Gottesdienst am 3. Sonntag nach Epiphanias, 25. Januar 2004

 

Lieder:

 

O König aller Ehren...71

Ich weiss, woran ich glaube...357

Lobt Gott, den Herrn,  ihr Heiden all...293

Lass mich, o Herr, in allen Dingen auf deinen Willen sehn und dir mich weihn...414,1+2

 

Psalm 67 bzw. 117

 

Lesung: Matthäus 8, 5 - 13

 

Liebe Gemeinde,

 

der Predigttext für diesen Sonntag ist ein einziger Vers – ein Vers aus dem Römerbrief, in dem Paulus nach einleitenden Worten an die Gemeinde in Rom das gesamte Thema seines Briefes zusammenfasst ; Römer 1 Vers 16:

 

Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.

 

 

Drei Fragen:

 

1.      Was ist das Evangelium?

2.      Warum heisst es Evangelium?

3.      Wem gilt das Evangelium?

 

I

 

Das Evangelium ist eine Kraft, sagt Paulus, im Griechischen steht hier das Wort dynamis, unser Wort Dynamit. Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, stark wie Dynamit -  was sprengt es auf?

 

Verschlossene Gräber. Zuerst bei Jesus. Maler wie Mathias Grünewald und andere haben es in Osterbildern eindrucksvoll dargestellt: Die Grabeswächter, die Hüter des Todes sind selbst wie tot, Jesus lebt, ist frei, das Grab ist aufgesprengt von der sanften Allmacht der Liebe Gottes zu ihm. Gott hat ihm sein eigenes göttliches Leben mitgeteilt. Und das ganze Neue Testament ist vom Jubel darüber erfüllt: Seit ihm und durch ihn werden nun alle Gräber geöffnet, der Tod hat seine Allmacht verloren. Der Tod ist auch kein vermeintlich letzter Schlupfwinkel mehr für Menschen, die nach dem Motto handeln: Nach mir die Sintflut. Jedes Leben gelangt vor Gott.

 

Mit aller Kraft hat Paulus das verkündigt: Jesus, am Kreuz durch uns und für uns gestorben, ist von Gott zum Herrn über alle und zum Retter für Juden und alle heidnischen Völker eingesetzt worden! Lebt im Vertrauen auf ihn!  Nehmt voller Dankbarkeit den Freispruch an, den er euch erwirkt hat. Dann braucht ihr euch nicht mehr zu fürchten

 

 

 

2

 

vor dem Letzten Gericht. Gott wird euch um seinetwillen barmherzig in die Arme nehmen – wie der Vater den heimkehrenden verlorenen Sohn.

 

Das Evangelium ist eine Sprengkraft Gottes. Es öffnet verschlossene Gräber und es öffnet verschlossene Herzen.

 

So wie zum Beispiel bei Zachäus dem Zöllner (Lukas 19). Der war geizig, weil er   offenbar wenig Liebe empfing. Und keiner mochte ihn, weil er habgierig und geizig war. Jesus sprengt den Teufelskreis. Jesus sieht ihn. Er sagt zu ihm: Komm, lass uns miteinander Mahlgemeinschaft halten. Und  als sie fröhlich miteinander tafeln, sagt Jesus zu den Umstehenden, die empört und indigniert die Stirn runzeln: Was wollt

ihr, er ist genauso ein Kind Gottes wie ihr. Meint ihr, Gott hat eins seiner Kinder weniger lieb, wenn es knausrig ist? Gerade nicht! 

 

Als Zachäus das Evangelium hört und erlebt, öffnet sich sein Herz weit – er wird weitherzig und grosszügig. Ob die Umstehenden sich mitgefreut haben über seine

Befreiung?

 

Das Evangelium ist eine Sprengkraft Gottes. Es öffnet verschlossene Mienen. Menschen können gelöst lächeln, heiter werden, sich freuen. Evangelium heisst ja: Frohe Botschaft, Freude auslösende Nachricht. Zum Evangelium gehört auch: Ich gönne dem Andern von Herzen die Güte und Liebe Gottes, ich freue mich, wenn es ihm gutgeht, ich bin traurig, wenn es ihm schlechtgeht.

