Gottesdienst am 23. November 2003, Toten- und Ewigkeitssonntag

 

 

Predigt über Philipper 1, 20 –26

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

Für den  heutigen Toten- und Ewigkeitssonntag habe ich einen Predigttext aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Philippi ausgewählt, der in keiner der sechs üblichen Predigtreihen vorkommt. Vielleicht hat gerade dieser Text trauernden Menschen Hilfreiches und Tröstliches zu sagen. Der Apostel Paulus liegt, während er den Brief an die Gemeinde in Philippi schreibt, im  Gefängnis, höchstwahrscheinlich in Ephesus. Ich stelle mir vor, die enge finstere Zelle,  in der er liegt, ist allenfalls von einem schwachen Kerzenlicht erhellt. Er ist wegen seiner Verkündigung von Christus gefangengenommen. Er erwartet die mögliche Hinrichtung, den Märtyrertod. Und er schreibt an die Gemeinde in Philippi:

 

Ich erwarte und hoffe sehnlich, daß ich nicht beschämt dastehen muss,  sondern dass auch jetzt, so wie bisher stets, Christus an mir und durch mich verherrlicht wird, es sei durch mein Leben oder durch meinen Tod.

Denn Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn. Aber wenn ich am Leben bleibe, kann ich noch weiter für Christus wirken, deshalb weiss ich nicht, was ich wählen soll. Es zieht mich nach beiden Seiten: Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre. Aber es ist nötiger, am Leben zu bleiben, um euretwillen.

Und in solcher Zuversicht weiss ich, dass ich bleiben und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude im Glauben.

 

                                                                       I

 

„Ich erwarte und hoffe sehnlich...“,schreibt Paulus. Was erwartet, was ersehnt er denn? Etwa den Tod? Nein! Es geht ihm  darum, daß Jesus Christus durch ihn verherrlicht wird.  Er blickt gar  nicht auf sich, er blickt auf Christus. Es liegt ihm alles daran, Christus Ehre zu machen -  sei’s durch sein Leben, sei’s durch seinen Tod.

 

Merkwürdig! Können wir das begreifen? Die Ehre Christi ist ihm wichtiger als das eigene Ergehen? Er denkt – wie es ja auch die Engel auf dem Hirtenfeld bei Bethlehem tun – zuerst und vor allem an die Ehre Gottes, die Ehre Jesu Christi?

 

Das ist schon staunenswert, und sicher müssen wir sagen: Da, auch da, stehst du hoch über uns, Paulus. Und doch: Könnte in seiner Einstellung nicht auch eine Hilfe für trauernde Menschen liegen? Nämlich dies: Den Blick nicht nur auf die eigene Verlassenheit zu richten, nicht nur in den Erinnerungen an den Verstorbenen zu bleiben, sondern sich zu fragen: Wie könnte ich durch mein Leben der Ehre Jesu Christi dienen?

 

Ich erinnere mich an mein Studium, wo es mich sehr beeindruckte und für mich hilfreich wurde, als ich in den Schriften des Reformators Calvin las. Das wichtigste Anliegen seiner Theologie war, dass Gott die Ehre gegeben würde, die ihm zukommt, dass Gott auf der Erde und in unserem Leben also nicht verachtet oder geringgeschätzt, sondern hochgeachtet und wichtiggenommen würde.

 

 

 

 

2

 

Nicht wahr: Das ist doch auch uns wichtig, dass ein Mensch, den wir liebhaben, geehrt und anerkannt – und nicht mißachtet und von oben herab betrachtet werden möge. Wie weh kann es etwa einem Kind tun, wenn es mit ansehen oder -hören

muss, wie über seinen Vater oder seine Mutter gespottet oder verächtlich hergezogen wird. Und geradeso liegt dem Paulus alles an der Ehre Christi: Weil er ihn liebhat, weil er ihm alles zu verdanken hat, weil – wie er sagt – „Christus sein Leben“ geworden ist.

