Gottesdienst zur Goldkonfirmation  am 22. Sonntag nach Trinitatis, 27. Oktober 2002

 

Lieder:

O heilger Geist, kehr bei uns ein...130, 1..5.6

Ich steh in meines Herren Hand...374

In dir ist Freude...398

Nun danket alle Gott...321

 

Psalm 143 i.A.

Lesung: Johannes 15, 1-5

 

Predigt über Psalm 16, 11 (Predigttext zur Konfirmation am 23. März 1952):

 

Du tust mir kund den Weg zum Leben; vor dir ist Freude die Fülle und

Wonne zu deiner Rechten ewiglich“.

 

Liebe Gemeinde, besonders ihr lieben Goldkonfirmandinnen und  - konfirmanden!

 

„Zur Fotographie eines Konfirmanden“. Das ist die Überschrift eines Gedichtes von Erich Kästner. Drei von den fünf Strophen lauten so:

 

Da steht er nun, als Mann verkleidet

Und kommt sich nicht geheuer vor.

Fast sieht er aus, als ob er leidet.

Er ahnt vielleicht, was er verlor.

 

Er trägt die erste lange Hose.

Er spürt das erste steife Hemd.

Er macht die erste falsche Pose.

Zum ersten Mal ist er sich fremd...

 

Er steht dazwischen und daneben.

Er ist nicht groß. Er ist nicht klein.

Was nun beginnt, nennt man das Leben.

Und morgen früh tritt er hinein.

 

„Und morgen früh tritt er hinein“. Bei manchen von Euch war das damals vielleicht so ähnlich. Der erste schwarze Anzug, in dem man sich merkwürdig fremd fühlte, die Schulzeit ging zu Ende, die Lehrzeit begann... 

 

Euer Lebensweg seitdem, ich nenne einmal Stichworte: Die fünfziger Jahre: Zeit des Wiederaufbaus, des sog. Wirtschaftswunders – wie beschaulich erscheint uns im Rückblick die Zeit damals! Aber auch: Es gab damals noch wirkliche Not und Armut  in so mancher Familie! Dann die  Sechziger: Ebenfalls ruhig erscheinend bis zum Jahr 68 jedenfalls mit dem Aufbegehren der Studenten, Rudi Dutschke und andere... Die siebziger Jahre: Ölkrise, „Grenzen des Wachstums“, Rote Armee Fraktion... Die Achtziger: Nachrüstung, Pershing II... Dann 1989/90 das Wunder: Fall der Mauer,

deutsche Einheit, aber auch: Der Golfkrieg...Und in den letzten Jahren: Anscheinend zunehmende Krisen, Naturkatastrophen, schreckliche Geschehnisse im öffentlichen Leben – bis hin zu dem furchtbaren Geschehen gestern in Moskau... 

2

 

Stichworte, die Euer persönliches Leben eher noch nur oberflächlich  beschreiben. Auf einer tieferen Ebene werdet Ihr an so manches Schöne denken, aber auch sicher manches Schwere, Belastende in Euren Familien: Segen, Freude, Glück – aber vielleicht auch Krankheiten, Abschiednehmenmüssen...Und beruflich: Erfolge, Erfüllung im Beruf, aber auch Enttäuschungen, Belastungen...Einige von Euch werden kurz vor der Pensionierung stehen, einige haben den neuen Lebensabschnitt bereits in den letzten Jahren begonnen...Wir werden einander gleich sicher so manches erzählen...

 

Und wenn wir nun sozusagen noch eine Schüppe tiefer graben: Ich denke: Ihr blickt auf Euer Leben zurück auch hinsichtlich seiner wesentlichsten Dimension: Die Führung, der Schutz, der Segen Gottes darin; all das, was der Glaube, das Wort Gottes, die Gemeinde vielleicht für Euren Lebensweg bedeutet hat.

 

Und es gibt sicher einige von Euch, die von Herzen sagen können: Das, was ich durch die Heilige Schrift, durch das Gebet, durch die christliche Gemeinde für mein Leben empfangen habe, das gehört schon zum Besten und Kostbarsten darin! Ich habe dadurch viel Freude erfahren.

 

So jedenfalls sagt es ja dieser Psalmvers: Du, Gott, tust mir kund den Weg zum Leben. Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.

