Predigt über Römer 12, 12- 21 (4. Sonntag nach Trinitatis, 23. Juni 2002)
Lieder:
O Heilger
Geist, kehr bei uns ein...130, 1.2.5.6
Wie groß ist
des Allmächt’gen Güte...662, 1 - 4
O Gott, du
frommer Gott...495, 1 – 5/ 6 - 8
Psalm 34, 2 -
11
Lesung: Lukas
6, 36 - 42
Fürbitten:
Lied 428
Ich lese den
heutigen Predigttext aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom,
Kapitel 12, die Verse 12 – 21, in Luthers Übersetzung:
Seid fröhlich in
Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft.
Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht.
Freut euch mit den
Fröhlichen und weint mit den Weinenden.
Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen
Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst
für klug.
Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht
gegenüber jedermann.
Ist’s möglich, soviel
an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
Rächt euch nicht selbst, ihr Geliebten, sondern gebt Raum
dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32, Vers 35): „Die Rache
ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“
Vielmehr: „Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen;
dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du glühende Kohlen
auf sein Haupt sammeln“ (Sprüche 25, 21.22).
Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
I
Das sind Worte
zum Alltag, liebe Gemeinde. Da gehören sie hin, in unser alltägliches Leben.
Hier in der Kirche, da hören wir sie
– aber tun sollen wir sie nachher
zuhause und morgen und übermorgen und in den kommenden Tagen – da, wo sich das
Alltagsleben unserer sog. „egoistischen Gesellschaft“ abspielt, da, wo man auf
dem Andern herumhackt und ihn abschieben will, wo man einen Menschen abkanzelt
oder abstempelt, wo man die Ellbogen gebraucht, um sich durchzusetzen, wo man
die Menschen aufteilt in Gute – das sind die, die so ähnlich sind wie wir – und
Böse, das sind die, deren Ansichten uns stören:
Da, im Alltagsleben,
diese Worte des Apostels Paulus verwirklichen, da gastfreundlich sein, Böses
mit Gutem vergelten, sich mit den Fröhlichen freuen und mit den Weinenden
weinen: Wie gut wäre das – sowohl für die Andern wie auch für uns selbst. Dann
wären wir das ja wirklich, was wir nach Jesu Wort und Willen sind: Salz der
Erde! Würziges Salz in einem Leben voller Geschmacklosigkeiten, und Licht! Helligkeit verbreitend dort, wo es
düster ist
Aber leider...
2
Nein! Kein
Leider! Kein Klagen und Jammern jetzt darüber, wie kläglich wir Christen sind,
wie wenig wir uns vom allgemeinen Lebensstil unterscheiden, wie sehr wir im
Strom mitschwimmen, wie sehr die Kirche Abbild der Gesellschaft ist statt
Gegenbild zu ihr – nein, kein Geklage und Gejammere jetzt, das doch niemandem
hilft und vielleicht nur ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit sich selber oder
aber der eigenen Selbstgerechtigkeit ist.
Denn, laßt uns
das einmal sehen: Die ersten Christen, die Apostel, vor allem
ein Paulus, die waren da anders. Wir – wir sind bedrängt und bedrückt von
Fragen: Wie gewinnen wir Leute für die Mitarbeit, wie füllen wir die
Gemeindegruppen, wie wird das bloß mit der Kirche und ihrem Geld weitergehen,
wir ziehen das Gesicht in Sorgenfalten zusammen, wir kreisen um uns. Es geht
aber überhaupt nicht zuerst um uns und unser Tun, sondern es geht zuerst und
vor allem um Gott und Gottes Tun.
Für die
Apostel ging es vor allem um eines, besser, um Einen, von dem sie ganz erfüllt
waren, für die Apostel stand im Mittelpunkt ihres Denkens und Verhaltens das,
was wir gerade gesungen haben: „Wie groß ist des Allmächt’gen Güte“, die er uns
in Jesus zuwendet. Sie waren durchdrungen von der überwältigen Erkenntnis: Mit
Jesus ist die entscheidende Welten- und
Zeitenwende geschehen. Mit ihm und durch ihn bietet Gott nun jedem Menschen
seine bedingungslose und unverbrüchliche Freundschaft an. Jesus soll nun das
erste Wort im Leben jedes Menschen haben und Er wird in jedem Fall auch das
letzte Wort über alle sprechen: Nicht der Tod, nicht die großen Machthaber,
nicht das Böse, sondern Er! Und also leben wir und alle Menschen nun in
einer neuen Wirklichkeit. Grundhaltung
unseres Lebens kann nun eine unzerstörbare Freude sein und eine tiefe
Dankbarkeit für das, was Jesus für mich und alle Welt getan hat.
