zur Predigtreihe: Was mir die Zusagen der Bibel
bedeuten (I)
(Pfarrer Martin Quaas)
Lieder:
Gott ist gegenwärtig...165,
1.2.6
Herr, öffne mir die
Herzenstür...197
In allen meinen Taten...368,1-4
Ach bleib bei uns, Herr Jesu
Christ...246, 3. 6 .7
Psalm 139 (Nr. 759)
Lesung: Jes 55, 6b - 11
Liebe Gemeinde,
wir beginnen heute eine Reihe
von drei Predigten: Was mir persönlich
die Zusagen der Bibel bedeuten. Nach mir werden Pfarrer Volke und Pastor Dr.
Oblau eine Predigt dazu halten. Es geht also darum, dass jeder von uns einmal
ganz persönlich sagt, was ihm an der Bibel
wichtig ist, was ihm die Bibel so wertvoll und lieb macht.
Ich beginne mit einer
Erinnerung, die ich schon in der letzten Predigt erwähnt habe: Mitten im
Theologiestudium in Marburg war ich während einer ganzen Reihe von Monaten –
schlimmen Monaten – felsenfest überzeugt: Es gibt keinen Gott – bzw. wenn er
ist, ist er für uns Menschen absolut unerkennbar, wir können von ihm nichts
sagen.
Und dann irgendwann las ich in
einem der Evangelien, und Jesus beeindruckte mich ganz neu und ich dachte: Auf
ihn zu hören, seinem Vorbild zu folgen, so gut man kann – das ist auf jeden
Fall sinnvoll. Das war ein Neuanfang. Von Jesus her hat sich mein Glaube dann
neu entfaltet. Im Licht seiner Botschaft lese ich alle Worte der Bibel.
Inzwischen bin ich – möchte ich
sagen – in so etwas wie der Phase einer „zweiten Naivität“. Alles kritische
Forschen über die Bibel kenne ich, halte ich auch für
möglicherweise hilfreich und
wichtig für kritisch fragende Menschen, aber ich selber
lese inzwischen alle Texte unter
der Voraussetzung: Bei Gott ist kein Ding
unmöglich. Also: Klar glaube ich an die leibhaftige Auferweckung des toten
Jesus – warum soll Gott das denn nicht können, den Leichnam Jesu mit seinem
eigenen göttlichen Leben zu beleben? Oder: Warum soll Jesus das nicht
wortwörtlich gekonnt haben: Auf Wasser gehen, Wasser in Wein zu verwandeln,
einen Sturm zu stillen...?
Alle Dinge sind möglich dem, der
glaubt, hat er gesagt (Markus 9, 23; vgl. Lukas 17, 5f.). Das glaube ich auch.
I
Aber jetzt das, was mir die
ganze Bibel so lieb macht: Ihre Worte
haben eine ungeheure Kraft. Jedes Losungswort, das ich morgens zu Herzen
nehme, bewirkt Gutes, tut Gutes
2
an meiner Seele. Zerbricht mir
zum Beispiel mein Bild von einem
bestimmten
Menschen, gibt mir die Kraft,
mich einem Menschen, der mich gekränkt hat, unbefangen und freundlich wieder
zuzuwenden. Und wann immer ich in der
Bibel lese,
bewahrheitet sich der Vers aus Jesaja 40: Die auf den Herrn harren, kriegen
neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht
matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. Die Worte der Bibel geben Kraft für das, was
ich für die wichtigste christliche Tugend halte: Beharrlichkeit. Trotz aller
Widerstände, scheinbaren Niederlagen, trotz allen Unglaubens und Kleinglaubens
in einem selbst und
um einen herum Gott zutrauen,
dass er all seine Verheißungen zum Ziel
bringt.
II
So wie es in einer der mir
liebsten Bibelstellen, Offenbarung 21,
in den visionären Bildern vom himmlischen Jerusalem gesagt wird: Das
Meer wird nicht mehr sein...Gott wird abwischen alle Tränen von den Augen aller
Menschen ...Jesus – ein Lamm! - wird alle lebenszerstörenden Gewalten besiegt haben. Er - ein Lamm! - wird das letzte Wort über alle und alles
haben und sprechen. An solch einen
revolutionären Glauben kommt keine Religion auch nur annähernd heran.
III
Von dieser Hoffnung her kann ich
die Unbegreiflichkeit Gottes
aushalten, die ständige und bedrängende
Frage, warum Gott Ungerechtigkeit, Leid, ensetzliche Grausamkeit, unendliche
Zerstörung von Leben zuläßt oder sogar selbst bewirkt. Ich bin dankbar, daß auch die dunklen Seiten Gottes
in der Bibel genannt werden. Dem Mose
lauert er auf, er will ihn töten (2.
Mose 4, 24), dem Hiskia begegnet er wie
ein Löwe, der ihm alle Knochen zertrümmert (Jes. 38). Den Hiob
(Kap.1) liefert er dem Satan aus. Im Neuen Testament (!) steht der Satz: Schrecklich ist es, in die Hände des
lebendigen Gottes zu fallen
(Hebr.10, 31) – und bis heute ist es so, daß Gott Menschen herzlos und
ungerecht, grausam, heimtückisch und
zerstörerisch erscheinen kann. Bei den Besuchen in der Gemeinde erfahre ich ständig von Leid und seelischer
Not. Aber ich werde ermutigt von Menschen, die – anders als ich, mit dem Gott
überaus freundlich umgeht – schweres Leid zu tragen haben, und die sich trotz
allem zu dem Vertrauen durchringen,
dass nichts einfach sinnlos ist, sondern dass in den unsere Vorstellungen
himmelhoch übersteigenden Plänen und Wegen Gottes alles Geschehen einen
Sinn und eine Bedeutung hat, und dass
wir am Ziel den Sinn von allem erkennen werden.
