Lieder:
Kommt und laßt uns Christum ehren...39
O Jesu Christe, wahres Licht... 72
Brich an, du schönes Morgenlicht...33
Freuet euch ihr Christen alle...34, 4
Eingangspsalm: Römer 8, 31 - 39 (Nr. 771)
Lesung: Jesaja 61, 1 - 3
Der heutige Predigttext ist aus dem Anfangskapitel des Johannesevangeliums. Jesus ist bei Betanien am Jordanfluß von Johannes getauft worden. Am nächsten Tag findet er Andreas und seinen Bruder Simon Petrus und beruft sie zu Jüngern. Und dann heißt es in Johannes 1 in den Versen 43 bis 51:
Wiederum
am nächsten Tag wollte Jesus nach
Galiläa gehen und findet Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach!
Philippus
aber war aus Betsaida, der Stadt des Andreas und Petrus.
Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von dem Mose und die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth.
Und
Nathanael sprach zu ihm: Was kann aus Nazareth Gutes kommen! Philippus spricht
zu ihm: Komm und sieh es!
Jesus
sah Nathanael kommen und sagt von ihm: Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein
Falsch ist.
Nathanael
spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bevor
Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.
Nathanael
antwortete ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!
Jesus
antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, daß ich
dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Du wirst noch Größeres als das sehen.
Und er
spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen
sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn.
Liebe Gemeinde,
dies ist nun der 1. Sonntagsgottesdienst im neuen Jahr – ist es vielleicht auch ein neuer Anfang mit Gott? Hier in diesem Text wird erzählt, wie zwei Menschen ganz neu zum Glauben an Jesus Christus finden. So wird es vielleicht bei uns nicht sein.
Aber wir sollten doch mit der Erwartung ins neue Jahr gehen: Gott kann Neues und Überraschendes in meinem Leben tun. Er kann mir ganz neue Glaubenserfahrungen
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schenken. Er – der Schöpfer des All, der Schöpfer dieses Erdballs, auf dessen wundervoller und und zugleich so gefährdeter und bedrohter Oberfläche, dieser dünnen Erdkruste, wir Menschen mit anderen Mitgeschöpfen leben.
Wir, die das Neue Testament „Kinder Gottes“ nennt. Aber was ist das für ein himmlischer Vater, wenn er es einem Teil seiner Kinder so gut gehen läßt, und so viele andere seiner Kinder sterben, manche von ihnen kaum, daß sie geboren sind, oder verlieren ihre Mütter, ihre Väter - von Hab und Gut, das ihnen genommen wird, ganz zu schweigen.
Unbeantwortbar bleiben die Fragen, diese Warum-Fragen – unbeantwortbar bleiben sie – und doch, sie sollten nicht aufhören uns zu bedrängen.
Wichtig ist mir in den letzten Tagen ein Satz
von Martin Luther geworden, der unter einem der Weihnachtslieder in unserem
Gesangbuch abgedruckt ist. Er sagt: „Wir
fassen keinen anderen Gott als den, der in jenem Menschen ist, der vom Himmel
kam. Ich fange bei der Krippe an“.
Das heißt doch: Erstens: Gott ist und bleibt unfaßlich. Unfaßlich auch darin, daß er unfaßliches Leid und Elend zuläßt.
Zweitens aber sagt Luther: Wir können ihn fassen, indem wir ihn in dem Menschen suchen und finden, der vom Himmel gekommen ist, um uns in Schuld, Leid und Not nahe zu sein - so wie wir’s in der Lesung hörten, deren Worte er ja in seiner Antrittspredigt in Nazareth auf sich bezogen hat (vgl. Lukas 4, 16 - 21). Daß er, Jesus, unser Leben prägt, es befreit, uns Tragkraft und Hilfsbereitschaft schenkt – darin liegt der ganze christliche Glaube. Und so wird unser Blick auch in diesem Text ganz auf ihn und sein Tun gerichtet.
I
Er bewirkt hier einen Neuanfang im Leben zweier Menschen. Bei dem einen von ihnen, dem Philippus, ist es eine ganz plötzliche Bekehrung. Bei dem anderen, Nathanael, geht es etwas anders zu: Er lernt die Herrlichkeit Jesu allmählich über Glaubensgesprächen kennen. Zuerst ist da ein Gespräch zwischen Philippus und ihm. Und dann aber auch ein direktes Gespräch mit Jesus selbst.
