Taufgottesdienst am 11. Sonntag nach Trinitatis, 7. August 2005

 

Lieder:

Gott ist gegenwärtig...165, 1. 2. 5 - 7

Laudato si...515

Geh aus mein Herz und suche Freud...503

Gott rufet noch... 392

Wunderbarer König... 327

 

Psalm 113

 

Predigt über Matth. 21, 28-32:

 

Liebe Gemeinde!

 

Heinrich Böll hat einmal den  Stoßseufzer niedergeschrieben: „Fast eine Milliarde Christen! Ein Fünftel der Menschheit! Ja - da müßte die Welt doch ganz anders aussehen! Da müßten Gerechtigkeit und  Frieden blühen und die Menschen  liebevoll miteinander umgehen...“.  Stattdessen – so scheint es – sind gerade die sog „christlichen Völker“ besonders aggressiv und habgierig.

 

Aber gibt es das überhaupt? Christliche Völker? „Christlich sein“ und „bei Christus sein“ das ist offenbar ein gewaltiger Unterscheid. Um  diesen Unterschied geht es in unserem Predigttext, Matthäus 21, 28 – 32.

 

Die Szenerie: Die gewaltigen Treppenstufen, auf denen man hinauf zum  Tempelplatz in Jerusalem ging.  Dort, auf den Treppenabsätzen, fanden oft gelehrte theologische Streitgespräche statt. Kurz bevor er in Gethsemane gefangengenommen wird, kommt es zu einigen solcher Gespräche zwischen Jesus und einer Reihe von Pharisäern und Schriftgelehrten. Der heutige Text beginnt so : 

 

Was meint ihr aber (fragt Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten dort auf den Treppenstufen) ? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg.                                  .

Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn, und  er ging hin.

Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr! und ging nicht hin.

Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan?  Sie antworteten: Der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr.

Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr’s saht, tatet ihr dennoch nicht Buße, so daß ihr ihm dann auch geglaubt hättet.

 

 

                                                                       I

 

Da stehen sie also dort auf den Stufen  am Tempelvorplatz: Hochachtbare Männer, gut gekleidet, gebildet, angesehen...Männer, die auch in ihren eigenen Augen doch „wer“ sind, Männer mit Prinzipien, mit Überzeugungen, einem durchaus geordneten

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Leben, mit einem gehörigen Schuß Ehrgeiz sicher auch  – Warum auch nicht? Ist es schlecht, wenn man im Leben vorwärtskommen, an die Spitze kommen will? Und ihnen gegenüber steht der schlichte Wanderprediger Jesus, dieser äußerst

unkonventionelle und radikale Mensch – und er sagt ihnen den Satz ins Gesicht: Die Huren und Zöllner kommen eher ins Reich Gottes als ihr.

 

Und während es einigen noch völlig die Sprache verschlagen hat und es einigen anderen durch den Kopf schießt: Jetzt reicht’s! Jetzt ist das Maß aber allmählich endlich voll! Der muß wirklich weg, muß mundtot gemacht werden...Da erinnert Jesus sie an eine Begebenheit, die sie vielleicht selber miterlebt hatten:

 

Tief unten  am Jordanufer.  Johannes der Täufer ruft die Menschen zur Umkehr, zur radikalen Veränderung ihres Lebens auf. Er sagt ihnen: So wie ihr lebt, geht das nicht. Es entspricht nicht Gottes Willen. Gott will, daß ihr anders werdet: Glücklich, im Frieden mit euch selbst. Erfüllt von ihm statt von dem Habenwollen, das euch innerlich immer leerer macht!