 

Und von Zachäus lernen wir ein Viertes: Das Evangelium ist eine Sprengkraft Gottes: Es öffnet verschlossene Geldbeutel. Portemannaies. Zachäus kann von Herzen abgeben von seinem Überfluss. Ich hörte irgendwo einmal den Spruch: Erlösung bedeutet bis in den Geldbeutel erlöst sein. Darum ist es so wichtig, dass die Verkündigung des Evangeliums die Menschen bei uns so befreit, dass sie Hunger bekommen: Einen Hunger nach Gerechtigkeit.

 

Denn das Evangelium ist eine Sprengkraft Gottes. Es öffnet und überwindet verschlossene Grenzen, Grenzen aller Art: Die Grenzen zwischen  dem Norden  und  Süden unseres Globus. Kürzlich erzählte mir einer, was für ein unglaublich hoher und lebensgefährlicher Zaun da unten an der spanischen  Grenze  zu Marokko nahe Gibraltar gebaut worden sei – damit die Afrikaner nur ja nicht herüberkommen können ins reiche Europa. Oder da ist dieser Zaun zwischen Mexico und den USA. Bei uns hier war es auch das Evangelium  - das lässt sich klar belegen – das mit zum Fall der Mauer geführt hat.  Und wenn derzeit eine Riesenmauer zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten aufgerichtet wird, dann höre ich nicht auf zu hoffen und zu beten, dass Gott dort genau so unerwartete und für unmöglich gehaltene Wunder tun  kann.

 

Lasst uns  alle beharrlich um Versöhnung, Gerechtigkeit und  Frieden beten und durch unser Tun uns dafür einzusetzen. Lasst uns nicht aufhören, um  das Kommen des Heiligen Geistes zu unserer Kirche zu beten. Denn das Evangelium öffnet auch verschlossene Kirchen und  Gemeinden. Sie öffnen sich für Gott und dann öffnen sie

 

3

 

sich für Menschen, werden einladend, überzeugend, glaubwürdig. Die sog. distanzierten, der Kirche entfremdeten Menschen, von denen bei uns so viel die

Rede ist – sie wollen ja garnicht, dass wir uns ihnen anpassen, schon garnicht, dass wir uns anbiedern, sondern: Dass wir klar und  erkennbar zu unserer Sache,

unserem Auftrag stehen, dass wir klar sagen, was wir glauben, dass wir Seelsorge üben, dass man uns anmerkt, uns geht es wie Paulus, der sagt: Ich schäme mich des Evangeliums nicht! Im  Gegenteil: Ich bin stolz, das Evangelium verkündigen zu dürfen, ich weiss ja, es ist die schönste, heilsamste, befreiendste, revolutionärste Botschaft, die überhaupt nur denkbar ist.

 

                                                                        II

 

Warum ? Weil sie selig macht, übersetzt Luther. Wörtlich steht da: Sie rettet.

 

Sie rettet uns! An  drei Bildern, Gleichnissen will ich zeigen, was dieses unergründliche Wort uns zusagt:

 

1.      Wir sind wie Barrabas. Der Legende nach geht er – der von  Pilatus Freigelassene, Amnestierte – am Nachmittag des Karfreitag hinauf zum Golgatahügel. Er sieht: Eigentlich müsste ich da hängen -  und er hängt da für mich. Ich hatte mit Recht den Tod verdient – und Er, der Unschuldige, stirbt ihn an meiner Stelle. – Er hat Verlorenheit und  Verdammnis auf sich genommen – und ich – ich bin frei, kann gehen, wohin ich will, kann tun und  lassen, was ich will...Wirklich? Nein, er kann es nicht mehr. Es ist nicht anders denkbar, als dass Barrabas ein  neues Leben angefangen hat, ein Leben in Dankbarkeit.

