Frühgottesdienst am Sonntag Reminiscere, 12. März 2006

 

Lieder:

Mein erst Gefühl sei Preis und Dank...451, 1-5

Gott rufet noch, sollt ich nicht endlich hören? 392, 1-5+8

Bei dir Jesu, will ich bleiben...406

O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens...416

 

Psalm 57 (Nr. 728)

Lesung: Markus 12, 1 - 12

 

 

Der für den heutigen Sonntag Reminiscere vorgeschlagene Predigttext steht im Jesajabuch Kapitel 5 in den Versen  1 bis 7. Ich lese den Text, ergänzt durch ein paar Erläuterungen. Also: 

 

Hart und mühsam unter der sengenden Sonne ist die Arbeit in den Weinbergen Israels, zur Zeit Jesajas, rund  740 Jahre vor Christus. Aber endlich sind die reifen Trauben geerntet,

frischer Most ist gepreßt und in  Schläuche gefüllt, man kommt zusammen, um das Weinlesefest zu feiern. Schüsseln beladen mit Früchten  und  sonstigen Leckereien stehen auf den Tischen, man bringt Kannen herbei gefüllt mit köstlichem Wein. Musikanten tragen zur fröhlichen Stimmung bei. Auch Jesaja, Sohn eines Priesters aus Jerusalem, vermutlich noch ein junger Mann, kommt dazu, eine Laute oder Leier vielleicht in  der Hand. Man kennt ihn, den gebildeten Mann aus angesehener Familie. Wird er singen?  Zum Gelingen des Festes beitragen?

 

Tatsächlich, er beginnt.

 

Singen will ich meinem lieben Freunde,

ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.

(hebr.: aschira'na lididi / schirat dodi lekarmo)

 

Oh, denken die Zuhörer, das verspricht lustig zu werden.

 

Mein Freund - so beginnt Jesaja - hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.

Und  er grub ihn um und entsteinte ihn

und pflanzte in ihn edle Reben.

Er baute auch einen Turm darin und  grub eine Kelter

und wartete darauf, daß er edle Trauben brächte;

aber er brachte schlechte.

 

Und Jesaja fährt fort mit seinem Lied und ruft die Zuhörer zu eigenem Urteil auf, indem er jetzt den Freund selbst sprechen läßt:

 

Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg.

Was hätte man noch tun sollen an meinem Weinberg, das ich nicht tat?

Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, daß er gute Trauben brächte?

 

Die Gäste müssen zugeben: Mehr kann man garnicht tun. Alles Menschenmögliche hat dieser enttäuschte Eigentümer des Weinbergs getan. Und darum findet er Verständnis bei seinen Zuhörern, als er jetzt weitersingt:

 

2

 

Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun  will! Sein Zaun soll

weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen

werden, dass er zertreten  werde.

Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und  Dornen darauf wachsen, und  will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.

 

Der Weinberg wird also von von fremden Eindringlingen verwüstet werden, wird veröden und verkommen. Er war all die Liebesmüh' nicht wert. - Ob die Zuhörer ahnen, von wem Jesaja hier spricht? 

 

In seiner letzten Liedstrophe redet er Klartext:

 

Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an  der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

 

So endet die Predigt des Jesaja, sein  Lied, das so munter begann. Ein furchtbares Urteil Gottes kündigt er seinen Hörern an, eine düstere Zukunft: Ödes, verwildertes,  versklavtes Leben.

 

Ich frage mich: Ob nach dieser Predigt damals das Fest beendet wurde? Ob die Menschen erschrocken nach Hause gingen und sich fragten: Wie kann ich mein Leben  ändern, damit es ein bißchen besser dem Willen und  der Ehre Gottes dient?

 

Oder ob sie sich das anhörten - und dann weitermachten, als wäre nichts geschehen? Oder aber:  Ob sie empört ihren Unmut über Jesaja an ihm ausließen?

 

                                                                       I

 

Immerhin: Jesaja hatte Grund genug für seine harte Predigt.

 

In  den Versen rund um unseren Predigttext nennt er zahlreiche Beispiele für ungerechtes und gottloses Verhalten bei seinen Mitbürgern.

 

Der Herr geht ins Gericht mit euch Reichen und  Vornehmen -  so sagt er in Kapitel 3 - denn ihr habt das Land ausgeplündert, und  was ihr den Armen geraubt habt, ist in eurem Hause (3, 14).


Ich lese das und denke an meine  Hausbesuche in den Wohnungen im Stadtwald: Ich sehe da auch viel Luxus, Antiquitäten, viel exotische Raritäten, Kunstwerke aus  Afrika und Asien - nicht im Dritte Welt Laden , sondern auf Urlaubsreisen erworben, sicher oft zu geringen Preisen -: Könnte und müsste ich reden wie Jesaja? "Was ihr den Armen geraubt habt, ist in eurem Hause"?

