Wir beten: Ewigkeit – in die Zeit leuchte hell herein,
das uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine. (EG 572, 4)
Liebe
Schwestern und Brüder!
Die Älteren
unter uns werden vielleicht vor Jahrzehnten mal hin und wieder an den heutigen
Abend gedacht haben unter der Frage: Ob
du das wohl jemals erleben wirst,
diesen Übergang ins Jahr 2000? Und nun ist dieser Abend da und er wird vorübergehen und – wer weiß – im Rückblick
wird er vielleicht gar nicht zu den wichtigen Ereignissen unseres Lebens
gehören. Andere Ereignisse unseres Lebens werden uns viel wichtiger vorkommen
und vom heutigen Abend wird vielleicht nur der Gottesdienst wichtig bleiben.
Denn: Wie gut,
daß wir auch heute Gottesdienst feiern dürfen!
Vor einiger
Zeit sagte mir einmal ein Mann zu meiner großen Überraschung und auch Freude:
Die Gottesdienste sind für mich die Höhepunkte des Lebens!
In der Tat:
Hier hören wir ja von dem, der einzig
und allein bleibt. Hier begegnet uns
der Ewige, der Gott, vor dem 1000 Jahre sind wie der gestern vergangene Tag.
Hier hören wir von seiner Treue und davon, daß er uns im Fluge unserer Zeiten
gnädig zugewandt bleibt. Hier empfangen wir das Wichtigste für unser Leben
überhaupt: Die Zusage der Gnade und Vergebung Gottes angesichts unserer
unzähligen erkannten und unerkannten Sünden. Hier bekommen wir Kraft, auch unsererseits vergeben zu können. Hier
werden wir beschenkt mit den Gaben Gottes, die unserem Leben allein bleibenden
Sinn und Wert geben: Mit Glauben und Hoffnung und Liebe.
Hier hören wir
davon, daß wir in eine Gemeinschaft hineingehören, die die
Jahrhunderte und Jahrtausende überdauert: Die
Gemeinschaft des Volkes Gottes. Die Gemeinschaft mit all denen, die in
Jahrhunderten vor uns das gleiche Wort Gottes hörten wie wir, das Heilige Mahl
feierten wie wir, das gleiche Glaubensbekenntnis sprachen, in ihrer
Lebenssituation den guten Kampf des Glaubens kämpften.
Und nun
stellen wir uns einmal vor, wir hätten solch eine Zeitmaschine, wie es sie in
utopischen Romanen gibt: Man geht hinein, drückt auf einen Knopf und befindet
sich in einer gewünschten anderen Zeit. Stellen wir die Uhr unserer
Zeitmaschine um - sagen wir - 200 Jahre zurück.
1799. Ein
kleines Barockkirchlein stand damals an dieser Stelle, gerade 25 Jahre vorher
war es erbaut worden – einzelne Bauernhöfe gab es hier herum, Feldwege,
Viehweiden, und die Menschen sangen damals zu Silvester vielleicht das gleiche
Paul - Gerhardt – Lied wie wir eben: „Wir
gehn dahin und wandern von einem Jahr zum andern...“
Oder – gehen
wir 1000 Jahre zurück: Das Jahr 999. Die Fundamente des Turms von St. Lambertus
drüben stammen aus dieser Zeit, es gab also hier schon eine Kirche, die
Menschen gingen zum Gottesdienst. Soweit man weiß, gab es damals große
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Endzeitängste,
Weltuntergangsbefürchtungen: Das war für die damalige Jahrtausendwende wohl das
Kennzeichnende, während für unsere Jahrtausendwende das Hauptkennzeichen wohl
der Versuch der Kommerzialisierung, der „Vermarktung“ des sog. Millenniums ist.
Und: Noch einmal 1000 Jahre zurück, 99 nach Christus, und jetzt in Palästina:
Da sind die Ereignisse, die die Mitte unseres Glaubens bilden, noch ganz neu,
die Evangelien sind gerade erst
geschrieben, die Erinnerung an den Wanderprediger am See Genezareth, das
Kind von Bethlehem, den für uns gekreuzigten und auferstandenen Heiland ist
noch ganz frisch: Auch damals schon bekannten Menschen sich zu dem gleichen
Glauben wie wir!
Und, wenn wir
dann noch einmal 1000 Jahre zurück
gehen: Dann erst sind wir bei den Anfängen des Volkes, zu dem auch wir gehören,
bei den Ursprüngen dessen, was unseren Glauben kennzeichnet. Von diesen
Ursprüngen und von dieser Zeit erzählt der für den heutigen Silvesterabend
vorgeschlagene Predigttext. Ich lese aus 2. Mose 13 die Verse 17 und 18 und 21
bis 22:
Als nun der Pharao das Volk hatte ziehen lassen, führte sie
Gott nicht den Weg durch das Land der Philister, der am nächsten war; denn Gott
dachte, es könnte das Volk gereuen, wenn sie Kämpfe vor sich sähen, und sie
könnten wieder nach Ägypten umkehren.