 

2.      Ausgehend von der Geschichte vom sinkenden Petrus:

 

Menschen – hilflos auf dem Meer treibend, sich gerade mal an ein paar Planken klammernd, ohne Aussicht auf Rettung. Da – ein  Schiff! Taue werden uns zugeworfen , hilfreiche Hände holen uns an Bord dieses Schiffes mit Namen „Volk Gottes“. Es ist ein Schiff mit klarem Kurs, das Ziel, der Bestimmungsort ist das himmlische Jerusalem, der Schiffseigner: Gott selbst; der Steuermann: Jesus. Es ist ein grosses Schiff: Mit Bordkapelle natürlich – Kapelle im doppelten Wortsinn – und mit unglaublich vielen Angeboten – aber von den Angeboten eines Luxusliners wie Queen Mary II unterscheiden sie sich: Hier wird nur angeboten, was im  Sinne des Steuermanns Jesus ist, und das heisst zum

Beispiel auch: Hier wird nicht Konsumenten alles mögliche fertig vorgesetzt, sondern alle im  Schiff müssen tüchtig mitarbeiten... Presbyter etwa darin, dass sie dem Steuermann Jesus bei der Lenkung des Schiffs behilflich sind.

 

3.  Und ein  drittes Bild, ausgehend von dem Vers Kolosser 1, 13: „Gott hat uns errettet  von der Macht der Finsternis und  hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, in dem wir die Erlösung haben, nämlich die Vergebung der Sünden“: Die doppelte Staatsbürgerschaft.

 

 

 

4

 

 

Wir haben die eine: Als Deutsche oder Israelis oder Angolaner oder Namibier...aber zugleich eine neue Staatsangehörigkeit zu dem Reich, in dem wir nun unsere Heimat haben: Staatsangehörigkeit des Reiches Gottes, in dem als Grundgesetz die Worte

des Evangeliums gelten, etwa die Seligpreisungen (Matth. 5): Selig die Leidtragenden, sie werden  getröstet werden; selig die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit erlangen; selig die nach Gerechtigkeit hungern, sie werden satt werden....

 

 

                                                                        III

 

Und damit bin  ich bei der dritten Frage: Wem gilt das Evangelium? Wer soll seine rettende Kraft spüren? Die Juden zuerst, sagt Paulus.

 

Am 1. Weihnachtstag war die Schriftlesung aus Micha 5, wo es heisst:: Und du Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten Judas, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei! Und dieser Vers traf mich. Jesus Herr in Israel! Jesus, der gesagt hat: Überwindet eure Feinde durch die Kraft eurer Liebe, tut Gutes denen, die euch hassen, bittet für die, die euch verfolgen...

 

Jesus ist der Messias, der Retter zuerst für sein Volk Israel. Und  wenn ich das sage, erinnere ich zugleich daran, dass übermorgen einer der wichtigsten Gedenktage unseres Volkes ist, der Tag der besonderen Erinnerung an die Opfer der schoah, des Holocaust, wo der Gotteshass des Menschen sich an seinem erwählten Volk entsetzlich entlud.

 

Am 27. Januar 1945 wurden die wenigen Überlebenden des KZ Ausschwitz befreit.

Und als ich am vergangenen Wochenende unsere Tochter Anna in Berlin besuchte und mit ihr in dem architektonisch wie pädagogisch ausgezeichneten Jüdischen Museum war, sah ich sie wieder, die Fotos davon. Aber in diesem Museum sieht man eben auch unzählige Beispiele dafür, wie Angehörige des jüdischen Volkes die Musik, Geistes- und Naturwissenschaften, die gesamte Kultur in unerhörter Weise bereichert haben, von Anfang an und trotz (und manchmal auch durch) Verfolgungen, im  Mittelalter, der Aufklärung, im 19., 20. Jahrhundert...und dann der Abbruch.

 

Die Juden sind und bleiben das von Gott erwählte Volk, der Jude Jesus ist der Messias Israels – aber eben auch der Erlöser für „die Griechen“ , d.h. für alle Völker, für jeden Menschen, auch für dich und mich.  Darum beten wir: Herr, erwecke deine Kirche und  fange bei mir an. Baue deine Gemeinde und  fange bei mir an. Lass Frieden und Gotteserkenntnis überall auf Erden kommen und fange bei mir an. Bringe deine Liebe und Wahrheit zu allen Menschen und  fange bei mir an. (EG 255).

 

Der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und  Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.