Thema-Gottesdienst Essen-Bredeney, Kirche Am Brandenbusch, 8. 10. 06:

                                    Bin ich wertvoll auch ohne Arbeit?

 

Predigttext: Römer 3, 28

 

Anspiel vor der Predigt: "Aufgegeben" (Willow Creek Theater)

 

Inhalt in Kurzfassung:

 

Matthias ist seit sieben Monaten arbeitslos, was ihm große Probleme bereitet. Er sucht seine Situation vor seiner Frau und  seinen Bekannten zu vertuschen, indem er

sich tagsüber in einem Einkaufszentrum aufhält. Schließlich gesteht er seinem Freund Werner die Wahrheit, und  dann auch seiner Ehefrau Johanna, die empört und verbittert darauf reagiert.

 

Das Gespräch endet damit, daß Werner, während sie den Raum verläßt, zu ihr sagt: "Ich geb' nicht auf"!, und dann leise zu sich selbst: "Ich geb' auf"! 

 

 

Predigt:

 

"Ich geb nicht auf"! - "Ich geb auf!"  Noch, liebe Gemeinde, ist die Situation ist offen:  Werden die Ehepartner sich aussprechen, wird es wieder gut werden zwischen den Beiden? Oder werden sie vielleicht einen halbherzigen Versuch machen, der dann sehr schnell in Streit mündet: Sich Anschreien oder verbissenes Schweigen, Schluchzen, Türenschlagen ....und dann... die Scheidung, der Suff...

 

Noch ist die Situation offen. Klar ist nur: Beide sind  ziemlich am Ende. Johanna hat Sorgen wegen der Geldschulden, Matthias traut sich nicht, sich so zu zeigen, wie er in seinen Augen ist: Ein Versager. Immerhin: Dem Freund, dann auch seiner Frau gegenüber hat er den Mut gefunden, seine Lügen zuzugeben und die Wahrheit zu gestehen!

 

Im Gespräch mit dem Freund bricht er in die Worte aus: "Ich hab meinen Job gemacht... aber ich war eben nicht gut genug. Ich war nie gut genug...Jeder hat immer mehr von mir verlangt. Aber ich hab nicht mehr. Ich bin nur ein Mensch und keine Scheckkarte".  

 

Nur ein Mensch... Ein  Mensch unter Druck. Ein schwerer Druck hat auf ihm  gelastet. Der Druck, den Andere auf ihn ausübten, und den er verinnerlichte: Der Druck, seinen  Wert durch seine Arbeit zu beweisen.

 

Wie wichtig ist die Arbeit? 

 

Mir fällt die Geschichte von  dem portugiesischen Fischer ein, die Heinrich Böll erzählt::

 

Dieser Fischer liegt in seinem Boot am Hafen und döst zufrieden in der Morgensonne vor sich hin. Ein deutscher Tourist kommt, spricht ihn an: Ist doch günstiges Wetter, Sie könnten doch noch mal 'rausfahren; Sie werden einen guten Fang machen... Der Fischer blinzelt und sagt gleichmütig: Ich war schon heute früh draußen, hab' genug gefangen, da:  vier Hummer, zwei Dutzend Makrelen.  

 

Aber hören Sie, kommt's fast vorwurfsvoll zurück: Ist doch noch früh... Sie könnten viel mehr fangen...das Doppelte, das Dreifache...Sie könnten in  spätestens einem Jahr einen Motor kaufen, in  drei / vier Jahren vielleicht einen Kutter, könnten Leute anstellen...und - er redet sich richtig in Begeisterung - Sie könnten ein  Restaurant eröffnen, vielleicht eine Fischfabrik

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gründen ,könnten exportieren...und dann...dann....

 

Was dann? fragt der Fischer. - Dann hätten Sie's herrlich. Könnten sich was leisten. Könnten Urlaub machen wie ich, in  der Sonne liegen, das Leben genießen...

 

Aber das tu' ich ja schon, sagt der Fischer.

 

 

Der Fischer arbeitet, um genügsam zu leben. Der Tourist denkt nach dem Motto: Viel arbeiten, möglichst viel Geld verdienen, um  danach zu leben...Aber dann hat man gearbeitet, unter Druck, und  mit Mitte 50  kommt vielleicht der Herzinfarkt...

 

Hat die Arbeit in den letzten Jahrzehnten vielleicht ein zu starkes Gewicht bekommen,  eine zu starke Bedeutung für unser Selbstwertgefühl? Sind wir denen auf den Leim gegangen, die uns suggerierten: Du mußt möglichst viel haben, um glücklich zu leben? 