Beides gibt’s ja auch heute. Es gibt Christen wie Philippus, denen Christus überwältigend begegnet, die eine plötzliche Bekehrung in ihrem Leben erfahren haben, die also sagen können: Dann und dann – da fiel’s mir wie Schuppen von den Augen und ich begann zu glauben. Und es gibt Menschen wie Nathanael, die allmählich zu Jesus hingeführt werden – bis dahin, daß sie dann aber im Gebet doch unmittelbar mit Jesus selbst sprechen und sich zu ihm als dem Herrn und Heiland ihres Lebens bekennen. Gott hat also bis heute ganz
verschiedene Weisen, Menschen zum Glauben zu führen – oder, wie die beiden tiefsinnigen Worte hier lauten: Menschen zu „finden“, zu „ersehen“.
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II
Alles geht hier von Jesus aus. Jesus findet Philippus, der weiß sich von ihm
gefunden. Ganz überwältigt ist er offenbar von der Begegnung mit ihm, er
erzählt dem Nathanael ganz aufgeregt: Wir
haben den gefunden, den Mose und die
Propheten
als den verheißenen Knecht Gottes und Messias ankündigten: Jesus ist es, der
Sohn des Josef, aus dem Ort Nazareth! Und dann : Komm und sieh
selbst!
Das ist also ein ganz wesentliches Erkennungszeichen für die Lebendigkeit unseres Glaubens, daß wir gern andere Menschen auch zu Jesus führen möchten, daß wir möchten,
daß sie Jesus mit eigenen Augen sehen und das heißt: Ihm vertrauen und ihn liebgewinnen.
Darum brauchen wir so sehr die Stärkung unseres Glaubens im Gottesdienst und in Bibelgesprächen. Neue Freude an Jesus sollen wir gewinnen, unser Herz soll so mit – ja, ich will dieses starke Wort gern gebrauchen - mit Begeisterung, mit Leidenschaft für Jesus erfüllt werden, daß wir dann mit anderen Menschen eben auch über unseren Glauben sprechen und mit eigenen Worten sagen, wie bereichernd, wie
befreiend, mit einem Wort: Wie gut es für das eigene Leben ist, Jesus zu vertrauen, uns der Leitung durch seine Worte anzuvertrauen und seinen Worten gemäß zu handeln.
Wir brauchen viel mehr Selbstbewußtsein, Stolz, Bekennermut im Blick auf unseren christlichen Glauben. Sollen uns die Moslems denn ständig wegen unserer Lauheit verachten müssen?
Also: Von dem, was wir in der Gemeinde erleben, von unseren persönlichen Glaubenserfahrungen zu Andern reden! Eine Lernschule dafür ist etwa unser Bibelgesprächskreis.
Und vielleicht wird der Gesprächspartner ja von uns angesteckt! So wie das hier geschieht im Gespräch zwischen Philippus und Nathanael.
III
Dabei fängt es eigentlich wenig erfolgversprechend an: Begeistert spricht Philippus davon, daß er Jesus von Nazareth als den Erlöser gefunden hat – aber Nathanael reagiert eher spöttisch und abwehrend. Verächtlich und überheblich zugleich sagt er: Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen – aus diesem Kaff, diesem Provinznest im abgelegenen Galiläa, das im Zentrum des Landes, der Hauptstadt Jerusalem nur abfällig „das Galiläa der Heiden“ genannt wurde.
Wenn bei uns das Gespräch mal auf Jesus kommt – überlegen Sie mal, wann und wo das bei Ihnen das letzte Mal der Fall war – dann äußern sich die Gesprächspartner fast immer in diesem Sinne: Jesus – der war ein vorbildlicher, ein bewundernswerter Mensch, ganz sicher mit ganz besonderen Gaben - aber schließlich eben gescheitert an denen, die sich durchzusetzen wissen, auf Strategie und Machtkalkül setzen.
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Im entscheidenden Punkt denken fast alle – ganz sicher auch viele von Euch hier – wie Nathanael: Daß Jesus von Nazareth, wie Philippus sagt, der Erlöser Gottes ist, daß in ihm und nur in ihm der ewige Gott selbst zu finden ist – nein, das können wir nun doch nicht glauben.
IV
Und nun kommt etwas, das mir besonders wichtig ist. Also: Ich habe – etwa im Konfirmandenunterricht oder bei irgendeinem Besuch - davon gesprochen, inwiefern Jesus für mich Heiland, Erlöser, Herr meines Lebens und Herr der Welt ist, habe vielleicht auch wie Philippus gesagt: Kommt und seht selbst! Wendet Euch ihm
selbst zu, sucht ihn selbst durch Lesen im Evangelium und das Gebet zu ihm zu „sehen“, zu „finden“!
