Predigt zu Neujahr 2000

 

über Josua 1, 1 – 9 (Pfarrer Martin Quaas)

 

 

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Der heutige Predigttext führt uns – wie der gestrige zu Silvester – in die Anfänge unseres Glaubens und die Ursprünge des Volkes Gottes,  zu dem auch wir gehören dürfen. Gestern hörten wir vom Anfang der Wanderung durch die Wüste, heute von einer Zusage Gottes gegen Ende dieser Wanderung, kurz vor dem Ziel. Im Buch Josua, Kapitel 1, heißt es in den Versen 1 bis 9:

 

Nachdem Mose, der Knecht des Herrn, gestorben war, sprach der Herr zu Josua, dem Sohn Nuns, Moses Diener:

Mein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gegeben habe.

Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben, wie ich Mose zugesagt habe.

Von der Wüste bis zum Libanon und von dem großen Strom Euphrat bis an das große Meer gegen Sonnenuntergang, das ganze Land der Hetiter, soll euer Gebiet sein.

Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen.

Sei getrost und unverzagt; denn du sollst diesem Volk das Land austeilen, das ich ihnen zum Erbe geben will, wie ich ihren Vätern geschworen habe.

Sei nur getrost und ganz unverzagt, daß du hältst und tust in allen Dingen nach den Worten der Wegweisung, die dir Mose, mein Knecht, geboten hat. Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken, damit du es recht ausrichten kannst, wohin du auch gehst.

Und laß das Buch dieser Worte der Wegweisung nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht, daß du hältst und tust in allen Dingen nach dem, was darin geschrieben steht. Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen, und du wirst es recht ausrichten.

Siehe, ich habe dir geboten, daß du getrost und unverzagt seist. Laß dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.

 

Was für wundervolle Worte! Wieviel Ermutigung ist in ihnen!

 

„Sei getrost und unverzagt...!“

 

„Ich, der Herr, dein Gott,  bin mit dir...!“

 

„Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen...!“

 

Wundervolle Worte! Wir hören sie gern am Anfang eines neuen Jahres.

 

2

 

 

Aber: Machen wir nur ja keinen billigen Trost aus ihnen! Man könnte diese Worte nämlich auch so hören: Wir tun, was wir für richtig halten, und Gott wird schon mit uns und für uns sein. Wir werden versagen, schuldig werden – aber Gott wird schon

Fünfe gerade sein lassen, er wird schon großzügig sein, „Vergeben ist ja sein Geschäft“ (Voltaire). Und die Kirche, die Gemeinde: Die soll uns Angebote machen, möglichst vielfältig, möglichst freundlich, möglichst uns bestätigend, so daß eitel Harmonie und Wohlwollen herrscht.

 

Gott wäre dann ein „lieber Gott“, der zwar etwas kopfschüttelnd, aber doch lächelnd und verständnisvoll auf seine unartigen  Kinder herabblickt.

 

Pfarrer Volke und ich wären dann Prediger, die es möglichst allen recht machen.

 

Wir hätten eine Kirche und Gemeinde „zum sich Wohlfühlen...“.

 

 

Wir hätten einen harmlosen Gott, eine harmlose Kirche, eine harmlose Predigt...

 

Einen billigen Trost, eine billige Gnade, einen Gott, der alles und jedes billigt...

 

Klar ist: dies alles hat jedenfalls nichts zu tun mit dem biblischen Glauben und dem biblischen Gott. Aber: Es ist unsere Versuchung,  weil dann ja alles leichter und bequemer wird, und ich fürchte, daß unsere Kirche zum Teil solcher Versuchung verfallen ist.

                                                                       I

 

Auch unser heutiger Predigttext ist  geprägt von solch einer großen Sorge:

 

Israel ist an der Schwelle zum verheißenen, „gelobten“ Land. Es  hat gewaltige Erfahrungen mit Gott hinter sich: Der Auszug aus Ägypten, der Durchzug durchs Rote Meer, Gottes geduldiges und wunderbares Geleit durch die Wüste – und jetzt geht es um die letzte Etappe vor dem Ziel am Jordan. Da ist die Sorge, Israel könnte kurz vor dem Ziel noch scheitern, es könnte sich noch viel zum Bösen wenden. Unser Text kalkuliert ein, daß es auf dieser letzten Etappe Möglichkeiten gibt, sich „zu grauen“ und „zu entsetzen“. Es wird jedenfalls kein Spaziergang werden.

