Christmette Heiligabend 2004

 

 

Predigt über Johannes 3, 16:

 

Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

 

Ich stelle mir vor, liebe Gemeinde: Geblendet noch von dem überirdisch klaren Lichtglanz, der die Engel umgab, stolpern die Hirten, so schnell sie nur können, durch das Nachtdunkel, sehen in einer der Hütten am  Rand von Bethlehem ein schwaches Licht, stoßen die knarrende Tür auf, erblicken, während sie über Viehdung und herumliegendes Heu näher treten, auf einem Lager eine junge Frau, sehr matt von der gerade geschehenen Geburt, neben ihr einen älteren Mann, der weiß, daß das Neugeborene nicht von ihm ist, und dann  fällt ihr Blick auf den runzligen Winzling in der Futterraufe, etwas Blut noch am Köpfchen und eingehüllt in Tücher, die jeden Arzt entsetzen würden, und sie sehen ihn an und wissen: Da liegt er nun, der Erlöser der Menschheit - der Schöpfer des Weltalls in Gestalt eines Säuglings.

 

                                                                       I

 

Der Schöpfer all dieser Millionen Spiralnebel und Sternensysteme, der Schöpfer auch unserer Erde, dieses winzigen Lichtpünktchens am Rande der Milchstraße. Erst wenn man nahe herankommt, sieht man den Erdball so, wie es Astronauten  ehrfürchtig und staunend immer wieder sagten: „Wir sehen die Erde als funkelndes Juwel auf nachtblauem Grund“; geradezu zart und verletzlich sieht sie von außen her offenbar aus. Die Erde: Ein funkelndes Juwel, bestrahlt von der Sonne, mit weiten Meeren: stahlblau der Atlantik, tiefblau der Pazifische Ozean, mit majestätischen Gebirgsriesen, weiten Wüsten, dampfenden Regenwäldern, und einer unfaßbaren Fülle und Wunderwelt von Lebewesen: Pflanzen und  Mikroben, Säugetiere und Insekten – und Menschen: Menschen mit unglaublichen Begabungen: die Erzählkunst eines Thomas Mann oder Franz Werfel, Oratorien, Opern, gotische und romanische Kirchen, Bilder von Rembrandt und van Gogh - und in denselben Menschen, die atemberaubend Schönes schaffen können, steckt die Möglichkeit zu gnadenloser Grausamkeit.  

 

Die Erde: Ein funkelndes Juwel – und doch, von nahem betrachtet, voller Risse und  Sprünge, mit schrecklichen Naturkatastrophen und von  Menschen verursachten Zerstörungen, Kriegen, Abholzung der Regenwälder,  von Menschen verschuldeten Hungersnöten -  und wenn man ganz nahe herankommt, sieht man auch das konkrete Leid und das konkrete Böse: Die Frau, die sich heute so verlassen fühlt, weil ihr törichter Mann sie um  einer Andern willen verlassen hat, die Frau mit der Diagnose Brustkrebs, die so voller Bangen ist, den Geheimdienstler, der einen Gefangenen foltert,  die Mutter, die ihr verhungertes Kind im Arm hält, die Frau, die vergewaltigt wird, und das Video, das man davon macht, verkauft man an perverse Männer.

 

Die Welt: Herrlich – und  schrecklich zugleich.

Das Leben: Sowohl wundervoll wie auch abgründig.

2

 

Von weitem scheint alles schön. Doch der Teufel steckt im Detail.

 

Und  dort hinein – das feiern wir zu Weihnachten – dort hinein kommt nun auch Gott in seinem Sohn. Auch Gott geht ins Detail, dorthin, wo der Teufel sich gern versteckt, will und kann nun statt seiner in einem Wort, einer Geste, einem Lächeln gegenwärtig und lebendig sein, im Leiden trösten, das Böse durch Güte überwinden, Menschen  weitherzig und  großzügig werden lassen.                                               

 

                                                                       II

 

So also, auf diese Weise, hat Gott die Welt, dieses funkelnde Juwel mit all seinen Sprüngen und Rissen, geliebt, daß er ein Kind auf ihr wurde: Liebenswert, Liebe auslösend, ent-waffnend.  So, in dieser Weise, hat er die Menschen geliebt, daß er ihnen seinen  geliebten Sohn auslieferte, ihn in ihre Hände gab – im Wissen: Sie würden mit ihm tun, was ihre verteufelte Gottlosigkeit ihnen eingeben würde: Sie würden ihn mißtrauisch beobachten, sich über ihn  empören, ihn  weghaben wollen, Ränke schmieden, in die Falle locken, ihre Lust am Quälen an ihm befriedigen, ihn schlagen, anspucken, verhöhnen, liquidieren.

 

Im  Frühjahr – fast schon wieder vergessen - gab’s diesen Film von Mel Gibson, Die Passion Christi, der diesen Foltertod drastisch vor Augen führte.

