Predigt: Vom Umgang mit Konflikten

Kirche Am Brandenbusch, Essen-Bredeney, 14.9.08


Schriftlesung: 1. Mose 4, 1-16 (Kain und Abel).


Unmittelbar vor der Predigt: Anspiel: Wenn Beziehungen durch Schwierigkeiten gehen - der Umgang mit Konflikten (Inhalt: Ron ist deprimiert über den Arbeitskollegen Mark, der seiner Meinung nach in seinem Arbeitsgebiet viel besser ist als er).


Liebe Gemeinde!


Eifersucht, Neid, mangelndes Selbstbewußtsein: Das ist die Ursache für Rons Problem. Ganz ähnlich ist es bei Kain. Wir haben diese grandios erzählte, erschütternde Geschichte in der Lesung gehört.


Kain löst den Konflikt auf brutalstmögliche Weise: Er bringt seinen Bruder um. Er „ergrimmte“, übersetzt Luther; er senkt finster den Blick. Das kennen wir: Da wallt mit einemmal etwas in uns auf, das ist stärker ist als unser Verstand und guter Wille, es , nagt und gärt und frißt, brodelt und kocht - wir sehen eher zu Boden als himmelwärts, es wird finster in unserer Seele, unseren Mienen, wir ballen vielleicht die Faust – und dann kann es geschehen, dass es mit einemmal aus uns herausbricht: All das, was sich angestaut hat an Ärger, Wut, Enttäuschung, Bitterkeit über einen Menschen, das äussert sich in lauten Worten, in Geschrei vielleicht – und wenn's ganz schlimm ist, schlägt man den Andern – und Kain gar: Er schlägt seinen Bruder tot.


Was ist die Ursache für seinen Grimm? Beide bringen Gott Dankopfer dar. Und dann heisst es: Gott sah Abels Opfer gnädig an, das des Kain aber nicht. Über die Gründe dafür erfahren wir nichts. Weder dass der eine ein schlechterer Mensch gewesen wäre als der andere, noch dass er tüchtiger oder fleissiger gewesen wäre...


Warum schweigt sich der Erzähler darüber aus? Weil er keine Gründe nennen kann. Er weiss: Es liegt in Gottes Freiheit „anzusehen“ und „nicht anzusehen“, zu segnen oder nicht zu segnen.


Die ganze Bibel weiss das: Gott in seiner Freiheit gibt, wie er will, und wem er will: Hier reichlich, dort spärlich. Hier macht er's einem Menschen sein Leben lang leicht, dort hat einer ständig mit schweren Belastungen zu kämpfen; hier ist ein Mensch mit sonnigem Naturell, dort einer, der ständig unter Depressionen zu leiden hat.


Nicht darum geht es, dass Gott den einen liebt und den anderen nicht. Da gilt, was

Friedich von Bodelschwingh einmal so formuliert hat: „Es geht kein Mensch über Gottes Erdboden, den Gott nicht liebt“. Sondern die Lebenswirklichkeit, in die wir hineingestellt werden, das Naturell, das uns gegeben ist – das ist bei uns höchst unterschiedlich.


Warum wird der eine in eine gesunde Familiensituation hineingeboren, der andere erlebt von früh an Streit und Scheidung der Eltern? Warum hat das eine Land Öl, das andere nicht? Warum erwählt Gott das jüdische Volk zu seinem Eigentum und nicht ein anderes?

Warum ist der eine ein Pechvogel, der andere ein Glückspilz ?


Paul Gerhardt hat solche Unterschiede im Blick, wenn er in seinem Lied „Die güldne Sonne...“dichtet: Lass mich mit Freuden ohn alles Neiden sehen den Segen, den du wirst


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legen in meines Bruders und Nächsten Haus. Oder Christian Fürchtegott Gellert bittet in einem seiner Morgenlieder darum, „...dass ich mich gern an and'rer Wohlergehn und ihrer Tugend freue“.


Das ist sicher etwas vom Schwersten für uns, was diese Bitten aussprechen. Aber wer es gelernt hat, sich an anderer Wohlergehen zu freuen, der ist schon weit auf dem Wege zur Freiheit.

Im allgemeinen sind wir stattdessen ja eher neidisch, eifersüchtig, fühlen uns ungerecht behandelt, sind gekränkt, werden wütend...


Und dann kann manchmal ein Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen. Bei Kain ist es offenbar die Art, wie der Opferrauch gen Himmel steigt. In der Ehe kann es der berühmte Zahnpastarest sein, der wieder mal im Waschbecken klebt. Ein scheinbar geringfügiges Geschehen kann der Anstoss sein, dass einer sagt: So, und das war's jetzt. Jetzt ist endgültig Schluß, ich zieh' aus. Zwei Beispiele dazu, beide Erlebnisse aus den letzten Wochen:


Einer meiner Söhne erzählt mir: Sein Arbeitskollege habe ihm öfters voller Stolz gesagt: In unserer Ehe gibt's keinen Streit! Wir haben uns noch nie gestritten! Und jetzt vor ein paar Wochen habe ihn seine Frau von heute auf morgen verlassen. - Vielleicht war der Frau diese Ehe schliesslich einfach zu langweilig geworden.


