Gottesdienst am 3. Advent, 11. Dezember 2005


Lieder:

Mit Ernst o Menschenkinder...10

Mache dich auf und werde licht...537

Alles ist an Gottes Segen und an seiner Gnad gelegen...352, 1-4

Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all...293

Nun jauchzet all, ihr Frommen...9, 1+4-6


Psalm 85 (Nr. 736)

Lesung: Jesaja 60, 1+2


Predigt über Römer 15, 4-13:


Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und durch den Trost der Schrift Hoffnung haben.

Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, daß ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß,

damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus .

Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.

Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind;

die Heiden aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): "Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen."

Und wiederum heißt es (5. Mose 32, 43) : "Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!"

Und wiederum (Psalm 117, 1): "Lobet den Herrn, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker!"

Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): "Es wird kommen der Sproß aus der Wurzel Isais und wird aufstehen, um zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen."

Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.


"Der Gott der Hoffnung!"


Dieser Name hat sich dem Paulus ergeben als Ergebnis und Summe jahrelangen Forschens und Nachsinnens über den heiligen Schriften Israels; und dann - nach seinem Damaskuserlebnis, das ihm sein ganzes reiches theologisches Wissen entscheidend veränderte und vertiefte - über der Erkenntnis des gekreuzigten Messias.


Paulus hat an der Bibel und an Jesus erkannt: Gott ist die Quelle der Hoffnung. Gott ist der, der Menschen mit Hoffnung ansteckt und erfüllt, mit - wie Paulus hier wörtlich schreibt - überströmender, überfließender Hoffnung.


Ich denke manchmal: Vielleicht ist dies derzeit das Allerwichtigste für unser Leben als Christen in Kirche und Gesellschaft, daß wir Menschen sind, die erfüllt sind von einer ganz

vitalen Hoffnung.


Denn: Wie sieht's mit unseren Hoffnungen aus? Der Schweizer Dichter Max Frisch hat einmal einige unserer Hoffnungen in einem Text mit der Überschrift "Herabgesetzte Hoffnungen" so benannt:


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"...daß es wieder Frühling wird/

daß die Kopfschmerzen verschwinden/

daß nie etwas an den Tag kommt/

daß die Gäste aufbrechen/

undsoweiter..."

Herabgesetzte Hoffnungen, schwach wie ein gerade noch glimmernder Docht - aber nicht die Hoffnung, wie die Bibel sie kennt: Hoffnung für die Schöpfung , Hoffnung für die Menschheit!


Vor einiger Zeit erzählte mir ein beim Ökumenischen Rat der Kirchen tätiger Christ: Auf einer ökumenischen Konferenz wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefragt: Was erhoffen Sie eigentlich? Manche aus Afrika und Lateinamerika äußerten spontan eine Reihe von Hoffnungen: Auf weiteres Wachstum - zahlenmäiges wie geistliches Wachstum - in ihren Kirchen, auf Wachstum auch von Gerechtigkeit und genügend Nahrung in ihren Ländern...Und die deutschen Teilnehmer mußten, als sie sich ehrlich prüften , eher sagen: Wir haben eigentlich garnicht so große Hoffnungen, sondern eher Sorgen, Bedrückungen...

Was übrigens die meisten Menschen auf der ganzen Welt überhaupt nicht begreifen können! Als Beispiel ein Zitat von Carlos Parreira, Trainer der brasilianischen Fußball - Nationalmannschaft, das ich vorgestern in der Zeitung las: "Ach, ihr Deutschen, hört auf zu jammern! Ihr weint zuviel. Hört endlich auf damit".


Wie werden wir zu weniger jammervollen, stattdessen zu adventlichen, erwartungsvollen Menchen? Zu Christen, erfüllt von einer lebendigen Hoffnung - etwa auf ein neues und großes Interesse am christlichen Glauben, eine Erweckung in unserer Gemeinde? Und in unserem ganzen Volk?