 

Noch einmal: Ob es vielleicht hilfreich sein kann – und nun nicht nur für Menschen in Trauer – wenn dies ein leitender Gesichtspunkt für unser Leben würde: Was dient der Ehre Christi? Wie mache ich Ihm Ehre?

 

II

 

Und nun  schreibt Paulus: Ich kann der Ehre Christi durch Beides dienen: Durch mein Leben oder durch meinen Tod (wobei er an den Märtyrertod denkt). Und er verheimlicht nicht: Lieber wäre ihm sogar das Sterben: Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre...“.

 

Es kann Menschen, die in tiefer Trauer sind, schon einmal eine Todessehnsucht heimsuchen, eine Sehnsucht, endlich alles hinter sich zu haben...und vielleicht, vielleicht dann doch dem oder der geliebten Verstorbenen wieder nahe zu sein...Aber um Todessehnsucht geht es bei Paulus nicht, gerade nicht! Eher fast im Gegenteil! Er hat nicht Todessehnsucht, er hat Christussehnsucht. Er hat Sehnsucht, bei Christus zu sein. Er hat Sehnsucht, endlich vom Glauben ins Schauen zu gelangen. In Christus hat er ja das Leben gefunden, aber eben hier noch in sehr verborgener, oft von der Macht des Bösen und des Todes überdeckter Weise – und nun  möchte er dieses Leben – dieses Leben in wunderbarer Freiheit – in seiner ganzen Fülle sehen, haben und sich daran freuen,

 

Und ähnlich erging es ja einem Luther, der – je älter er wurde – immer häufiger vom  „lieben  Jüngsten Tag“ sprach. Er sehnte sich danach, endlich den Herrn Jesus in  all seinem Glanz und seiner Herrlichkeit schauen zu können, endlich ganz bei ihm und damit in der Freude und in der Liebe zu sein, endlich nicht mehr in dieser kleingläubigen Christenheit kämpfen und in dieser bei aller Schönheit auch schrecklichen Welt leben zu müssen, endlich von Depression und  Schmerzen frei zu sein...

 

                                                                       III

 

Und nun hat Paulus Christus im Gebet gefragt, was denn das Richtige sei, was denn Sein Wille für ihn sei, womit er ihn denn besser ehren könne – durch seinen Tod oder durch sein Leben. Und er hat von Christus offenbar die Antwort bekommen: Noch brauche ich dich auf der Erde. So wie mir das mein 87jähriger Vater zwei Jahre vor

 

3

 

seinem Tod erzählte: Er sah im Traum eine Tür und fragte: Muss ich jetzt da durch? Und er hörte eine Stimme: Noch nicht!

 

Und so war es dann auch bei Paulus. Er kam frei und hat dann noch einige J ahre seinem Herrn gedient. Leicht war das nicht: Äusserst strapaziöse Reisen,

Anfeindungen, eine Unzahl von Enttäuschungen – gar nicht mal so sehr durch Nichtchristen, sondern vor allem durch Menschen, die zur Gemeinde gehörten. Dem Paulus ist im Grunde nichts erspart geblieben: Lesen Sie einmal, was er im 2. Korintherbrief Kapitel 11 und 12 schreibt. Aber er hatte andererseits auch viel Freude: Merkwürdig: Gerade der Brief an die Gemeinde in Philippi, den er im Dunkel des  Gefängnisses schreibt - gerade dieser Brief ist von tiefer Freude an der Nähe und dem Beistand Jesu  erfüllt, und gerade in dieser Gemeinde in Philippi gab es offenbar eine ganze Reihe von warmherzigen, lieben und grosszügigen Menschen, die den Paulus erfreuten und trösteten.

 

Liebe Schwestern und Brüder - gerade die, die in Trauer sind -: Vielleicht könntet auch Ihr im Gebet fragen, was denn der Wille Christi für Euch sein könnte? Vielleicht

kann Jesus Dir einen neuen Lebensauftrag zeigen? Es gibt so manche in unserer Gemeinde, die als Witwen oder Witwer an einer Stelle der Gemeinde neue Freude, neue Freunde fanden. Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.