Gottesdienst am Pfingstsonntag, 31.Mai 2009

in Essen – Kupferdreh


(75 Jahre Barmer Theologische Erklärung)


Lieder:


Schmückt das Fest mit Maien...135, 1-3

O heilger Geist, kehr bei uns ein...130, 1.5.6

Zieh ein zu deinen Toren...133, 1.5

(als Fürbitten: Str. 7 – 10, dann Gebetsstille)

Nun lasst uns Gott dem Herren Dank sagen...320, 1.7.8


Psalm 118 (Nr. 751.2.; S. 1180f.)


Als Schriftlesung und Credo:

Barmer Theologische Erklärung (EG S. 1377)


Predigt über Römer 8, 1 und 2


Liebe Gemeinde!


Pfingsten: Fest des Heiligen Geistes. Tauftag der Kirche. Not-wendigstes Fest der Kirche überhaupt. Denn ohne den Heiligen Geist sind unsere Gemeinden leblos. Tot.


Und gerade zu Pfingsten soll ja über den Heiligen Geist nicht nur geredet werden, sondern wir sollen von ihm ganz erfüllt werden!


Aber : Kann ich das jetzt bei Euch bewirken? Nicht wahr: Das kann auch der mitreissendste Prediger nicht. Den Geist Gottes können wir nicht nach Wunsch und Belieben herbeizitieren. Der ist von uns Menschen nie in den Griff zu kriegen. Er weht, wann und wo Er will. Hier muss und kann nur Gott selber alles tun. Was wir Menschen dazu beitragen können, ist: Empfänglich sein für ihn, offen und bereit für sein Kommen. Und das heisst: Wir können und sollen um sein Kommen beten, ihn von Gott erbitten.


Und noch eins können wir tun: Auf Jesus hinweisen, von ihm erzählen und reden. Denn, wie Luther in seiner unnachahmlichen Sprache einmal gesagt hat: Christum allein weiss der Heilige Geist zu predigen, der arme Heilige Geist weiss sonst nichts.


Glauben an Jesus zu wecken - das ist das wesentliche Tun des Heiligen Geistes. Und auf das, was wir Ihm verdanken, darauf weist auch einer der Predigttexte für den Pfingstsonntag hin: Paulus schreibt in Römer 8 in den Versen 1 und 2:


So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.


Paulus benennt in diesen schweren Worten das Wesentliche, das der Heilige Geist tut: Er

schenkt Freiheit! Er bewirkt, dass wir Menschen in unvergleichlicher Weise frei werden.


Nun ist „Freiheit“ ja eines der ganz großen Worte, ähnlich oft mißbraucht wie etwa das

Wort Liebe. Wenn wir bestimmte Produkte kaufen und konsumieren, werden wir frei,

2

suggeriert uns die Werbung. Von der „Freien Welt“ haben wir seit Jahrzehnten stolz geredet. Und eine Partei vorwiegend für Besserverdienende hat sich die Freiheit gar als Markenzeichen erkoren. Aber in all diesen Bereichen ist Freiheit immer auch mit einer guten Portion Eigennutz gepaart.


Wir dagegen in der Kirche sagen, dass die Botschaft des Evangeliums uns Menschen wahre und höchstmögliche Freiheit schenkt. So wie es die 6. Barmer These sagt:


Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin..., die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.


Die Kirche selbst ist frei, so hören wir hier. Wir sollen unabhängig sein, frei bleiben von Bevormundung durch andere, durch politische Interessen und Einflussnahmen etwa. Aber auch unabhängig von Geldgebern, „Sponsoren“. Das ist heute eher die Gefahr, dass wir abhängig werden von der Macht des Geldes und von Geldgebern. Wir dürfen uns nicht „kaufen“ lassen.


Schuster, bleib bei deinem Leisten“, lautet ein schönes Sprichwort. Und das gilt auch für die Kirche. Wir sollen stolz und strikt bei unserem Auftrag bleiben, den niemand sonst ausser uns wahrnehmen kann – und der lautet: Jedem Menschen die Botschaft von der freien Gnade Gottes mitzuteilen. So wie es kernig und deutlich die 5. Barmer These sagt: Der Staat - heisst es da klar - hat die Aufgabe, „für Recht und Frieden zu sorgen“. Und die Kirche im Staat „erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebote und an Gottes Gerechtigkeit – und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten vor Gott“. Und dann der herrliche Satz: „Sie – die Kirche - vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt“.