II
Man kann sich
kaum vorstellen, wie umstürzend neu und alles verändernd diese Botschaft in der
damaligen von Rom regierten Welt war.
Ob das auch
bei uns heute so sein – oder werden – kann? Dazu müssen wir diese Sätze des
Paulus so hören, wie er sie gemeint hat.
Nicht wahr,
wir hören diese Verse eigentlich eher als lauter Ermahnungen. Und dann sagt man
sofort: Unrealistisch, wer verhält sich denn so?!
Aber in
Wahrheit sind sie Beschreibung der neuen Gestalt und Gestaltung des Lebens und
Miteinanderlebens, wie es der Wirklichkeit unter der Regierung Jesu entspricht.
Wer von uns
den griechischen Urtext lesen kann, der sieht sofort: Ein paar Aufrufe, die in diesem Abschnitt
vorkommen, sind eingefügt in lauter – geradezu jubelnde – Ausrufe! „So ist es jetzt bei uns – so gestaltet
sich jetzt der Umgang von uns in den
Gemeinden miteinander – also schön weiter in dieser Richtung!“
3
Ich will‘s mal
in wortwörtlicher Übersetzung wiedergeben:
„In Hoffnung freudig, in Betrübnis standfest,
ausdauernd im Beten.
An den Nöten der Heiligen anteilnehmend. Segnet, die euch verfolgen – segnet und verflucht sie nicht. In Einmütigkeit füreinander da. Nicht mehr aufs Hohe hinstrebend, sondern miteinander bewegt zu den Niedrigen. Haltet euch nicht selbst für klug. Keinem Böses mit Bösem vergeltend, stattdessen auf das bedacht, was bei allen Menschen als lobenswert gilt. Ist es möglich, soviel an euch liegt, mit allen Menschen Frieden haltend. Nicht mehr euch selber rächend, sondern überlaßt Gott den Zorn. Steht doch geschrieben: Mir steht Bestrafung zu, ich werde vergelten, spricht Gott. Vielmehr: Wenn deinen Feind hungert, speise ihn. Wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. So handelnd, wirst du glühende Kohlen auf sein Haupt sammeln. Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse im Guten“.
Noch einmal:
Dies alles ist Beschreibung der neuen Wirklichkeit, in der die Christen schon
leben, Beschreibung des Lebens, das im österlichen Licht liegt, Beschreibung
des Miteinanderlebens in der frischen Luft des Geistes Gottes, in der wir
aufatmen dürfen. Wir leben schon in dieser neuen Wirklichkeit – die andern
haben sie nur noch nicht kennengelernt, werden und sollen sie aber durch uns
kennenlernen.
Ganz klar: Von
uns selber aus können wir nichts, aber auch garnichts von dem verwirklichen,
was Paulus hier nennt. Aber immer dann, wenn ich erfüllt und bewegt werde von dem, was wir Jesus, seinen Worten und
Taten, seinem Leiden und Sterben
verdanken, immer dann, wenn die Liebe und Treue und Vergebung Gottes, die wir
ihm verdanken, uns befreit aufatmen läßt -
immer dann geschieht das, gleichsam wie von selbst: Ich kann Böses mit
Gutem beantworten, kann das Feindselige und Böse im Andern zum Schmelzen und
Verschwinden bringen.
III
Und das soll
dann nun aber auch geschehen! Dann unterscheidet sich christliche Gemeinde eben
doch sehr wohltuend von anderen Gruppen und Organisationen. Wir heben uns ab
von der zerfallenden Gesellschaft um uns herum. Bei
uns, in der
christlichen Gemeinde, darf’s das dann eben nicht mehr geben: mobbing,
üble Nachrede,
schlecht über den andern reden, schon
gar nicht: Einen andern so verletzen, daß er nachts nicht schlafen kann,
daß er weint, daß er verbittert wird! Und wenn wir rückfällig geworden sind und
doch jemanden gekränkt haben, dann
werden wir hingehen und um Verzeihung bitten!
