Frühgottesdienst am Sonntag Trinitatis, 6. Juni 2004

 

Lieder:

 

Schmückt das Fest mit Maien...135, 1 – 4

Komm, Gott Schöpfer, heiliger Geist...126

Nun  jauchzt dem Herren, alle Welt...288, 5 – 7

Brunn alles Heils, dich ehren wir...140

 

Psalm 145 i.A.

 

Lesung: Jesaja 6, 1 – 13

 

 

Liebe Gemeinde,

 

in den Kapiteln 1 – 8 des Römerbriefs entfaltet der Apostel Paulus die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens: Dass der Mensch, weil Christus stellvertretend für ihn das gerechte Urteil Gottes getragen hat, als Freigesprochener vor Gott leben darf, unter der Gnadensonne Gottes, im Gehorsam gegenüber Jesus.

 

In den Kapiteln 9 – 11 ringt er dann mit einer Rätselfrage, die ihn unablässig mit Schmerz und Traurigkeit erfüllt: Warum nur erkennt die überwältigende Mehrheit seiner jüdischen Landsleute Jesus nicht als den verheissenen Messias an?

 

Und dann, am Ziel von 11 Kapiteln äusserst gedankenreicher Verkündigung und Lehre, mündet Paulus in ein Gebet, einen anbetenden Lobpreis Gottes. Dieser Lobpreis ist der für den diesjährigen Trinitatissonntag vorgeschlagene Predigttext. Ich lese aus Römer 11 die Verse 33 bis 36:

 

O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und  der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!

 

Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?“ (Jesaja 40, 13)

 

Oder „wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste?“ (Hiob 41, 3).

 

Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge: Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

 

Liebe Gemeinde!

 

Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt? Warum redet er denn nicht!“ ...Gibt denn keiner, keiner Antwort???“

 

Mit diesen Worten endet das Schauspiel „Draussen vor der Tür“. Der junge Dichter und Kriegsheimkehrer Wolfgang Borchert hat es im  Jahr 1947 geschrieben. Ihn verfolgte das, was er im Krieg hatte mitansehen müssen, bis in den Schlaf, in Alpträume hinein. Unablässig quälte ihn die Frage, wie Gott all diese Verbrechen,

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Schmerzen, Grausamkeiten, Schreie mit anhören und ansehen, aushalten, ertragen, zulassen konnte. Seine Verzweiflung hat er in dem Schauspiel „Draussen vor der Tür“ in Worte zu fassen versucht.

 

Borchert in seiner Verzweiflung an Gott kann ihn schliesslich nur noch voller Bitterkeit beschimpfen und  verhöhnen: „Gott, du bist ein  lahmer alter Mann... Du bist ein Theologengott, müde und weinerlich...Du hast zuviel Theologentinte im Blut...  Es ist ein Jammer mit dir... so bricht es in diesem Schauspiel aus dem Unteroffizier Beckmann heraus.

 

Ob auch heute, vielleicht auch in unserer Gemeinde, Menschen so an Gott leiden, an seiner Verborgenheit verzweifeln? Einige Gemeindeglieder haben es mir im Laufe der Jahre geradeheraus gesagt, dass sie, weil sie zuviel Elend und Ungerechtigkeit persönlich hätten miterleben müssen, nicht an Gott glauben könnten, jedenfalls nicht an einen Gott, dem das Schicksal von Menschen zu Herzen gehe. Müssen wir nicht sagen: Ja, ich kann das gut verstehen?!

 

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Und doch: Wie anders redet Paulus hier angesichts der Unergründlichkeit des Handelns Gottes. Staunend und voller Verwunderung spricht er von der Unbegreiflichkeit seines Tuns. Zu Anbetung und Lobpreis führt ihn die

Unerforschlichkeit der Gedanken und Wege Gottes.

 

Wie sollen wir das begreifen? Es gibt nur eine Möglichkeit. Denken  wir an das, was Paulus vor Damaskus erlebte. Wie ihm da im  Licht der Begegnung mit dem auferstandenen Christus sein  ganzes reiches Theologenwissen sozusagen verbrannte. Und von da an war der gekreuzigte Jesus Anfang, Mitte und Ziel seiner ganzen Gotteserkenntnis.

 

Von dem her, was er an Christus erkannt hat, kann er staunend sagen:  O welch eine Tiefe des Reichtums Gottes – nämlich des Reichtums seiner Gnade!

 

Und welch eine Tiefe der Gedanken Gottes! Wie konnte Gott nur auf den Gedanken kommen, in dem Menschen Jesus selber zur Welt zu kommen und dann auch noch solch einen Weg zu gehen, einen  Weg der Erniedrigung, Verachtung und  Verfolgung – bis hin zu einem schrecklichen Foltertod, an einem Kreuz hängend.

 

Und welch eine Tiefe der Weisheit Gottes! Wie völlig verschieden ist die Weisheit Gottes von menschlicher Weisheit! Menschen in ihrer Weisheit wollen im Grunde immer hoch hinaus, weit hinein in die Geheimnisse des Lebens, wollen möglichst bis hin zu göttlicher Erleuchtung gelangen. Gott in seiner Weisheit geht den Weg hin in Dreck, Schmutz, Elend und Schmerzen hinein – dorthin, wo sich der harte, oft

schwer erträgliche  Alltag der meisten Menschen abspielt.

