Gottesdienst am 1. Weihnachtstag, 25. Dezember 2009,

in Essen-Burgaltendorf


Lieder:

Jauchzet, ihr Himmel...41, 1 – 4


als Gloria Patri: Freu dich, Erd und Sternenzelt...47, 1.2.5


nach Lesung Lukas 2, 1 – 7: Der Heiland ist geboren...49, 1 - 2

8 – 14: Als die Welt verloren...53, 1 -2

15 – 21: Mit den Hirten will ich gehen...544


während der Predigt: Die Nacht ist vorgedrungen...16, 1 und 3

Stille Nacht, heilige Nacht...46, 2 und 3

nach der Predigt: Freut euch, ihr lieben Christen...540


vor dem Segen: Gelobet seist du, Jesus Christ...23, 3.4.7

O du fröhliche...44, 1

Psalm 96 Nr. 741 S. 1170


Eingangsgebet


Gott, du unser Schöpfer und Erlöser! Du wolltest nicht nur im Himmel, sondern auch bei uns auf der Erde wohnen – nicht nur hoch und groß, sondern niedrig und gering sein – nicht nur herrschen, sondern uns dienen – nicht nur Gott sein in Ewigkeit, sondern uns zur Hilfe und zum Heil als Mensch, als ein Jude geboren werden, leiden und sterben.


Was bedeutet das alles für uns und alle Menschen? Was ist der Grund der großen Freude, die der Engel in der Heiligen Nacht allem Volk verkündigt? Das musst du selbst uns zeigen und sagen. So gib, dass wir über dem, Singen und Beten, Hören und Reden ins Staunen kommen, dankbar werden, froh und befreit aufatmen und uns freuen. Lass uns deine erlösende Kraft spüren und gib, dass wir unter deinem Wohlgefallen leben – dir zur Ehre, Menschen zur Hilfe und Freude. In der Stille sagen wir dir, du Gott der Liebe und des Erbarmens, was wir dir sagen, auch an Schuld bekennen, dir ans Herz legen möchten...


So gib, dass wir eine frohe dankbare Weihnachtsgemeinde werden. Der du lebst und regierst als Vater Sohn und Heiliger Geist jetzt und in Ewigkeit. Amen.


Predigt zu Titus 3, 4. 5b


Liebe Gemeinde!


Wir halten“ – so schreibt der Manager eines Essener Einkaufszentrums im Werbeprospekt - „wir halten für Sie ein riesiges Paket voll weihnachtlicher Überraschungen bereit, damit Sie auch beim Bummeln die Reize der Adventszeit in vollen Zügen geniessen können“. Die „Reize der Adventszeit“! Und dann kommt er auch auf die Weihnachtsgeschichte zu sprechen und schreibt: „Lassen Sie sich von unserer fantasievollen Weihnachtsgeschichte verzaubern: In vier aufwändig dekorierten Szenarien wird die Reise von Braunbär Rudi zu den Eisbären am Nordpol liebevoll erzählt“.


Da ist also die Weihnachtsgeschichte zur Nordpolreise und Jesus zu Braunbär Rudi

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geworden. Man denkt ja jedes Jahr: Schlimmer geht’s nimmer. Aber dann geht's doch.


Aber Sie werden mir sicher zustimmen, wenn ich sage: Das nutzt nichts, zu jammern und zu kritisieren. Viel besser ist es, wenn wir Christen offensiv werden, uns deutlich unterscheiden von aller Welt, das heisst: Die Adventszeit begehen als das, was sie ist: Zeit des Wartens und Erwartens, der Sehnsucht nach Gottes Kommen, auch des Leidens an seiner Verborgenheit - und dann zu Weihnachten staunen darüber, auf welch wunderbare Weise Gott unsere Sehnsucht nach ihm beantwortet hat, von der Weihnachtsfreude erfüllt werden, und mit dieser Freude die „Spassgesellschaft“ unterwandern.


Im heutigen Predigttext ist der Grund dieser Freude in einem einzigen Satz genannt. Er steht in einem Brief, den Paulus an Titus geschrieben hat.


