Gottesdienst am 19. Sonntag nach Trinitatis, 26. Oktober 2003

zur Predigtreihe: Was mir die Zusagen der Bibel bedeuten (I)

(Pfarrer Martin Quaas)

 

Lieder:

 

Gott ist gegenwärtig...165, 1.2.6

Herr, öffne mir die Herzenstür...197

In allen meinen Taten...368,1-4

Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ...246, 3. 6 .7

 

Psalm 139 (Nr. 759)

Lesung: Jes 55, 6b - 11

 

 

Liebe Gemeinde,

 

wir beginnen heute eine Reihe von drei Predigten: Was  mir persönlich die Zusagen der Bibel bedeuten. Nach mir werden Pfarrer Volke und Pastor Dr. Oblau eine Predigt dazu halten. Es geht also darum, dass jeder von uns einmal ganz persönlich sagt, was ihm an der Bibel  wichtig ist, was ihm die Bibel so wertvoll und lieb macht.

 

Ich beginne mit einer Erinnerung, die ich schon in der letzten Predigt erwähnt habe: Mitten im Theologiestudium in Marburg war ich während einer ganzen Reihe von Monaten – schlimmen Monaten – felsenfest überzeugt: Es gibt keinen Gott – bzw. wenn er ist, ist er für uns Menschen absolut unerkennbar, wir können von ihm nichts sagen. 

 

Und dann irgendwann las ich in einem der Evangelien, und Jesus beeindruckte mich ganz neu und ich dachte: Auf ihn zu hören, seinem Vorbild zu folgen, so gut man kann – das ist auf jeden Fall sinnvoll. Das war ein Neuanfang. Von Jesus her hat sich mein Glaube dann neu entfaltet. Im Licht seiner Botschaft lese ich alle Worte der Bibel.

 

Inzwischen bin ich – möchte ich sagen – in so etwas wie der Phase einer „zweiten Naivität“. Alles kritische Forschen über die Bibel kenne ich, halte ich auch für

möglicherweise hilfreich und wichtig für kritisch fragende Menschen, aber ich selber

lese inzwischen alle Texte unter der Voraussetzung: Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Also: Klar glaube ich an die leibhaftige Auferweckung des toten Jesus – warum soll Gott das denn nicht können, den Leichnam Jesu mit seinem eigenen göttlichen Leben zu beleben? Oder: Warum soll Jesus das nicht wortwörtlich gekonnt haben: Auf Wasser gehen, Wasser in Wein zu verwandeln, einen Sturm zu stillen...?

 

Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt, hat er gesagt (Markus 9, 23; vgl. Lukas 17, 5f.). Das glaube ich auch.

 

                                                                        I

 

Aber jetzt das, was mir die ganze Bibel so lieb macht: Ihre Worte haben eine ungeheure Kraft. Jedes Losungswort, das ich morgens zu Herzen nehme, bewirkt Gutes, tut Gutes

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an meiner Seele. Zerbricht mir zum Beispiel mein  Bild von  einem  bestimmten

Menschen, gibt mir die Kraft, mich einem Menschen, der mich gekränkt hat, unbefangen und freundlich wieder zuzuwenden. Und wann immer ich in  der Bibel lese,

bewahrheitet sich der Vers aus Jesaja 40: Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.  Die Worte der Bibel geben Kraft für das, was ich für die wichtigste christliche Tugend halte: Beharrlichkeit. Trotz aller Widerstände, scheinbaren Niederlagen, trotz allen Unglaubens und Kleinglaubens in einem selbst und

um einen herum Gott zutrauen, dass er all seine Verheißungen zum  Ziel bringt.

 

                                                                        II

 

So wie es in einer der mir liebsten Bibelstellen, Offenbarung 21, in den visionären Bildern vom himmlischen Jerusalem gesagt wird:  Das Meer wird nicht mehr sein...Gott wird abwischen alle Tränen von den Augen aller Menschen ...Jesus – ein Lamm! - wird alle lebenszerstörenden Gewalten  besiegt haben. Er - ein Lamm! -  wird das letzte Wort über alle und alles haben und  sprechen. An solch einen revolutionären Glauben kommt keine Religion auch nur annähernd heran.

 

                                                                        III

 

Von dieser Hoffnung her kann ich die Unbegreiflichkeit Gottes aushalten, die ständige und  bedrängende Frage, warum Gott Ungerechtigkeit, Leid, ensetzliche Grausamkeit, unendliche Zerstörung von Leben zuläßt oder sogar selbst bewirkt. Ich bin  dankbar, daß auch die dunklen Seiten Gottes in  der Bibel genannt werden. Dem Mose lauert er auf, er will ihn  töten (2. Mose 4, 24),  dem Hiskia begegnet er wie ein  Löwe, der ihm  alle Knochen zertrümmert (Jes. 38). Den Hiob (Kap.1) liefert er dem Satan aus. Im Neuen Testament (!) steht der Satz: Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen  (Hebr.10, 31) – und bis heute ist es so, daß Gott Menschen herzlos und ungerecht, grausam, heimtückisch und  zerstörerisch erscheinen kann. Bei den Besuchen in der Gemeinde  erfahre ich ständig von Leid und seelischer Not. Aber ich werde ermutigt von Menschen, die – anders als ich, mit dem Gott überaus freundlich umgeht – schweres Leid zu tragen haben, und die sich trotz allem zu dem Vertrauen  durchringen, dass nichts einfach sinnlos ist, sondern dass in den unsere Vorstellungen himmelhoch übersteigenden Plänen und Wegen Gottes alles Geschehen einen Sinn  und eine Bedeutung hat, und dass wir am Ziel den Sinn von allem erkennen werden.