Und wenn ich dazu - hoffentlich überzeugend und glaubwürdig - einlade, dann habe ich damit das Meinige getan – das Entscheidende muß nun der lebendige Jesus selbst tun.
Und nun wird hier ja wunderschön erzählt: Jesus hat den näherkommenden Nathanael längst gesehen. Er geht auf ihn zu und beginnt das Gespräch mit ihm –
und zwar mit einem Lob: Hej, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist! Er sucht nicht
nach dunklen Punkten in seinem Leben,
nach Problemen,die nur er lösen kann. Er
lobt ihn, und zeigt ihm damit, daß er ihn
durchschaut. Nämlich so, wie Gott – Gott Lob! – uns seit Jesu Kreuz nun
alle durchschaut: Liebevoll.
Ja – aber woher kennst du mich denn? fragt Nathanael völlig verblüfft. Und Jesus:“Ehe du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich“.
Was soll das denn heißen mit dem Feigenbaum?
Muß Johannes, der so tiefsinnig in seinem Evangelium ist und so hintergründige
Worte gebraucht, nicht auch mit dem Feigenbaum etwas Besonderes gemeint haben?
Manche Forscher vermuten, der Feigenbaum sei eben Ort der Ruhe und des Friedens
gewesen, Nathanael habe im Schatten dieses Feigenbaum meditiert, vielleicht in
den Heiligen Schriften gelesen, er sei also ein gottsuchender Mensch gewesen,
gleichsam vorbereitet und reif für die Bekehrung. Aber ich möchte einfach
sagen: Was das mit dem Feigenbaum bedeuten soll, wissen wir nicht, und sollen
es als eines der vielen Geheimnisse und
schwer verständlichen Stellen in der Bibel stehen lassen. Es gibt ein
schönes Wort – ebenfalls von Luther -, das ich mir vorne in eine meiner Bibeln
geklebt habe: „Die Bibel ist wie ein
großer weiter Wald, darinnen viel und mancherlei Bäume stehen, wovon man kann
mancherlei Obst und Früchte brechen. Gibt dir aber ein Bäumlein trotz deines
Rüttelns keine Frucht herab, so geh weiter, lüpfe dein Hütlein und sprich: Auf
ein Andermal“.
Und nun fühlt Nathanael sich mit einemmal von Jesus ergriffen, er spürt diese Liebe, die alles durchschaut und doch nicht verurteilt, sondern lobt und bejaht – diese Liebe, mit der Jesus auch den reichen Jüngling angesehen hat und die Ehebrecherin und den Zachäus und den Petrus da am Feuer, der Jesus gerade
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verleugnet hat, aber auch den Hohenpriester Kaiphas, vor dem er als Angeklagter stand und den Pilatus und die beiden Mörder am Kreuz
Nathanael spürt diese Liebe, durch die er sich
erkannt sieht, und er öffnet sich, gibt sich hin: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel.
Und Jesus kündigt an: Du wirst noch Größeres sehen. Und dann erweitert er das Du zu einem „Ihr“ das auch uns hier einschließt: „Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn“.
Er weist voraus auf seinen Kreuzestod.
Jakob sah in seinem Traum von der Himmelsleiter immerhin, wie die Engel Gottes die unendliche und von uns aus unüberbrückbare Kluft zwischen Himmel und Erde, Gott und uns Menschen überbrückten. Nathanael, als er vor dem Kreuz Jesu stand, und wir, wenn wir mit sehenden Augen auf das Kreuz Jesu schauen, wir können dort erkennen: Er, Jesus, ist der, der Himmel und Erde verbindet, der die unüberbrückbare Kluft zwischen Gott und uns Sündern überbrückt, die Trennung von Gott aufhebt. Nun ist Gott durch ihn bei uns Menschen, nun kann und soll uns nichts mehr von Gott und seiner Liebe trennen - seiner Liebe, die trotz und mitten in Schuld und Leid, Trübsal und Angst zu finden und zu haben ist, wie wir eingangs mit den Paulusworten bekannt haben, seiner Liebe, die uns zu hilfreichem Tun befreit, und von der wir in der Adventszeit sangen:
Nichts, nichts hat dich getrieben
zu mir vom Himmelszelt,
als das geliebte Lieben,
damit du alle Welt
in ihren tausend Plagen
und großen Jammerlast,
die kein Mund kann aussagen,
so fest umfrangen hast.
Der Friede
Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in
Christus Jesus unserm Herrn. Amen.