Darum ließ er das Volk einen Umweg machen und führte es durch die Wüste zum Schilfmeer. Und Israel zog wohlgeordnet aus Ägyptenland.
Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer
Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer
Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.
Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die
Feuersäule bei Nacht.
Das, liebe
Gemeinde, ist, meine ich, das Allerwichtigste, was wir heute überhaupt hören
können! Die Zusage Gottes: Niemals, niemals weiche ich von euch, meinem Volk.
Und niemals, weder bei Tag noch bei Nacht, weder im Leben noch im Tod bin ich
fern von Dir, sondern bleibe dir nahe - und zwar in Liebe und Treue, einer Liebe und Treue, die sich allerdings auch
in Zorn und Gericht äußern können! Denn, wenn wir auf dieses Jahrhundert
zurückblicken: Unser deutsches Volk ist ja doch in besonderer Weise an den
schrecklichen Katastrophen dieses zuendegehenden Jahrhunderts beteiligt. Die
entsetzlichsten: Der Versuch, Gottes Volk Israel auszurotten, und die
Weltkriege, gingen von uns aus. Können wir dankbar genug dafür sein, daß Gott
sich uns trotz allem wieder so freundlich zugewandt hat?
Und nun zurück
zum Anfang unseres Textes: Gott führt sein Volk nicht den direkten Weg. Er
kennt ihre Furcht vor möglichen Gefahren und Widerständen, er weiß, wie gern
sie in eine vermeintlich bessere Vergangenheit zurück wollen. Sondern er führt
sie einen Umweg, durch Wüste, durch unbewohntes Land. Er kennt auch unsere Ängstlichkeit, weiß, wie wenig wagemutig, zuversichtlich, vertrauensvoll wir
sind im Blick auf die kommende Zeit, wie manche von uns geneigt sind, auch die
kirchliche Vergangenheit zu verklären und rückwärtsgewandt zu denken. Gott
weiß,
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was er uns als
Gemeinde und jedem von uns persönlich zumuten kann. Er wird uns, so hoffe ich,
auch im kommenden Jahr nicht mehr zumuten als wir zu leisten und zu tragen
vermögen. So wie er hier seinem Volk den direkten, vielleicht zu schwierigen,
zu sehr beängstigenden Weg erspart - so
vielleicht auch uns, er führt uns in seiner großen Gnade lieber einen längeren,
einen Umweg. Und das heißt doch: Wir können auch im Rückblick von den
vermeintlichen Umwegen oder gar Abwegen und Irrwegen unseres Lebens positiv denken, können auch sie im Licht der
gnädigen Führung Gottes sehen.
Das Zweite,
was wir hören: Unser Gott ist kein seßhafter Gott. Er hat keine feste
Behausung, sondern wohnt allenfalls in Zelten. Er ruft und führt immer aufs
neue heraus aus Gebundenheiten, Absicherungen und Abhängigkeiten, er führt
durch die Wüste, er führt einem von ihm verheißenen Ziel entgegen. So auch bei
uns. Jeder Gottesdienst ist ein Ruf und eine Führung heraus aus Gebundenheiten
und Abhängigkeiten, Gott will in jedem Gottesdienst befreien von der Last der
Schuld, von Bedrückungen durch Ängste und Sorgen, will befreien von Habsucht
oder Geiz, und er weckt in jedem Gottesdienst in uns die Hoffnung auf das
herrliche Ziel, dem er uns, und sein Volk, ja dem er das ganze Universum
entgegenführt: Das verheißene gelobte Land, das himmlische Jerusalem, das Leben
im Licht, das Leben in der Ewigkeit, in der wir Gott einmal sehen werden, wie
Er ist (1. Joh.3,2). Und: Er selbst geht
uns während unseres irdischen Weges
durch die Wüste voran. Er gibt
uns Orientierung, damit wir, wie es hier heißt, „Tag und Nacht wandern können“,
also nicht stehenbleiben oder gar aufgeben, sondern unterwegs bleiben, in
Bewegung bleiben.
Und das
Dritte, was wir hören, ist, wie er
uns führt: In einer Wolken - und einer Feuersäule.
Vor einiger
Zeit sagte eine junge Frau: Insgeheim sehnen wir Menschen uns nach einem
eindeutigen Richtungsweiser, nach einem, der uns klipp und klar sagt: Da genau
geht’s lang. Das sollst du tun, denken, sagen.
Und viele
nutzen ja diesen Herdentrieb, der in uns steckt, aus, bauen sich als Führer,
Gurus, Leitbilder vor uns auf und sagen: Folge mir, und zwar blind und
bedingungslos und ohne eigenes Denken. So, liebe Gemeinde, führt Gott nicht. In
einer „Wolkensäule“ geht er uns tags voraus, hören wir. Das heißt: Verhüllt,
verborgen, wir können seine liebevolle Führung nicht eindeutig und sonnenklar
erkennen, wir können ihn selbst nicht sehen, sondern wir sollen ihm vertrauen,
ihm folgen, indem wir dem Wort der Bibel folgen, in dem er sich uns in
verhüllter Weise offenbart.