 

                                                                        IV

 

Man kann sich ja in  Grübelei, Traurigkeit oder Hoffungslosigkeit vergraben. Bibelworte holen einen sofort da heraus. Mir war immer eindrücklich, daß – nach dem Lob – die zweithäufigste Form des Betens in den Psalmen das Klagen ist: Warum? Wie lange? Warum verbirgst du dich? Wie oft finden sich diese Aufschreie in den Psalmen:

Der 10. Psalm, der herrliche 13. Psalm, der 73. Psalm und andere...

 

Selbst der tiefsten   Depression geben einzelne Psalmen noch Worte, lesen Sie einmal

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den 88. Psalm. Andererseits: Welch überschwenglicher Jubel, und Worte heiterer

Dankbarkeit für die sinnlichen Freuden des Lebens in den Lob- und Segensspalmen. Luther hat einmal geschrieben, dass die Psalmen mit Recht in  der Mitte der Bibel stünden, ich empfinde das auch so.

 

                                                                        V

 

Die ganze Bibel weiss: Wir Menschen sind trostbedürftig – immer und in jedem Alter.

Wenn ich traurig oder oder auch wütend auf einen Menschen bin, schlage ich schon mal die Kapitel 40 - 55 des Jesajabuchs auf, überschrieben: “Das Trostbuch von der Erlösung Israels“, ein Buch, das mir besonders wichtig geworden ist.

 

Gegen Ende des Studiums war ich mit einem team junger Leute öfter zu sog. missionarischen  Einsätzen auf Campingplätzen, in der Eifel und anderswo. Wir wohnten in Zelten, luden zu Familiengottesdiensten, Spielnachmittagen und anderem ein. Und ich  weiß noch: Eines Abends, nur eine Kerze brannte auf meinem Tisch im Zelt, da begann ich Jesaja Kapitel 40 zu lesen, das mit den Worten  anfängt: Tröstet, tröstet mein  Volk! und  ich las dann wie ein  einem Rausch alle Kapitel von Deuterojesaja bis zu Kapitel 55, las sie mit  Freude und  Staunen darüber, wie ein  Mensch unglaublich tröstend von der universalen Macht und Herrlichkeit Gottes spricht – zu Menschen, die meinen, sie seien am Ende und Gott kümmere sich nicht um  sie bzw. habe sie verlassen. 

 

                                                                        VI

 

Einer der wichtigsten Texte für mich ist 2. Mose 3, wo erzählt wird, wie Gott der Heilige dem Mose in der Wüste begegnet und Gott zu ihm sagt: „Ich habe das Elend der Versklavten in Ägypten gesehen, ich habe ihr Schreien gehört, ich bin heruntergekommen und  will sie herausführen, der Freiheit, der Lebensfülle entgegen...“

 

Und dann  zieht sich das als roter Faden durch die ganze Bibel: Gott will Menschen frei machen, er hat eine Schwäche für die Schwachen, einen Hang nach unten, eine Vorliebe für das Geringe und Verachtete... Er hat eine Leidenschaft dafür, Menschen zu befreien, aus welchen Gebundenheiten, Ketten und Gefängnissen auch immer.

 

Und: Gott hat das Recht lieb. Dieser Satz aus den Propheten (z.B. Jes. 61, 8) ist ein  Leitsatz für meinen  Glauben. Wobei seine Gerechtigkeit zugleich seine Barmherzigkeit ist und  zwar nicht erst im Neuen Testament, sondern von Anfang an. Und hier werden mir die Bibelworte immer wichtiger, die mir und allen Menschen zusagen: Barmherzig und gnädig ist Gott, geduldig und von grosser Güte...Er handelt nicht mit uns nach  unseren Sünden..(2. Mose 34, 6; Psalm 103, 8ff.). Und damit sind wir beim Wichtigsten der ganzen Bibel: Dem Kreuz Jesu.

 

 

 

 

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                                                                        VII

 

Drei Bemerkungen zum Schluss.

 

Das erste, ohne jede Überheblichkeit gesagt: Wie unvergleichlich ist die Bibel dem Koran überlegen. Dort die Suren, sicher auch vom barmherzigen Gott sprechend und ihn  lobpreisend, aber nach meinem Empfinden eher  lehrhaft klingend – hier das pralle Leben mit all seinen Höhen und  Tiefen und seiner Sinnlichkeit – nichts aus der Überfülle und Abgründigkeit menschlichen  Lebens, das nicht in  der Bibel vorkäme.

 

Zweitens: welches sind die mir liebsten biblischen Geschichten? Jakobs Kampf am Jabbok (1. Mose 32), Elia am Horeb (1. Kön.19) und Jesus in Gethsemane (Matth. 26, 36ff., Lk. 22, 39ff.).

Und drittens: Mein Konfirmationsspruch scheint  mir alles, was die Bibel von Gott und uns sagt und was in Christus erfüllt ist, zusammenzufassen, Galater 5 Vers 13: 

Ihr seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr die Freiheit nicht eigensüchtig gebraucht, sondern durch die Liebe diene einer dem andern. Christus befreit dazu, einander in Liebe zu dienen. Amen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.