 

Die Bibel erzählt in diesem Zusammenhang eine eindrucksvolle Geschichte: Als die sog. Kundschafter über den Jordan gehen, um auf Geheiß des Mose das Land zu erkunden, da kehren sie nach 40 Tagen zurück und berichten: Wir sahen dort Riesen, Anaks Söhne, und wir waren in unseren Augen wie

Heuschrecken und waren es auch in ihren Augen“ (4. Mose 13, 33) ( wobei der Vergleichspunkt ja nicht die Gefräßigkeit dieser Tierchen ist, sondern ihre Winzigkeit). Und schon erfaßt das ganze Volk eine große Angst und sie vergessen alle Erfahrungen mit Gott, vergessen alle Verheißungen Gottes und sagen – wieder einmal (und das war ja auch schon Gottes Befürchtung im Predigttext gestern gewesen) – : „Ach, wären wir doch in Ägypten geblieben und dort gestorben“.

 

 

3

 

 

Wir hören in alledem: Sich auf Gott, auf seine  Verheißungen, seine Führung einzulassen - das ist kein Kinderspiel. Da riskiert man viel. Mut ist nötig. Die Israeliten kamen sich vor wie Heuschrecken, ihnen war sehr beklommen zumute, sie wollten in eine scheinbar bessere Vergangenheit zurück. Ist das nicht auch unsere Situation? Sind wir als Christen, als Kirche angesichts der Zukunft nicht eher wie

Heuschrecken, in unseren Augen -  aber auch in den Augen der sog. Öffentlichkeit? Der Politik? Der Medien? Nicht wahr, man nimmt uns als Kirche nicht mehr so wichtig. Der Mohr hat – in den 50er, 60er, zum Teil noch 70er Jahren – seine Schuldigkeit (für den Erhalt „staatstragender Werte“) getan, der Mohr kann gehen. Wir kommen jetzt eher nurmehr am Rande vor. Die großen Einflüsse auf die Menschen geschehen anscheinend durch die sog. Medien, die großen Entscheidungen über Menschen und Völker fallen anscheinend nicht in den Kirchen, sondern in den Chefetagen der Konzerne und Banken, an Aktienbörsen und vielleicht auch in einigen Ministerien. Wirtschaft und Wissenschaft scheren sich im Blick auf Gentechnologie und andere ethische Fragen wenig um kirchliche Stellungnahmen. Nein, wir sind nichts als kleine Heuschrecken in den eigenen und den Augen der Anderen.

                                                                      

 

II

 

 

Aber nun ist das Herrliche , daß uns verzagten Winzlingen in unseren Textworten

von Gott jedenfalls ganz überraschend viel Freundliches und Verheißungsvolles zugedacht und mitgeteilt wird. Dreimal sagt Gott zu seinem Volk, also auch zu uns: „Sei getrost und unverzagt“! Und jedesmal steht der Ruf in einem anderen, neuen Zusammenhang:

 

Beim ersten Mal heißt es: „Sei getrost und unverzagt... Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben“ (V 6 und 3).

 

Für Israel heißt das bis heute: Sein Glaube ist mit der Gabe des Landes durch Gott untrennbar verbunden. Der Glaube Israels ist auch der Glaube daran, daß Gott ihm dieses Land für alle Zeiten gegeben hat. Und darum wird sich Israel durch keine Macht der Welt mehr aus diesem Land vertreiben lassen. Bei uns Christen ist das nicht so. Da gilt der Satz des Kirchenvaters Diognet aus einem Brief von ihm um das Jahr 150: „Für Christen ist jedes Vaterland ein fremdes Land und jedes fremde Land ein Vaterland.“ Wir hören in dieser Zusage Gottes:

 

Ich, dein Gott, habe vorgesorgt. Jede Situation, in die du kommen wirst im neuen Jahr, habe ich im voraus bedacht. Du wirst keinen Boden betreten, der nicht schon bereitet wäre, auf dem ich nicht dir begegnen könnte.

 

Es gibt im neuen Jahr kein Niemandsland, auf dem nicht jedenfalls Gott schon

da wäre: „Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen!“

 

Darum sei getrost und unverzagt, weil du einen solchen Gott hast! Also nicht, weil alles halb so schlimm ist, nicht, weil Gott schon ein Auge zudrückt, nicht, weil wir es

4

 

 

„irgendwie schon schaffen“ werden, sondern weil Gott uns seine Vor- und Fürsorge und seine  Verbundenheit mit uns zusagt für jede Situation. Wenn dieser Faden risse, oder wenn wir uns selbst von ihm abschnitten: Wir wären verloren. Verloren an uns selbst und unsere eigenen Möglichkeiten. Und die sind kümmerlich.

