Holzweg des Todes – Weite des Lebens


Gottesdienst im Weiglehaus, Essen, am 8. Sonntag nach Trinitatis, 13. Juli 2008



Lieder:


Die helle Sonn leucht' jetzt herfür...EKG 339

Ein reines Herz, Herr, schaff in mir...EKG 263

Liebe, die du mich zum Bilde...EKG 255, 3.4.7


Schriftlesung: Matthäus 5, 13 - 16


Predigt: Römer 6, 16 - 23


Wisst ihr nicht: Wem ihr euch zu Knechten macht, um ihm zu gehorchen, dessen Knechte seid ihr und müsst ihm gehorsam sein, es sei der Sünde zum Tode oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit?

Gott aber sei gedankt, dass ihr Knechte der Sünde gewesen seid, aber nun von Herzen gehorsam geworden der Gestalt der Lehre, der ihr ergeben seid.

Denn indem ihr nun frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit.

Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden.

Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit.

Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod.

Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben.

Denn der Tod ist der Sünde Sold; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.




Liebe Gemeinde!


Wem wir uns hingeben, der oder das beherrscht uns. Auf was wir uns einlassen, das bestimmt und prägt unser Leben.


Ein Beispiel: Eine Verwandte von mir erzählte mir vor einiger Zeit, sie sei beunruhigt und schliesslich geradezu besessen gewesen von dem Gedanken, sie habe Kehlkopfkrebs. Sie hatte einen Artikel darüber gelesen und genau die darin angegebenen Symptome bei sich festgestellt: Schluckbeschwerden, Kratzen im Hals, häufiges sich Räuspern...Voller Zittern und Zagen ging sie schliesslich doch zu einer Ärztin - und wie erleichtert war sie, als die ihr sagte, sie hätte nur eine harmlose Reizung im Hals. Ein bißchen betreten

erzählte sie mir dann auch noch, dass sie einen Bekannten, zu dem sie von ihren Symptomen und Ängsten gesprochen hatte, mit der gleichen Furcht angesteckt hatte, so

dass sich der auch vom Arzt habe untersuchen lassen wollen.


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Worauf wir uns einlassen, das prägt und beherrscht unser Leben. Ängste können uns zu

Sklaven der Angst machen - jede Mutter, die mal stundenlang des Nachts auf ihr Kind warten musste, weiß das. Sorgen können uns dermaßen beherrschen, dass wir von ihnen ganz gelähmt und aufgefressen werden. Oder auch: Begehrlichkeit, Kauflüsternheit kann uns zu Opfern und Marionetten derer machen, für die wir nichts sind als "Konsumenten", „Verbraucher“. Und wen erst einmal die Habgier packt, den hat der Dämon Mammon bald fest im Griff, zuerst unmerklich, einlullend, dann brutal zerstörend - nicht nur Einzelne, sondern ganze Völker.


Luther sagt es in seiner anschaulichen Sprache so: Wir Menschen sind wie Reittiere. Wir gehorchen dem, der auf uns sitzt, uns also wortwörtlich be-sitzt. Und, so sagt Luther lapidar weiter: Wenn nicht Gott uns lenkt, dann der Satan, der Verführer. Woher ja die Redewendungen kommen: Den reitet der Teufel. Oder: Der ist vom Satan besessen.

Ist unsere habgierige Geselllschaft vielleicht doch von Dämonen besessen?


Paulus formuliert es in unserm Predigttext so: "Wem ihr euch zu Knechten macht, ihm zu gehorchen, dessen Knechte seid ihr und müßt ihm gehorsam sein".


Und dann stellt er uns in unserem Predigttext gleichsam zwei Lebensweisen, zwei ganz verschiedene Linien und Lebenswege vor Augen. Ich möchte sie nennen:


die Todeslinie: gekennzeichnet von den Stichworten Sünde oder Ichsucht - Ungerechtigkeit und schamloses Leben – und als „Sold“, als Quittung eben,als verdienter Lohn: der Tod;


und die Lebenslinie: gekennzeichnet von den Stichworten Gehorsam als Knechte Gottes - Gerechtigkeit und Heiligkeit – und in all dem und als unverdientes Geschenk: Ewiges Leben.


Und die Wende vom Einen zum Andern bringt Christus.


Erster Predigtpunkt: Der Tod - der Sünde Sold


Die Todeslinie, wie ich sie nennen möchte – sie beginnt mit dem Egoismus, der Ichsucht, der Sünde. Luther hat - wiederum sehr anschaulich - den Sünder als den "in sich selbst verkrümmten" Menschen bezeichnet, einen Menschen also, der sozusagen Nabelschau betreibt, nur auf sich selber blickt und um sich selber kreist. Biblisches Beispiel: Der reiche Kornbauer, der nur im Selbstgespräch begriffen ist (5/6 mal kommt da in wenigen Versen das Wort „ich“ oder „mein“ vor), der immer mehr für sich selber haben will – und am Ende steht die Leere.(Lukas 12).


