Gottesdienst im Wohnstift Augustinum am 12.
Mai 2006 zum Sonntag Kantate.
Lieder:
Singt singt dem Herren neue Lieder...286, 1+2
Stern, auf den ich schaue...407
Dir, dir o Höchster, will ich singen...328, 1-3
Nun danket alle Gott...321
Psalm 98 Nr. 742 S. 1171
Lesung: Kolosser 3, 12-17
Glaubensbekenntnis mit Luthers Erklärungen Nr. 855.2 S. 1316 - 1318
Predigt zu Apostelgeschichte 16, 22 - 31
Liebe Gemeinde,
unmittelbar vor unserem Predigttext erzählt Lukas, wie Paulus des Nachts eine Erscheinung hat: Ein Mann aus Mazedonien erscheint ihm und bittet: Komm herüber und hilf uns!
Paulus folgt dem Ruf und damit beginnt die Ausbreitung des christlichen Glaubens in Europa. Der erste Christ in Europa ist eine Frau, die Purpurhändlerin Lydia aus der Hafenstadt Philippi. Und die erste Tat des Paulus in Europa ist, daß er dort einen "Wahrsagegeist" aus einer Magd austreibt - zur Wut ihrer Herren, die mit dieser Gabe der Hellseherin Gewinn machten. Sie erreichen mit verleumderischen Beschuldigungen, daß Paulus und sein Begleiter Silas gefangengenommen und vor die Stadtrichter geschleppt werden.Und dann heißt es:
Und die Stadtrichter ließen ihnen die
Kleider herunterreißen und befahlen, sie mit Stöcken zu schlagen.
Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf
man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen.
Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf
er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block.
Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen
hörten sie.
Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben,
so dass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich
alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab.
Als aber der Aufseher aus dem Schlaf
auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und
wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen.
Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an;
denn wir sind alle hier!
Da forderte der Aufseher ein Licht und
stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen.
Und er führte sie heraus und sprach: Liebe
Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde?
Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus,
so wirst du und dein Haus selig!
Was mag das für ein Mensch gewesen sein, dieser Aufseher, dieser Sicherheitsbeamte im Gefängnis von Philippi? Ein "Befehlsempfänger", sagt Lukas - einer von denen, die Befehle bekommen und befolgen, einer von denen vielleicht, die nichts oder nicht viel dabei empfinden, zu foltern oder bei Folterungen dabei zu sein. Die -wie sie sagen - "ja nur
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Befehlen gehorchen" und "ihre Pflicht tun", wenn sie Menschen schlimm behandeln: Zum Beispiel sie - wie in unserm Text berichtet - in den Block spannen. Das bedeutete: Paulus und Silas lagen - mit ihren offenen Wunden - bewegungsunfähig da.
Weiter hören wir: Der Gefängnisaufseher war offenbar der einzige, der in dieser Nacht gut schlief. Nichts hat er gehört von dem Lobgesang des Paulus und des Silas - während die anderen Gefangenen aufmerksam lauschen auf das im Gefängnis so ungewohnte Singen und Beten.
Ein Singen und Beten, wie es zum Beispiel auch im KZ Buchenwald geschah - durch den Pfarrer Paul Schneider aus Dickenschied im Hunsrück, der den lauschenden jüdischen KZ-Häftlingen aus seiner Zelle, aus seinem vergitterten Fenster heraus, an das er angekettet war, Gesangbuchlieder sang und Bibelworte zurief. Er wurde dann am 28. Juli 1939 zu Tode geprügelt von einem, der Befehle befolgte.
Und der schnarchende Gefängnisaufseher in seinem Tiefschlaf scheint nicht einmal das Erdbeben wahrgenommen zu haben, das dann geschah. Erst später fährt er aus dem Schlaf auf - und sieht zu seinem Entsetzen die Gefängnistüren offen. Da greift er zum Kurzschwert: Er weiß, dass ihn ein gnadenloses Urteil erwartet wegen seines Versagens Und dem will er sich durch Selbstmord entziehen. Auch dafür gibt es Beispiele von Menschen, die politische oder andere Verbrechen verübten: Sie suchen sich dem Gericht durch Selbstmord zu entziehen - und entkommen ihm - jedenfalls dem Letzten, dem Jüngsten Gericht -
doch nicht.
Aber Paulus verhindert den Selbstmord: Tu dir nichts an, ruft er ihm zu, wir sind alle noch hier.