Ich stelle Ihnen Titus ein bißchen vor: Er war Grieche; einer der engsten Mitarbeiter des Paulus, sozusagen eine Allzweckwaffe für ihn. Mal überbrachte er im Auftrag des Paulus eine Kollekte der Gemeinde in Korinth für die armen Gemeindeglieder in Jerusalem, mal schickte er ihn als Vermittler zu einer zerstrittenen Gemeinde - schliesslich kam er mit Paulus nach Kreta und wurde der erste Bischof dort. Paulus schreibt ihm in seinem Brief einiges von seinen Aufgaben, betont auch, dass er persönlich in seiner Lebensführung und seiner Familie ein Vorbild zu sein habe, und dann kommt er auf die Evangeliumsverkündigung zu sprechen, die der wesentliche Auftrag auch des Titus ist und schreibt in Kapitel 3 Vers 4 den Satz, der der heutige Predigttext ist:


Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heiland es, machte er uns selig – nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit.


Das also ist Weihnachten, das ist der Grund der Freude: Die Erscheinung der Freundlichkeit und der Menschenliebe Gottes auf der Erde. In einer Welt damals, in der die Götter völlig anders waren: Nicht menschlich, sondern entweder allzumenschlich (wie bei den Griechen) oder (wie bei Römern, Germanen und anderen) unmenschlich im Sinne von gnadenlos bis blutrünstig. In diese Welt dringt die Botschaft: Die Menschenliebe Gottes erscheint für alle Völker! Und das griechische Wort, das Paulus hier für „erscheinen“ gebraucht: Epiphanie - das kennen wir von dem Namen des ursprünglichen Weihnachtsfestes: Epiphanias


Drei Bilder stelle ich uns dazu vor Augen. Drei Bedeutungen des Wortes „erschienen“.


I


Das erste. Haben Sie mal einen Sonnenaufgang erlebt? Ich erinnere mich an einen Tagesanbruch an einem Meeresstrand – in Kamerun übrigens -, der in mir Staunen und Bewunderung auslöste. Ich war früh aufgestanden, ging ans Meer, alles war dunkel, finster, schwarzgrau...und dann, ganz leise, verhalten: Erste Sonnenstrahlen malen ein zartes, fast unwirkliches Gelbrosa an den Horizont, und dann breitet sich das Licht aus, wächst, wird heller und stärker und auch in einem selbst wird es dann ja heller, man wird erfüllt von Staunen und Vorfreude ...Der Tag beginnt.


Gerade so ist, als Jesus zur Welt kam, die Sonne der Gerechtigkeit über der Schöpfung

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aufgegangen und wird strahlen und leuchten, auch wenn finstere Wolken sie verdecken

sollten, wird leuchten und scheinen und das Dunkel überwinden bis hin zur Vollendung – bis wir im schattenlosen Mittagslicht der Ewigkeit leben und alles verklärt ist Und weil das so ist, weil wir dem Licht, das einmal ohne jedes Dunkel sein wird, entgegengehen, darum sind Christen von einer starken lebendigen Hoffnung erfüllt - allen Katastrophen und allem Leid, allem politischen Versagen und allem eigenen Versagen zum Trotz – einer Hoffnung nicht auf Menschen, sondern auf die Treue Gottes und die Kraft Jesu, die unser Leben mit Energie, mit Sonnenenergie erfüllt.


Die Nacht ist vorgerückt“, so beschreibt es Paulus in Römer 13, „der Tag aber nahe herbeigekommen“. Und er zieht die Folgerung für unseren Lebenstil: „Also lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts“. Jochen Klepper hat es in Strophen gefasst, lasst uns davon singen: Lied 16, 1 + 3.


II


Eine zweite Bedeutung von „erschienen“. Haben Sie das schon einmal erlebt: Da stehen sich zwei gegenüber: Spinnefeind, wütend, erbittert, verbissen, die Fäuste geballt.Aber da: Mit einemmal verändert sich das Gesicht des einen, es erscheint darauf ein ganz entspanntes, ein wahrhaft entwaffnendes Lächeln, es strahlt darin auf, und er geht mit offenen Armen auf sein Gegenüber zu – und der kann nicht anders, auch er entspannt

sich, lässt sich in die geöffneten Arme seines vom Feind zum Freund gewordenen

Gegenübers fallen und beide müssen lachen, und alles ist gut.