 

Achten wir darauf: Der Psalmbeter sagt nicht: Du tust mir kund den Weg ins Leben...:  so als sei das Leben etwas Zeitliches, eben ein Lebensweg, wie ich ihn eben andeutend beschrieben habe...Sondern er sagt: den Weg zum Leben: Leben als etwas, das immer vor uns liegt, das uns gezeigt werden muß, in das hinein wir nur geführt werden können: Leben im Sinne von Lebensfülle, das wahre, das ewige Leben.

 

Der Weg dort hinein, sagt der Psalmbeter – der kann uns nur von Gott kundgetan, von ihm gezeigt, von ihm bekannt gemacht werden. Und dieses Leben, sagt er, ist ein Leben vor Gott und darum gekennzeichnet von Freude und Wonne in Fülle!

 

Ob ihr solche Erfahrungen mit Gott gemacht habt? Viel häufiger - muß ich sagen -  höre ich von Menschen, daß Gott ihnen rätselhaft, undurchschaubar, dunkel erscheint, sie können es nicht begreifen, wie ein Gott, von dem die heilige Schrift sagt, daß sein Wesen Liebe ist – ein „glühender Backofen voller Liebe“, wie Luther einmal sagt – wie er so entsetzlich viel Leid und Elend, Unglück und himmelschreiende Ungerechtigkeit zulassen kann. Und ich bin sicher, diese Frage ist bei vielen von Euch keine theoretische, sondern auch eine Frage, die sich Euch auch in eurem ganz persönlichen Leben hautnah gestellt hat und stellt – vielleicht bis

dahin, daß Ihr an einen Gott, der Euch kennt und liebt, nicht oder nicht mehr glauben könnt.

 

Und nun achten wir darauf: Der Psalmbeter sagt: Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten...“

 

Er sitzt zur Rechten Gottes“, so sagen wir es ja  jedesmal im Glaubensbekenntnis – und wir meinen damit: Jesus.

3

 

Nicht wahr: Wenn wir auf die Weltgeschichte sehen, können wir nichts von Gottes Liebe erkennen, die Weltgeschichte ist „eine Mischung aus Irrtum und Gewalt“, wie Goethe es formuliert hat.

 

Wenn wir in die Natur sehen, erkennen wir darin vielleicht eine unfaßliche Phantasie eines Schöpfers, auch eine ebenso unbegreifliche Weisheit  und vielfältigste Zusammenhänge, die wir Menschen nicht ungestraft stören, aber eben auch: gnadenlosen Kampf ums Dasein, jedenfalls auch nicht: Liebe Gottes.

 

Und: Wenn wir auf unseren Lebenslauf sehen, zeigt sich darin auch nicht so einfach die Liebe Gottes, sondern da gilt eher, was der 73. Psalm sagt: Die Gottlosen, die brüsten sich wie ein fetter Wanst, denen geht’s gut, die machen, was sie wollen... Die Frommen dagegen, die, die es ernst meinen mit Gott und dem Glauben, die werden geplagt, die kriegen’s oft knüppeldicke...

 

Ja - wo sehen wir dann überhaupt Gottes Liebe? Es bleibt dabei: Einzig bei dem, der die „rechte Hand“ Gottes ist, einzig bei dem, der „zur Rechten Gottes“ ist: Bei Jesus.

 

Er sagt im Johannesevangelium einmal einen Satz, der mir sehr wichtig ist, er sagt: Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben (Joh.10,10b).

 

Damals im Unterricht, da habt Ihr vermutlich gelernt, wie Luther die Frage gequält hat: Wie kriege ich einen gnädigen Gott?  Das war eine Frage, die ihn und viele seiner Zeitgenossen damals ungeheuer umgetrieben hat. Die Frage, die die Menschen heute vor allem stellen, ist eher: Wie gewinne ich ein Leben, das sich lohnt, das sinnvoll ist – wie gewinne ich Lebensfülle?

 

Menschen werden heute angefüllt, sie sollen er-füllt werden mit allen möglichen Konsumgütern...Aber zunehmend merken die Menschen bei uns: Je mehr ich mich mit diesem Zeug fülle, desto leerer werde ich innerlich...Immer häufiger kommen junge Menschen zu mir, frühere Konfirmanden oft, schütten mir ihr Herz aus, kommen mit dem Leben nicht mehr klar, fühlen sich innerlich leer...Oder: Traumreisen werden angeboten. Manche fahren zweimal jährlich in Urlaub, und zwar -  was ich nie verstanden habe, auch falsch finde – am liebsten in die entlegendsten, entferntesten Landschaften und Strände der Erde...Aber auch von den Reisen gilt, was Gottfried Benn in einem Gedicht sagt: “... ach, vergebens das Fahren...“. Lebensfülle gewinnen wir dadurch nicht.