Die Haltung der Ichsucht, sagt Paulus, die führt zwangsläufig zu einem Mehr und Mehr an Ungerechtigkeit und all das läuft mit unerbittlicher Konsequenz auf den Tod hinaus – auf den Tod in dem tiefen Sinn, wie ihn die Bibel versteht: Nicht nur als das Ende des Lebens, sozusagen die letzten Atemzüge, sondern Tod als Beziehungslosigkeit und Isolation schon im Leben, der Tod als leeres, habgieriges, spasssüchtiges Leben, das dann in der Konsequenz in etwas Entsetzliches münden kann: In ein Leben in ewiger Gottesferne, so wie Jesus es im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus schildert (Lukas16).


Denn das ist die Hölle: Die ganze Seligkeit des Lebens in der Herrlichkeit Gottes schauen und nie nie hingelangen können...


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Kennen wir nicht Beispiele für solch ein Leben, das durchaus "herrlich und in Freuden" (Lk. 16, 19) geführt sein kann, in Wirklichkeit aber ein leeres, sinnloses, vergeudetes, totes

Leben ist?


Ich erinnere mich an einen Sonntagnachmittag vor Jahren in meiner früheren Gemeinde

im Stadtwald, ich ging zu einem Hausbesuch in die "Kantorie", eine Straße mit prächtigen Villen, die Straße war menschenleer zur Sonntagnachmittagszeit - und dann stieg aus einem teuren Auto eine einzelne Dame aus, stark geschminkt; das Gesicht eher hohl, mit einem etwas verkniffenen Zug um den Mund. Sie nahm ein kleines Tablett mit vielleicht zwei Kuchenstücken darauf und ging in ihre Villa. Und mich durchfuhr es: Wie einsam muss diese Frau sein in ihrem Reichtum, vielleicht Witwe oder von ihrem Mann geschieden, im Streit um Geld von ihren Kindern verlassen, sie tröstet sich mit etwas süßem Kuchen.


Vielleicht war es ja auch gar nicht so bei der mir unbekannten Dame – man kann sich ja so sehr im Urteil über einen Menschen täuschen. Aber ich kenne genügend Beispiele. Das gibt es ja wirklich: A-sozialität im Reichtum. Man hat auf Reichtum gesetzt, immer mehr haben wollen - und dann Streit in der Familie, Trennung, man redet nicht mehr miteinander - nach dem Motto: "Der ist für mich gestorben". Bitterkeit, Vereinsamung, Tod.


Ein Leben, das immer nur um sich und den eigenen Vorteil und Erfolg kreist: Wie trostlos ist das, wie arm. Wer als Lebensziel nur Wohlstand und Spaß im Auge hat: Wie oft führt eine solche Lebenshaltung zu zerstrittenen Familien, erstorbenen Ehen, zerbrochenen Beziehungen und im Alter zu Verbitterung und Haltlosigkeit.


Wieviel Tod herrscht hinter den Fassaden unserer sog. Wohlstandsgesellschaft, die manche Soziologen ja geradezu als "egoistische Gesellschaft" definieren und von der der Politiker Heiner Geissler vor einiger Zeit sagte: "Wir haben versucht, durch unsere Politik freie Menschen zu schaffen - und was haben wir hervorgebracht? Eine Gesellschaft von Egoisten“. Eine Gesellschaft, in der weltweit und im eigenen Land immer mehr Ungerechtigkeit produziert wird: Weltwirtschaftliche Ungerechtigkeit, aber auch böse Ungerechtigkeit in der Art und Weise, wie Menschen behandelt werden, die man zu den "loosern" zählt: Und dazu gehören auch alte Menschen, die von ihren reichen Kindern in Heime abgeschoben werden, wie ich das oft erlebt habe. Um nicht missverständlich zu sein: Es gibt Wohn- und Pflegeheime für alte Menschen, die sind wunderbar und eine Wohltat und geben auf unersetzliche Weise alten Menschen Lebensqualität und Würde. Aber es gibt auch dies: Das Personal auf der sog. Pflegestation gibt sich die größte Mühe und doch: Da sitzen dann die Menschen tagsüber stumm, mit leeren Augen vor sich hinblickend. Und manchmal, wenn ich einen von ihnen angespochen habe, den Namen nannte, oder danach frage, in welchem Ort er oder sie denn aufgewachsen sei, dann blickten sie auf, versuchten Worte zu formen, begannen zu erzählen, die Augen wurden lebendig, es kam Licht in sie...


Wie wichtig ist es, wenn Menschen – etwa vom Besuchsdienst der Gemeinde - zu ihnen eine Beziehung aufnehmen, Zeit für sie haben; wie wunderschön ist dann vielleicht ein Lächeln auf ihrem Gesicht - und wie bereichernd ist es , von ihnen zu hören, was sie von ihrem Leben zu erzählen haben - fast immer aus der Zeit um den 2. Weltkrieg...


