Abendmahlsgottesdienst am Reformationstag, 31. Oktober 2004 (Feier der Goldkonfirmation)

 

Lieder:

Nun  danket alle Gott...321, 1 und 2

Dir dir o Höchster, will ich singen...328

Großer Gott, wir loben dich...1+3

Von Gott kommt mir ein Freudenlicht...70, 4

Lob, Ehr und Preis sei Gott...321, 3

 

Psalm  34 (Nr. 717.1)

 

Schriftlesung: Matthäus 11, 25 - 30

 

Predigt über Galater 6 Vers 1:

 

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und  laßt euch nicht wieder das knechtische Joch auflegen!

 

Liebe Gemeinde,

 

Sevilla in Spanien, Zentrum der Inquisition, Ende des 16. Jahrhunderts. Christus ist wieder auf die Erde gekommen. Er wandert durch die Straßen der Stadt. Das Volk erkennt ihn, drängt sich zu ihm.

 

Da schreitet der 90jährige Kardinal-Großinquisitor über den Platz an der Kathedrale. Ehrfürchtig macht die Menge Platz, verbeugt sich wie ein Mann vor ihm. Der Kardinal gebietet der Wache, Christus festzunehmen.

 

Nachts tritt er zu ihm in die Gefängniszelle und spricht ihn an: Warum bist du gekommen, uns zu stören? Und dann  erklärt er dem still zuhörenden Christus: Die Menschen wollen die Freiheit nicht, die du ihnen brachtest. Du hast sie überschätzt. Du hast ihnen zuviel zugemutet mit der Freiheit des Evangeliums. Wir aber – wir geben ihnen, was sie brauchen und wollen: Ehrfurcht vor der Macht der Kirche, Staunen angesichts der Entfaltung von liturgischer Pracht und  religiösem Glanz und Gehorsam gegenüber den Priestern, den Wahrern der göttlichen Geheimnisse. ...Denn die Menschen sind eine Herde, die nichts lieber tut als starken Führern zu folgen...

 

So beginnt die „Legende vom Großinquisitor“, die der russische Dichter Dostojewskij in seinem Roman „Gebrüder Karamassow“  erzählt. Eine Kritik an der Kirche, eine Entlarvung menschlicher Versuchungen, die sich auch in  der Kirche immer ausbreiten wollen,  wie ich sie schärfer nicht kenne.   

 

Wenige Jahrzehnte vor der Zeit, in der diese Legende spielt,da hatten die Frauen und Männer der Reformation aufs neue entdeckt, welch hohe Freiheit das Evangelium uns Menschen in Wahrheit schenkt und zumutet. Sie hatten das angeprangert, daß man versucht hatte, Christus den Befreier sozusagen in das Gefängnis kirchlicher Dogmen und  Gesetze einzusperren und die Angst der Menschen  vor Gottes Gericht auzunutzen. Und man kann sich die Erleichterung und Freude gar nicht groß genug vorstellen, als die Menschen nun hören durften: Ihr

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könnt euch durch noch so viele gute Taten die Gnade Gottes ja garnicht verdienen – und ihr braucht es auch nicht! Christus hat alles an eurer Stelle getan. Um seinetwillen schenkt Gott jedem, der vertrauensvoll zu ihm kommt, seine Liebe, sein Erbarmen, seine Vergebung  -  jetzt und in Ewigkeit. Darum braucht ihr nun nicht mehr in Furcht vor dem Gericht Gottes zu leben, sondern könnt aus Dankbarkeit Gutes tun und in Frieden mit Gott leben und sterben. 

 

Noch einmal: Welch eine Freude, welch ein Staunen und Aufatmen hat das damals bei unendlich vielen Menschen ausgelöst! Doch leider und zu Luthers großem Schmerz führte die große Befreiuungsbewegung des Evangeliums eben nicht insgesamt zur Erneuerung der Christenheit,  sondern zur Abspaltung der katholischen Kirche.

 

Heute ist gottlob vieles anders. Ihr habt als Jungen und  Mädchen damals, um 1955, noch erlebt, wie evangelische und katholische Kirche sich wirklich getrennt gegenüberstanden und wie „Blaue“ und „Schwatte“ besonders an den jeweiligen

evangelischen oder katholischen Feiertagen ganz schön gehässig zueinander sein konnten. Heute dagegen tun wir so viel gemeinsam, und längst hat die katholische

Kirche  offiziell einen Grundsatz der Reformation bejaht, den Satz: Ecclesia semper reformanda, die Kirche braucht ständige Erneuerung!

 

Die Kirche braucht ständige Erneuerung. Ja!  Ich denke, da stimmen wir alle zu.

 

Aber Erneuerung - wodurch? Und: wie? Sicher nicht,  indem wir uns  anbiedern und anpassen  und alle möglichen  Modeströmungen mitmachen, sondern: Indem wir das Evangelium den Menschen so zu Herzen bringen, daß sie froh werden, befreit aufatmen, dankbar werden für die große Freude, die Gott uns allen machen will.

 

Das Evangeliium, das Paulus hier in die Worte faßt: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“

 

Aber wie erfahren wir sie, diese Freiheit  -und wie sieht sie aus?  Und was ist das „knechtische Joch“, das wir uns unter keinen Umständen wieder auflegen lassen  

sollen?

 

Eben, zu Anfang des Gottesdienstes, da haben wir ja ein paar Bilder gesehen, die den Beginn des „Wirtschaftswunders“ kennzeichneten – und dann haben wir miterlebt, wie der Wohlstand wuchs und  zugleich damit auch die Ansprüche und ein immer weiter zunehmendes Anspruchsdenken: Wir wollen immer weitere Reisen machen, auch durch die Sahara oder zu den Malediven. Wir wollen uns immer mehr leisten, immer mehr Spaß haben und immer mehr verbrauchen!