 

Und viele waren gekommen, aus unterschiedlichsten Gründen: Sicher einige aus Neugier – man hörte so einiges über das Aussehen und auch den radikalen Predigtstil dieses Wüstenmenschen Jochanan...Andere aber auch, weil sie längst dachten: So geht es im  Grunde wirklich nicht weiter mit mir...Da standen sie vor ihm: Huren aus der Hauptstadt Jerusalem, Mädchen und Frauen, die sich gezwungen sahen, ihren Körper römischen Soldaten oder auch Angehörigen der Jerusalemer Oberschicht zur Verfügung zu stellen – weil sie keine andere Möglichkeit hatten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.  Zöllner: Kollaborateure mit den römischen Besatzern, die einiges an Zollgeldern auch in die eigenen Taschen leiteten.  Und andere Menschen, die sich bewußt waren, die Gebote Gottes oft und oft übertreten zu haben...und sie wollten wirklich einen Neuanfang machen, und wußten:  Dafür  ist auch eine Zeichenhandlung hilfreich, ein wirklicher zeichenhafter, sichtbarer Schritt – und also ließen sie sich taufen, um sich daran zu erinnern: Du hast das ernst gemeint, mit einem neuen besseren Leben, einem Leben in Ehrfurcht und Liebe zu Gott, zu beginnen...und sie gingen zu ihm und empfingen die Taufe.

 

Ja, und ich stelle mir vor: Da waren dann auch Leute dabei, die auch die Predigt des Johannes gehört hatten, diesen dringenden drängenden Aufruf zur Änderung ihres Lebens:  Eben diese wohlachtbaren Männer und Frauen...und sie werden sich gefragt haben: Sollen wir auch – oder sollen wir nicht?! Eigentlich sollten wir auch. Denn so fromm und so anständig sind wir ja auch nicht...Aber dann schauten sie näher hin und  sahen einen dieser widerlichen Zöllner oder eine dieser abstoßenden- anziehenden Prostituierten – und sie wußten jetzt: Nein, so ganz in eine Reihe mit denen gehören wir doch nicht. Mit denen in einen Topf geworfen werden – das geht denn nun  doch nicht. Da gibt‘s ja doch wohl Unterschiede. Und sie gingen  weg.

 

Und Jesus sagt ihnen: Die, über die ihr euch stelltet, die haben den Schritt zum Leben im Reich Gottes getan  – ihr nicht. Sie haben  Ernst gemacht mit dem Wissen,

auf Gottes Gnade und Vergebung angewiesen zu sein und leben in Dankbarkeit darüber, daß Gott sie nicht mehr verurteilen will. Sie nahmen und nehmen Gottes Ehre, Gottes Heiligkeit, Gottes Liebe zu euch ernst. Gott ist eine lebendige

 

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Wirklichkeit in ihrem Leben geworden. Aber ihr nehmt den lebendigen  Gott nicht wirklich ernst.

 

Und dann erzählt er noch dieses Beispiel von den beiden Brüdern. Dieses schöne Beispiel aus dem Alltag, das jeder von sich kennt – aus der Ehe, aus dem Verhalten der Kinder...Geh in  den  Weinberg arbeiten, sagt der Vater. Der eine: Nein, ich hab keine Lust... und dann geht er doch. Der andere sagt: Ja! Und tut’s  dann  doch nicht.

 

                                                                       II

 

Man kann also hundertmal Ja gesagt haben zu seinem  Christsein – und doch nicht bei Christus sein. Man kann ganz selbstverständlich Christ sein, getauft, konfirmiert und kirchlich getraut worden sein und ist doch nicht bei Christus.

 

Mir fällt bei der Vorbereitung von Trauungen manchmal ein Gedicht von Kurt Marti ein:

 

Der ungebetene Hochzeitsgast

 

Die Glocken dröhnen ihren vollsten Ton

und Photographen stehen knipsend krumm.

Es braust der Hochzeitsmarsch von Mendelssohn.

der Pfarrer kommt! Mit ihm das Christentum.

Die Damen knien im Dome schulternackt,

noch im Gebet kokett und photogen ,

indes die Herren, konjunkturbefrackt,

diskret auf ihre Armbanduhren sehn.

 

Sanft wie im Kino surrt die Liturgie

zum Fest von Kapital und Eleganz.

Nur einer flüstert leise: „Blasphemie!“

Der Herr. Allein, Ihn überhört man ganz.

 

Man kann also zur Kirche gehören und ihre Dienste in Anspruch nehmen und hat vielleicht nie empfunden die unbändige Freude und Befreiung, die der christliche Glaube in uns auslösen will.