 

Sondern bei Jesus Christus,  und dadurch, daß wir seine Worte und die Worte der Bibel  nicht nur hören, sondern sie zu Herzen nehmen, sie tun – dadurch gewinnt unser Leben Fülle – eine Fülle von Freude und Wonne.

 

„In dir ist Freude in allem Leide...“, wie wir gleich singen werden. Er verhindert oder erspart uns Leiden nicht, kann sogar das Gegenteil tun, aber er wird im Leid unsere

Freude, handelt tröstend, heilend an uns, gibt Kraft zum Tragen, zum Vertrauen, daß kein Geschehen in unserem Leben sinnlos ist, gibt Kraft zum Vergeben. Das Lesen der täglichen Losungen kann hier eine Kraftquelle sein – aber wie wichtig sind auch Menschen, die uns zuhören, die unsern Glauben stärken, die vergeben können – wie

4

 

wohltuend kann das Teilnehmen an kleinen Gruppen in einer Gemeinde oder woanders sein. Es gibt ja unendlich viel Leid, täglich bekomme ich in meinem Beruf damit vielfältig zu tun. Wie nötig ist es, Kraft zu finden, damit wir einander beistehen – statt, wie es leider manchmal geschieht, wir einander stattdessen noch unnütz belasten.

 

„..hilfet von Schanden, rettet von Banden“, sagt das Lied weiter.

 

Ein Mensch, der Schmach und Schande auf sich geladen hat: Wir prangern ihn oft an, beschuldigen, verachten ihn...Jesus nicht! Er ist zu uns so wie zu der Ehebrecherin, er verurteilt und verdammt nicht!

 

Er „rettet von Banden“, befreit von  den Fesseln der Geltungssucht oder der Vergeltungssucht, von Fesseln auch des Geizes...Er schenkt Freiheit... Eine Freiheit von der Art, wie sie mein Konfirmationsspruch benennt, Galater 5 Vers 13: Ihr seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, daß ihr die Freiheit nicht für euch selbst mißbraucht, sondern durch die Liebe diene einer dem andern. Freiheit, die sich darin äußert, daß man dem Leben Anderer dienen kann.

 

„Wer ihm vertrauet, hat wohl gebauet, wird ewig bleiben...“ Auf ihn kann man bauen, er gibt, was nicht nur junge Leute heute so sehr suchen und brauchen: Er gibt klare Orientierung und  ein festes Fundament fürs Leben. Er gibt unserem Leben ein Ziel.

 

Wir alle werden einmal sterben, unser Leben hat ein Ende – aber auch ein Ziel, eine Vollendung: Die Seligkeit, die Freude des Lebens vor Gott, Licht und Leben in Gottes Ewigkeit.

 

Wenn man älter wird, stellt man sich ja zunehmend die Frage: Was bleibt eigentlich  von Deinem Leben?

 

Ich kenne manche Pfarrer, die schreiben Bücher, oder andere, die haben gemeindliche Gebäude errichtet...Man will, daß irgendwie sichtbar etwas von Einem bleibt.

 

Ich habe zu Hause einen Bildband mit dem Titel: Sie bauten für die Ewigkeit... Aber was sieht man darin? Lauter Trümmer, Ruinen.

 

Nichts bleibt, sagt Paulus einmal sehr radikal, nichts hat bleibenden Wert – außer Glauben und Hoffnung und Liebe. Der Glaube: Unser Vertrauen zu Gott, Gottes Glaube an uns  - die Hoffnung: Unsere Hoffnung auf Gottes Treue, Gottes Hoffnung auf uns – und vor allem: die Liebe: Gottes Liebe zu uns, wie sie bei Jesus zu finden und von ihm zu haben ist – und durch ihn  dann auch unsere Liebe zu Gott  und zu unseren Mitmenschen und Mitgeschöpfen. Nehmt diese Liebe in Euer Leben auf, dann werdet ihr auch in Zukunft, im Älterwerden, wenn  die Zipperlein zunehmen, dennoch eine Fülle von Freude und Wonne erleben.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.

 

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.