 

Ebenfalls in Kapitel 3 sind diese Worte von ihm überliefert: "So spricht Gott der Herr: Weil eure Frauen stolz sind und gehen mit aufgerecktem Halse, mit lüsternen Augen, trippeln daher und tänzeln und haben kostbare Schuhe an ihren Füßen, deshalb wird der Herr ihnen den Haarschmuck nehmen, auch ihre kostbaren Schuhe, die Stirnbänder, die Spangen, die Ohrringe, die Armspangen, die Schleier, die Hauben, die Schrittkettchen, die Gürtel... die Feierkleider, die Mäntel,  die Tücher, die Täschchen, die Spiegel...Und es wird Gestank statt Wohlgeruch sein und ein  Strick statt eines Gürtels und eine Glatze statt lockigen Haars und

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statt des Prachtgewandes ein Sack, Brandmal statt Schönheit (3, 16ff.).

 

Ich denke an die Galaabende der sog "Schönen und Reichen", Filmfestivals mit  Verleihung

von  Oscars und Bambis, Opernbälle in Wien, Frankfurt, ja - tatsächlich, vor zwei Wochen, in der Philharmonie auch in Essen: Gestylte Frauen in teurem Fummel, schmuckbehängt und parfumduftend - wird das einmal so sein, wie Jesaja ankündigt: Der Reichtum weggenommen, die Haare geschoren, die Frauen wie Sklaven gebrandmarkt, an Stricken weggeschleppt...? Also: Angst und Elend statt Luxus und Übermut, Schluchzen und  Schreien statt Glanz und Glamour?

 

Unmittelbar nach unserem Predigttext ruft Jesaja aus: Weh denen, die des Morgens früh auf sind, dem Saufen nachzugehen, und  sitzen bis in die Nacht, dass sie der Wein erhitzt, und  haben Harfen, Zithern, Pauken, Pfeifen und  Wein  in ihrem Wohlleben, aber sehen nicht auf das Werk des Herrn und schauen nicht auf das Tun seiner Hände!...Weh denen, die ein Haus zum  andern bringen und einen Acker an  den andern rücken, bis sie allein das Land besitzen...Und: Weh denen, die den Schuldigen gerecht sprechen für Geschenke und das Recht wegnehmen denen, die im Recht sind (5, 11-13.8.23).

 

Was ist mit den Größen von showbusiness, Kommerz und  Vergnügungsindustrie (der sog. Sport fällt ja längst  mit unter diese Sparten), was ist mit denen, die ein  Haus  zum andern  dazufügen, ein Grundstück an  das andere rücken: Grundstücke in  Liechtenstein und  der Toscana, auf Ibiza, Mallorca und sonstwo... Was ist mit Bestechlichkeit, Korruption, schamloser Bereicherung bei Leuten in den Bereichen von Wirtschaft und Finanzwelt, Politik, Sport und  Unterhaltungsindustrie oder auch dem riesigen pseudoreligiösen Markt; was ist mit den  Rechtsbrüchen in  den  Gefangenenlagern,  bis jetzt noch auf Guantanamo, demnächst, weil das inzwischen zunehmend, auch in den USA selbst, kritisiert wird, sollen sie, wie man letzte Woche in der Zeitung lesen konnte, verlegt werden auf Militärbasen z.B. in  Afghanistan: Ist das alles nicht ebenso anzuprangern wie es Jesaja damals tat?  

 

Aber dürfen wir das? Sind Jesajas Worte nicht in eine konkrete damalige Situation hinein gesprochen?

 

Sehen wir genauer zu.

 

                                                                       II

 

Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, als ich getan  habe? fragt Gott durch den Propheten Jesaja damals die Zuhörer.

 

Und jetzt hören wir diese Anfrage Gottes an uns Christen hier in dieser Kapelle gerichtet. Was sollte ich noch mehr für euch tun als ich getan habe? Wir überlegen: Gott hat uns  Jesus gesandt. Er hat den gesandt, der in Johannes 15 von sich sagt: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben; wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn  ohne mich könnt ihr nichts tun.

 

Gott hat, als die Zeit erfüllt war, etwas Neues getan. Er hat den  einen Weinstock in seinen Weinberg gepflanzt, den er nie mehr ausreißen wird, und dessen Saft in jedem Fall süße, edle Trauben hervorbringt! Er hat den gesandt und in seinen  Weinberg gepflanzt, mit dem wir durch die Taufe verbunden sind wie die Reben mit dem Weinstock. 

 

Was bedeutet das? Zunächst: Durch ihn ist nun  auch die Hebräische Bibel, das sog. Alte Testament zu Gottes Wort an uns geworden, wir sollen also durchaus die Worte Jesajas damals in unsere Situation hinein zu deuten  suchen. Aber sie bekommen durch Jesu

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Erlösungstat einen neuen Sinn.

 

Eben in  der Lesung, in Jesu Gleichnis, haben wir ja gehört, wie Gott immer und immer wieder seine Boten, seine Propheten gesandt hat und  man ihnen nicht Gehör schenkte, sondern sie mißachtete und mißhandelte! Wie er dann seinen  eigenen Sohn  sandte und man tötete ihn  und  warf  die Leiche über den Zaun des Weinbergs...