 

Und doch: Was der Film nicht zeigen konnte, was wir aber im Glauben erkennen können: Hier, in dieser tiefsten Tiefe und Erniedrigung geschieht die Weltenwende. Hier nimmt Jesus dem Tod seine scheinbare Allmacht und Endgültigkeit, hier überwindet er die Sünde, das Getrenntsein von Gott, hier nimmt er dem Teufel, diesem attraktiven  Verführer, der sich so raffiniert tarnen kann, die Herrschaft über die Welt ab.

 

                                                                       III

 

So, auf diese Weise, hat Gott die Welt geliebt. Wozu? Damit wir Menschen  „nicht mehr verloren gehen, sondern das ewige Leben haben“.

 

Ewiges Leben! Unzerstörbares Leben für uns!  Wie bekommen wir das?

 

Zunächst, indem wir Jesu Worte beherzigen. Es sind ja Worte von überwältigender Gewalt. Entlarvend. Herausfordernd. Entsetzen auslösend. Worte, die uns viel zumuten, aber auch viel zutrauen. Ich nenne einige, wie sie mir beim  Schreiben einfielen:

 

-                     Selig sind die Sanftmütigen, sie – nicht die Agressiven! - werden das Erdreich besitzen.

-                     Sorgt euch nicht um den morgigen Tag, jeder Tag hat genug an der eigenen Plage. Der morgige Tag wird für das Seine sorgen. 

-                     Ihr, die Gemeinde, auch hier in Rellinghausen,  seid das Licht der Welt, eine Stadt auf dem Berge. Also laßt euer Licht leuchten, damit die Menschen  eure guten Werke sehen und  euren Vater im Himmel preisen.

3

 

 

-           Jeder, der das Schwert nimmt, wird selber durch das Schwert umkommen. –

-                     Was nennt ihr mich Herr, Herr, und  tut nicht, was ich euch sage?! Die Huren und Zöllner kommen vor euch ins Himmelreich.-

-           Was ihr den Geringsten meiner Geschwister getan habt, das habt ihr mir  getan – und was ihr  ihnen nicht getan habt, habt ihr mir nicht getan. Darum könnte es sein, daß ich einmal zu euch sage: Ich kenne euch nicht. Weg von mir – in die ewige Verdammnis, in die ewige Gottesferne. Denn, liebe Gemeinde – machen wir uns da nichts vor - das gibt es auch: Ewige Verlorenheit, ewige Verdammnis.

 

Er aber teilt uns ewiges Leben mit – auch durch seine Taten, seine Wunder, seine Heilungen. Er kann auch heute einem  Menschen zum Heiland werden – wortwörtlich, indem er durch Gebet und  Handauflegung einen kranken Menschen gesund werden läßt – und er kann zum Heiland werden, indem ein  kranker, vielleicht sterbenskranker Mensch in ihm Geborgenheit und  Frieden findet.

 

Aber letztlich schenkt er uns ewiges Leben durch sein Leiden und  Sterben am Kreuz. Denn er durchleidet Gottesferne, Verlorenheit und Verdammnis an unserer

Stelle. Und wir empfangen als Geschenk ewige Gottesnähe, Rettung und Heil. Jetzt können wir in der Gewißheit leben und sterben: Wir versinken im Sterben nicht in ein Nichts, stürzen im Tode nicht mehr in irgendwelche abgründigen Finsternisse, sondern die Ewigkeit – also das Leben, in dem wir einmal Gott sehen werden, wie er

in Wirklichkeit ist – die Ewigkeit ist nun eine von Christus und  damit von Licht und  Freude erfüllte Ewigkeit geworden.

 

 

Dies alles gilt es im Glauben zu ergreifen – erst dann erfahren wir die Wahrheit des Evangeliums. Und dann leben wir in  der lebendigen und tatkräftigen Hoffnung: Der Jesus, der die Friedenstifter, die Barmherzigen, die Sanftmütigen, die Leidtragenden, die nach Gerechtigkeit Hungernden  selig pries,  der Jesus, der das Licht der Welt ist, das einzige Licht, der Jesus, in dem  Gott selbst sich finden lassen will und  nur in ihm – nirgendwo sonst -  der Jesus, den Gott zum Richter auch über alle die eingesetzt hat, die sich jetzt noch gebärden wie ein Augustus oder Herodes damals – der wird nicht müde werden zu wirken, bis das erfüllt und verwirklicht ist: Daß wir Menschen wieder so frei sind, Gott in der Höhe die Ehre geben und dann auch Friede auf Erden sein wird: Bei allen Völkern und all den Menschenkindern Gottes, an denen Gott Wohlgefallen haben will, so wie er auch an Dir Wohlgefallen hat. Amen.