So kommt Gott uns in Gestalt des Jesuskindes freundlich lächelnd entgegen. Auch davon

singt ein – in Wirklichkeit (mit Ausnahme vielleicht von Strophe 1) garnicht kitschiges – Weihnachtslied: Stille Nacht... Nr 46, wir singen die Strophen 2+3.


Ein entwaffnendes Lächeln auf Gottes Angesicht. Gott hat uns, seinen Feinden, Frieden angeboten. Frieden durch Liebe, Entgegenkommen. Nicht aufgrund von guten Werken

von uns, mit denen es nicht weit her ist, sondern aus lauter Erbarmen mit uns trotzigen und verzagten Menschen. Er setzt auf Liebe. Auf Dialog. Auf Versöhnung und Entgegenkommen. Aller Gewalt hat jedenfalls er, als er ein Säugling wurde und einer, den wir als das „Lamm Gottes“ ehren, eine endgültige Absage erteilt.


Wann endlich werden wir Menschen das auch lernen - etwa jetzt im Blick auf Afghanistan - dass mit militärischer Gewalt nichts auszurichten ist, dass man, solange man auf militärische Gewalt setzt, nichts gewinnen, sondern nur alles verlieren kann?! Ich begreife nicht, dass unsere laue Kirche nicht ständig aufschreit: Heraus aus Afghanistan. Wir haben da nichts verloren, sondern vermehren nur Hass und Gewalt.


III


Und noch ein drittes Bild zu dem Wort „erschienen“. Das Wort Epiphanie, das hier im Griechischen steht, das kannte im Grunde jeder Bürger des damaligen römischen Weltreichs: Es wurde nämlich speziell von der Erscheinung des Kaisers gebraucht. Und wir sagen ja auch heute noch: Das ist eine glanzvolle, eine imponierende Erscheinung. Oder in der Presse heisst es: „Es erschienen...“ und dann werden irgendwelche VIPs und Großkopferte genannt, sog. „strahlende“ oder „glänzende“ Erscheinungen.


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So geruhte der römische Kaiser damals etwa auf dem Kapitol oder sonstwo zu erscheinen

in Glanz und Gloria, Pomp und Pracht, und alles sank zu Boden, huldigte ihm, dem

Kyrios, der sich als Gott und Heiland verehren liess... Er erschien für eine kurze Zeit und zog sich dann wieder in seinen Palast zurück.


So erscheint zu Weihnachten Gott in seiner Herrlichkeit auf Erden. Aber wie anders als

der Kaiser erscheint Gott. Nämlich so, wie die Weihnachtsgeschichte des Lukas in ihrer

unvergänglichen Schönheit davon erzählt. Lukas sagt: Der römische Kaiser - er muss, ohne es zu wissen und zu ahnen, durch seine Volkszählung den Plänen Gottes gehorchen. Denn Gott selbst will erscheinen - aber nun eben nicht in einem Palast, sondern in einem Stall und einer Krippe in Bethlehem. Und nicht für kurze Zeit, um sich dann wieder zurückzuziehen in seine verborgene Herrlichkeit im Himmel, sondern er will „niedrig und gering“ bleiben und unter uns Menschen wohnen, bis alles vollendet ist, was mit Weihnachten begann, und es dann endgültig heissen wird: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen, und er wird bei ihnen wohnen...Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein noch Leid, noch Geschrei noch Schmerz“ (Offb. 21,4).


Von dem Schweizer Pfarrer und Dichter Kurt Marti, der nächstes Jahr 90 wird, gibt es ein Buch, dem er den schönen Titel gegeben hat: Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde. Darin findet sich auch ein Gedicht von zwei Zeilen. Die erste Zeile, mit Großbuchstaben geschrieben: Mensch gernegroß. Darunter, in ganz kleinen Buchstaben: Gott gerneklein.


Wir Menschen sind gerne groß, wollen hoch hinaus, Gott aber wurde - aus lauter Liebe zu uns - niedrig und gering.


Er wollte nicht mehr „über“ uns , sondern unter uns sein , im doppelten Sinne „unter“ uns.

Zum Einen: „Unter uns Menschen“, also einer wie wir: Gott - ein Menschenkind, ein

Säugling, ein Jude.