 

Er sagt damit das,  was wir jetzt die gesamte Passionszeit über wieder hören und lesen und  bedenken  sollen: Wir wollen Ihn  nicht! Weder die Landsleute Jesu damals und heute noch wir Christen:  Auch wir, auch wir hier  sind wie die damals an dem Prozeß Jesu Beteiligten, einschließlich seiner Jünger, es ist unsere Schuld, unsere große Schuld, die ihn ans Kreuz bringt.

 

Und Er, Er bittet dort auch für uns, auch für jeden von uns hier jetzt:  Vater, vergib ihnen, vergib ihnen dies alles, all ihre erkannte und noch viel mehr  ihre unerkannte Sünde...Ich bin  doch auch für ihn, für sie am Kreuz gestorben, zu ihrer Erlösung...

 

Das gilt. Und wenn wir die Erlösung, die Jesus uns am Kreuz erworben hat, im Glauben annehmen  und gelten  lassen, dann  gilt auch für uns: Nichts und  niemand, keine Untat und keine Unterlassung, keine dunkle Vergangenheit und keine ungewisse Zukunft, ja selbst der Tod nicht wird uns  jemals noch von der Liebe Gottes scheiden können, die in Jesus zu finden ist, unserm Herrn und unserem Heiland (vgl. Röm. 8, 38f.).

 

                                                                       III

 

Aber das heißt ja nun nicht, dass Gott nicht auch heute auch zornig werden könnte über uns, seine Kinder, seine Christenheit, sein  Volk,  und uns zur Rechenschaft ziehen würde, es heißt nicht, daß er das Leben der europäischen oder us-amerikanischen Christenheit nicht in Sklaverei und Öde und Verderben geraten lassen könnte, wenn wir gottlos, lau und ehrfurchtslos, ohne auf ihn zu hören, dahinleben, so dass die Moslems uns sog. Christen hierzulande nur verachten können und entsetzt sein über unsere Scham- und Hemmungslosigkeit, die uns als "Freiheit" verkauft wird! In Wahrheit stimmt ja das Wort von T.S. Eliot: Wenn du den Leuten die Hölle bereiten willst,  erlaube ihnen nur alles.

 

Und Gott soll all dem tatenlos zusehen?  Es bleibt dabei, daß Gott  der Heilige Gott bleibt, der sich nicht spotten läßt und der in seiner Liebe zum Leben auch uns  strafen kann. Wer sagt denn, dass das nicht geschehen kann, dass die Religion der Moslems hier einmal herrscht und die Christen hier eine kleine unterdrückte Minderheit werden? Oder dass hungernde Afrikaner in Massen die Grenzen Europas niedertreten und hier alles verwüsten?!

 

Wären nicht wir selbst mit daran schuld durch den Mangel an lebendigem  Glauben bei uns, und  dadurch, dass wir zu wenig dafür gesorgt haben, dass unser Überfluß hier dem Mangel dort abhelfen würde? (vgl. 2. Kor. 9, 6-15, bes. V12).

 

Wie damals bei den Hörern Jesajas, so will Gott auch uns zur Buße, zur rechtzeitigen Umkehr rufen. Aber was können wir tun? 

 

                                                                       IV

 

Lebendige Christen sein, dankbar für unseren christlichen Glauben und stolz auf ihn. Unseren Glauben sichtbar, spürbar, hörbar werden lassen bei Anderen. Also: Bewußt das

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sein, was wir sind: Reben am Weinstock Christus! In lebendiger Verbundenheit mit ihm, dem unvergänglichen Weinstock bleiben, den Gott in seinen Weinberg gepflanzt hat und der in

Saft und Kraft steht.

 

In lebendiger Verbundenheit, das heißt, im Gespräch mit ihm, im Hören und Beherzigen seines Wortes - dann  bringen wir keine sauren Trauben, sondern edle süße

Früchte, Früchte der Liebe, etwa durch praktische Nachbarschaftshilfe oder Besuche, Früchte der Geduld, etwa indem wir einem Menschen, der uns das Leben schwer macht, zugewandt bleiben, Früchte der  Gerechtigkeit, etwa durch Einkauf im  Dritte Welt Laden, Früchte der Hoffnung, etwa durch sparsamen Umgang mit Energie, durch Einkauf in teureren Bio-Läden, Früchte der Dankbarkeit, indem wir das Tischgebet halten, indem wir, wenn möglich, wie die Pharisäer damals, den Zehnten geben, Früchte der Einsicht, indem wir das meiste, was uns angeboten wird, als schädlich und betrügerisch entlarven und den Geschäftemachern eben nicht mehr auf den Leim gehen...

 

 

Kleine Dinge?  Aber so wächst das Reich Gottes. Und  vergessen wir nicht: Was in unsern Augen unscheinbar ist, kann für Gott und sein Reich ungeahnt große  Bedeutung haben.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.