Da hast du aber noch mal Glück gehabt! hätte der Kerkermeister denken können. Nach ein paar Minuten hätte er dann die Fassung wiedergewonnen, hätte die Gefangenen wieder in Blöcke und Fesseln legen, die Türen wieder schließen lassen können. Und er wäre - wenn er die Angelegenheit ein bißchen zu seinen Gunsten geschönt berichtet hätte - höheren Orts vielleicht gar mit einem Orden ausgezeichnet worden.
Aber die Geschichte geht ganz anders weiter.
Dieser Gefängnisbeamte findet seine Fassung nicht wieder. Jetzt, wo er Grund
hätte, erleichtert aufzuatmen, verliert er sie völlig. Erst jetzt bricht er
richtig zusammen, ist offenbar total am Ende. Er fällt Paulus und Silas
zitternd zu Füßen und schreit, wie ein
Ertrinkender: Was muss ich tun, um
gerettet zu werden?
Er stellt die richtige Frage. Denn es geht in der Bibel, es geht im christlichen Glauben genau um dies: um Rettung von uns Menschen. Lukas will uns hier die Wende im Leben eines Menschen vor Augen führen, eine Wende, die diesen Namen wirklich verdient: Weil hier - anders als bei dem, was wir oft "Wende" nennen - ein wirklicher Neuanfang geschieht, eine Erneuerung, die in der Tiefe, im Innersten beginnt.
Wodurch aber wird die Wende, der Neuanfang im Leben dieses Menschen ausgelöst? Ganz offensichtlich: Paulus löst sie aus mit seinem Ruf: Tu dir nichts an, wir sind ja noch hier! Dass hier Menschen nicht an ihre eigene Rettung dachten, nicht Hals über Kopf aus dem Gefängnis türmten, dass sie nicht Schadenfreude oder Genugtuung darüber empfanden, dass diesen Folterer jetzt sein verdientes Schicksal treffen würde - sondern dass ihnen das Leben dieses schlechten Menschen wichtig war, dass sie an seine Freiheit, an Gnade für
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ihn dachten und daran, ihn vor dem verdienten Gericht - sowohl dem von Menschen wie dem Gottes - zu bewahren - das hat seinen völligen inneren Zusammenbruch bewirkt.
Aber welche Freiheit müssen Menschen haben, dass sie so handeln können! Welche staunenswerte große Freiheit, wenn Menschen in ihren Gefängniswärtern und Peinigern nicht "Bestien" sehen, sondern - Menschen! Welche Freiheit müssen sie haben, wenn sie das können: Gott loben - um Mitternacht, im Dunkel, in Fesseln, in Bewegungsunfähigkeit und Schmerzen.
Diese Freiheit hat Jesus Christus in ihnen
ausgelöst. Diese Freiheit hat das Evangelium in ihnen bewirkt, das Evangelium,
das Luther in seiner Erklärung zum 2. Glaubensartikel so beschreibt: Ich
glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren,
und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr,
der mich verlorenen und verdammten
Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von
allen Sünden, vom Tode und der
Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben - auf dass ich sein eigen sei und in seinem Reiche unter ihm lebe
und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit...
Mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst! Erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels! Wir sind Gerettete! In Zeit und Ewigkeit Begnadete, Befreite! Gottes geliebte Kinder! Dieses Evangelium kann bewirken, dass die Freude die Grundhaltung des Lebens wird, eine dankerfüllte Freude -so dass man von Herzen singen kann - auch in Not und Gefangenschaft!
Von Herzen singen! Darauf kommt es an - und jedes dankbare aus dem Herzen kommende
Singen ist ein Gotteslob, das bis vor Gottes Thron dringt.
Dazu eine schöne Legende, die von den drei
alten Mönchen, die in tiefer Abgeschiedenheit in einem Kloster irgendwo in Rußland leben. Alt sind sie, aber - ich
zitiere - "ihre Herzen waren jung und warm geblieben im Dienste Gottes,
ihre Liebe so glühend, daß ihr Lobpreisen, ihre Dankeshymne immer kräftiger
erscholl, je schwerer die Jahre auf ihre Schultern drückten und
je mehr sich ihre Häupter mit Schnee bedeckten. Man hörte sie von weitem
singen, die braven Brüder, und angesichts dieser unverwüstlichen Freude fragten
sich manche Menschenkinder verwundert: Worüber freuen sich denn die ehrwürdigen
Brüder, sie haben doch gar keinen Grund zur Freude?"
