(27.1. 2002)
Lieder:
Dir, dir, o
Höchster, will ich singen...328, 1-3
Lobt Gott, den
Herrn, ihr Heiden all... 293
In allen
meinen Taten laß ich den Höchsten raten...368, 1-4
Unsern Ausgang
segne Gott...163
Psalm 73
Lesung: Mt.
20, 1-15
Credo: Nr. 813
Liebe
Schwestern und Brüder,
der für den
heutigen Sonntag Septuagesimae vorgeschlagene Predigttext steht im neunten
Kapitel des Römerbriefs, in den Versen 14-24. Unmittelbar vor diesem Text nennt
Paulus ein biblisches Beispiel und sagt: Ausgerechnet den schlitzohrigen Jakob
hat Gott damals erwählt, dagegen den Erstgeborenen, den Esau, nicht. Und dann
fährt er fort:
Bedeutet das etwa, daß Gott ungerecht ist? Auf keinen Fall!
Denn Gott hat einmal zu Mose gesagt (2. Mose 33,19): „Ich
erweise meine Güte, wem ich will. Und über wen ich mich erbarmen will, über den
werde ich mich erbarmen.“
Entscheidend ist also nicht, wie sehr sich jemand anstrengt
und müht, sondern daß Gott sich über ihn erbarmt.
Wie erging es dem Pharao, dem König Ägyptens, der sich gegen Gottes Befehle auflehnte? Zu ihm sagte Gott (2. Mose 9,16): „Ich habe dich als König über Ägypten eingesetzt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde“.
Gott schenkt also seine Barmherzigkeit, wem er will, und
verstockt, wen er will.
Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer
kann seinem Willen widerstehen?
Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, daß du Gott zur Rechenschaft ziehen willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: warum machst du mich so? Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?
Geradeso wollte Gott an den Ägyptern seinen Zorn und seine
Macht sichtbar werden lassen. Und obwohl sie ihrem Untergang nicht entgehen
konnten, hat er sie doch mit großer Geduld ertragen.
An den Israeliten aber, die am Reichtum seiner Herrlichkeit
teilhaben sollten, wollte er seine Barmherzigkeit besonders erweisen.
Zu ihnen gehören auch wir. Und er hat uns nicht nur aus dem
jüdischen Volk, sondern aus alen
Völkern berufen.
2
Es wird Ihnen beim Hören ergangen sein wie mir beim ersten Lesen: Man versteht nicht viel. Allenfalls dies, daß Paulus hier Fragen aufwirft, Fragen schweren theologischen Kalibers, die ihn allerdings leidenschaftlich umtreiben, von denen er im Innersten bewegt wird. Konkret werden sie für ihn in einer Frage, die ihn unaufhörlich schmerzt: Warum glauben seine jüdischen Landsleute in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht an Jesus als den Messias? Hat Gott das vielleicht selbst so bestimmt? Müssen sie vielleicht gerade mit ihrem Unglauben den Heilsplänen Gottes dienen...?!
Und auch die Gemeindeglieder in Rom, an die Paulus damals schreibt, sind aufs brennendste an diesen Fragen interessiert! Weil sie an Gott so interessiert sind!
I
Für uns aber klingen seine Worte vermutlich eher abstrakt, wie Diskutierfragen, die man schon mal erörtert...Und doch: Haben nicht auch wir Fragen an Gott, die uns leidenschaftlich bewegen können, oder die uns im Innersten bedrängen? Zum Beispiel die Frage, die wir schon im eingangs gebeteten Psalm 73 hörten: Warum werden manche Menschen, die glauben und sich den Glauben etwas kosten lassen, die fromm und vorbildlich leben – warum werden ausgerechnet die oft so geplagt, kriegen eins nach dem andern drauf, kriegen’s knüppeldicke. Und andere: richtige Schurken, Leute, die nach dem Motto leben: nach mir die Sintflut, Leute, die über Leichen gehen und nur an einem interessiert sind: ihrem Vorteil - die leben in Saus und Braus, können machen und reden, was sie wollen – und Gott tut nichts dagegen, läßt es zu, greift nicht ein, so als sei ihm alles gleichgültig, als seien ihm selbst die schlimmsten Gräuel, die himmelschreiendsten Untaten gleichgültig, als interessiere ihn nicht, was wir hier machen...
