Orgel: 6. Sonate von
Felix Mendelssohn-Bartholdy (Vater unser im Himmelreich...)
Lieder: Dir, dir, o
Höchster will ich singen...328, 1-3
Vater unser im Himmelreich...( 344,
Luthers Nachdichtung des Vaterunser)
Unsern Ausgang segne Gott...163
Psalm 92
Lesung: 1. Mose 32, 23-32
Predigt:
Liebe Gemeinde,
in Lukas 11 wird erzählt: Die Jünger sehen, wie Jesus
betet. Daraufhin sagt einer zu ihm: Herr, lehre uns beten. Und er sagt ihnen
das Vaterunser, das Gebet der Gebete – sozusagen die Mutter aller Gebete.
„Das Gebet, das die Welt umspannt“:
So hat jemand einmal das Vaterunser bezeichnet (H. Thielicke) . In doppeltem
Sinn gilt das: Es umspannt, umfaßt, benennt alle Dinge in der ganzen Welt. Und
es umspannt, verbindet, vereint alle Menschen in der ganzen Welt miteinander.
Jesus sagt in der Anrede ja nicht: Mein
Vater, sondern: Unser Vater! An wen
kann man bei dieser Anrede nicht alles denken!
Er ist der himmlische Vater von bin Laden wie von Bush, er ist der
himmlische Vater von Menschen, die uns ganz nahe stehen wie auch von Menschen, deren Aussehen oder Verhalten
befremdend für uns ist . Und jeder, der das „Vaterunser“ betet, weiß von
vornherein, daß er nicht allein ist, sondern das gleiche Gebet wie er beten
seine Geschwister in Patagonien und bei den Eskimos, die Hereros und die
Tschetschenen. Millionenfach wird das Vaterunser tagtäglich gebetet. Und wo
überall! In zahllosen Gottesdiensten beten Menschen – auch Menschen
unterschiedlichster Glaubensüberzeugungen -
es miteinander, aber auch in großer Einsamkeit und Not wird es von
Einzelnen gebetet – welche Bedeutung kann da etwa die Bitte: Dein Wille
geschehe! Oder: Erlöse uns von dem Bösen! bekommen! Und auch: Welche Hoffnung
und Zuversicht kann der Lobpreis auslösen, in den das Gebet mündet: Dein ist
das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit! Oder bei jeder
Beerdigung beten Menschen das Vaterunser: Wie wichtig kann da etwa die Bitte
werden: Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!
Sehr bedacht können die
2
einzelnen Bitten gebetet werden ,aber natürlich auch
gedankenlos dahingeplappert.
Darum hat Luther in seiner anschaulich-drastischen
Sprache das „Vaterunser“ einmal den „ärmsten Märtyrer“ genannt. Er meinte
damit, das Vaterunser müsse unendlich viel erleiden, weil es oft so
heruntergeleiert werde.
Wir wollen seine sieben Bitten jetzt ein wenig
bedenken. Zuerst aber eine Behauptung: Wetten, daß..kein Mensch auf der ganzen
Welt ein Bittgebet so angefangen hätte oder anfangen würde wie es Jesus hier
tut? Wir alle würden bei irgendeiner Bitte für uns oder für andere Menschen
anfangen. Jesus aber
beginnt mit einem dreifachen „Dein“! Er richtet
zuerst und von Anfang an unseren Blick
weg von uns selbst und hin zu Gott.
Dein Name
werde geheiligt! Gott hat also einen Namen. Der unfaßliche,
unbegreifliche,unergründliche Gott will
von uns Menschen mit Namen angeredet werden! Aber auf keinen Fall sollen wir
seinen Namen
mißbrauchen, d.h. Gott für unsere Zwecke
einspannen,so wie das Menschen, insbesondere Militärs, Ideologen, Politiker bis
in unsere Tage tun. Sondern wir sollen den geheimnisvollen Namen Gottes – Jahwe, ich bin – heilig halten, das
heißt, immer in Vertrauen und Ehrfurcht zugleich mit Gott sprechen. Voller
Vertrauen zu Gott unserm Vater! Aber auch in Ehrfurcht vor dem heiligen Gott!
In Ehrfurcht vor dem Gott, von dem es – wohlgemerkt – im Neuen Testament
(Hebr. 10,31) ! - heißt: „Schrecklich ist’s, in die
Hände des lebendigen Gottes zu fallen“, und zugleich in innigem Vertrauen zu dem Gott, dessen Herz, wie Jesus
im Gleichnis sagt (Lk. 15), voll sehnsüchtiger Liebe zu seinen Kindern ist,
seien sie von ihm weggelaufen oder immer daheimgeblieben.
Dein Reich komme! Napoleon soll auf der Insel St. Helena, wohin er
verbannt war, gesagt haben: Die Weltreiche kommen und
gehen, nur das Reich dieses armen Nazareners bleibt. Sein Reich, das Reich Gottes, das mit ihm in die
Völkerwelt kam, hat keine Grenzen,
weder räumlich noch zeitlich. Das Reich Gottes, so schreibt Paulus einmal, „ist
Gerechtigkeit, Friede, Liebe, Freundlichkeit, Sanftmut, Freude...“(Röm. 14, 17,
vgl. Gal. 5,22). Wo immer das bei uns und durch uns verwirklicht wird, da
breitet sich Gottes Reich aus.
Dein Wille geschehe! So wie er im Himmel ganz selbstverständlich
geschieht und befolgt wird – so, geradeso soll er auch bei uns unten auf der
Erde geschehen! Das finde ich manchmal die schwerste Bitte. Wir kennen unseren
Eigenwillen, unseren Eigensinn. Wie schwer, aber auch wie wohltuend ist es,
nach Gottes Willen zu fragen, seinem guten Willen, seiner Führung auch in
düsteren Stunden zu vertrauen, so wie
Jesus sich dazu in Gethsemane durchrang. Aber noch einmal: Wer kann das schon!