Wie oft habe ich gedacht: Wie reich beschenkt wird mein Leben dadurch, dass ich ihnen

zuhören darf, mit ihnen beten darf...


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Und darum jetzt schleunigst der 2. Punkt: Aber! - Die Gabe Gottes...



Dieses "Aber" des Paulus hier: Es ist ein ganz dankbares, erleichtertes, geradezu jubelndes Aber!


Wie es übrigens oft in Sätzen der Bibel vorkommt:


Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen, aber die auf den

Herrn harren, kriegen neue Kraft...(Jes.40)


Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht hinfallen...(Jes. 54)


Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, aber die Gnade Gottes währt von Ewigkeit

zu Ewigkeit...(/Ps. 103)


Und das wunderbare Jesuswort: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost (wörtlich: seid guten Mutes!), ich habe die Welt überwunden...(Joh. 16).


Und hier: Der Tod ist der Sünde Sold, aber die Gabe Gottes ist ewiges Leben in Christus Jesus unserm Herrn!



Gott beschenkt uns! Wir brauchen nichts tun, als uns beschenken lassen! Damit fängt wirkliches Leben an, dass wir uns von Gott beschenken lassen, empfänglich leben, erwartungsvoll für sein Tun, fähig werden, uns helfen lassen zu können, uns als die Schwachen, Hilfsbedürftigen zeigen können, die wir immer sind, in jedem Lebensalter. Wir bekommen von Gott etwas, auf das wir - anders als bei unserm verdienten "Sold" - keinen Anspruch haben, wir bekommen ein Geschenk , das uns ganz unverdient - wie ein unverhofftes Erbe - zufällt: Gott beschenkt unser Leben mit all den Schätzen, die in Jesus Christus verborgen, bei ihm zu finden und zu haben sind - bei dem, der, seit Gott ihn von den Toten auferweckt hat, "der Herr" ist und unser persönlicher Herr sein will - und wir sein Eigentum. Die Knechtschaft Gottes ist höchste Freiheit, sagt ein altes Wort. Ein Leibeigener Jesu sein - ein freieres, reicheres und schöneres Leben ist nicht vorstellbar.


3. Punkt also: Ewiges Leben in Christus Jesus, unserm Herrn


Paulus sagt uns ja: Für euch, für euch Christen ist dieser ganze Todesweg eine vergangene, überholte, abgetane Lebensweise geworden! Wir sind mit der Taufe auf den neuen Weg gestellt, den Weg des Lebens mit den Kennzeichen: Knechte Gottes - Gerechtigkeit - Ewiges Leben.


Ein Weg, auf dem wir, als Knechte Gottes und Leibeigene Jesu, der Gerechtigkeit dienen, und der sich vollendet in der Herrlichkeit, dem Licht, dem Schauen Gottes...


Dieser Weg ist der Weg in der Gemeinschaft mit Jesus in der Gemeinde, ein Weg, auf dem wir anderen - nahen und fernen Nächsten - gerecht zu werden suchen und darüber selbst reiches Leben finden. Denn wer glücklich sein will, muss andere glücklich machen.


Wir haben dann nicht mehr nötig, immer mehr haben zu wollen – weil wir Besseres geschenkt bekommen, so wie Jesus das in einem seiner für mich schönsten Worte sagt:



„Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh. 10,10). Wir können nun, aus der Fülle lebend geben . Und: Wir haben es nicht mehr nötig haben, uns stark zeigen zu müssen, "ichstark", immer "gut drauf".


Wir können Schwächen zeigen, Fehler zugeben.


Denn, wie der Hebräerbrief wunderbar sagt: "Wir haben nicht einen Herrn, der nicht

könnte mitleiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. (4, 15f.). Und: Jesus, unser Herr, "hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tode erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt" (5, 7f.).


Unser Herr war und wurde auch schwach, geriet in Versuchungen, weinte... Darum brauchen auch wir uns nicht stark zu zeigen, schon gar nicht immer "glaubensstark" , sondern können in der Seelsorge Jesu aufatmen, Brüche in unserem Leben können uns zu Bereicherungen werden - und darüber werden wir einander zu Seelsorgern. Seelsorger sind die, die ihre eigene Hilfsbedürftigk zeigen können, die so stark sind, sich helfen lassen zu können - und die dann auch andern helfen können. Trostbedürftige, die andere trösten können. Menschen, die sich täglich von ihrem Herrn mit der Gabe ewigen Lebens beschenken lassen und darum andere beschenken können: Wie unersetzlich ist solch eine Gemeinde in unserer Welt. Eine Gemeinde von Menschen, die dem Andern, dem ebenso wie sie selbst von Gott gerecht gesprochenen Sünder, gerecht werden, indem sie sich ihm in bejahender Liebe zuwenden. Amen.














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