Paulus gibt zur Antwort: Ihr lernt das Hoffen an der Bibel


"Was zuvor geschrieben ist", sagt er hier, "das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben".


Um ein hoffnungsvoller Mensch zu werden, gibt's nur eins: Die Bibel lesen! Täglich. Darum kauft, liebe Leute, solange ihr es noch so bequem haben könnt und solange noch welche da sind, die Losungen dort am Tisch, die uns unter anderem zur täglichen Bibellese anleiten, und macht die Erfahrung, daß Ihr noch nie für so wenig Geld so viel Gewinn erzielt habt. Im Grunde kann man jeden Vers der Bibel unter der Frage lesen: Was gibt mir dieses Wort zu hoffen?


Das gilt von der ersten Bibelseite an bis zur letzten. Auf Seite eins: Da ruft Gott die Schöpfung aus dem Nichts, weil er mit ihr etwas vorhat, zum Beispiel die Entfaltung einer unendlichen Fülle von Lebewesen, und mitten unter ihnen das Lebewesen "Mensch", von ihm besonders hoch geehrt und begabt, zugleich aber auch ein besonderer Risikofaktor auf der Erde...Und auf der letzten Seite, da wird das Ziel, die Vollendung von allem in herrlichen Worten beschrieben und in visionären Bildern geschaut (Offb. 21 und 22): Der Tod wird nicht mehr sein, kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz mehr, Gott wird die Tränen von den Augen aller Menschen, die je gelebt haben, abwischen, so daß nur noch Freude und Wonne sein wird; die Herrlichkeiten, die kulturellen Schätze aller Völker werden dort ins himmlische Jerusalem eingebracht, wir werden im Lichte leben, werden Gott sehen, wie er ist; das Lamm auf dem Thron wird alles heilen, alles neu machen.


Dieses Ziel, diese Vollendung schon im Auge, ruft Gott den Abraham heraus aus seiner

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Seßhaftigkeit, seinen Gewohnheiten, und sagt ihm zu: Du wirst einmal zum Segen werden für alle Völker der Welt (1. Mose 12).


Dieses Ziel im Auge, ruft er ein Sklavenvolk heraus aus Unterdrückung und Gewalt und führt es durch die Wüsteneien des Lebens einem Land entgegen, das von Milch und Honig trieft. Dem uralten Mose gibt er unmittelbar vor dessen Tod ein Lied ins Herz und auf die Lippen; etwas völlig Unverhofftes, Paulus zitiert es hier: "Freut euch, ihr Heiden", singt der alte Mose, "freut euch, zusammen mit meinem Volk!" Mose stirbt mit dem Blick auf das unabsehbar weite von Gott verheißene Land; es ist das gleiche Land, das Martin Luther King schaute, als er am Tag vor seinem Tod ausrief: Ich sehe, wie weiße und schwarze Menschen in meinem Volk am Tisch der Brüderlichkeit miteinander sitzen.


Und dann die Propheten! Gott zeigt dem Jesaja: Aus dem Königtum Davids, diesem abgehauenen Baumstumpf, wächst ein Sproß, "der wird" - wie Paulus hier den Propheten Jesaja zitierrt - "herrschen unter den Heiden, auf ihn werden die Heiden hoffen" .


Die Bibel, das Buch der Menschheitsgeschichte, über der sich die weiten Bögen der

Gottesverheißungen spannen. All das für jeden von uns hier aufgeschrieben, damit wir, wie Paulus sagt, "durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben" .


Ja - es sind wunderbar tröstende Worte, die wir in der Bibel finden, etwa auch in der derzeitigen Tageslesung, dem Prophetenbuch Sacharja. Es sind Worte, die mit der Hoffnung zugleich Geduld lehren. Ich staune immer wieder: 750 Jahre hat es gedauert, bis das eintraf, was Jesaja schon als Wirklichkeit schaute: "...denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter...".