Oder: Wir
Christen sind allmählich die einzige Organisation in der Welt, die eben nicht einfach verdrängt und übergeht,
daß nach wie vor über 20.000 Menschen täglich an Hunger und seinen Folgen
sterben. Wir, in einer Gesellschaft der Übersatten und Überreichen lebend, und
als Gemeinde selber vergleichsweise überaus reich, werden nicht aufhören, für
einen Ausgleich zwischen reich und arm zu kämpfen – eingedenk zweier
Wesensmerkmale Gottes, die in der ganzen Bibel von Anfang bis Ende betont
werden: Gott ist Liebe (1. Joh.4, 16) – und zwar zu all seinen Kindern und Geschöpfen, zu
denen, die er verhungern sieht (und wie soll er das nur ertragen?!), aber auch zu denen, die ständig mit Entfettungskuren
beschäftigt sind. Und, die andere Wesensbeschreibung Gottes:
4
Gott hat das Recht lieb (Jes. 61, 8).
Und: Wir
Christen werden laut sagen: Gewaltpolitik, Politik der Vergeltung führt zu
nichts Gutem – auch im Land Israel nicht -
verschlimmert alles nur.
Stattdessen: Einer muß doch den Teufelskreis gegenseitiger Vergeltung
durchbrechen, muß der Wahrheit dieser Worte die Ehre geben: „Laß dich nicht vom
Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“. Und: „Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu
essen....“ 50 bis 60 Prozent Arbeitslose in den Gebieten der Palästinenser...
Und wenn es zu Israels Politik gehörte, diese Arbeitslosigkeit drastisch zu
verringern, statt ausländische Arbeitskräfte ins Land zu holen? Und dadurch
„freurige Kohlen“ auf das Haupt reicher arabischer Staaten zu sammeln, die ein
Interesse daran haben, daß es den Palästinensern nicht gut geht? Sollte so
etwas nicht möglich sein, ohne daß Israels Recht auf Sicherheit beeinträchtigt
würde? Denn, dies wissen wir ja alle,
es gibt ja wirklich palästinensische und andere arabische Organisationen, die
wollen Israel weghaben aus dem Land, aber Israel bleibt und muß in diesem Land
bleiben.
Weiter: Wir
werden uns beschämen lassen von der Gastfreundlichkeit in anderen Ländern und also
hier in unserem emotional eher kalten Lande Gastfreundschaft üben, etwa wenn
demnächst ausländischer Besuch aus El
Salvador (im September) oder aus Brno,
Tschechien (im Oktober) kommt...
Wir werden von
Herzen das mitbeten, das ich kürzlich eine Frau beten hörte: Gott, laß mich nie
arm werden...aber auch nie reich!
Wir werden
merken, wie wohltuend und befreiend es ist, wenn man es nicht mehr nötig hat,
hoch hinauszuwollen, der gesunde Ehrgeiz
also nicht mehr herrschende, sondern dienende Funktion bekommt, wir
werden merken, wie schön es ist, mich hin zum Niedrigen und Geringen zu wenden,
weil wir auf diesem Weg und dort Gott
finden, der selber ja niedrig und gering wurde.
Alles also
kommt darauf an, ob ich mich vom Evangelium befreien lasse. Damit ist dann
jeder Druck und Zwang aus diesen Sätzen des Paulus heraus, es handelt sich
nicht mehr um Forderungen Gottes. Gott fordert ja gar nichts mehr von uns, er
behält uns lieb, wie der Vater den „verlorernen Sohn“. Sondern der Gott, der
mich bedingungslos liebt, sagt zu mir: Versuch‘s mal konkret mit einem dieser
Sätze: Mal mit der Gastfreundschaft, mal damit, Böses mit Freundlichkeit zu
überwinden, ohne dabei deine Position aufzugeben und faule Kompromisse zu
schließen, oder bete mal längere Zeit und beharrlich für einen einzigen
Menschen, bis du vielleicht ein Zeichen
der Gebetserhörumng erkennst – und du wirst merken: Dies alles zu tun
ist überaus wohltuend, für dich selbst
wie für Andere.
Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle
Vernunft, bewahre dein Herz und all deine Sinne in Christus Jesus unserem
Herrn. Amen.