Andacht Haus der Kirche 17.9. 2000

 

Psalm 113 – Vom Aufgang der Sonne...Gebet Nr.917

Wir singen: Ich ruf zu dir...343,1+3 (Wochenlied)

Lese Text, dessen letzter Vers Wochenspruch: Mt.25,31ff.

 

Dies ist sein letztes Wort,nachdem er dies Gleichnis gesagt hat, sagt er fast nichts mehr – es folgt kein Gleichnis mehr, keine Auseinandersetzung mehr mit Hohenpriestern,Schriftgelehrten – es folgt nur noch die Tat,die Leiden bedeutet: er selbst wird einer der Kranken,Nackten,Verfolgten, gefangenen, von denen er hier spricht. Unmittelbar nach unserem Text beginnt die Bach’sche Matthäuspassion,die mit den Worten Matthäus 26 anfängt: „Und es begab sich,als Jesus alle diese Reden vollendet hatte...“

Dies ist also sein letztes Wort an seine Jünger. Letzte Worte haben eine besondere Bedeutung.

Jesus will seinen Jüngern eine Antwort auf die Frage geben,wo sie ihn finden werden,wenn er von ihnen gegangen ist.

 

Wer ist Gott? Wo ist Gott? Unendliche Bibliotheken sind über diese Frage geschrieben worden, Theologien,Philosophien..Wir Christen sagen: Gott erkennen wir in Christus – und Christus sagt: Ihr werdet und sollt mich erkennen in den geringstenmeinerGeschwister,denGefangenen,Nackten,Hungernden,Kranken,Ausländern,Fremden...

Wo also ist Gott? Nicht in den Kirchen, da hören wir nur von ihm – sondern er liegt sozusagen um die Kirchen herum: Gott ist ein vertrottelter Geisteskranker in Bedburg-Hau,eine drogenabhängige Frau in der Stahlstraße, eine Mutter,die tagelang das Schreien ihre Neugeborenen hören muß und es nicht stillen kann, weil ihre Brust leer ist. 

 

Es gibt ein Gedicht von Werner Bergengruen aus dem Jahr 1944: „Die letzte Epiphanie“. Er läßt Christus sprechen:

 

„Ich hatte dies Land in mein Herz genommen.

Ich habe ihm Boten um Boten gesandt.

In vielen Gestalten bin ich gekommen.

Ihr aber habt mich in keiner erkannt.

 

Ich klopfte bei Nacht, ein bleicher Hebräer,

ein Flüchtling, gejagt, mit zerrissenen Schuhn.

Ihr riefet dem Schergen, ihr winktet dem Späher

und meintet noch Gott einen Dienst zu tun.

 

Ich kam als zitternde geistgeschwächte

Greisin mit stummem Angstgeschrei.

Ihr aber sprachet vom Zukunftsgeschlechte,

und nur meine Asche gabt ihr frei.

 

Verwaister Knabe auf östlichen Flächen,

ich fiel euch zu Füßen und flehte um Brot.

Ihr aber scheutet ein künftiges Rächen,

ihr zucktet die Achseln und gabt mir den Tod.

2

Ich kam als Gefangner, als Tagelöhner,

verschleppt und verkauft, von der Peitsche zerfetzt.

Ihr wandtet den Blick von dem struppigen fröhne.

Nun komm ich als Richter. Erkennt ihr mich jetzt?

 

Und heute? In welchen Gestalten begegnet er uns heute? Wir können uns darin üben, uns bei jedem Menschen,dem wir begegnen und den wir vielleicht unwillkürlich verachten oder abstoßend finden, zu sagen: Das ist Er. Hier begegnet mir Gott.

Obwohl...

Eins finde ich noch entscheidend wichtig in diesem Gleichnis Jesu vom Letzten Gericht, diesem Gleichnis, in dem Gottes - und Nächstenliebe völlig deckungsgleich werden, diesem Gleichnis, in dem er uns sagt, nach welchem Maßstab einmal unser Leben beurteilt werden wird: Die, denen er sagt:Ihr habt mich gespeist, getränkt, bekleidet, besucht..die sagen: Wann...? Sie wissen`s gar nicht. Sie haben schlichtweg das Notwendige getan – und haben‘s dann vergessen.

 

In seinem Roman „Brüder Karamassow“ läßt  Dostojewskij den Mönch Sossijma

dies erzählen: Es ist der Tag des Jüngsten Gerichts und die Völker alle treten vor den Thron des Weltenrichters, die Bücher des Lebens werden aufgetan, die Engel geben daraus Bericht über das Leben der Menschen, über unser Leben mit all seinen Gedanken und Empfindungen, Worten und Taten – und Er, er spricht das Urteil über sie alle. Nun ist da eine alte Frau, von der weiß keiner der Engel irgendetwas Gutes zu berichten. Und der Weltenrichter sagt: Werft sie in den ewigen Feuersee. Und so geschieht es.Da kommt aber mit einemmal noch ein kleiner Engel angeflogen und sagt: Einmal, einmal hat diese Frau einem Bettler eine Zwiebel geschenkt. Gut, sagt Christus, dann versuche die Frau daran herauszuziehen. Und der Engel fliegt hinab,die Frau greift gierig nach der Zwiebel,und die Zwiebel hält und zieht sie heraus. Da klammern sich noch andere ewig Verlorene an die Beine der Frau – und die Zwiebel hält und zieht sie alle heraus. In dem Augenblick strampelt die Frau böse mit den Beinen und schreit: weg mit euch, das ist meine Zwiebel. Da reißt sie und alle stürzen herab.

 

Das ist es also – ob wir frei sind vom Ich, vom Kreisen um uns selbst. Ob wir uns nichts mehr auf uns einbilden brauchen. Zu dieser Freiheit hat uns Christus befreit. Er hat uns gerettet, erlöst – in Ewigkeit. Das können wir im Glauben annehmen, können gewiß sein: die ewige Liebe,das Erbarmen,die Vergebung Gottes wenden sich uns zu, jetzt schon und wenn wir einmal vor Ihm stehen – und dem anderen genauso wie mir. Wer in dieser Freiheit lebt, der wird und kann „selbstlos“ für den andern dasein, ihm in Hochachtung begegnen. Zumindest kann er sich immer aufs neue darin üben. So wollen wir’s also tun, bei den Menschen, denen wir – wo auch immer -  in den kommenden Tagen begegnen: der auferstandene Christus will uns in ihnen begegnen.

 

Wir singen: So hilf uns...358,6

Fürbitten: Nr.919 – VU

Herr, wir bitten...607,1+3

Segen