Gott hat Geduld, er kann es erwarten, bis der richtige Zeitpunkt da ist.


Darum gehören auch für uns "Fröhlichkeit in Hoffnung, Geduld in Trübsal, Beharrlichkeit im Gebet" (Römer 12, 12) zusammen. Beten wir nur beharrlich, legen wir Gott unsere Bitten und Wünsche aufs Herz. Es kann dauern, vielleicht Jahre, aber Gott wird sie, zum richtigen Zeitpunkt, erfüllen.


Bei Simeon hat es ein Leben lang gedauert, bis er endlich ganz überwältigt sagen konnte: Nun entlässest du deinen Diener in den Frieden, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen (Lukas 2,29f.). Er sah das Jesuskind. Er sah den, in dem Gott, in seiner Treue zu Israel, all seine Verheißungen für dieses Volk erfüllte, und sie zugleich ausweitete auf die Völkerwelt. Nun gilt für uns und jeden Menschen auf dem Erdboden: Nehmt einander an, wie Christus uns angenommen hat zu Gottes Lob. Im griechischen Urtext heißt es noich konkreter, praktischer: Nehmt einander auf, also: beherbergt andere bei euch, seid gastlich, fremdenfreundlich!


Zur Hoffnung ist ja vor allem eines nötig: Daß ich spüre: Ich werde geliebt. Ich bin wichtig. Und das gilt ja nun für Dich, und für jede und jeden von uns hier, seit Gott Herberge auf unserer Erde genommen hat: Gott hat dich lieb. Christus hat dich angenommen. Und nun kannst du dich selbst auch bejahen.


Kürzlich beim "Offenen Pfarrhaus Heidehang" war eine Therapeutin dabei, die sich beruflich um Mädchen und Frauen kümmert, die an der Boulimie erkrankt sind, der Magersucht; viele von ihnen sind krank, sagte sei, weil sie denken, sie sind nur schön, wenn sie diesen

Bohnenstangen-models gleichen. Aber Gott sieht das anders. Er sagt zu pummligen oder krummbeinigen, glatzköpfigen oder hinkenden Menschen: Du bist von mir geliebt , ich sage

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Ja zu dir wie du bist, du bist schön in meinen Augen - du kannst dich bejahen.


So ist die Erfahrung, geliebt zu werden, Ursprung und Ziel der Hoffnung; wir können auch sagen: Quelle aller Hoffnung ist Jesus, dessen Kommen in unsere Welt wir bald mit großer Freude feiern werden. Darum schließe ich mit dem Segenswunsch, mit dem auch Paulus hier schließt:


Der Gott aller Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes". Amen.

Wir singen das Lied, das dem von Paulus hier zitierten Psalm 117 nachgedichtet ist: Lobt Gott, den Herrn, ihr Heiden all...


Vor den Fürbitten zitiert: Kurt Marti:


die hoffnung


die hoffnung geht zu fuss

die hoffnung strampelt auf dem rad

die hoffnung fährt mit der bahn


die hoffnung guckt wolken nach

die hoffnung grüßt den mond

die hoffnung findet zeit


die hoffnung verteidigt igel und bäume

die hoffnung versteckt asylanten

die hoffnung kauft im drittweltladen ein


die hoffnung fällt und erhebt sich wieder

die hoffnung steigt über berge

die hoffnung durchschwimmt das meer


die hoffnung bleibt neugierig

die hoffnung entdeckt zusammenhänge

die hoffnung sucht verbündete


die hoffnung kann entbehren

die hoffnung weiss zu geniessen

die hoffnung schürt das feuer der liebe


die hoffnung kann wütend werden

die hoffnung kann tarurig sein

die hoffnung lacht subversiv


die hoffnung kämpft für das recht des andern

die hoffnung feiert und tanzt

die hoffnung macht zärtlich


die hoffnung hat nichts

die hoffnung will alles

die hoffnung betet um das reich gottes