Das andere Erlebnis: Eine junge Ehefrau. Ihr Mann hat sie nach achtjähriger Ehe verlassen. Das Ende sah so aus, dass ihr Mann in einem wahren Ausbruch von bitteren Gefühlen und Worten ihr vorgehalten hatte, wo überall sie ihn ständig enttäuscht habe...Aber, sagte sie, davon hatte er früher in all den Jahren kaum jemals etwas gesagt.


Was heisst das alles für den Umgang mit Konflikten? Mein erster Punkt dazu: Nur keinen Streit vermeiden - sondern rechtzeitig aussprechen, was uns kränkt.


Sobald ich das Gefühl habe, benachteiligt zu sein, Unrecht zu erfahren, tue ich gut daran, das zu sagen, es zu äussern und zwar nicht einem Dritten gegenüber - sondern Kain soll zu Abel hingehen und ihm sagen: „Ich finde, du wirst bevorzugt, ich fühle mich jedenfalls benachteiligt; ich finde, mir geschieht Unrecht!° Für Ron – in dem Anspiel, das wir gesehen haben - bedeutet das: Nicht alles in sich hineinschlucken, sondern hingehen zu Marvin und ihm sagen, was er gegen ihn hat.


Das Wichtigste im Umgang von uns Menschen miteinander ist, finde ich, das Gespräch.


Für alles gibt es ja Umfragen und Statistiken. Ich las: Man hat herausgefunden: Ehepartner in Deutschland reden im Durchschnitt 17 Minuten täglich miteinander. 17 Minuten! Das ist vielleicht doch ein bißchen wenig.


Überlegen Sie bei sich selbst. Wie ist das bei Ihnen? Gibt’s in ihrer Ehe, oder am Arbeitsplatz etwas, das Sie gegen den andern, die andere haben, aber nicht

aussprechen? Etwas, das in Ihnen verkapselt ist, vielleicht schwelt und glimmt oder gar brodelt und kocht...? Wie ist das bei Gruppen, bei Mitarbeitern in dieser Gemeinde? Gibt's da etwas Unausgesprochenes? Unbereinigtes?


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Ein guter Bekannter von mir ist Pfarrer in einer psychiatrischen Klinik. Er erzählte mir:

Manchmal fragt er beim ersten Gespräch mit einem psychisch Kranken nach einiger

Zeit: Von wem können Sie nicht Abschied nehmen? Und dann stellt sich heraus: Da ist etwas Unausgesprochenes, Unaufgearbeitetes im Verhältnis zu dem verstorbenen Ehepartner, der verstorbenen Mutter, dem Vater...eine Kränkung, Verletzung, eine

Schuld...Und dann kommt das heraus, wird ausgesprochen...Und manchmal spricht mein

Bekannter dem Kranken dann die Vergebung im Namen Gottes zu ...und der schluchzt und weint... und alles löst sich...


Zugegeben: Machmal gelingt ein Gespräch nicht mehr. Es gibt auch bei Konflikten ein Zu-spät. Dann muss man – 2. Punkt - sich trennen – aber: schiedlich-friedlich.


Es gibt ein wunderbares Beispiel dazu in 1. Mose 13. Abraham und Lot besitzen nordwestlich vom Toten Meer, nahe Bethel, beide Weideland, und - so lesen wir -: „Es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh“.


Da sagt Abraham zu Lot: Lass doch nicht Zank sein zwischen uns. Wir sind doch Brüder! Das Land steht uns offen! Trenne dich von mir. Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken“.


Und der Erzähler schreibt: „Da hob Lot seine Augen auf und besah die ganze Gegend am Jordan, und sah: Sie war wasserreich. Da erwählte Lot die ganze Gegend am Jordan und zog nach Osten; also trennte sich ein Bruder vom Andern“.


So also kann man auch Konflikte lösen. Voraussetzung ist, dass nicht der eine sein Recht einfordert und durchsetzt, sondern dem anderen die Wahl lässt – zum Beispiel aus dem Erbe der Eltern mitzunehmen, was er möchte: Dieses Service, dieses alte Möbel (denn – wie wohl jeder von uns weiss: Um so etwas kann es ja wirklich zum erbitterten Streit kommen!) Und auch in einer Ehekrise kann es heilsam sein, sich für eine Zeit mal räumlich zu trennen. Es kann dann – vielleicht - das Feuer der Liebe wieder aufflammen, das nur noch ganz schwach unter der Asche glomm – und dies ganz sicher umso eher, wenn man darum betet. Denn das Gebet ist die größte Macht, die es gibt.


