abspeisen“, ihm ein
3
Geldstück geben, im Vorbeigehen
irgendeine scheinbar mitfühlende Bemerkung machen, Hauptsache, man ist ihn los,
diesen lästigen Bittsteller.
Das tut Jesus nicht. Sondern
etwas anscheinend Schlimmeres: Er verweigert der Frau jede Hilfe: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des
Hauses Israels gesandt“, sagt er zu den Jüngern gewandt. Er sagt ihnen
damit: Ich bin als Erlöser und Retter
zu unserm Volk Israel gesandt – aber nicht zu irgendwelchen Ausländern.
Wie schroff und abweisend reagiert Jesus! Paßt das zu unserm
Jesusbild? Aber: Paßt das zu unserm Jesusbild, daß er voller Zorn die
Tempelhändler und Geschäftemacher geißelte? Daß er manchmal wie ein
schonungsloser Gerichtsprophet auftrat? Oder passen uns seine radikalen Worte: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld! Entweder-
oder! Oder daß er sagte: Tut Gutes denen,
die euch Übles taten. Bittet für die, die euch beleidigt und verletzt haben. Nein,
Jesus paßt in kein Bild, das wir uns
von ihm machen.
Nach dieser Abfuhr müßte die
Frau eigentlich verschwinden. Und nun kommt das Merkwürdige: Die Frau tut das
Gegenteil. Sie nähert sich Jesus, wirft sich ihm vor die Füße und schreit das elementarste aller Gebete heraus:
Herr, hilf mir!
Ich las: In einer Frauengruppe
hat eine Teilnehmerin einmal diese Szene gemalt: Sie hat die Frau wie einen
großen Stolperstein auf dem Weg vor Jesus gemalt.
Und nun geht Jesus nicht über sie hinweg, geht auch
nicht an ihr vorbei, sondern bleibt vor ihr stehen, und was er jetzt sagt, das
kann man nur als Fußtritt bezeichnen: „Es
ist nicht recht, daß man den Kindern
das Brot wegnimmt und es stattdessen Hunden vorwirft“.
Hunde: Das war ein ganz
scheußliches, beleidigendes Schimpfwort für „Heiden“.
Aber – ist so etwas nicht auch
eine Erfahrung gerade von glaubenden, betenden Menschen: Gott kann ihnen als
das krasse Gegenteil von Liebe erscheinen, als grausam, bösartig, heimtückisch
(vgl. z.B. 2. Mose 4, 24; Jes. 38, 13;
Hebr. 10, 31).
III
Denkbar wären jetzt diese
Reaktionen der Frau: Entweder sie würde aggressiv werden, ihn mit einigen
unflätigen Schimpfworten bedenken – oder aber sie würde wie ein geprügelter Hund weggehen, mit Enttäuschung,
Verzweiflung, vielleicht auch Verachtung im
Herzen, oder aber auch in dumpfer Schicksalsergebenheit, so wie manche
Menschen schon einmal sagen oder denken: Ich habe gebetet. Gott hat nicht
erhört. Er war taub für meine Bitten. Vielleicht gibt es ihn garnicht. Jedenfalls: Ich muß mich in mein Schicksal ergeben.
4
Die Frau tut weder das eine noch
das andere, sie greift das Schimpfwort von den Hunden auf und verändert es
wunderbar, indem sie sagt: Ja - du hast
recht, Herr, das Brot ist für die Kinder da – und doch: Fällt nicht immer noch etwas ab für die Hunde unterm
Tisch...? Sie argumentiert sozusagen nicht von der Sparsamkeit, sondern von
der Überfülle her, sie sagt: Gott gibt seinem Volk Israel so reichlich, daß von
dieser Überfülle, diesem Überfluß auch noch etwas uns, den Heiden, den
Ausländern, denen
am Rande, denen unten... zugute
kommt.
Es gibt Ausleger, die sagen:
Durch diese Antwort der Frau sei Jesus erstmalig etwas klargeworden, was den
Verlauf der Menschheitsgeschichte entscheidend verändert hat: Daß Gott ihn eben
nicht nur als Messias für Israel, sondern auch
als Erlöser für alle Heidenvölker gesandt habe. Daß er das Brot des
Lebens nicht nur für sein Volk, sondern
für alle Völker sein solle.
Jedenfalls gibt Jesus der Frau
recht mit Worten, die voller Staunen sind: Frau, dein Glaube ist gross. Dir
geschehe,wie du willst. Jesus gehorcht ihrem Willen. Er tut, was sie so
inständig erhofft. Der Dämon muß ihre Tochter verlassen, die Beziehung zwischen
Mutter und Tochter wird heil.
Ich las eine Predigt, in der
wird die Ichstärke, die Durchsetzungsfähigkeit dieser Frau gepriesen. Nun gut,
aber man muß sehen,wo sie ihre Durchsetzungsfähigkeit zeigt: Niedergeworfen zu
Jesu Füßen.
Zu Jesu Füßen liegend sagt sie
wie Jakob in seinem Kampf gegen Gott am Fluß Jabbok: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!
Martin Luther hat in einer
Predigt über diesen gewaltigen Text den ungeheuren Satz gewagt: Im Gebet ist der Mensch mächtiger als Gott.
Er sagt damit: Wir Menschen können Gottes Herz bewegen. Wir können Gott dazu
bringen, Dinge zu tun, die er ohne unser Bitten nicht tun würde.
Ich stelle mir vor, die Frau
blickt uns jetzt an und sagt zu uns: Geh zu Jesus, sag ihm alles, was dich
bedrängt, bitte ihn demütig und von ganzem Herzen, bitte ihn voller Glauben an
seine Wundermacht, bitte ihn für einen
Menschen, der dir am Herzen liegt. Traue ihm zu, daß ihm nichts unmöglich ist.
Vielleicht sagt er auch zu dir: Dein
Glaube hat dir geholfen. Dir geschehe, wie du willst. Und dann wird dich große
Freude und Dankbarkeit erfüllen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle
Vernunft, der bewahre dein
Herz und all deine Sinne in ihm, dem Herrn und Erlöser. Amen.