 

Bei allem Vergnügen und Behagen, das das ausgelöst hat  - es hat den Menschen in vieler Hinsicht aber auch „ein knechtisches Joch“auferlegt, wie Paulus das hier nennt. Dieses Joch besteht nicht mehr aus allerlei religiösen Gesetzen und  Vorschriften. Sondern es besteht darin, daß Menschen ungeschriebenen Gesetzen hörig werden, die sie belasten und unter Druck setzen, nämlich: Nur wenn du was hast, bist du was! Oder: Du bist so viel wert, wie du leistest. Oder: Du hast dich bestimmten Mode- und Schönheitsmaßstäben anzupassen, sonst bist du „out“.

 

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Jugendliche fühlen  sich dem Druck ausgesetzt, Designerklamotten tragen zu müssen. Mädchen erliegen dem Schlankheitswahn oder verfallen der Verführung, die ihnen einflüstert: Die Brust ist zu groß. Deine Brust ist zu klein. Nur durch chirurgische Veränderungen an deinem Körper wirst du schön. Arbeitslose fallen in tiefe Depression und verlieren alles Selbstwertgefühl. Alte Menschen können schrecklich von der Frage gequält werden: Wozu bin ich eigentlich noch nutze, jetzt, wo ich nichts mehr leisten kann?

 

Und nun  spüren viele zunehmend: Je mehr wir uns mit den Angeboten der Elektronik- und Spaßindustrie anfüllen, desto leerer werden wir innerlich, und die Grundkrankheit heute scheint mir  diese innere Leere, der Mangel an innerer Zufriedenheit und seelischerGesundheit zu sein – ein Mangel, den  doch allein das Evangelium heilen kann.

 

Das Evangelium, das uns befreit, indem es uns  zusagt:  Gott jedenfalls beurteilt dich nicht nach der Stärke deines Glaubens, nicht nach der Menge deiner guten Taten, er verurteilt dich nicht angesichts all dessen,was er von dir kennt  und  was du vielleicht vor Menschen  verbergen kannst. Gott beurteilt dich nicht danach, ob du erfolgreich bist oder nicht, viel geleistet hast oder wenig. Gott sieht dich nie als looser oder Versager! Sondern: So wie du  bist, bist du ihm lieb und wert!

 

Du magst dir vielleicht garnicht ansehnlich vorkommen! Bei Gott dagegen bist du hoch angesehen!.

 

Du magst dich vielleicht manchmal nicht leiden können - Er aber kann dich gut leiden! Du bist ihm wichtig - gerade mit deinen Gaben, die du vielleicht garnicht so hoch schätzt  Gerade mit deinem Wesen bist du für ihn  wichtig! Also denke hoch von dir!

 

Denke hoch von einem guten  Wort, das du einem Menschen sagst, einem Besuch an einem  Krankenbett, einem freundlichen Gruß an einen Menschen, der mit verbittertem Gesichtsausdruck auf der Straße an dir vorübergeht.

 

Wirf das „knechtische“ Joch ab, diese verlogenen Einflüsterungen, die dir weismachen  wollen:Das und das mußt du leisten oder dir leisten können, dann und  nur dann bist du wer! Nimm stattdessen das „sanfte Joch“ auf dich, von dem Jesus in den Versen der eben gehörten Schriftlesung spricht (Mt. 11, 28 - 30): Laß dein Leben vom Geist Jesu erfüllen und  prägen. Dann wirst du alle innere Unruhe verlieren. Du wirst ein zufriedener Mensch werden und Ruhe finden in Gott.

 

Denn dies: Liebe von Jesus zu empfangen und  sie andern mitzuteilen – das bewirkt höchste Freiheit. So wie es mein  Konfirmationsspruch sagt, 12 Verse nach unserem Predigtvers:Ihr seid zur Freiheit berufen! wiederholt Paulus da, und dann: ...Aber seht zu, daß ihr die Freiheit nicht für euch selbst mißbraucht, sondern durch die Liebe diene einer dem andern...(Gal. 5, 13).

 

Liebe Goldkonfirmandinnen und Goldkonfirmanden, daß ihr diese Liebe Gottes, die Jesus uns mitteilt, spüren und annehmen möchtet, das wünsche ich euch. Diese

 

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Liebe, die jedem Menschen gilt, der sich vertrauensvoll Gott zuwendet Auch zum Beispiel dem Großinquisitor, von dem Dostojewskij erzählt. 

 

Die Legende von ihm geht so zu Ende:  Der Gefangene hatte ihn die ganze Zeit über angehört, durchdringend und still ihm gerade in die Augen schauend und offenbar ohne jedes Verlangen, irgend etwas zu entgegnen. Der Greis aber hätte gewünscht, Er möchte ihm etwas sagen, sei es auch etwas Bitteres, etwas Furchtbares. Er aber nähert sich plötzlich dem Greise und küßt ihn schweigend auf die Lippen.

 

Der alte Mann erzittert. Irgendetwas regt sich in seinen Mundwinkeln. Dann geht er zur Tür, öffnet sie und sagt: Geh und komm nicht wieder – komm überhaupt nicht mehr, niemals, niemals! Und er läßt ihn hinaus in die dunklen Gassen der Stadt.

Und“ – so schließt die Legende – „der Kuß brannte in seinem Herzen“.

 

Der Kuß, der ihm sagte: Du, auch du, bist geliebt, bleibst ein geliebtes Kind Gottes.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in  Christus Jesus unserm Herrn. Amen.