 

Luther sagt einmal: Woran du dein Herz hängst und worauf du dein Leben baust, das ist dein Gott.

 

Ist die Arbeit in dem Sinne zum Götzen geworden, daß wir von ihr erwarten, was nur Gott

selbst geben kann? Zufriedenheit, Selbstbestätigung, das Gefühl, wichtig und wertvoll zu sein?

 

Welchen Stellenwert die Arbeit bis heute noch vor allem bei Männern hat, das merken manche nach der Pensionierung, sie bekommen Entzugserscheinungen, fallen in ein Loch, werden depressiv..."

 

"Haben statt Sein"  - das ist der Titel eines berühmten Buches von Erich Fromm, er sagt darin: Wir definieren uns über's Haben, statt im Wissen zu leben: Wir sind wer -  einfach so. In dem Sinne, wie es Matthias Claudius in einem  schönen Gedicht herausjubelt:

 

Ich danke Gott und  freue mich, 

wie's Kind am Weihnachtstage,

daß ich bin, bin,

und dass ich dich,

schön menschlich Antlitz habe.

 

Er freut sich darüber, daß er da ist, dass er lebt, er findet sein Gesicht schön, findet sich schön...Und ganz klar ist bei Matthias Claudius, warum er sich so über sich freuen kann, dankbar sein kann, sein "menschlich Antlitz" schön finden kann:  Weil er sich geliebt weiß von Gott, weil er weiß: Ich bin ein  Kind Gottes, unendlich wertvoll  in Gottes Augen. Gott hängt an mir. Gott braucht mich. Gott traut mir viel zu. Ich bin Ihm wichtig. Bin einmalig. Er hat mich so geschaffen mit diesen Gaben...Und er weiß, warum er mich gerade so gemacht hat und mein Leben so gestaltet, wie es gerade verläuft. Also nehme ich mich an, bejahe mich, kann erhobenen Hauptes leben.

 

Mit solchen Sätzen sind wir ja beim Kern des christlichen Glaubens. Paulus hat ihn in einem Vers zusammengefaßt; Römer 3 Vers 28.

 

In der Lutherübersetzung: So  halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

 

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In  der Übersetzung "Die gute Nachricht": Denn dies steht fest: Allein  aufgrund des Glaubens nimmt Gott Menschen an und  läßt sie vor seinem Urteil als gerecht bestehen. Er fragt dabei nicht nach Leistungen, wie das Gesetz sie fordert.

 

Unabhängig von jeder Leistung sind wir Gott lieb und wert. Unabhängig von jeder Leistung werden wir im Jüngsten Gericht vor Gott bestehen, weil Jesus an unsere Stelle getreten ist und uns zur Seite steht. Ich stelle mir das so vor: Da stehe ich dann am Jüngsten Tag vor Gott und alles kommt wieder ans Licht,  alle meine Gedanken, Worte, Taten und Versäumnisse...und dann wird sich Jesus neben mich stellen und  sagen: Vater, sieh den Martin an, wie du mich ansiehst und  sieh mich an, wie du den Martin  von  Rechts wegen ansehen  müßtest. Ich habe mein Leben ja auch für seine Seligkeit gegeben. Und in

unendlichem  Erbarmen wird dann Gott mich in die Arme nehmen...aber vorher noch die Andern, die ich hier für schlecht, egoistisch, kleinkariert, habgierig hielt, und denen ich jetzt von Herzen gönne, daß Gott auch zu ihnen so unverdient gut ist. 

 

Da liegt die Kraftquelle für frohes, befreites, entlastetes Leben: In dem vertrauenden Wissen: Jesus hat für mich bezahlt. Und nun bin ich wer in Gottes Augen! Bin geliebt bei Gott! Gott guckt nicht mehr auf das, was alles gegen mich spricht. Er guckt auch nicht mehr auf meine vermeintlich tollen Verdienste und Taten... Sondern er sieht mich an.

 

Wenn uns das einer so zusagt: Das kann schon  bewirken, daß man richtig aufatmet und richtig erleichtert und froh wird. Aber zugleich müssen wir Menschen das einander auch zu

spüren geben, einander die Wertschätzung erweisen, die wir in Gottes Augen haben.

 

Das ist täglich einzuüben. Weil das eben doch tief in uns verwurzelt ist, daß wir einander stattdessen  eher aufgrund von Maßstäben der Leistung, des Habens,  des Erfolgs, auch nach den gängigen Maßstäben für Schönheit oder Attraktivität oder  auch aufgrund der intellektuellen Gaben beurteilen.  