Das ist unser Auftrag: Dem Wort Gottes, der Verkündigung des Evangeliums alles zutrauen. Was bewirkt das Evangelium? Es verschafft uns Freiheit, schreibt Paulus, Freiheit von der Versklavung unter die Sünde und den Tod.


Wenn man diese Freiheit anschaulich machen will, muss man Beispiele bringen – Geschichten von Menschen, die Vorbilder solcher Befreiung und Freiheit sind. Vier Beispiele sind mir eingefallen.


Das erste handelt von dem Jesuitenpater Alfred Delp. Er gehörte zu den Wenigen, die der Glaube an den Herrn Christus zum Widerstand gegen die Hitlerherrschaft zwang. Nach

dem 20. Juli 1944 wurde er verhaftet. Als man ihn im Frühjahr 1945 zur Hinrichtung

abführt, fragt er den Seelsorger, der ihn begleitet, nach dem derzeitigen Verlauf der Front im Osten und im Westen. Der druckst herum, sagt, er wisse nichts Genaues. Darauf Delp: In einer halben Stunde weiss ich mehr als sie.


Freiheit im Angesicht des Todes. In dieser Freiheit ist offenbar auch ein Dietrich Bonhoeffer gestorben, denn als letztes Wort von ihm, als auch er zur Hinrichtung

abgeführt wurde, ist uns überliefert: Das ist das Ende. Für mich der Beginn des Lebens.

Beide haben bewahrheitet, was die geradezu ehernen Worte der 1. Barmer These sagen:Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort

Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu

3

gehorchen haben.


Die Freiheit, die Jesus bewirkt, führte bei ihnen zu klarem politischem Urteil, zum Durchschauen trügerischer Versprechungen, zum aktiven Widerstand gegen eine gotteslästerliche Politik. Eine wesentliche Kraftquelle dieser Freiheit ist der Glaube an das Leben nach dem Tode, der Glaube an die Gnade und das Gericht Gottes im ewigen Leben.


Pater Delp und Dietrich Bonhoeffer wussten, zu welchem Ziel hin die Reise des Lebens führt. Zu einem Gott, der uns um Jesu willen voller Erbarmen in die Arme nehmen wird.


Wie froh, wie erleichtert, wie dankbar sagt es Paulus: So gibt es nun keine Verdammnis mehr für die, die in Christus Jesus sind.


Keine Verdammnis, keine Verurteilung mehr durch Gott, kein Verlorensein. Denn das könnte ja auch sein, dass wir im Sterben in eine unendliche Leere, in ein Nichts versinken, in absolute Finsternis stürzen. Und das Neue Testament spricht ja auch von einem Leben in ewiger Gottesferne: Man schaut nach dem Tode die Seligkeit des Lebens in der Herrlichkeit Gottes und kann nie, nie dorthin gelangen. Das ist unausdenklich grauenhaft, das ist die Hölle.


Aber das hat Jesus durch seinen Kreuzestod von uns abgewendet. Was wir alle mit Recht verdient hätten, hat er an unserer Stelle getragen. Und nun sollen wir nicht mehr verloren gehen, sondern Heimat und Geborgenheit finden in Gott und bei seiner Gemeinde. Dankbarkeit und Freude können nun – trotz allem – die Grundhaltung von uns Christen sein.

Obwohl wir täglich schuldig werden vor Gott und Menschen, obwohl wir Gott und Menschen soviel Liebe schuldig bleiben - wir bleiben wunderbarerweise geliebt bei Gott!


In dieser Gewissheit liegt die höchste Freiheit, denn dann haben wir es nicht mehr nötig, etwas sein, etwas darstellen zu wollen, uns auf uns etwas einzubilden, sondern wir können anderen in Freiheit dienen. So wie es mein Konfirmationsspruch, für den ich sehr dankbar bin, sagt (Gal. 5,13): Ihr seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr die Freiheit nicht eigennützig gebraucht, sondern durch die Liebe diene einer dem andern.