 

Darum: Wie unerforschlich sind seine Wege: Seiner Weisheit letzter Schluss ist ein  Weg an ein Kreuz! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte: Seinen geliebten Sohn  liefert er dem Gerichtsurteil aus, der Strafe, die nach  Recht und Gesetz Gottes wir Menschen, auch jeder von uns hier, verdient hätten – aber stattdessen lautet nun

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sein Urteilsspruch über jeden Menschen -  was er auch getan haben mag - der das im Glauben annimmt: Du bist freigesprochen, auch im Letzten Gericht sollst du das von mir hören: Du bist um Jesu willen freigesprochen.

 

Und darum: Welch eine Tiefe der Erkenntnis Gottes! Die Erkenntnis, mit der Gott uns Menschen erkennt, meint Paulus hier vor allem. Gott kennt uns Menschen, kennt unsere Bosheit, Heuchelei, Selbstgerechtigkeit nur zu gut, an Jesus ist das ja alles zutagegetreten, er hat das alles in geballtester Weise zu spüren bekommen – und uns, die so sind, erkennt Gott: und dieses Wort bedeutet in der Bibel: liebhaben, von ganzem Herzen liebhaben.

 

Und darum kann Paulus gar nicht genug staunen und anbeten angesichts der Wunderwege, die Gott gegangen ist, um uns Menschen zur Gemeinschaft mit Ihm, zur Lebens- und  Liebesgemeinschaft mit ihm zurückzubringen.

 

                                                                        II

 

Dieses Staunen des Apostels ist umso tiefer, als er ja die Freiheit und  Souveränität Gottes in seinem Handeln voll anerkennt. Gott  ist  Gott. Gott hat und braucht keinen Ratgeber! Gott ist niemandem Rechenschaft schuldig, so sagt er hier mit einem Zitat aus dem Buch Jesaja. Und, das Buch Hiob zitierend: Niemand hat Gott jemals etwas gegeben, so dass Gott sozusagen genötigt wäre, das dankbar zu vergelten.

 

Ich glaube, das wissen und  bejahen auch wir: Gott ist frei in seinem Tun – und doch: Es bleiben ja trotzdem die Rätsel, es bleiben Leid und Ungerechtigkeit und die Tatsache, dass fromme Menschen  oft so geplagt werden, während die Gottlosen sich aufblasen – und Gott lässt sie scheinbar gewähren... Es bleibt das furchtbare Rätsel, warum das Gottesvolk Israel durch Jahrhunderte so Fürchterliches durch das Gottesvolk der Christen erdulden musste, es bleibt die Tatsache, dass Angehörige des Gottesvolkes Israel, das von Anfang an bekannt hat:  Barmherzig und  gnädig ist Gott der Herr, geduldig und  von grosser Güte...“(z.B. 2. Mose 34, 6; Psalm 103, 8), dass  sie eine Politik betreiben, die in manchem absolut gnadenlos und unbarmherzig ist, es bleibt die bedrückende Tatsache, dass Menschen, die sich Christen nennen, ihre Mitmenschen foltern.

 

Die einzige Antwort, die wir hier haben, heisst: Gott will das nicht, er will nicht Hass, Krieg, Ungerechtigkeit, sondern er will Versöhnung, Gerechtigkeit, Frieden, Liebe!  Gott will, dass allen Menschen  geholfen wird und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim. 2, 4). Gott will, dass alle Menschen Jesus als Heiland und Herrn ernstnehmen, etwa auch seine Seligpreisungen wortwörtlich nehmen und sie strikt zu befolgen suchen. Das ist unser Lebensauftrag, darüber erfahren wir etwas von  der erlösenden, befreienden Kraft des Erlösers. Darum muss man sagen: Gott hat – indem er Mensch wurde - alles ihm mögliche getan, dass Gerechtigkeit, Frieden und Liebe unter uns Menschen blühen  können. Mehr als sich in unsere Hände geben konnte er nicht tun. Jetzt sind wir dran.

 

Und  dann  können wir als zweite Antwort – angesichts all der bleibenden Rätsel - vielleicht auch noch dies hinzufügen und sagen: „Ich hoffe, dass einmal all das

 

 

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Undurchschaubare in seinem Sinn erkennbar wird, dass auch das in unseren  Augen Schreckliche zu etwas dient. Ich hoffe, dass Gott alle Fäden in der Hand behält und 

alles der Erlösung und Vollendung entgegenführt“. Er kann eben auch – wie wir’s eben in der Lesung hörten – Völker der Verstockung und Verblendung anheimgeben (Jesaja 6 Vers 9 – 13; vgl. Jesaja 29, 9 – 14)! – und wer weiss, ob Gott nicht auch in dieser Weise derzeit bei uns am Werk ist! Aber auch das muss dann letztlich seinen Heilsplänen dienen (Jes. 6 Vers 13c und Jes 29, 14/ 1.Kor.1,19) . -  So wie es Dietrich Bonhoeffer einmal in wunderbare Worte gefasst hat:

 

Ich glaube, dass Gott aus allem, auch auch  aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und  will. Dazu braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen...

 

Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und  dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen  fertig zu werden als mit unseren vermeintlichen  Guttaten.

 

Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“

 

                                                                        III

 

Denn: Von ihm sind alle Dinge, von ihm, dem Schöpfer, kommt alles her - alles: „...der Strohhalm und  die Sterne, das Sandkorn und  das Meer“ . Und durch ihn sind alle Dinge, durch ihn, durch Jesus, sind sie erlöst. Und  zu ihm, dem göttlichen Geist hin, sind alle Dinge, auf Ihn  zielt alles hin, damit, wenn Jesus sein  Erlösungswerk in  der Schöpfung vollendet hat, Gott „alles in allem sei“ (1.Kor. 15, 28). Amen.