In der Tat - sie haben fast nichts, sie leben höchst einfach - und: Sie können auch gar nicht richtig singen, der eine singt alles auf dem gleichen Ton, der zweite brummt, der dritte krächzt wie eine Krähe.
Nun hören sie an einem Weihnachtsabend ein Klopfen an ihrer Tür. Ein junger Mann steht dort, er erzählt, er sei Sänger am Hofe des Zaren, sei in Ungnade gefallen und auf der Flucht...
Die Mönche sind heilfroh: Jetzt - so freuen sie sich -
kann an diesem Weihnachtsabend ein herrlicher Gesang zur Ehre Gottes erschallen.
"Ein Sänger, ein richtiger Sänger unter uns! freuten sich die Brüder.
Das wird eine Mitternachtsmesse werden, jubelte Bruder Laurentius. Alle werden sie zuhören!
So wurde es auch. Der Sänger sang, wie in
diesem Walde noch nie gesungen worden
war, so herrlich schön, dass Wiese, Flur und
Dorf nur ein lauschendes Ohr
waren. Keiner der
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Brüder tat an diesem Abend den Mund auf.
Sie falteten in tiefer Andacht die
Hände, und
Tränen der Begeisterung liefen über ihre
gefurchten Wangen."
Am nächsten Morgen machen sie sich auf zur
Frühmesse in der Dorfkapelle und - so
heißt es dann - "als die Mönche
die Tür der Kapelle öffnen wollten, strahlte ihnen ein Licht entgegen, so
blitzhell, daß sie zuerst geblendet die Augen schlossen. In heller Glorie stand ein Engel da, und als sie
endlich schauen konnten, da merkten sie,
dass er sie traurig ansah.
Was ist mit den ehrwürdigen Brüdern geschehen? fragte er, dass wir in der
Heiligen Nacht ihren herrlichen Gesang
entbehren mußten?
Der große strahlende Engel mußte seine
Frage mehrmals wiederholen, ehe die Mönche begriffen, daß sie ihnen galt.
Wir - und herrlicher Gesang! Verzeihung,
himmlischer Bruder, aber das sind doch nicht wir? Wir singen falsch, wie
allgemein bekannt, erwiderten sie im
Chor.
Ich bin doch ein Brummer, klagte sich Bruder Laurentius an. -
Und ich habe kein Gehör, sagte Bruder
Bonifatius. - Mir verschlägt es immer
die Stimme, seufzte der dritte.
Der Engel schüttelte den Kopf.
Wir da oben hören nur das herrliche
Loblied, das aus der Tiefe eurer Herzen kommt, und gestern abend haben wir es in unserer
Seligkeit entbehrt.
Für uns
hat ein begnadeter Sänger
gesungen, habt ihr nicht seiner wundervollen Stimme gelauscht?
Nein, sagte nachdenklich der Engel. Die
schönste Stimme kann uns nicht erreichen, wenn sie ihrer selbst nicht vergessen
kann und wenn sie nicht von Gottes Liebe
beseelt ist".
Solches von Gottes Liebe beseelte, solches von Herzen kommende Singen braucht also nicht schön zu klingen, sondern es klingt im Himmel schön, wenn es von Herzen kommt.
Wie auch jedes von Herzen kommende Gebet - und sei es noch so ein Gestammel - von Gott recht gehört wird.
Das Evangelium - so sagt uns unser Bibeltext - kann das bewirken, daß Menschen in Dunkel, Schmerzen und Gefangensein das Gotteslob anstimmen. Das Evangelium kann das bewirken, dass man nicht mehr - oder nicht mehr in erster Linie - an sich selber denkt, sondern an das Wohl, die Freude, die Hilfe für den Anderen.
Und solch ein
Verhalten eines durch das Evangelium befreiten Menschen kann bewirken, dass jemand, der dies wohltuend und
staunend erfährt, dann ganz erschüttert
fragt: Was muss ich tun - um auch diese Freiheit zu finden, um auch so
befreit leben zu können?
Paulus antwortet: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig!
Auch dir sagt er - und das ist also mein
letztes Predigtwort als Rellinghauser Gemeindepfarrer in dieser Kapelle: Glaube
an den Herrn Jesus, so wirst du - mit allen Folgen auch für deine
Umgebung - selig! Amen.