Dazu nun eine zweite Geschichte. Sie handelt von einem früheren Gemeindeglied. Ein

Frührentner, dem man immer die Freude am Glauben abspürte. Er kam mehrfach und

brachte sehr hohe Geldbeträge für Hilfsprojekte in der sog. Dritten Welt. Als jemand, der das mitbekam, ihn einmal fragte: Warum sind Sie für sich selbst so bescheiden und genügsam, gönnen sie sich von Ihrer Rente doch mal selber etwas, zum Beispiel eine schöne Reise, da hörte ich ihn sagen: Wenn ich tot bin, sehe ich sowieso alles, da zeigt Gott mir sowieso die ganze Welt.


Das hat mich damals beeindruckt. Diese Antwort zeigt Zufriedenheit, Heiterkeit, Vorfreude auf den Himmel, im Grunde ein Glücklichsein. Bei diesem Mann wurde die Freiheit, zu der Jesus befreit, wie von selbst zur Freigebigkeit, zur Großzügigkeit. Er handelte gemäss der 2. Barmer These:


Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn

widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem,

4

dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.


Die 3. Geschichte las ich in einem Buch über den Theologen Karl Barth Er wurde

gefragt, wieviel Doktorhüte er eigentlich im Lauf der Jahrzehnte eingeheimst habe. Seine

Antwort: Das wisse er nicht genau, es sei ohnehin nicht wichtig. Beim Eintritt in den Himmel würden sowieso alle Doktorhüte vorher an der Garderobe abgegeben.


Die Freiheit, zu der Jesus befreit, hilft zu erkennen, was vor Gott wichtig ist und was vor ihm und auch vor Menschen unwichtig ist, zum Beispiel Titel, Doktorhüte, Macht, Ansehen. In unseren christlichen Gemeinden jedenfalls verlieren all diese menschengemachten Unterschiede und Rangordnungen ihre Bedeutung und Gültigkeit. Hier gibt es keine Hierarchie, in welcher Weise auch immer; hier sind wir alle gleich, samt und sonders gleich darin, dass wir alle von Gott geliebte Sünder sind. Wie es die 4. Barmer These sagt:


Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.


Und These 3 erläutert diesen Dienst: Die Kirche – die Gemeinde von Brüdern und

Schwestern – hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.


...Allein von seinem Trost, in der Erwartung seiner Wiederkunft in Herrlichkeit. Dazu noch eine letzte Geschichte, ebenfalls von Karl Barth. Eine Dame fragt ihn: Herr Professor, was meinen Sie: Werden wir im Himmel denn unsere lieben Verstorbenen wiedersehen? Er: Ja, ganz gewiss. Aber die Anderen auch.


Die also, von denen wir eher dachten: Fahr zur Hölle! Auch die, denen wir Böses antaten; die, an denen wir achtlos oder verachtungsvoll vorübergingen, denen wir in Wort und Tat hätten helfen können – und wir haben's nicht getan.


Diese Antwort lehrt uns: Vergebt rechtzeitig, sucht Frieden und Versöhnung. Und: Versäumt nicht die Gelegenheiten zur Liebe. Denn Maßstab im Letzten Gericht wird ja sein: Ob wir Jesus in den geringsten seiner Geschwister gedient haben.



Beim Schreiben der Predigt fiel mir auf: Merkwürdig - alle Geschichten handeln vom Himmel. Und: alle enthalten Humor. Und: Alle wollen etwas in uns bewirken, was nur

der Heilige Geist tun kann - und was er offenbar auch bei Albert Einstein getan hat.


Von ihm las ich vor einiger Zeit den Satz: Der wahre Wert eines Menschen bestimmt sich vor allem daraus, wie weit er Freiheit von sich errungen hat.


Darum geht’s, das ist die höchste Freiheit: Freiheit von sich selbst. Freiheit zu dankbarem Dienst an den Geschöpfen Gottes. Freiheit zu der uns Jesus befreit.


Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn. Amen.