IV
Man kann sich ja in Grübelei, Traurigkeit oder Hoffungslosigkeit
vergraben. Bibelworte holen einen sofort da heraus. Mir war immer eindrücklich,
daß – nach dem Lob – die zweithäufigste Form des Betens in den Psalmen das Klagen ist: Warum? Wie lange? Warum verbirgst du dich?
Wie oft finden sich diese Aufschreie in den Psalmen:
Der 10. Psalm, der herrliche 13.
Psalm, der 73. Psalm und andere...
Selbst der tiefsten Depression geben einzelne Psalmen noch
Worte, lesen Sie einmal
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den 88. Psalm. Andererseits:
Welch überschwenglicher Jubel, und Worte heiterer
Dankbarkeit für die sinnlichen
Freuden des Lebens in den Lob- und Segensspalmen. Luther hat einmal
geschrieben, dass die Psalmen mit Recht in
der Mitte der Bibel stünden, ich empfinde das auch so.
V
Die ganze Bibel weiss: Wir Menschen
sind trostbedürftig – immer und in
jedem Alter.
Wenn ich traurig oder oder auch
wütend auf einen Menschen bin, schlage ich schon mal die Kapitel 40 - 55 des Jesajabuchs auf, überschrieben: “Das Trostbuch von der Erlösung Israels“,
ein Buch, das mir besonders wichtig geworden ist.
Gegen Ende des Studiums war ich
mit einem team junger Leute öfter zu sog. missionarischen Einsätzen auf Campingplätzen, in der Eifel
und anderswo. Wir wohnten in Zelten, luden zu Familiengottesdiensten,
Spielnachmittagen und anderem ein. Und ich
weiß noch: Eines Abends, nur eine Kerze brannte auf meinem Tisch im
Zelt, da begann ich Jesaja Kapitel 40 zu lesen, das mit den Worten anfängt: Tröstet,
tröstet mein Volk! und ich las dann wie ein einem Rausch alle Kapitel von Deuterojesaja
bis zu Kapitel 55, las sie mit Freude
und Staunen darüber, wie ein Mensch unglaublich tröstend von der
universalen Macht und Herrlichkeit Gottes spricht – zu Menschen, die meinen,
sie seien am Ende und Gott kümmere sich nicht um sie bzw. habe sie verlassen.
VI
Einer der wichtigsten Texte für mich ist 2. Mose 3, wo erzählt wird, wie Gott der Heilige dem Mose in der Wüste begegnet und Gott zu ihm sagt: „Ich habe das Elend der Versklavten in Ägypten gesehen, ich habe ihr Schreien gehört, ich bin heruntergekommen und will sie herausführen, der Freiheit, der Lebensfülle entgegen...“
Und dann zieht sich das als roter Faden durch die ganze Bibel: Gott will Menschen frei machen, er hat eine Schwäche für die Schwachen, einen Hang nach unten, eine Vorliebe für das Geringe und Verachtete... Er hat eine Leidenschaft dafür, Menschen zu befreien, aus welchen Gebundenheiten, Ketten und Gefängnissen auch immer.
Und: Gott hat das Recht lieb. Dieser Satz aus den Propheten (z.B. Jes. 61, 8) ist ein Leitsatz für meinen Glauben. Wobei seine Gerechtigkeit zugleich seine Barmherzigkeit ist und zwar nicht erst im Neuen Testament, sondern von Anfang an. Und hier werden mir die Bibelworte immer wichtiger, die mir und allen Menschen zusagen: Barmherzig und gnädig ist Gott, geduldig und von grosser Güte...Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden..(2. Mose 34, 6; Psalm 103, 8ff.). Und damit sind wir beim Wichtigsten der ganzen Bibel: Dem Kreuz Jesu.
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VII
Drei Bemerkungen zum Schluss.
Das erste, ohne jede Überheblichkeit gesagt: Wie unvergleichlich ist die Bibel dem Koran überlegen. Dort die Suren, sicher auch vom barmherzigen Gott sprechend und ihn lobpreisend, aber nach meinem Empfinden eher lehrhaft klingend – hier das pralle Leben mit all seinen Höhen und Tiefen und seiner Sinnlichkeit – nichts aus der Überfülle und Abgründigkeit menschlichen Lebens, das nicht in der Bibel vorkäme.
Zweitens: welches sind die mir
liebsten biblischen Geschichten? Jakobs Kampf am Jabbok (1. Mose 32), Elia am
Horeb (1. Kön.19) und Jesus in Gethsemane (Matth. 26, 36ff., Lk. 22, 39ff.).
Und drittens: Mein
Konfirmationsspruch scheint mir alles,
was die Bibel von Gott und uns sagt und was in Christus erfüllt ist,
zusammenzufassen, Galater 5 Vers
13:
Ihr seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass
ihr die Freiheit nicht eigensüchtig gebraucht, sondern durch die Liebe diene
einer dem andern. Christus befreit dazu, einander in Liebe zu dienen.
Amen.