Und nachts, im
Dunkeln, wenn die finsteren oder auch bösen Gedanken kommen und der Groll gegen
einen Menschen wächst oder gar der Haß, oder der Lebensüberdruß und das Gefühl,
daß alles sinnlos oder zu schwer zu tragen sei – da vertreibt Gott nicht das
Dunkel, wohl aber leuchtet er als Feuersäule im Dunkel, das
heißt: Er gibt
uns Orientierung im Wort der Bibel, das ein Licht auf unserem Wege ist, er kann uns erleuchten und neu begeistern durch
das Feuer des heiligen Geistes.
Aufs kürzeste
gesagt: Gottes Wort, wie es schließlich ein Mensch, der Mensch Jesus geworden
ist: Das ist Wolken- und Feuersäule für uns auf unserm Weg durch die
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Zeit, auf
unserer Wüstenwanderung während unseres irdischen Lebens. In ihm sagt Gott uns seine Führung, seine Treue, seine
Vergebung, seine unablässige Nähe,
seine Liebe
zu. Ist das genug für unser Leben, damit wir es – mitten in allen Geheimnissen
und trotz aller Rätsel – sinnvoll gestalten und tapfer und zukunftsgerichtet
führen können? Ja, das ist genug.
Denn das weiß
ich und sehe es im Rückblick auf das vergangene Jahr: Wesentlich war in meinem
Leben in Familie und Gemeinde das Vertrauen in Gottes Führung.
Und ich sehe
beschämt im Rückblick, wie oft ich kleinmütig war und dieser Führung nicht
vertraut habe, und ich erkenne in der Rückschau, wie überaus nachsichtig er uns
und diese Gemeinde in Rellinghausen geführt hat.
Und weiter:
Das Wesentliche war auch im vergangenen Jahr die Wegweisung durch die
biblischen Worte in Losungen oder Predigttexten und die Kraft, die in ihnen
steckt, die Kraft des Heiligen Geistes, mit der diese Worte uns beschenken.
Welch ein Schatz ist uns mit der Bibel geschenkt, den wir aber auch heben
sollen! In ihr bekommen wir Orientierung darüber, was wesentlich und was
unwichtig fürs Leben ist. Diese Worte können sehr beglücken und tiefe Freude
auslösen.
Und so wird es
auch im kommenden Jahr und Jahrtausend
sein: Das Wichtige wird das Vertrauen in Gottes gnädige, geduldige
Führung sein, die Hinwendung zu den Worten der heiligen Schrift, die uns (etwa
in den Geboten) klar sagen, was wir zu tun und was wir zu lassen haben, und das
Gebet, das Gespräch mit Gott in Bitte, Fürbitte und Klage – aber auch vor allem
im Dank.
Wie froh und
dankbar können wir sein, daß wir Nahrung und Kleidung und Wohnung haben - und
wohl jeder von uns doch auch eine sinnvolle Beschäftigung hat. Unendlich
dankbar können wir sein, wenn wir bis heute bewahrt worden sind vor Unfall und schlimmem Todesfall in der Familie. Wie
unendlich dankbar können wir sein, wenn wir Menschen haben, die uns liebhaben
und die wir liebhaben.
Wenn wir das
haben: Wohnung, Kleidung, Nahrung, sinnvolles Tun und liebe Menschen, dann
haben wir genug, übergenug. Mehr brauchen wir nicht, alles darüber hinaus ist
eigentlich Ballast, der uns eher hindert, unserem Gott nachzufolgen, der arm
wurde, um uns durch seine Armut reich zu machen (2.Kor.8,9), und der ohne feste Behausung unterwegs ist. Diesen Gott haben wir in unserer Überflußgesellschaft
zu verkündigen, damit wir frei werden von Habsucht und uns um mehr
Gerechtigkeit kümmern.
Wir können
auch für das neue Jahr erbitten, „daß uns werde klein das Kleine und das Große
groß erscheine“; daß wir erkennen, was wirklich wichtig ist und was
überflüssiger, hinderlicher Ballast.
Das
Wesentliche ist die Liebe, jeder von uns kann sie in Fülle geschenkt bekommen.
Sie hat einen Namen, den Namen Jesus. Er schenkt sich uns im Wort, im Heiligen Mahl, er begegnet uns in den
„geringsten seiner Brüder und Schwestern“ (Mt.25). Er zeigt uns, wie hoch
geachtet wir bei Gott sind. Von ihm singen wir jetzt: „Freuet euch, ihr
Christen alle...“ (EG 34). Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere
Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in ihm, dem Herrn unseres Lebens,
dem Herrn der Kirche, dem Herrn über das All.
Amen.