 

Und nun komme ich zurück auf die Bedeutung der Arbeit. Damit kein Mißverständnis entsteht: Arbeit ist sehr sehr wichtig. Einmal: Weil  Menschen Geld verdienen müssen, um leben zu können. Und auch, weil Arbeit Befriedigung geben kann und soll. Arbeitenkönnen ist sehr wichtig: Es gehört zentral zum Menschsein. Das sagt die ganze Bibel vom ersten  bis zum  letzten Buch. 

 

Und Arbeitslosigkeit ist und bleibt darum etwas Schreckliches und Furchtbares. Hier in Bredeney oder Stadtwald gibt es ja nicht so viel Arbheitslosigkeit wie anderswo. Aber überlegen Sie einmal: Sie hätten tage-, wochen-, monatelang keine richtige Arbeit! Man kann garnicht genug Hochachtung vor Menschen  haben, die das seelisch aushalten und  verkraften, ungewollt arbeitslos zu sein.  

 

Arbeit ist wichtig. Nur: Das noch Wichtigere: Lebensfreude, Lebenssinn, Lebensgenuß, Selbsbewußtsein und  Selbstvertrauen -  das kann sie nicht geben, das kommt aus anderen Quellen, das kommt von Gott. 

 

Im Buch des Predigers Salomo stehen dazu zwei Verse.

 

Einmal,  Prediger 3 Vers 22: So sah ich denn, dass nichts Besseres ist, denn dass ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn  so hat es Gott gewollt. Also: Die Arbeit ist wichtig für die Lebensgestaltung.  Nur, Anderes ist wichtiger. Davon spricht Prediger 9 Vers 9, übrigens der Trauspruch des Ehepaars Quaas: Genieße das Leben mit deinem Weibe, das du liebhast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat.

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Das heißt: Lebensfreude, Lebensgenuß in Gemeinschaft mit dem geliebten Menschen...das ist wichtiger. Und das kann man auch haben,  wenn man weniger verdient oder auch eine Arbeit tut, die eben nicht bezahlte Arbeit ist - so wie zahllose Ehrenamtliche das in unseren Gemeinden  tun oder ich jetzt als Pensionär, der Vertretungen übernimmt oder auch viel Befriedigung z.B.  in Gartenarbeit findet.

 

Und was bedeutet das alles nun für das Ehepaar  Matthias und Johanna? 

 

Vor allem, finde ich: Sie brauchen einen Freund, der ihnen zum echten Seelsorger wird. Der weiß, die Beiden sind mir jetzt "aufgegeben", als Auftrag von Gott. Der ihnen das erklärt und 

einleuchtend zusagt, dass sie unabhängig von Arbeit wertvoll sind. Und der sich auch praktisch um sie bemüht. Immerhin  deutet das Spiel ja an, dass er sich auch darum kümmern will, für Matthias  eine Arbeit zu finden, und sei's eine nichtgewerbliche Arbeit, eine ehrenamtliche sinnvolle und Befriedigung schenkende Arbeit,  etwa als Vorleser in einem Kindergarten oder als Mitarbeiter im Dritte Welt Laden oder als Zuhörer, wenn alte Menschen im Heim von ihrem Leben erzählen.  Auch könnte der Freund bei der Schuldnerberatung helfen. So könnte durch seinen Beistand die innere Leere in den Beiden überwunden werden, sie könnten  Kraft finden, sich einander zuzuwenden, sie könnten vielleicht sogar miteinander beten, die Liebe würde wieder lebendig werden. Sie würden bescheidener leben als vorher, aber glücklicher.

 

 

Fazit: Alles kommt auf eine lebendige Gottesbeziehung an! Und dass die bei vielen Menschen zu fehlen scheint, darin liegt der seelische Grundschaden der Menschen bei uns, das ist die Ursache für Freudlosigkeit und mangelnde Herzlichkeit.

 

Und  alles kommt darauf  an, dass wir Christen im Umgang miteinander ein  Abbild des Wesens Gottes sind; so zueinander, wie Gott zu uns ist.

 

Alles kommt darauf an, daß wir Christen die revolutionäre, tief befreiende, entlastende  Kraft  des Evangeliums erkennen, verständlich erklären und   glaubwürdig leben.

 

Denn, wie Jesus im Johannesevangelium (Kap.8 Vers 36) sagt: "Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei"! Amen.