Zugegeben: Im
Alltag mit seiner Hetze, seinen Aufgaben stellen wir solche Fragen wohl wenig.
Aber bedrängend werden sie, wenn uns das Schicksal eines Menschen persönlich am
Herzen liegt, wenn es zum Beispiel um
einen Verwandten geht oder aber auch darum, wieweit wir selber für unser
Handeln verantwortlich sind bzw. wieweit es von Gott so gefügt und gelenkt
wird.
II
Hören wir also,
was Paulus sagt. Er tut zuerst etwas,
gleich zu Beginn seines Römerbriefs: Er nimmt uns gleichsam an der Hand und
führt uns unter das Kreuz Jesu.
Ob du mir
hierhin folgen willst, sagt er, weiß ich nicht. Aber ich – ich jedenfalls habe nach jahrelangem Nachsinnen und
erleuchtet vom Geist Gottes erkannt: Antwort auf die Grundfragen des Lebens
finde ich hier, nur hier. Hier unter dem Kreuz Jesu sehe ich auf’s klarste, wer
Gott ist und wer der Mensch ist.
Wer ist Gott?
Der, der sich aller erbarmt. Und wer ist der Mensch? Ein erbarmungswürdiges
Wesen, und zwar im doppelten Wortsinn:
Auf Erbarmen angewiesen – und: des Erbarmens würdig! Und zwar jeder Mensch!
3
Im Lichte
dieses Erbarmens Gottes, sagt Paulus, sieh noch einmal auf Jakob. Listig,
betrügerisch, schlitzohrig ist er. Und doch erbarmt Gott sich seiner. Nicht
weil Jakob so gut wäre – das ist er ja gerade nicht. Sondern weil Gott der sich
erbarmende Gott
ist.
Unabhängig vom Gut- oder Bösesein eines Menschen wendet er ihm sein Erbarmen
zu.
Aber, sagen
wir sofort: Was ist dann mit Esau? Warum geht’s dem so mies, warum wird der
benachteiligt?
So ist es mit
Esau, sagt Paulus, wie es auch mit dem Pharao war. Gott sagte zu ihm: Eben dazu
habe ich dich bestimmt, damit an deinem Ungehorsam meine Macht sichtbar werde
und damit dadurch mein Name schließlich auf der ganzen Erde bekannt würde. Daß
Esau damals übervorteilt und betrogen wurde, das diente zu etwas Gutem. Und daß
der Pharao so ablehnend, störrisch, verstockt reagierte, auch das diente
letztlich dem Ziel, das Gott von Anfang an im
Auge hatte: daß sein Name einmal auf der ganzen Erde, unter allen
Völkern bekannt würde – heute eben auch hier unter uns!
Um es mit
einer Formulierung Bonhoeffers aus dem eben gesprochenen Glaubensbekenntnis zu
sagen: „Ich glaube, daß Gott aus allem,
auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will..."
Oder: Auf
unser persönliches Leben bezogen kann ichs nicht besser sagen als wir es im
Lied gleich singen werden: Wir können in dem Vertrauen leben und alles deuten: „Es kann mir nichts geschehen, als was er
hat ersehen und was mir selig ist...“
III
Aber nun erhebt sich ja die andere Frage: Wenn das so ist – sind wir ihm und seinem Willen dann nicht ausgeliefert? Wer kann sich dann überhaupt noch seinem Willen widersetzen? Ist dann nicht doch alles vorherbestimmt?