Gott ist im Fleische“. Wir haben das im Eingangslied gesungen. Wie sehr wird nun – im Gegensatz zu allen Religionen, die das Geistig-Seelische betonen – unsere Leiblichkeit, das leibliche Leben aufgewertet.


Dazu gehört: Wir können und sollen unsere Leiblichkeit bejahen, den Körper pflegen – nicht im Sinne von fitness und Körperkult, sondern in seiner Geschöpflichkeit, wozu auch das Bejahen der Vergänglichkeit, des Alterns gehört. Und wir sollen für das „leibliche Wohl“ unserer Mitmenschen sorgen, aber auch für das unserer übrigen Mitgeschöpfe, auch der sog. „Nutztiere“, wie der unschöne Ausdruck lautet. Ja! Die Weihnachtsbotschaft hat durchaus auch Konsequenzen für die Art unserer Ernährung. Zum Beispiel: Wenn wir überhaupt noch Fleisch essen, dann jedenfalls keinesfalls aus sog. Massentierhaltung.


Gott unter uns, das bedeutet aber auch noch: Gott „unter“ uns im Sinne von: Noch tiefer, niedriger, geringer als wir Menschen im allgemeinen. So wie es in einer chassidischen Geschichte zum Ausdruck kommt, die genau zur Weihnachtsbotschaft passt. Der Schüler fragt den Rabbi: Meister, es wird erzählt, früher hätten Menschen Gott von Angesicht gesehen, warum geschieht das heute nicht mehr? Darauf der Rabbi: Weil sich heute niemand mehr so tief bücken will.


Bei dem Wort „Gott“ sollen wir also nicht mehr nach oben hin denken, sondern uns nach

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unten hin bücken, zu einer Krippe hin, sollen auf ein Kreuz sehen, und staunend

erkennen: Die Allmacht Gottes: Das ist die scheinbare Ohnmacht seiner Barmherzigkeit, seines Erbarmens, seiner Vergebung und Liebe. In der Krippe und am Kreuz – da sehen wir sie, die Allmacht Gottes. Christen haben also nicht mehr einen Drang nach oben, sondern einen Hang nach unten, eine Schwäche für die Schwachen. „Sehet doch da“, so haben wir gesungen, „Gott will so freundlich und nah zu den Verlorenen sich kehren“ - zu uns Verlorenen, zu jedem Menschen, der sich verloren fühlt, sich verloren und verstrickt hat in Not und Schuld.


Ich lese gerade das Buch von Margot Kässmann, In der Mitte des Lebens, und zitiere mal ein paar Sätze daraus: „Was für eine Provokation: Gott, der als Kind zur Welt kommt. Jeder und jede, die das Zusammenspiel von Schmerz und Hoffnung während einer Geburt erlebt hat, ahnt die Dimension dieser Provokation. Gott, der qualvoll am Kreuz stirbt! Muss Gott nicht ein starker Held sein, der alle besiegt? Oder einer, der über allem steht?

Können wir an einen ohnmächtigen Gott glauben – oder ist das nicht geradezu lächerlich?

Die Geschichte von Jesus Christus fordert uns dazu heraus, die Allmacht und die

Ohnmacht Gottes zusammenzudenken“.


Wie sehr wertet Gott dadurch, dass er ganz nach unten gegangen ist, nun all das auf, was „unten“ ist – in welcher Hinsicht auch immer „unten“: Einfach down, am Ende, kraftlos, verachtet, getreten, geschunden, schuldbeladen. Wie nah ist er jetzt uns in unserer Schwachheit und Trostbedürftigkeit. Die Niedrigen will er erheben – die Reichen aber, die alles haben und übersättigt sind, die lässt er zu Weihnachten leer.


Wie revolutionär ist die Weihnachtsbotschaft. Weihnachten: Eine wahre Zeitenwende, eine Weltenwende - eine Gotteswende.


Anlass zu großer Freude „für alles Volk“, auch für dich, wenn du dem Hinweis der Engel folgst, zur Krippe gehst und dankbar und freudeerfüllt sagst: Auch für mich liegt er da, auch mir ist heute der Heiland geboren.

Amen