                                                                      

 

                                                                      

 

III

 

Und dann  hören wir es ein zweites Mal, dieses „sei getrost und unverzagt“.

„Sei nur getrost und ganz unverzagt, indem du tust in allen Dingen nach der Weisung  Gottes. Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken. Laß das Buch der

Wegweisung Gottes nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht...Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen“.

 

Daß uns dies gerade heute morgen gesagt wird, finde ich wunderschön und wichtig. Wir wollen uns am Neujahrstag nicht abspeisen lassen mit billigem Auf die Schultern klopfen, sondern uns herausfordern lassen. Wir sind aufgefordert zur Begegnung mit einem Buch, der Heiligen Schrift, dem Buch, das voll ist von heilsamer Zuwendung Gottes zu uns, aber auch klarem Anspruch Gottes an uns in seinen Mahnungen, Warnungen und Geboten.

 

Hören wir es also so klar und deutlich, wie es hier gesagt ist: Der Zuspruch „getrost und unverzagt“ sein zu können, wird uns nicht geschenkt sein ohne dieses Buch. Ohne dieses Buch verlieren wir Gott aus den Augen und aus dem Sinn. Ohne Beschäftigung mit diesem Buch ist der Glaube tot. Ohne dieses Buch kann Gott nicht zu uns reden, wir brächten ihn also zum Schweigen. Ich bin überzeugt, daß man nicht anders Christ sein kann als nur in ständigem Gespräch mit diesem Buch. Dieses Buch will in unser Leben hineinreden als die wichtigste Stimme für unser Leben überhaupt, und wenn wir das geschehen lassen, dann verändert und erneuert es unser Leben auf wunderbare Weise und führt uns in das Gespräch mit Gott. Wenn wir Gott von ganzem Herzen suchen wollen -  hier und nur hier will Er sich von uns finden lassen.  

 

Wie können wir diesem biblischen Wort ganz praktisch Raum geben in unserem Leben? Haben wir das Losungsbuch? Einen Neukirchener Kalender oder etwas anderes, das uns hierbei eine Hilfe ist? Ist uns ein Gemeindeseminar – ein Bibelgesprächskreis eine Hilfe? Könnten wir einen Hauskreis beginnen?

 

 

                                                                       IV

 

„Sei getrost und unverzagt“, hörten wir. Das erste Mal als Ruf zu dem Gott, der vorgesorgt und uns seine Gegenwart in jeder Situation des neuen Jahres versprochen hat, das zweite Mal so, daß wir aktiv beteiligt sind, indem wir zur Bibel geführt werden, die Fenster und Tür zu Gott ist. Und das dritte Mal hat der Zuspruch

 

5

 

 

 

“sei getrost und fürchte dich nicht“ einen Zusatz: „Laß dir nicht grauen und entsetze dich nicht...“

 

Der Ruf ergeht also nicht in eine heile Welt, sondern in  eine Welt, in der es auch grauenvoll und entsetzlich zugehen kann. Er ergeht in eine Heuschreckensituation. Sei getrost und unverzagt, das bedeutet in diesen Situationen: Sei fest, beharrlich, mutig!

 

Werde nicht müde im Kampf gegen diese ständige Beeinflussung zu konsumieren, die das Leben seelenlos macht, die Beziehungen zerstört und alle Bereiche des Lebens „gleichschalten“ will.. Gib nicht auf in deinem Kampf für eine wenigstens ein wenig gerechtere Weltwirtschaftsordnung. Mach nicht mit bei der zunehmenden Hemmungslosigkeit und Skrupellosigkeit in geschlechtlichen Fragen, im Straßenverkehr, im Umgang mit Geld. Verschweige nicht, was Christsein bedeutet und warum du Christ bist. Sei stolz darauf, den Ehrentitel „Christ“ tragen zu dürfen.

 

 

Zunehmend  wird klar, daß wir Christen uns nicht auf der „Erfolgsleiter“ oder „Siegerstraße“ befinden, sondern eher in der Lage winziger Heuschrecken, und eben nicht eines großen, sondern kleiner werdenden Schwarms. Ist es da nicht etwas Wunderbares, wenn der ewige Gott, der das All geschaffen hat und der unsere Zukunft kennt, uns zusagt: Ich! Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen!? Ich habe dir geboten – geboten! - , daß du getrost und unverzagt seist. In der prägnanten Formulierung Luthers: „Gott gebietet dir, nicht zu verzweifeln“.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre dein Herz und deine Sinne in Christus Jesus, dem einzigen Herrn. Amen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.