Paulus stellt diese Frage und weist sie sofort als unnütz zurück. Lieber Mensch, sagt er, wer bist du denn? Willst du dich über Gott erheben? Willst du Gottes Tun nach deinen Maßstäben beurteilen? Willst du Gott zum Objekt deiner Maßstäbe machen? Sagt etwa das Werk zum Meister: Warum machst du mich so? Hat nicht stattdessen der Töpfer Macht, aus einem Klumpen Ton nach seinem Gutdünken Gefäße zu ehrenvollem und andere zu weniger ehrenvollem Gebrauch zu machen, also, drastisch gesagt: sowohl Weinkrüge wie Nachttöpfe? Und – kann man wirklich so einfach beurteilen, welches Gefäß zu mehr Gutem dient?
Paulus sagt damit: Alles letzte, endgültige Urteilen und Beurteilen ist uns Menschen entzogen, ist uns nicht möglich. Wir sollen und wir können die Grenzen nicht überschreiten, die uns mit unserer Geschöpflichkeit gesetzt sind.
4
Also: Fragen bleiben: All die Opfer. Die Grausamkeit. Das Leid. Als ich kürzlich im Schulgottesdienst die Geschichte vom Durchzug durch das Schilfmeer erzählte, fragten die Kinder sofort: Aber warum hat Gott die Ägyptern denn alle ertrinken
lassen? (In der jüdischen Auslegung im Talmud gibt es hierzu übrigens den bewegenden Kommentar, daß die Engel im Himmel die ertrunkenen Ägypter beweint hätten!).
Aber die Frage: Warum mußten sie sterben, bleibt ja.
Aufwühlende Fragen bleiben. Hin und wieder müssen wir sie Gott entgegenschleudern: Warum? Gott! Diese junge Frau, bei der der Krebs erneut ausbricht... Dieser Mord...Die Familie, der schon zwei Kinder gleich nach der Geburt starben...Und Krieg und Terror, bestialische Grausamkeit, himmelschreiendes Elend...
Fragen bleiben. Und machmal wird ein Mensch stumm bleiben vor Entsetzen.
Auch Paulus will im Grunde nicht Fragen beantworten. Auch er mündet
am Ziel seiner komplizierten Gedanken, am
Ende von Römer 11 in die Worte: O welch
eine Tiefe des Reichtums sowohl der Weisheit wie der Erkenntnis Gottes...Wie
unbegreiflich sind seine Entscheidungen, wie verborgen seine Pläne...Von ihm,
durch ihn, zu ihm hin sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!
Rätsel bleiben. Aber eines sollen wir mit aller Gewißheit festhalten: Das erste und das letzte Wort Gottes über uns und alle heißt: Erbarmen. Uns zweifelnden, manchmal bösen, oft skeptischen und im Ganzen sehr ichbezogenen Menschen wendet er in Jesus sein bedingungsloses Erbarmen zu. Im Lichte dieses Erbarmens sollen wir unser eigenes Leben mit all seinen Rätseln deuten und auch jeden anderen Menschen sollen wir im Licht dieses Erbarmens sehen! Und vor allem: Wir sollen uns dem Erbarmen Gottes zu allen entsprechend verhalten. Anders gesagt: Auf Gottes Worte der Liebe und Treue in der Bibel hören und sie tun. Oder wiederum mit einem Vers aus dem Lied, das wir gleich singen, gesagt: Leb ich nach seinen Sätzen, so wird mich nichts verletzen, nichts fehlen, was mir ewig nützt.
In den Worten der Bibel, in den Worten und Taten Jesu finden wir genug, um trotz der Rätsel und inmitten der Geheimnisse des Lebens tapfer, getrost und sinnerfüllt zu leben – bis wir vom Glauben ins Schauen gelangen und alle Fragen ihre Antwort finden.
Darum: Der
Friede Gottes, der höher ist als alle Verunft, bewahre unsre Herzen und Sinne
in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.