Wir sind ja keine Engel.
3
Und nun,
kennzeichend für den Realismus der Bibel: die erste und die wichtigste Bitte
für unser Leben als Menschen miteinander ist die um Brot. Unser tägliches Brot gib uns heute!
Gott, gib du es uns. Wir
sollen also die Nahrung und alles, was zum Leben nötig ist, als Geschenk aus
Gottes Hand empfangen, darum das Tischgebet als unverzichtbarer Bestandteil
christlichen Lebens. Und es ist ja wirklich so: Daß wir hier leben und nicht
irgendwo, wo – wie in Palästina – über die Hälfte aller Menschen arbeitslos
ist, oder in Gegenden, wo kaum Eßbares zu finden ist - das ist nicht unser Verdienst, sondern unverdientes Geschenk
Gottes, für das wir nicht dankbar genug sein können. Aber merkwürdig: Je mehr
einer hat, desto mehr er will, nie schweigen seine Klagen still..
Gib uns unser Brot
für heute!
Morgen ist morgen. Da wird Gott auf’s neue sorgen. Jesus sagt in der
Bergpredigt (Mt.6): Nehmt euch an euren Mitgeschöpfen, Vögeln und Blumen, ein Beispiel. Die tun das Ihre,
nicht das, was eine Nummer zu groß für sie ist. Nur ihr Menschen wollt auch
noch die Rolle Gottes mit übernehmen.
Vertrau doch der
Fürsorge deines Vaters, der dich kennt und liebt.
Gib uns unser Brot! Alle
unsere Mitgeschwister haben das gleiche Recht auf Nahrung wie wir. Ich finde,
hier wird das Vaterunser eminent politisch. Es stellt uns die Frage: Bringen
wir unsere Mitgeschwister durch die Art unseres Wirtschaftens vielleicht um ihr
tägliches Brot?
Und darum folgt
nicht zufällig sofort die Bitte: Vergib
uns unsere Schuld! Nicht nur an der ungerechten Verteilung der Güter in der
Welt sind wir mit beteiligt, jeder von uns wird täglich schuldig an Menschen,
oder bleibt ihnen jedenfalls Aufmerksamkeit und Hochachtung schuldig. Und
wieviel bleiben wir Gott schuldig! Aber – das ist zum Staunen – Gott behaftet
uns nicht bei unserer Schuld, legt uns nicht darauf fest. Wir können belastende
Schuld abladen. Wir können sie Jesus, dem Sündenbock der Welt, anlasten. Und
wer das tut, wird nie mehr einen anderen Menschen, oder auch ein ganzes Volk,
zum Sündenbock abstempeln. Er wird
seinerseits vergeben. Darum ist die fünfte Vaterunser-Bitte die einzige, in der
unsere Aktivität ausdrücklich eingefordert wird: wie auch wir vergeben unseren Schuldigern! Gottes und unser
Vergeben hängen untrennbar miteinander zusammen.
Die vorletzte der
sieben Bitten, die bete ich oft besonders intensiv: Führe uns nicht in
Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen! Gott ist ja nicht einfach ein
„lieber Gott“ oder „guter Gott“, er kann Menschen auch selbst in Versuchung
„führen“ – wie den Abraham (1. Mose 22)! Kann er auch ein ganzes Volk in
Versuchung führen und, wenn es Gott verleugnet, verderben lassen? Wie froh
können wir sein, wenn er uns vor bösen Versuchungen bewahrt!
Und er allein kann
auch von dem Bösen erlösen, das Menschen mit brutaler Schrecklichkeit überfällt
oder aber attraktiv-lockend getarnt uns Leben verspricht und in die Fänge
kriegen will. Gott allein kann von der Macht des Teufels erlösen. Und er hat es getan.
4
Die meisten Bibelwissenschaftlr
nehmen an, daß das Vaterunser, wie Jesus es die Jünger gelehrt hat,
ursprünglich mit dieser Bitte endete, daß Jesus selbst es also so
gebetet hat, daß es
geradezu mit einem Aufschrei endete: Gott, erlöse uns von dem Bösen!
Jesus kannte die
Macht des Bösen. Ich glaube: Er durchschaute und erlitt sie wie niemand je
sonst. Aber weil er sie am Kreuz nicht nur erlitt, sondern auch in
unbegreiflich reiner und starker Liebe überwand und zerstörte – und weil er
uns, als Gott ihn von den Toten auferweckte, zum Erlöser geworden ist – darum
brauchen wir nun nicht mit der Bitte um Erlösung von dem Bösen enden, sondern
können ganz erleichtert, ja geradezu triumphierend in den Lobpreis münden: Dein ist das Reich!
Das Reich, das kein
Ende hat, und in dem Gerechtigkeit, Friede, Geduld, Vergebung und Freude zu
finden sind. Dein ist die Kraft! Die Kraft zu einem Leben in Liebe und Besonnenheit. Dein ist die Herrlichkeit in Ewigkeit! Deinem
österlichen Licht, deiner Klarheit gehen wir entgegen.
Amen! Laut Luther das wichtigste Gebetswort überhaupt, weil es Ausdruck
eines ganz unbändigen Vertrauens ist:
Ich bin gewiß, was ich jetzt erbeten
habe, das hast du gehört, wirst du erhören, das wirst du dir zu Herzen nehmen
und deine Antwort darauf wird von Herzen kommen.
Der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus
Christus. Amen!