Darum – 3. Punkt - : Das nach meiner Überzeugung Wichtigste beim Umgang mit Konflikten ist ein lebendiger, ein gelebter, in die Tat umgesetzter Glaube. Anders gesagt: Den Blick immer zuerst zu Gott hin richten; vor dem Gespräch miteinander das Gespräch

mit Gott suchen. Gott sein Herz ausschütten, ihm alles klagen, meinetwegen auch mit Gott hadern, ihn anklagen...


Meine Frau hat mir schon öfters gesagt: Ich habe wieder mit Gott geschimpft. Wenn sie wieder einmal schmerzlich miterlebt hatte, wie Gott scheinbar so ungerecht an Menschen handelt. Einem, der's ohnehin schon so schwer hat, noch einen draufgibt und noch einen...während ein anderer, der skrupellos in den Tag hineinlebt und sich auf Kosten Anderer bereichert und amüsiert, anscheinend unbehelligt auf der Sonnenseite des Lebens bleibt...


Mit Gott schimpfen, ihm Vorwürfe machen. Das Herz kommt darüber zur Ruhe – und: Man tut hoffentlich auch, was man selber tun kann, um dem Menschen, dem Gott es so schwer macht, wenigstens ein wenig beizustehen.


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Mit Gott schimpfen. Aber auch: Ein Gebet möglichst immer damit zu beginnen suchen: Wofür kann ich Gott dankbar sein!? Oder auch: Sich immer wieder einmal in einer Ehe ins Bewußtsein rufen: Ich habe dem Partner vor Gott die Treue gelobt. Ich bin vor Gott für ihn verantwortlich! Und: Nicht vergessen: Im Gebet für den Ehepartner zu danken!


Jede Wette: Wer so Durststrecken in der Ehe durchhält, in Krisen beim Andern bleibt, der wird im Rückblick sagen: Gott sei Dank, dass wir nicht auseinander gegangen sind! Denn es ist ja wahr, was mein Vater an seinem 75. Geburtstag seinen Söhnen samt Schwiegersöhnen – insgesamt acht - sagte. Wehe, sagte er, einer von Euch lässt sich jemals scheiden, ich garantiere euch: Die andere Olle ist keinen Deut besser. - Recht hat er. Die ungelösten Probleme nimmt man ja in die andere Beziehung mit.


Als Gegentext zur Kainsgeschichte möchte ich Euch - 4. - einen Text ans Herz legen, der positiv all das nennt, was hilfreich ist bei jedem Konflikt. Kolosser 3; ursprünglich Teil einer Taufansprache. Der Apostel spricht Menschen an, die gerade - an einem Fluss, einem Seeufer - getauft worden sind. Sie sind mit einem weissen Taufkleid umhüllt. Er greift die Symbolik des weißen Kleides - es ist Zeichen der Festlichkeit und der Sündlosigkeit in Gottes Augen - auf und sagt, indem er uns zu Beginn mit geradezu zärtlichen, mit Kosenamen anredet:



So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten,

herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld,

und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr.

Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.

Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen;

und seid dankbar.

Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen:

Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit;

mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.

Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus

und dankt Gott dem Vater, durch ihn.


Große, wunderbare Worte - wir können sie in kleine Münze umsetzen. Den Andern ertragen! Er-tragen! - Und: Geduldig sein: Warten können! - Sanftmut lernen, dh. in der Bibel: Mit sich selbst im Einklang, im Frieden sein; es nicht mehr nötig haben, aggressiv zu sein, weder gegen sich selbst noch gegen andere. Das geht nur, wenn ich erfahre und spüre: Ich bin geliebt bei Gott. - Regelmässig in der Bibel lesen. - Jedes Gebet mit einem Dank beginnen....und schliesslich: Alles im Namen des Herrn Jesus tun....


Martin Niemöller, ein Christ, der keinen Streit vermied, immer zwischen allen Stühlen sass, hat in einem Interview zu seinem 90. Geburtstag gesagt: Eine Frage hat mich mein Leben lang - als Leitfrage meines Lebens - begleitet: Was würde Jesus dazu sagen ? Was würde er an meiner Stelle jetzt tun? Der also, der auch – immer aus Liebe zu Gott und Menschen - in heiligen Zorn geraten konnte, kompromisslose Streitgespräche führte


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– was würde der jetzt sagen, tun an meiner Stelle? Wie würde er mit diesem Menschen umgehen? Wie würde er diesen politischen Konflikt lösen? Das könnte auch unsere Leitfrage bei jedem Konflikt sein.


Ich schliesse darum mit dem Kanzelsegen, den ich jedem von Euch, der in einem Konflikt lebt, besonders zusage: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre dein Herz und all deine Sinne in Christus Jesus, deinem Herrn und Befreier. Amen.