 

Die Freude eines Zachäus, des Oberzöllners, zum Beispiel (Lukas 19) : Der wurde weggedrängt von den andern, mit Recht – aber er suchte Jesus, er hatte Sehnsucht, eine unbestimmte Sehnsucht, und  dann  sieht Jesus ihn und sagt: Ich muß  bei dir einkehren..und sie unterhalten  sich und er weiß nicht, wie ihm wird, er spürt, wie

liebenswürdig er in Jesu  Augen ist, die Fesseln um sein Herz lösen sich, und er wird frei, freigebig, großzügig. Denn: Das ist es ja, die Liebe ist das Allheilmittel, die

Erfahrung geliebt zu sein, bringt mich zum  Frieden mit mir selbst. Und  darum, nur darum  geht’s im christlichen  Glauben. Um Frieden mit sich durch Frieden  mit Gott.

 

Oder die Ehebrecherin (Johannes 8): Alle begeifern und  bespucken sie...und Jesus sagt zu den selbstgerechten alten geilen Männern, die sie herbeizerren, um zu

 

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sehen, wie Jesus urteilt : Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein! - Und das gibts ja heute noch: Das müßte ein Jesus heute so manchen „christlichen“ heimlichen Sextouristen sagen, die sich nach außen hochanständig gebärden, oder auch  muslimischen  Männern, die Frauen wie Waren oder ein Stück Dreck behandeln und bei einem  Fehltritt von ihnen, meist  von Männern selbst hervorgerufen, sie steinigen.

 

Oder: Da ist heute ein Mensch  mit Furcht vor Gottes Gericht nach seinem Tod, er bereut und findet schlimm, was er getan hat, und er darf hören: Was du mit Recht von Gott verdient hast, das hat Jesus für dich getragen...Und du - du  bist um seinetwillen von Gott geliebt! Keine Furcht brauchst du vor der Zukunft zu haben! Unendlich wohltuend, heiter, liebevoll, erbarmend geht es in  der kommenden himmlischen Welt Gottes zu...Du darfst dich darauf freuen! 

 

Dies – also das Evangelium! - zu erfahren – das wäre lebendiger Glaube, das hieße: Bei Christus sein!

 

                                                                       III

 

Und nun höre ich, wie Jesus mich und dich fragt, wie er es hier zu Anfang des Textes tut: : Was meint ihr aber?

 

Ich höre, wie er mich fragt: Wo und  wie wird dein  Glaube zur Routine? Wo und  inwiefern fehlt ihm die Umkehr? Das Ernstnehmen des lebendigen Gottes?

 

Oder er fragt Euch: Was bedeutet es Euch, wenn Ihr heute Euer Kind habt taufen lassen?

 

Die Taufe, hat jemand gesagt, ist ein  Scheck von hohem Wert. Man kann ihn uneingelöst bei der Bank ruhen lassen, dann bringt er nichts. Man kann ihn   einlösen, dann bringt er viel.

 

Wie geschieht das? Indem wir wie die Jünger damals sind . Mit Jesus gehen, auf ihn hören. Erkennen, was er an Gutem zu sagen  und  zu geben hat – täglich, im Lesen in den Evangelien.  Mit Christus gehen. Ihn fragen, wie die Jünger : Herr, lehre uns beten! Tägliche Bibellese und ständige lebendige Verbundenheit mit Gott im  Gebet – das ist für einen, der wirklich Christ sein will, unabdingbar. Dann machen wir lebendige, reale Erfahrungen mit Gott, dem unbegreiflichen Schöpfer. 

 

„Christlich sein“ – oder bei Christus sein. Das ist ein entscheidender Unterschied. 

Hin und wieder mitmachen im  kirchlichen  Leben – oder ganz bewußt die Quellen der Freude, der Freiheit und Lebensfülle aufsuchen, die im Evangelium auf uns warten. Je nachdem gestaltet sich unser Leben auf höchst unterschiedliche Weise. Es verdirbt – oder es blüht auf. Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen

 

 

 

 

 

 

 

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